SALCIA LANDMANN
Gepfeffert und gesalzen

GERICHT ÜBER GERICHTE
EIN STREITBARES KOCHBREVIER

Dieses Buch widme ich meiner Großmutter, der ich das Beste von meinem Kochwissen verdanke:

Sabina Gottesmann-Seemann, geboren 1872 auf Gut Ostra am Dnjestr, gestorben 1950 in St. Gallen

1-8 Kochbücher und Rezeptvorschlä­ge gibt es heute wie Sand am Meer. Meist fehlen auch weder Material noch Geld für eine wirklich gute Küche. Dennoch erklingt ringsum die Klage: Noch nie hat man in so­viel Häusern — auch in reichen — so schlecht gegessen wie heutzutage ! Ein Wunder ist es nicht. Denn heu­te sterben alle Traditionen, auch die der Küche. Die <Freiheit> tri­umphiert. Ein jeder glaubt sich be­rufen, etwas ganz Neues, noch nie Gehabtes zu erfinden - auch in der Küche. Zudem wird viel gereist, und völlig Fremdes, oft falsch Zu­bereitetes nimmt auf unseren Kü­chenzetteln Platz. Obendrein gibt es eine moderne Diätetik, die mit ihren widersprechenden Thesen häufig mehr verwirrt als klärt. Wie soll sich einer da noch auskennen? Wie erkennen, was exzellent, was akzeptabel, was preferabel, was miserabel ist? Salcia Landmann, bekanntgewor­den durch den Bestseller <Der jüdi­sche Witz>, hat inzwischen durch ihr kleines jüdisches Kochbuch (Koschere Kostproben) bewiesen, daß sie nicht nur fesselnd zu schrei­ben, sondern auch brillant zu kochen versteht. In diesem neuen Buch legt sie uns - spannend, hei­ter und zugleich klar durchdacht — eine solche bisher fehlende Kü­chenorientierung vor, und sie be­legt ihre Thesen mit Warnbeispie­len einerseits, mit vielen herrlichen, bewährten Rezepten andererseits. Dazu genügt ein Blick auf die aus­führliche Inhaltsangabe am Schluß des Buches.

Salcia Landmann

geboren 1911 im Osten der Donau­monarchie, ist in St. Gallen aufge­wachsen, besuchte dort das huma­nistische Gymnasium, studierte Psychologie, Jurisprudenz, Kunst­geschichte, Philosophie und dok­torierte in Basel über „Phänomenologie und Ontologie“. Sie lebt in St. Gallen. 1960 erschien von ihr Der Jüdischer Witz [50. Tausend], der auch inzwischen als gekürzte Ta­schenbuchausgabe ein großer Er­folg ist. 1962 folgte Jiddisch, Aben­teuer einer Sprache, von der Fachwelt und der Presse begeistert aufge­nommen.

9 WOZU DIESES BUCH?

Kochbücher und Rezeptvorschläge gibt es wie Sand am Meer. Seit es ein wenig Sitte geworden ist, der Dame des Hauses statt Blumen und Konfekt ein kleines Kochbuch mitzubringen, vergeht kein Monat, ohne daß ein halbes Dutzend solcher Bändchen neu erschiene, eins wie das zweite so lieblich anzusehen wie eine Schachtel mit kost­baren Pralines.

Und seit die Amerikaner die sensationelle Entdeckung gemacht haben, daß Speisen nicht zu schmecken, son­dern bloß schön auszusehen brauchen, sind auch bei uns die Rezeptseiten in den Illustrierten und Koch­büchern so bunt und prächtig, daß kleine Kinder bei ihrem Anblick vor Freude kreischen.

Zugleich erklingt ringsum die Klage: noch nie hat man in soviel Häusern - auch in reichen! - so schlecht ge­gessen und gekocht wie heutzutage!

Ein Wunder ist es nicht. Denn früher einmal lernte die Tochter bei der Mutter kochen. Auf dem Lande drau­ßen beherrschte sie dann die bäuerliche Kost der Ge­gend und in der Stadt die bürgerliche Küche. Die bäuer­lichen Speisen waren etwas schwer und derb - nun ja, zur schweren Arbeit paßt massive Kost. Die städtisch­bürgerliche Küche wieder war ein wenig verflaust und kompliziert - je nun, man hatte Zeit und zudem Per­sonal. Schlecht aber aß man weder da noch dort. Ge­nauer : man aß nur schlecht bei übergroßer Not und Armut.

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Heute nun sterben alle Traditionen, auch in der Küche. Die Freiheit triumphiert. Ein jeder glaubt sich jetzt be­rufen, etwas Neues, noch nie Gehabtes zu erfinden, wie in der Kunst so in der Küche.

Dazu kommt, daß niemand mehr zu Hause stillsitzt. Wenn einer glaubt, er könne sich die Ferienreise in den fremden Kontinent oder doch in das fremde Land nicht leisten, dann hat er nachher psychische Komplexe und zahlt dem Psychoanalytiker für ihren Abbau das Dop­pelte der eingesparten Reisespesen.

Beim Reisen aber kommt es zur Berührung mit der Kochkunst der Fremde und der Ferne. Was man dort draußen kennenlernte, will man dann auch am eigenen Kochherd ausprobieren.

Und obendrein gibt es noch die moderne Diätetik, wel­che von allen Seiten her verspricht und droht: wenn du dies oder jenes ißt oder meidest, wirst du gesund und kräftig wie ein Zuchtstier. Im ändern Falle morden dich Krebs und gestörter Kreislauf.

Wie soll sich einer da im Küchensektor noch zurecht­finden ? Wie erkennen, was exzellent, was akzeptabel, was preferabel, was miserabel ist ?

So kommt es eben, daß man heute in der Küche - wie in der Kunst - den meisten Menschen jeden Unsinn an­drehen kann. Versuchen Sie doch einmal, in irgend­einer Wochenzeitung unter einem möglichst neuen und attraktiven Namen - etwa <Sanidrink> oder <Lacti-quirl> oder was weiß ich - eine Mixtur aus Milch mit Moselwein, Käse, Sellerie, Beefsteak Tartare und Apfel­sinenscheiben vorzuschlagen! Es ist zehn gegen eins zu wetten, daß sich kein einziger Leser bei der Redaktion beschweren wird. Es werden vielmehr Tausende das

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Rezept notieren, den Drink fabrizieren und sogar goutieren.

Was aber läßt sich gegen solchen Mißstand tun ? Nun - sehr einfach! Die gleiche Freiheit, welche die Traditionen in der Küche mordet und den modernen Küchenzettel in ein wüstes Chaos wandelt, kann ihm auch wieder Form und Qualität verleihen. Denn Tra­ditionen haben ja auch ihr Negatives. Sie bedeuten Bin­dung ohne Urteil und Kritik. So wird auch Miserables und Widersinniges oft durch Jahrhunderte weiter­geschleppt. In der Wissenschaft so gut wie in der Kü­che. Auch davon werden wir in diesem Buch erzählen. Tritt also anstelle der kritiklosen Tradition auf einer Seite und der zerfahrenen Ungebundenheit auf der än­dern nunmehr die klar urteilende Kritik, dann bringt die Freiheit nicht mehr Konfusion und Unfug, sondern statt dessen Maßstab und Segen. Sogar in der Küche.

Bleibt die Frage, wie man zu einein solchen klaren Ur­teil kommt. Natürlich, es gibt Hochbegabte und sogar Genies, wie in der Kunst so in der Küche. Sie werfen einen Blick in eine Partitur - und hören die Kompo­sition. Sie lesen das Rezept eines Gerichtes - und schmecken es bereits auf ihrer Zunge. Ja - sie schmecken es sogar im voraus ab. Sie merken schon beim Lesen sogleich, was da vielleicht zuviel ist und was zuwenig und was sich auf diese oder jene Weise verbessern läßt. Allerdings ist das Urteil sehr erschwert, sobald man fremden Werten und Welten gegenübersteht. Wie in der Kunst so in der Küche. Jedoch: es geht auch dann fast immer.

Was aber tut der Nichtgeniale? Nun - er schult sein Urteil. Zwar gibt es Grenzen. Der Blinde kann nicht

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Bilder sehen, der taub Geborene die Musik nicht hören. Und auch in schönsten Weinbergregionen kommt manchmal einer auf die Welt, der einen sauren Klätzer von einein Edelwein nur auf dem Flaschenetikett, nicht auf der Zunge unterscheiden kann.

Doch ist dergleichen selten. Meist fehlt der Maßstab nur, weil man es nie versuchte, ihn zu erwerben und zu schulen. Als wäre das so unerreichbar! Als setzte ein klares Urteil über ein Ragout ebensoviel voraus wie eine Formel der Atomphysik!

Versuchen wir es doch gemeinsam! Kommen Sie mit mir! Ins Restaurant und in die Küche! Wir werden wohl nicht immer gleicher Meinung sein. Wir werden uns auch streiten. Wir werden aber doch - so hoffe ich nach unserm Rundgang uns als gute Freunde trennen.

dr. phil. salcia landmann

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IRRFAHRTEN IN DIE FREMDE
Zwei Grenzen gibt es für das Küchenwissen, die sich nur mühsam überspringen lassen. Die des totalen Mangels an Begabung erwähnten wir bereits. Die zweite Grenze ist die der absoluten Fremdheit. Und hierzu weiß ich Ihnen eine reizende Geschichte, die sich wirklich zu­getragen hat. Ich habe sie von einein deutschen Bohemien und Dichter, einem Mann von Bildung, Witz und Geist, in dessen Adern sich das Blut solider Schwaben mit dem von adeligen Hugenotten mischt. Genauso eint sich auch in seinem Sinn Pariser Schliff mit deutscher Gründlichkeit und Tiefe. Sogar in Küchenfragen. Seine Zunge, sein Geruchsinn sind unfehlbar. Eine rasche, kleine Kostprobe, ja schon ein Duft, ein kurzer Blick in einen Kochtopfgenügen ihm, die Qualität und Art der Speise zu erkennen, jedes Gewürz herauszuriechen. Fast erinnert er an jenen Stationskommandanten in den <Abenteuern des braven Soldaten Schwejk>, der dem betrunkenen Wachtmeister befiehlt: «Hauchen Sie mich an!» - und dann mit scharfern und erprobten Geruchsinn sofort geläufig analysiert: «Rum, Kontuschovka, Griotte, Nuß-, Weichsel- und Vanilleschnaps.» - Er ist ein Abenteurer, im Leben wie in Küchenfragen. Wo immer er je hinkommt - und er reist sehr viel -, setzt er sich gern in die kleinen, heimeligen Lokale, wo man die Speisen der Gegend serviert. Oder er forscht nach exotischen Gaststätten, wo Küchenkünstler aus Afrika und Asien amten.

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Die < Faulen Eier> Chinas

«Einmal», erzählte er, «aß ich in Paris in einem chine­sischen Restaurant. Dort war ich schon oft gewesen und hatte mir wiederholt die berühmten < Faulen Eier> vor­setzen lassen. Bis jetzt war es mir nicht gelungen, ihnen auf den Geschmack zu kommen. Dennoch beschloß ich, noch einen letzten Versuch zu wagen. Den Schock bei der ersten Kostprobe hatte ich noch gut in Erinnerung. Also führte ich einen ganz kleinen Bissen zum Munde, biß zögernd zu... und da, mit einem Male, überkam mich die Erleuchtung! Ganz plötzlich fühlte, schmeck­te und verstand ich, warum Chinesen beim Erwähnen ihrer Faulen Eier einen Blick bekommen wie im Opium­rausch. Wonnevoll schloß ich die Augen und kaute be­dächtig, hingerissen... Aber mit einein Schlag stieg ein solcher Brechreiz in mir hoch, daß mir der Schweiß her­vorbrach und mir schwarz vor Augen wurde. Bis heute weiß ich nicht, wie es mir damals gelang, das verschwie­gene Lokal im Kellergeschoß zu erreichen, bevor die Revolte meines Magens losbrach.»

Grenzen des Fremdverstehens in der Küche
Und die Moral von der Geschicht ? - Versuchet allzu Fremdes nicht! - Oder meinetwegen könnt ihr es auch von Zeit zu Zeit versuchen. Aber versteift euch nicht zu sehr, wenn Zunge und Magen euch den Dienst verwei­gern!

Soll das nun heißen, daß der Schwabe am besten daran tut, immer und ewig nur Spätzle zu essen, der Berner seine Röschti, der Kieler seine Rote Grütze oder Meerfisch

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mit < Langer Sauce >? - Nebenbei: kennen Sie < Lange Sauce >? Nein? Dann seien Sie froh! < Lange Sauce > ist nämlich eine Mischung aus Milch, gehackter Petersilie und Zitronensaft. Die Milch gerinnt von der Zitronensäure auf der Stelle zu weißen Fetzen, die in einer blassen Molke schwimmen, zusammen mit der Petersilie. Schon der Anblick allein schlägt alle < Faulen Eier>, man braucht da gar nicht erst zu kosten! — Aber zurück zum Thema: soll das also heißen, daß man sich beim Essen und vor allem beim Selberkochen lieber nur an Landläufiges und Bekanntes halten soll ? - Durchaus nicht! Kosten kann man auch beliebig Fremdes, das sagten wir bereits. Doch muß man nicht nur wissen, wo die eigenen Grenzen für das Fremdverstehen in der Küche liegen, man muß noch manches mehr beachten.

Brevier für ausländisches Kochen

Wenn du seit langer Zeit in einein fremden Lande lebst, Sprache und Leute kennst, Kochbücher und Bekannte in der Landessprache konsultieren kannst, dann brauchst du keinen Rat von uns. Dann bist du dort ja fast daheim. Wir sprechen hier einzig von jenen, die eine fremde Küche ganz von außen her, als wirklich Fremde, mehr nur aus Neugier und en passant erproben und erlernen wollen. Für diese also gilt:

Kochbücher mit fremden Rezepten

Mißtraue den Kochbüchern für ausländische Küchen, die eigens für dich - also für den Fremden - verfertigt worden sind! Oft sind sie von Leuten geschrieben,

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die von der betreffenden Küche genausowenig wissen wie du selber. Die Autoren haben sich irgendwo flüchtig orientiert. Vielleicht bei Zufallsbekannten. Bestenfalls beim Koch des Restaurants, in welchem sie gerade aßen. In einzelnen Fällen führt das zwar zu einem ganz guten Resultat. Dann nämlich, wenn der Koch zufällig selber sehr viel kann und zudem spürt, daß der fragende Gast ein Kenner und Schlemmer von respektablem Ausmaß ist. Dann kann es ausnahmsweise einmal ge­schehen, daß dem Koch das Herz ein wenig weich wird und er einige von seinen Geheimnissen ausplaudert.

Doch wie oft kommt es schon zu einer solchen Konstel­lation ? Nicht viel öfter als zu einer Sonnenfinsternis! Und viel Verlaß ist auch dann nicht auf die preisgege­benen Rezepte. Wer sagt dir nämlich, daß der Koch dir nicht trotz aller Rührung gerade jene paar Nuancen vorenthält, auf die es eben ankommt ? Hand aufs Herz -führst du dich selber in solchen Fällen besser auf ? Wenn deine Gäste wissen wollen, warum deine Saucen und Salate soviel besser schmecken als anderswo - sagst du es ihnen ganz genau ? Warum also soll der fremde Koch es tun ? Vielleicht, wenn du eine attraktive Frau bist, um deiner schönen Augen willen ? Ist er ein Spanier oder Italiener, dann wird er sich bei deinen Komplimenten sicherlich gebärden, als schmelze ihm das Herz im Lei­be. Er wird dir in den meisten Fällen dennoch, mit einer Stimme, bebend vor Gefühl, den größten Bären aufzu­binden suchen.

Und viel verläßlicher sind die Rezepte auch dann nicht, wenn jener Koch sie schwarz auf weiß notiert und für die Leser aus der Fremde drucken läßt. Denn er kann sich sagen: «Ach was! Die wissen ohnehin nicht, worauf es ankommt!»

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Und er wird lieblos und ungenau dosie­ren. Zumal die meisten Köche es ohnehin nicht schät­zen, wenn die Konkurrenten ihre Rezepte in die Hand bekommen, nachlesen und kopieren können.

Rezepte für inländische Küche

Ich höre schon den Einwand: warum soll das viel anders sein bei Kochbüchern, die einer für die eigenen Lands­leute schreibt ? - Sehr einfach: er fürchtet, sich zu bla­mieren. Wenn sein Buch nicht garantiert in fremde Län­der weiterwandert, sondern von Hans und Grete im Nachbarhaus gelesen wird, riskiert der Autor, daß ihn die nächste beste Hausfrau anruft und ihm sagt: «Du, auf diese Weise werden die Kartoffelpuffer aber kleistrig und ungenießbar!» Wenn einer also über die Küche seiner Heimat für inländischen Gebrauch ein schlechtes Kochbuch schreibt, dann kann man sich darauf verlas­sen: er tut es nicht aus Witz und Bosheit und Nachlässig­keit, sondern wirklich nur, weil er nicht kochen kann!

Verliebt ins Ausland

Es taugen also im allgemeinen weder die Kochbücher dessen, der im betreffenden Lande einheimisch ist, je­doch nur für Fremde schreibt, noch die des Landesfrem­den, der auf der Reise da und dort etwas aufschnappt, kaum oder gar nicht selber ausprobiert und seinen lie­ben Landsleuten dennoch andrehen will - es taugen am meisten die Bücher solcher, die zunächst als Fremde in das betreffende Land hinkamen, sich darein verliebten und jahrelang dort sitzenblieben, und zwar nicht

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in Hotels, sondern im engen Kontakt mit der Bevölkerung. Dann kann es sogar vorkommen, daß einer mit dem ge­schärften Auge des zugleich Außenstehenden und Lie­benden die <Volkslieder> jener Küche fast genauer < singt > und begreift als mancher Autochthone. Nicht nur in Küchenfragen ist das so. Auch in der Li­teratur. Das liebevollste Bild vom Preußentum malte Fontäne, der Franzose; dem Wien der Donaumonarchie hat der Jude Schnitzler das schönste Denkmal gesetzt. Ein Kochbuch dieser Art kenne ich über die römische Küche. Geschrieben hat es ein abenteuernder deutscher Gelehrter, der heute in Brasilien im Urwald haust, als armer Student jedoch früher einmal lange in Rom ge­lebt hat, im Hause einer einfachen Frau aus dem Volke. Sein Buch ist zugleich voll von historischen Rückblicken auf die Lebensweise und Küche der Römer in der An­tike, und es hat - als Lektüre wie auch in kulinarischer Hinsicht - kaum seinesgleichen. Dies also ist der erste Punkt des Kochbreviers für fremde Küche.

Der ausländische Gast

Der zweite Punkt: setze nie dem Ausländer die Speisen seiner Heimat vor! Wie gut du sie auch kochst - so gut wie seine Mutter oder seine Tante wirst du seine Lieb­lingsspeisen ja doch nicht treffen! Und außerdem ist er nicht ins Ausland gefahren, um dort die Küche seiner Heimat zu erleben! Setze ihm lieber die Spezialitäten deiner eigenen Gegend vor! Sind sie nicht gar zu eigen­artig und ausgefallen, dann wird dein Gast sie ganz be­stimmt genießen.

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Weißt du dagegen aus Erfahrung, daß Fremde die Kü­che deiner Gegend nicht sehr schätzen, dann setze ihnen Neutrales, international Bekanntes vor!

Ferner: koche nichts, was du nicht selber in dem betref­fenden Lande mehrfach gegessen hast! Ein Kochrezept ist keine mathematische Formel. Es erlaubt und fordert immer ein wenig Freiheit, Variation, auch Korrektur. Der Kochende muß wissen, wie das Ergebnis aussehen und wie es schmecken soll. Das gilt übrigens nicht nur für Speisen der Fremde, sondern auch für die des eige­nen Landes!

Und koche nur das, was dir selber im Ausland gut ge­schmeckt hat! Nasi Goreng aus Südostasien oder japa­nisches Konfekt aus gezuckertem Wasserreis - hast du das schon gekostet ? Hat es dir und den Deinen wirk­lich gut geschmeckt? Wenn nein, dann laß andere Leute in Ruh' damit!

Ausländische Substanzen

Sehr wichtig: koche nichts Fremdes, wenn du die Sub­stanzen dafür nicht auch zu Hause in bester Qualität bekommen kannst! Versuche, wenn du fern von jeder Meeresküste wohnst, zum Beispiel nicht, die Bouillabaisse, die berühmte Fischsuppe der Marseillerinnen, anstatt mit lebendfrischem Meergetier mit Fischen aus den Flüssen, aus der Tiefkühltruhe oder gar mit dem Inhalt von Konserven zu fabrizieren!

Hüte dich überhaupt vor jederlei Ersatz! Versuche also auch nicht, zum Beispiel den Sauerrahm, der für viele östliche Speisen unerläßlich ist, durch süßen Rahm mit einem Schuß Zitrone oder Essig zu ersetzen! Dergleichen

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verändert und verdirbt den Geschmack eines Ge­richtes weit radikaler, als du glaubst! Ja, die Schwierigkeiten fangen schon weit früher an:

Parmesan zum Beispiel, den man haben muß für fach­gemäße Zubereitung von Spaghetti, bekommt man heute zwar auch an vielen Orten nördlich der Alpen. Oft aber schmeckt er schlechter als im Süden. Ich bin nicht Käsefachmann, kann daher nicht sagen, woran das liegt. Ob man den Parmesan bei uns zu kurz, zu lang, zu warm oder zu kalt zu lagern pflegt oder ob er vielleicht auf dem Transport falsch behandelt wird - in jedem Falle ist er im Norden meist in Konsistenz und auch Geschmack verändert, anders als in seiner Hei­mat, sehr viel sandiger und fader.

Politisierte Küche

Dann: laß dich bei der Wahl deines Auslandsrepertoires nicht von politischen Sympathien und Antipathien lei­ten ! Ich erinnere mich noch gut an die Flut ungarischer Kochbücher und Rezepte gleich nach dem Aufstand in Budapest im Jahre 1956. Jeder im Westen tat plötzlich, als könne er nicht leben ohne paprizierte Fleischragouts. Wagte einer zu sagen: «Ich mag keine Paprika!», dann wurde er schier der bolschewistischen Haltung verdäch­tigt. Keiner hatte damals den Mut, daraufhinzuweisen, daß es doch - sieht man von dem zu Recht berühmten Gulyas ab - mit der Küche der Magyaren nie sehr weit her gewesen war, daß daher die ungarischen Küchenklänge in der Speisesymphonie der alten Donau­monarchie nie auf der ersten Geige, sondern immer nur in bescheidenen Begleitakkorden aufgeklungen waren.

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Paprika

Tatsächlich gibt es auch in Ungarn selber viele, die Pa­prika nicht lieben und, wenn überhaupt, nur milde Sor­ten nehmen. Und es wäre spannend, einmal der Frage nachzugehen, wo und warum man gerne scharf ge­würzte Speisen aß und ißt.

Bekanntlich stammen die Peperoni, die roten, gelben und grünen Pfefferfrüchte, denen man Paprika ent­nimmt, aus Mittelamerika. Dort herrschen bis heute auch ähnlich scharfe < Küchenpassion en> wie in Un­garn. Bedenkt man nun, daß die Magyaren mongoli­scher Herkunft sind, genau wie auch die Indios, daß beide Völker ferner aus der Steppe Asiens stammen, nur daß das eine sich seinerzeit auf seinen Pferden westwärts nach Europa wandte, nach Ungarn nämlich, das an­dere jedoch vor Jahrzehntausenden irgendwie - man weiß nicht, ob zu Fuß oder auf Schiffen - ostwärts nach Amerika gelangte, dann fängt man an zu überlegen, ob der Küchengeschmack am Ende rassisch bedingt ist ?

In jedem Falle haben die Ungarn, wie gesagt, nur eine einzige nennenswerte Spezialität hervorgebracht: das Gulyas, ein Rindsragout mit Zwiebeln, womöglich auch mit Paprika, Tomaten und Kartoffeln. Eine Speise, die, wie die meisten guten alten Volksgerichte, nicht so sehr dem Kochtalent ihrer Schöpfer zu danken ist als ihren besondern Lebenskonditionen: das Gulyas ist das täg­liche Gericht der Rinderhirten in der Steppe. Etwas Rindfleisch, Paprika, Zwiebeln und Kartoffeln - das alles kann der Hirte gut bei sich führen und in einein Kessel zusammen schmoren. Er kann es auch leicht wie­der aufwärmen, im Gegensatz zu vielen Fleischgerich­ten mit kurzer Kochzeit, die aufgewärmt fast ungenießbar werden.

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Mit Tomaten in der Sauce schmeckt das Gulyas noch viel besser. Aber Tomaten hat der Hirt an seinem Lagerfeuer nicht immer zur Hand. Paprika da­gegen --das kann er mit sich führen. Gulyas also werden wir gerne essen, ganz gleich, wie die Magyaren sich in Zukunft politisch benehmen mögen. Die meisten ändern Fremdspeisen jedoch werden wir lieber dem Küchenzettel der Nationen entnehmen, die kochbegabter sind. Und damit kommen wir zu einem neuen Punkte:

Nationen mit und ohne Kochbegabung

Überlege dir, bevor du dich auf eine fremde Küche ein­lassest, genau, ob es die Küche eines Volkes ist, das gut zu essen und zu leben weiß! Wenn ja, und wenn es außerdem ein altes Kulturvolk ist mit langer Küchen­tradition - wie etwa die Chinesen, die Franzosen, die Italiener -, dann kannst du seinen Speisezettel fast völ­lig durchprobieren und, wenn du dir das nötige Ma­terial zu Hause gut beschaffen kannst, auch beibehal­ten. Im ändern Falle triff sorgfältig Auswahl!

Japanküche

Nimm an, es rät dir einer, es mit Japanspeisen zu ver­suchen, obwohl du nie in Japan warst. Wenn du es wirk­lich wagen willst, dann suche als erstes über Land und Volk alles zu erfahren, was zum Verständnis seiner Kü­che beiträgt. In unserm Falle ist es etwa folgendes:

Die Japaner sind ungemein sauber - also werden sie schwerlich unappetitliche Gerichte panschen.

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Japan ist eine Insel - also wird es in japanischen Speisen viel Ge­tier und Pflanzen aus dem Meere geben. Das Land ist übervölkert - folglich bleibt wenig Raum für Wald und Weide. Wild wie auch Schlachtvieh können demnach im Küchenzettel Japans nur schwach vertreten sein. Gemüse und Zerealien werden, neben Fisch und Algen, in den Speisefolgen dominieren müssen.

In Japan gibt es ferner viele Sekten und Religionen, die den Fleischgenuß verbieten. Sehr aparte und reich vari­ierte Fleischgerichte wird man also auch aus diesem Grunde nicht erwarten können.

Das Huhn ist erst sehr spät von China nach Japan ge­kommen, Geflügel und Eier kennt man dort erst seit kurzer Zeit. Die Japanküche wird also nicht, wie jene der Chinesen, Hunderte von leckeren Huhn- und Eier­speisen kennen.

Und ferner wird man, weil eben Eier in der Japanküche keine große Rolle spielen, kaum viele süße Speisen aus Japan übernehmen können oder wollen: denn die be­sten von ihnen enthalten eine Menge Eier! In der Tat kann man japanische Süßigkeiten dem Europäer kaum empfehlen: gesüßte Quetschkartoffeln, zur Zwiebel­form gepreßt und mit einer eingemachten Kirsche in der Mitte, gelten dort als delikater Nachtisch!

Dafür aber macht sich des Japaners hohe und strenge Kultur, sein Sinn für Schliff und für Nuance, in einer Anzahl fettfreier, einfacher und doch herrlich nuan­cierter Saucen bemerkbar. Japanische Saucen kann man daher sehr empfehlen!

Vielmehr: man könnte sie empfehlen, wenn es die Mög­lichkeit gäbe, sie bei uns nachzuahmen. Denn was hilft es, daß die Saucen gut sind und daß wir auch die Rezepte kennen?

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Die nötigen Substanzen und Gewürze sind in Europa kaum zu haben...

Soviel zu den Problemen beim Adaptieren fremder Kochkunst. - Habt ihr aber etliche gute und leicht nachahmliche fremde Rezepte gesammelt, habt ihr sie viel­fach durchprobiert, und schmecken sie euch, den Euren und euren Freunden, dann wiederholt ruhig endlos euer Auslandrepertoire! Es schadet gar nichts, wenn die Leute sagen: «Bei Meiers gibt es zwar immer Minestrone - aber besser als in Mailand; und Kaiserschmar­ren - viel feiner als in Wien!»

Griechische Weinwickel

Ich kannte zum Beispiel ein junges Gelehrtenehepaar mit wenig Geld. Der Mann, Archäologe, hatte lange sehr bescheiden in Griechenland gelebt und dort in ein­fachen Dorfschenken billige Volksspeisen gegessen. Dar­unter die Weinwickel, deren Rezept er mit in den Nor­den brachte. Man kann sie natürlich nur während der Jahreszeiten zubereiten, in denen der Weinstock frische, grüne, straffe Blätter trägt.

Solche Blätter werden also sehr sauber gewaschen, vier bis sechs Stück pro Person. Manche überbrühen die Blätter, doch ist es nicht unbedingt nötig. Dann nimmt man für vier Personen eine große Tasse Reis, ebensoviel zerhackte Zwiebeln, ein wenig Hackfleisch ferner — wenn man hat. Das alles wird in etwas öl rasch ange­dünstet, dann gewürzt und etwas abgekühlt. Manche kochen die Mischung kurz, bevor sie sie in die Blätter füllen, andere lassen sie roh. Doch wenn die Füllung roh bleibt, ist eines zu beachten: die Blätter dürfen nur

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schwach und locker gefüllt sein! Der quellende Reis darf sie nicht sprengen.

Passendes Gewürz - Dill, wenn man hat, und Petersilie - wird beigefügt. Dann kommt ein kleiner Löffel voll von dieser Mischung in jedes Blatt, worauf man es zu einer hübschen breiten Rolle formt. Nun kommt in eine breite Pfanne roter Griechenwein hinein, dann werden die Wickel alle hineingelegt, schön nebeneinander und, wenn der Platz nicht ausreicht, auch aufeinander. Zu­decken. Langsam garkochen. - Manche fügen zum Wein auch eine Prise Zucker. Die Speise gewinnt da­durch.

Inzwischen habe ich erfahren, daß manche Griechen solche Wickel nicht in Wein, sondern in einer Mischung aus Öl und Wasser dämpfen. Ich möchte aber meinen:

in Wein sind sie pikanter.

Diese Speise also, dazu ein wenig Weißbrot, einen roten Balkanwein und etwas Obst zum Nachtisch gab es im Hause jenes Archäologen, sooft man eingeladen war. Es schmeckte immer. Und wie alle guten alten Volks­gerichte verleidete es überhaupt nicht... Der junge arme Gelehrte ist in der Zwischenzeit schon längst zum Ordinarius aufgerückt. Dörfische Griechen­kost und Balkanwein, den man in Kneipen offen ver­kauft, gibt es nicht mehr bei ihm. Heute geht es höchst standesgemäß zu in seinem Hause. Aber wem macht das schon Freude ? Teure Cocktailbissen, Geflügel und Champagner bekommt man schließlich vielenorts und auch im anonymen Restaurant. Wer aber damals in dem Haus verkehrte, vor Jahrzehn­ten, der denkt noch heute mit stiller Rührung an die Weinrouladen.

Wer keine Fremdkost mag...

Machst du dir aber wenig aus fremder Küche, oder ziehst du es vor, sie nur dort zu genießen, wo sie daheim ist, im Ausland also und nicht bei dir zu Hause, dann lasse dich nicht einschüchtern von der Fremdkostmode! Laß ruhig alle deine Freunde Pizza Napolitana oder Pilaw nach Balkanart bereiten, und halte dich an die einheimische Kost, die du von den Eltern und Groß­eltern her kennst und liebst! Nicht nur für dich und die Deinen, auch für deine Gäste.

Es sei denn, du stammst aus einer Gegend, in welcher kulinarische Mißgeburten von der Art des < sächsischen Gemüsepuddings > zu Hause sind. Nebenbei: weißt du, was das ist ? Es ist ein erstarrter Mehlpapp mit Gemüse­fetzen aller Art darin! - Oder es sei, du lebst in einein Ort in Schwaben, wo Spätzle so sehr zum festen Kü­chenritual gehören, daß man sie täglich zweimal und sogar zu Reis und zu Kartoffeln dazuserviert. So jeden­falls hat es mir ein exilierter Schlesier, der jetzt in Schwaben auf dem Lande lebt, berichtet. In diesem Falle also halte dich, wenigstens wenn Fremde zu dir kommen, lieber an internationale Kost!

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WENN DIE BEGABUNG FEHLT

Gleich zu Beginn erzählten wir die kleine Geschichte von dem deutschen Dichter und Chinas < Faulen Eiern >. Das war die Geschichte der Grenzen des Fremdverstehens in der Küche sogar bei einem kulinarisch Hoch­begabten.

Nachfolgendes dagegen passierte jenem gleichen Dich­ter mit einem kulinarisch Unbegabten:

«Das war», so erzählte er, «kurz nach Hitlers Macht­antritt. Ich hatte meine Stellung beim Radio freiwillig aufgegeben und wußte nicht, wohin mit mir. Da traf ich einen Freund in gleicher Lage. - < Schlaf bei mir!> sagte er, <ich hüte einem verreisten Nazibonzen seine neue Villa.> - Ich - nichts wie hin! Die Villa war ein Paradies. Auch Äpfel gab es in dem großen Garten, die uns, genau wie die vom Paradiese, verboten waren -weil sie nicht uns gehörten. Dennoch aßen wir sie. Wir lebten fast nur von diesen Äpfeln und ein wenig Brot.

Der Weinkeller des Juden

Die Villa hatte vorher einem Juden gehört — was mochte aus ihm geworden sein ? Jedenfalls war er ein Mann ge­wesen, der gut zu leben wußte. Das sah man an den Wei­nen im Keller unten, die wir bald entdeckten. Lange blickten wir traumverloren auf die staubbedeckten Fla­schen. Dann schauten wir uns gegenseitig in die Augen. Dann, wie auf ein Kommando, griffen wir beide zu...

Von da an wanderten täglich einige volle Flaschen aus dem Keller in die Höhe; leer wanderten sie in den Kel­ler zurück. Bis eines Tages ein Telegramm vom jetzigen Besitzer der Villa vor uns dalag: <Ankomme morgen abend.> Uns beiden wurde flau. Wir stiegen miteinan­der hinunter in den Keller. Da lagen noch zwei volle Flaschen - das war alles. Wieder schauten wir uns in die Augen. Dann griffen wir zu - ein letztes Mal.

Als die Flaschen leer waren, holten wir aus der Küche zwei große leere Eimer und gingen in die Altstadt. Mit vollen Eimern kamen wir zurück. Im einen war ein weißer, im ändern ein roter Wein, beide verschnitten, getauft und völlig ungenießbar. Aber billig! Und in den Taschen hatten wir Siegellack in allen Farben: Rot, Grasgrün, Blau und Gold, und viele Korken.

Und nun begann die saure Arbeit. Wir füllten alle lee­ren Flaschen, verkorkten sie, dann kam das Siegellack darüber. Jede <Sorte> wurde anders zugesiegelt: ein Teil mit unsern Siegelringen, der Rest mit Hilfe der fremden Kupfer- und Nickelmünzen, die ich von Aus­landreisen her im Täschchen bei mir trug - viel anderes war nicht mehr drin. Dann legten wir die Flaschen zu­rück in die Gestelle, kratzten aus allen Kellerecken Schmutz und Staub zusammen, nahmen aus der Küche oben auch ein wenig Mehl dazu und puderten die Fla­schen gründlich damit ein.

Der Nazi und der Wein

Der Hausherr kam. Er war gerührt, wie gut wir ihm das Haus gehütet hatten. Er lud uns auf der Stelle ein: zu einem Glas von seinem besten Wein. Wir wehrten

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bescheiden ab - umsonst! Er eilte in den Keller, kam her­auf, den Arm voll Flaschen, ließ uns das Etikett von je­der einzelnen bewundern. Wir sagten <Ah! > und < Oh! >. Er öffnete mit Andacht und viel Vorsicht eine Flasche, goß die paar ersten Tropfen in sein Glas, dann schenkte er uns ein. Wir hoben alle drei die Gläser, setzten sie an die Lippen - uns beiden wurde auf der Stelle sterbens­übel. Die rote Brühe schmeckte nach nichts als Säuren und scharfen Chemikalien. Das mußte jeder merken! Ängstlich und verstohlen schielten wir seitlich nach dem Hausherrn. Er strahlte. < Mmm !> machte er, ganz hingerissen. < Mmm! > machten wir, so gut wir konnten. Dann standen wir auf, obwohl uns schwach war in den Knien, und nahmen Abschied. Zwar schlug der Haus­herr vor, wir sollten über Nacht noch bei ihm bleiben. Wir gingen aber lieber und legten uns, als dann die Nacht hereinbrach, im Park auf harte Bänke, wie Vaga­bunden. Die Nacht war kalt und feucht. Wir wußten beide nicht, was aus uns werden sollte. Wir schliefen dennoch gut.»

Die Fliege im alten Wein

Diese Geschichte vom Nazi und vom Wein des Juden ist nicht erfunden. Doch gibt es eine alte Anekdote, in welcher ein jüdischer Gastwirt mit einem ähnlichen Weinverstand der Gäste rechnet:

Das war in Ostgalizien, vor dem Ersten Weltkrieg. Drei angetrunkene Gutsbesitzer fuhren bei der Dorfschenke vor, riefen den jüdischen Wirt heraus - nichtjüdische Wirte gab es dort sozusagen keine - und befahlen:

«Wein her, Jud'! Aber nur vom allerbesten!»

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- «Das Feinste vom Feinen!» versprach Jankel, der Wirt, und eilte in den Keller.

Nach wenigen Minuten kommt er mit einer Flasche, die ganz bedeckt ist von Staub und Spinnweb. Er zieht sie auf - bs! eine lebendige Fliege schwirrt aus dem Flaschenhals heraus. Empört scheucht der Jude sie fort und sagt streng zu ihr:« Poschia won! Ty starucha!»1

Fort mit dir, du Alte!

Soviel von den Grenzen der Erkenntnis, die es nicht nur in der Metaphysik gibt, sondern, wie man sieht, auch im Kulinarischen. Aber wir straucheln nicht nur an sol­chen letzten Grenzen. Es gibt noch vieles andere, das unsern Maßstab und unser Urteil trübt. Zum Beispiel Vorurteile. Oder Aberglauben. Ja, Sie haben ganz recht gelesen: Aberglauben. Zweifeln Sie daran? Ich werde es Ihnen beweisen:

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VOM KÜCHENABERGLAUBEN

Die bespuckten Küchengeister

Ein englischer Kolonialbeamter erzählt in seinen Me­moiren :

«Wir hatten in Indien einen eingeborenen Koch. Seine indischen Spezialitäten schmeckten unvergleichlich. Oft baten Gäste um ein Rezept jedoch, wie alle voll­endeten Köche, kochte er zwar mit Präzision und Fein­gefühl, aber ganz ohne irgendwelche feste Maßeinhei­ten, rein aus dem Handgelenk. Doch hatte er nichts da­gegen, wenn man ihm zusah beim Kochen. So kam denn eines Tages eine Gruppe meiner Gäste in die Kü­che, um zuzuschauen, wie er ein bestimmtes sehr pikan­tes und leichtes indisches Ölgebäck bereitete.

Und da sahen wir also: Erst spuckte unser Koch drei­mal in die glühend heiß gemachte Pfanne - dies ge­schah, so erklärte er, um böse Geister zu bannen, die das Gelingen der Speise vereiteln konnten. Hernach misch­te er den elastischen Teig. Dann formte er kleine Ku­geln, indem er kleine Stücke vom Teig abzupfte und zwischen seinen Händen rollte. Inzwischen hatte er in der Pfanne Öl erhitzt. - <Jetzt>, sagte er freundlich, < müssen die Kuchen in das Öl hinein! > - Das machte er so, daß er die Teigbällchen einzeln in die Achselhöhle schob, ihnen durch Anpressen des Oberarmes an den Brustkorb die rechte Form und Dicke gab und sie dann mit einem eleganten Achselruck direkt in die Pfanne schleuderte...

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Wir versuchten ihn dazu zu bewegen, in Zukunft die Kuchen lieber mit dem Nudelholz [Walkholz] auszu­rollen. Er erklärte sich schließlich einverstanden, ob­wohl er nicht einsah, warum, uns so viel daran lag, da doch die Kuchen auf diese Weise immer gut gerieten. Auf das Spucken aber wollte er auf keinen Fall verzich­ten. Denn seine Küchenehre stand und fiel mit dem Gelingen seiner Speisen; die Geister nicht zu bannen schien ihm zu riskant.»

Das weggeworfene vierte Ei

Und nun eine kleine Geschichte aus Afrika, ebenfalls aus den Memoiren eines Kolonialbeamten, wenn auch eines ändern:

«Wir hatten einen guten schwarzen Koch. Er be­herrschte die Küche Frankreichs bereits vollkommen, als wir ihn engagierten. Denn er hatte vorher bei Fran­zosen gedient und war von der Köchin dort angelernt worden. Er arbeitete rasch, exakt und appetitlich. Seine Omeletten zum Beispiel waren schlechthin vollendet: flaumig und federleicht.

Nur eines war uns unbegreiflich: sooft er das vierte Ei für die Omelette aufschlug, stutzte er, roch daran und warf es mit der Gebärde tiefen Ekels beiseite. Wir frag­ten ihn, warum er das tue ? - Weil die Köchin es ihm so vorgemacht hätte, erklärte er. Wir versuchten ihn auf­zuklären: die Köchin habe es doch sicher nur getan, weil das vierte Ei zufällig faul war ? - Nun, meinte er, davon habe sie kein Wort gesagt. Und die Omelette sei doch immer gut herausgekommen auf diese Weise -oder nicht ? Wir möchten ihn daher in Ruhe lassen.

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Er wage nicht, auch nur das mindeste an dem Rezept zu ändern...»

Beide Geschichten und Dutzende von dieser Art erzählt man sich mit Spott und Herablassung und im Gefühl, daß es dergleichen nur bei Primitiven geben kann und niemals in der Küche der Europäer. Ist das so sicher ? Sehen wir doch einmal näher zu:

< Gerichtetes > Kuchenrühren

Da wäre zum Beispiel die interessante Vorschrift, man müsse Kuchenteig länger als eine halbe Stunde pausen­los in einer Richtung rühren. Mag sein, es ist nicht rei­ner Aberglaube. Mag sein, daß man auf diese Weise die Luft tatsächlich ein wenig intensiver und gleichmäßiger in den Teig hineinarbeitet.

Aber haben Sie schon je versucht, eine halbe Stunde lang mit einer oder auch mit beiden Händen eine Kreis­bewegung immer in der gleichen Richtung zu vollzie­hen ? Haben Sie es ausgehalten ? Ich nicht. Ich pflege von Zeit zu Zeit die Richtung zu wechseln. Der Teig ist mir trotzdem noch nie mißraten.

Am besten ist es allerdings, wenn man sich eine elek­trische Teigrührmaschine kauft. Das vereinfacht das Problem. Denn die Maschine nimmt Ihnen nicht nur die anstrengende Arbeit des Rührens ab, sondern sie rührt in jedem Falle immer nur in einer und derselben Richtung.

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EINGEKOCHTE FRÜCHTE MIT UND OHNE KÜCHENABERGLAUBEN

Die Stiele der Johannisbeeren

Haben Sie schon einmal einen gefühlvollen Roman aus dem neunzehnten Jahrhundert gelesen ? Wenn ja, dann sind Sie sicher gelegentlich darin auf die oft wieder­kehrende, reizende Szene gestoßen, wie ein junges, fri­sches Mädchen an einem, hellen Sommermorgen in der offenen Gartenlaube mit einer Silbergabel Riesenmen­gen von Johannisbeeren von den Stielen abstreift. Ein entzückendes Genrebild: die roten glitzernden Beeren in den großen Körben, das nette junge Mädchen in der gestärkten hellen Schürze mit den gestickten Passen und Rüschen. Und welch ein Sinnbild hausfraulicher Tu­gend! Auch Rilke, der sentimentale Jungmädchen­stimmung liebt, konnte es sich nicht versagen, eine sol­che Szene in seinen < Malte Laurids Brigge > einzubauen. Und nun: kann mir irgend jemand auf der ganzen Welt erklären, was es für einen Sinn hat, die Beeren, die man nachher zu Gelee verkochen wird, vorher in stunden-, wenn nicht tagelanger mühevoller Arbeit von den zar­ten grünen Schwänzchen zu befreien ? Die Masse wird ja nachher ohnehin durch ein Tuch filtriert oder in Sieben ausgepreßt!

Aber ich habe weit herum gefragt: die Frauen pflegen noch heute, genau wie damals, die Beeren, die sie nach­her filtrieren wollen, vorher <abzustrupfen> - so nennt man in der Schweiz die Prozedur.

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Glasklares Gelee aus roten Johannisbeeren

Darf ich Ihnen ein Rezept verraten, wie Sie in unvor­stellbar kurzer Zeit und ohne solches stundenlange < Strupfen > der Beerenstiele das schönste, rosigste, fe­steste Gelee erzielen ?

Sie setzen die gut gewaschenen, abgetropften, aber wie gesagt nicht < abgestrupften > Johannisbeeren in großen Töpfen auf ein kleines Feuer. Die Töpfe muß man vor­her sehr gut spülen, und man darf sie innen nicht trockenreiben. So vermeidet man eher das gefürchtete An­setzen und Anbrennen der Früchte. Zudecken und leise kochen lassen, bis alle Beeren weich und aufgeplatzt sind und Saft abgeben.

Und nun auspressen! Man kann das natürlich auch auf altmodische, langsame Weise tun, indem man einen Küchenhocker mit den Füßen nach oben hinstellt und an den vier Beinen ein sauberes, dünnes weißes Baum­wolltuch so festbindet, daß es in der Mitte eine leichte Mulde bildet. In diese Mulde schüttet man die Beeren und läßt sie viele Stunden lang abtropfen, am besten während einer ganzen Nacht. Auf diese Weise erhält man ein wunderschönes, glasklares Gelee, jedoch ziem­lich viel Rückstände in dem Tuche drin.

Die Rückstände der Beeren

Sparsame Hausfrauen pflegen diese Rückstände noch separat zu einer dicken Konfitüre einzukochen. Sie ist aber grob und körnig und setzt eben voraus, daß man sich vorher die Mühe nahm, die Beeren <abzustrupfen>. Besser ist es daher, dafür zu sorgen, daß nur wenig Reste

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bleiben, und diese wegzuschütten. Das geht dann zwar auf Kosten der Glasklarheit der Gallerte. Aber wo steht es geschrieben, daß sie nicht ein wenig trüb sein darf? Und dafür geht es auf dieseWeise wirklich überraschend schnell:

Trübes Expreßgelee von roten Johannisbeeren

Sie brauchen hierfür entweder ein Salatsieb mit sehr feinen Löchlein oder ein feingelochtes Drehsieb, wie man es für Suppen und Gemüse zu verwenden pflegt. Rostfrei muß das Sieb in jedem Falle sein. Sonst schmeckt die Konfitüre nachher abscheulich nach Me­tall.

Portionenweise wird nun die weichgekochte Beeren­masse im Siebe über einer großen Schüssel ausgepreßt. Wenn Sie das Salatsieb hierfür verwenden, dann drücken und pressen Sie die Masse kräftig mit einem Holz­löffel oder der runden Rückseite einer großen Alumi­niumkelle. Im. Gemüsedrehsieb jedoch dreht man wech­selnd vor- und rückwärts und nicht zu gewaltsam. Denn es geht ja nicht darum, alle festen Rückstände durch die feinen Löcher durchzupressen - was ohnehin nicht ge­lingen würde. Es geht nur darum, möglichst rasch ein Maximum an Flüssigkeit aus den zerkochten Früchten herauszudrücken. Je stärker man die Masse preßt, desto trüber wird nachher das Gelee. Und es schlüpfen manch­mal auch ein paar Körnchen durch die feinen Löcher. Aber was schadet das ?

Nun füllen Sie die durchgesiebte Masse in die Koch­töpfe zurück, und zwar portionenweise: mehr als ein Kilo,

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höchstens eineinhalb, dürfen Sie mit dem Zucker nicht auf einmal kochen. Glauben Sie ja nicht, daß Sie Zeit gewinnen, wenn Sie die Beeren in größeren Por­tionen eindicken wollen! Denn wenn Sie festes Gelee -und nicht eine Art von Suppe - erzielen wollen, dann muß doch etwas vom Wassergehalt der Beeren ver­dampfen ! Dies aber geht desto schneller, je größer die Verdampfungsoberfläche im Verhältnis zur Masse im Topfe ist. Sind folglich mehrere Kilo Fruchtsaft im Kochtopf, dann dauert es endlos, bis die Masse die rech­te Dicke hat. Und erst noch hat man dann die Sorge, daß die passierten Beeren bei dem langen Kochen die schöne Rosenfarbe verlieren oder gar anbrennen könn­ten.

Also: l Kilo Früchte in den Topf, nicht mehr, dazu, ganz nach Belieben, 700 bis 1000 Gramm Zucker. Auf nicht zu großer Flamme kochen! Gut überwachen, damit die Masse weder überkocht noch anbrennt! Bei einiger Übung erübrigt sich die berühmte Geleeprobe, die be­kanntlich darin besteht, daß man einen Tropfen der Masse auf einem Tellerchen auskühlen läßt und fest­stellt, ob er dann noch fließt oder schon wunschgemäß erstarrt. Sobald nämlich der Inhalt des Topfes nicht mehr fröhlich sprudelt, hochsteigt, überschäumt, son­dern nur noch mühsam große, dicke Blasen wirft wie kochender Honig oder faulig gärender Morast, kann man die Flamme löschen. Denn dann ist bei allen Früchten, die überhaupt gelieren, der beste Augen­blick erreicht. Verlängertes Kochen wird keine schö­nere Gallerte erzeugen, sondern ein viel zu dickes Mus, womöglich mit caramelliertem Farbton und Nach­geschmack.

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Gelee in Joghurtgläsern

Diese dicke, duftende Flüssigkeit fülle ich mit Hilfe von Trichter und Kelle in Joghurtgläser, am liebsten in sol­che aus Glas. Plastikgefäße nehme ich nur zögernd und ungern, seit ich gesehen habe, daß mein Hund sich wei­gert, aus Plastikschalen zu essen. Tiere wissen von Er­nährungschemie mehr als alle modernen Diätetiker und Chemiker zusammen.

Ich höre Ihre Frage: Warum Joghurt- und nicht Gelee­gläser, die man eigens hierfür fabriziert ? Nun, sehr ein­fach: ich stelle das schöne, feste Gelee gern direkt im Einmachglase auf den Tisch. Große Gläser kommen also nicht in Frage. Die kleinen Geleegläser aber, die man im Handel bekommt, verbinden alle eine sehr ge­ringe Höhe mit einer viel zu großen Oberfläche. Sie sind daher schwierig abzudecken und im Schranke ein­zuordnen.

Vielleicht aber entschließt sich doch einmal eine Glas­fabrik, auch kleine Gläser für Gelee in einer praktische­ren Form herzustellen? Es wird an Abnehmern be­stimmt nicht fehlen!

Die gefüllten Gläser läßt man bis zum nächsten Tage offen stehen. Dann überdeckt man sie am besten mit erhitzten, flüssigein, rasch erstarrendem Paraffin. Aber bitte: wirklich erst am nächsten Tage! Denn beim Aus­kühlen verliert das Gelee noch etwas vom Volumen, es sinkt ein bißchen ein. Schüttet man nun die flüssige Deckmasse zu früh darüber, dann bilden sich zwischen Gelee und Paraffin Luftlöcher, die sich bald unfehlbar mit Schimmel füllen.

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Gelee aus Himbeeren und Johannisbeeren

Noch duftender, milder und zarter wird das Gelee, wenn man pro Kilo Johannisbeeren eine Handvoll Himbeeren beifügt. Die Kombination ist uralt und be­währt, wir brauchen uns nicht lange bei ihr aufzu­halten.

Doch gibt es für Himbeeren noch eine zweite, weniger bekannte und dabei weit feinere Verbindung in einer Konfitüre. Von ihr erzählen wir dann ganz am Schluß des Buches.

Gelee aus Stachelbeeren

Nach der genau gleichen Methode können Sie auch Gelee aus Stachelbeeren kochen. Sie sparen sich auch hier die Arbeit des Entstielens. Auch den Blütenansatz brauchen Sie von den Beeren bestimmt nicht wegzu­schneiden. Und das Gelee von Stachelbeeren schmeckt noch delikater, voller, zarter als das aus Johannisbeeren. Zudem sieht es ganz bezaubernd aus: bois de rose oder, wenn die Beeren keine roten Wangen hatten, sondern grüne, hell honigfarben.

Merkwürdigerweise wissen nur sehr wenige, daß man aus Stachelbeeren ein wundervolles Gelee bereiten kann, mit wenig Arbeit und obendrein für wenig Geld. Voraussetzung ist allerdings, daß Sie nicht allzu reife Früchte wählen. Denn je reifer die Frucht, desto voller, runder ist zwar ihr Aroma. Gleichzeitig aber verliert sie an Gelierkraft. Aus überreifen Stachelbeeren erhalten Sie daher keine Gallerte, sondern eine Art von dickein, herrlich duftendem und schmeckendem Honig.

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Weiße Johannisbeeren

Wir sind zwar vom Küchenaberglauben ausgegangen. Nun stehen wir aber schon eine ganze Weile beim Ein­machtopf mit Früchten. Bleiben wir gleich noch ein Weilchen dabei! Und da wir schon daran sind, Beeren einzudicken, mögen noch ein paar weitere Ratschläge und Rezepte hier angefügt werden:

Weiße Johannisbeeren schmecken an sich zarter, süßer, sanfter als die roten. Nehmen Sie trotzdem lieber rote! Zunächst der wunderhübschen Farbe wegen: die Kon­fitüre aus weißen Beeren bleibt ein wenig fad im Kolorit.Und außerdem: die roten gelieren bedeutend besser!

Schwarze Johannisbeeren

Dagegen gelieren die schwarzen Johannisbeeren noch weit stärker als die roten. Wenn Sie also nicht eine hart­gummiartige Paste haben wollen, sondern ein streich­bares Gelee, dann tun Sie gut daran, der Masse gleich von Anfang an pro Pfund ein bis zwei Tassen Wasser beizumengen. Das rechtfertigt sich auch deswegen, weil diese schwarzen Beeren fast so intensiv schmecken wie ein künstlich hergestelltes Konzentrat.

Saft von schwarzen Johannisbeeren

Solchen Saft zu trinken ist heute große Mode. Man kauft ihn im Laden zu ziemlich hohen Preisen. Und er schmeckt mild und eher fade. Kennt man die fulminan­te Gelierkraft der schwarzen Johannisbeeren, dann fragt man sich: Wie kommt es, daß der Saft so flüssig bleibt ? Vermutlich ist er ganz enorm verdünnt mit Wasser - ich nehme an: so etwa im Verhältnis von einer Taube auf ein Pferd.

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Wenn der Saft nun aber wirklich so stark verdünnt ist, dann fragt man sich doch wieder: Wie kommt es, daß er überhaupt nicht schimmelt oder gärt ? Es gibt nur eine mögliche Erklärung: Stoffe sind ihm beigesetzt, die künstlich konservieren, Antibiotika oder Chemikalien. Dann allerdings stellt sich die dritte Frage: Ist er nach solchen Prozeduren wirklich noch so enorm gesund, wie man behauptet ?

Traubenhonig

Und nun noch etwas, was ebenfalls nicht viele Frauen wissen: Weintrauben ergeben gleichfalls ein wunder­volles Gelee, das sich mit wenig Arbeit rasch erstellen läßt. Allerdings gelieren nicht alle Trauben gleich gut. Mit sehr süßen, zarten, hellen Sorten geht es überhaupt nicht. Man erreicht mit ihnen nur eine honigartige Konsistenz, wie mit überreifen Stachelbeeren. Mit Starrsinn und Ausdauer ist da nichts zu wollen. Ver­steift man sich und kocht den Traubenhonig noch län­ger, dann wird er schließlich so dick und fest, daß Mes­ser und Löffel zerbrechen, wenn man versucht, mit ihnen die erkaltete Masse zu durchstoßen. Gallerte wird aus solchem Honig nie.

Gelee aus Tessiner Trauben

Am raschesten und besten geliert jene billige blaue Traubensorte, die man vor allem in der Südschweiz, im Tessin, anbaut. Gelee aus Tessiner Trauben macht man so:

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Man wäscht die Trauben gründlich. Im Gegensatz zu Stachel- und Johannisbeeren werden sie ja während des Sommers mit giftigen Chemikalien gespritzt! Dann zupft man die Beeren rasch von den allergröbsten und größten verholzten Stielen - die feineren Stielchen kön­nen ruhig bleiben. Nun fährt man weiter wie bei den sauren Gartenbeeren: Man kocht die Trauben zunächst ohne Zucker weich, preßt sie in Aluminiumsieben so stark wie möglich aus - doch ohne die Kerne zu zersto­ßen und zu zerreiben - und kocht die ausgepreßte Masse kiloweise mit 700 bis 1000 Gramm Zucker genau so ein wie alle Konfitüren. Wenn sich die Masse <setzt>, nicht mehr so lebhaft steigt und sprudelt, und nur noch dicke Blasen wirft, dann ist sie fertig.

Das zarte dunkelviolette Gelee schmeckt sehr exotisch, eigenartig. Es werden sich in Ihrer Familie und unter Ihren Freunden rasch zwei Parteien bilden, die sich, im Hinblick auf das Traubengelee, radikal bekämpfen. Die einen schütteln sich vor Abscheu schon beim leisen Duft von solcher Konfitüre, die ändern lassen sie auf ihrer Zunge ganz verzückt zergehen, vertilgen ganze Gläser ohne Brot dazu, löffeln sie zum Trost und zur Beruhi­gung in schlaflosen Nächten.

Emphase und Abscheu von ähnlichein Ausmaß habe ich sonst nur im Zusammenhang mit dem Konsum von Amphibien, Reptilien, Insekten und Larven angetrof­fen, die, sonst Notnahrung < unterentwickelter > Völker, im Wirtschaftswunder-Deutschland, verpackt in hüb­sche Büchsen, zu hohen Preisen gehandelt werden.

Wir sind vom Küchenaberglauben ins Marmelade-Kochen hineingeraten. Kehren wir eilig zurück zum Aberglauben!

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Sie werden aber sehen - er führt uns stracks zurück zum Einmachtopf für Früchte.

Das < bittere > Orangenschalenfutter

Lesen Sie einmal in einein beliebigen dicken alten bür­gerlichen Kochbuch unter dem Stichwort <0rangen-marmelado nach! Regelmäßig -jedenfalls bin ich bis heute auf keine Ausnahme gestoßen -, regelmäßig also heißt es da, man möge sich hüten, die Früchte zusam­men mit der ganzen Schale einzukochen. Denn dann werde - so steht geschrieben - die Konfitüre bitter. Man müsse, um das zu vermeiden, erst einmal die Früchte schälen, dann die weiße Innenschicht der Schale sorg­fältig entfernen - denn sie allein sei Träger der Bitter­keit -, und nun erst dürfe man beginnen, Schalen und Fruchtfleisch, beides getrennt, in kleine Stücke zu zer­schneiden. Ja - und die Kerne, die man nicht essen kann, müßten in einem Mullsäcklein mitgekocht werden, weil sonst die Konfitüre nicht geliere...

Was den Gelierstoff in den Kernen angeht, so will ich mich nicht streiten. Vielleicht enthalten die Kerne wirk­lich etwas mehr davon als die restliche Frucht. Zwar -ob es deshalb lohnt, sie in einein Lappen mitzukochen, ist fraglich. Denn ich möchte meinen: entweder geliert die Masse auch ohne die paar Kerne - oder dann hilft das bißchen Gelierstoff aus den Kernen auch nicht viel weiter. Ich für meinen Teil ziehe es vor, die Kerne ein­fach wegzuwerfen. Zumal alle Zitrusfrüchte bei richti­ger Behandlung ohnehin sehr steif gelieren.

Wenden wir uns dem ändern Teile des Rezeptes zu, der Behauptung nämlich, daß die weiße Innenschicht der Schale bitter schmecke.

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Das läßt sich ohne Mühe kon­trollieren. Schneiden Sie also ein Stücklein der weißen, pelzigen Innenseite der Orangenschale heraus, und kau­en Sie es gründlich! - Nun, schmeckt es bitter ?-Ach wo! Es schmeckt genau wie feuchte und sterile Watte!

Woher also kommt der leicht bittere Geschmack, den die Orangenmarmelade in der Tat zu haben pflegt? Auch das können Sie selber herausbekommen! Kauen Sie einmal ein Stücklein der farbigen Außenrinde der Frucht! Sie werden sehen: es schmeckt ein bißchen bit­ter. Diese Außenrinde aber können Sie ja doch nicht wegwerfen, denn sie - und sie allein! - ist der Aroma­träger, dem die ganze Marmelade ihren Weltruhm dankt. Und diese Bitterkeit stört gar nicht, sie steigert den Wohlgeschmack.

Manche suchen die Bitterkeit zu mindern, indem sie die Schalen erst einmal gründlich kochen, dann nicht min­der gründlich spülen. Dabei verschwindet tatsächlich etwas von dem Bitterstoff - zugleich mit ihm jedoch entschwindet das Aroma der Konfitüre.

Wenn Sie in Zukunft also Orangenmarmelade kochen, können Sie sich die ganze Riesenarbeit sparen, die Scha­len auszukratzen, obwohl sich viele Frauen so ängstlich an die Vorschrift halten, als wäre es ein religiöses Ritual. Sie ist jedoch nicht sinnvoll, beruht vielmehr auf einem reinen Aberglauben: dem von der Bitterkeit der Innen­schicht der Schale.

Und wenn Sie mit einem Minimum an Mühe eine sehr gute Orangenmarmelade kochen wollen, dann machen Sie es so [ich habe Ihnen ja gesagt, daß wir vom Kü­chenaberglauben unfehlbar wieder zum Einmachtopf gelangen werden!]:

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Orangenmarmelade

Wählen Sie eine blonde Sorte mit festem Fleisch und dicker Schale. Die <Jafia-Orangen> eignen sich am besten, denn sie sind außerdem noch ganz besonders aromatisch. Aus Blutorangen erhalten Sie nicht halb so hübsche Marmelade. Und außerdem gelieren die zar­ten Früchte mit dem roten Fleisch zu schwach.

Nehmen Sie nur frisch geerntete Früchte, am besten gleich zu Anfang der Saison, pralle, mit fester Schale, nicht solche, die schon schlaff und runzlig sind <wie die Wangen eines alten Generals >. Dieser Vergleich stammt nicht von mir, sondern vom jiddischen Dichter Scholem Alejchem. In einem seiner Bücher erzählt er von einer Orange, die von der jüdischen Gemeinde eines bettel­armen Städtchens in der Ukraine zu einem, bestimmten Festtag gemeinsam erstanden wird und die dann wo­chenlang von Haus zu Haus wandert, weil jeder Haus­herr über der Frucht in seiner eigenen Wohnung den Segen sprechen möchte. - Zwar schmecken solche ein wenig überlagerten Orangen manchmal besonders süß - doch ihre Schalen taugen nicht für Marmelade: sie haben die Gelierkraft eingebüßt und werden beim Ko­chen auch nicht mehr richtig weich.

Die Frucht muß also straff und frisch sein. Und sie darf natürlich keinen Überzug besitzen aus Paraffin und erst recht keinen Fäulnisschutz aus Gift! Können Sie keine Früchte mit garantiert <baumreiner> Schale kriegen, dann ist es besser, auf die Marmelade zu verzichten. Denn Waschen hilft nur gegen Schmutz, nicht gegen Gift und isolierenden Überzug!

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Scharfe Messer

Nun nehmen Sie ein scharfes Messer. Notfalls schleifen Sie es noch ein wenig nach. Sie haben doch bestimmt in ihrer Küche ein kleines, billiges, handliches Schleifräd­chen, durch welches man die Klingen nur ein paarmal ziehen muß, damit die Schärfe sich unheimlich steigert - wenn auch nur für ganz kurze Zeit ? Wenn nicht, dann kaufen Sie beim nächsten Messerschmied ein solches Rädchen! Denn scharfe Messer - die Männer wissen es wohl alle; den Frauen muß man es von Zeit zu Zeit wie­der sagen -, scharfe Messer also reduzieren die Arbeit des Schneidens auf die Hälfte.

Mit diesem scharfen Messer zerschneiden Sie nun die Früchte samt der Schale. In sehr dünne Scheibchen -wenn Sie genügend Muße haben. Im ändern Falle dür­fen die Scheiben oder Stücke beliebig grob sein: dann müssen Sie die weichgekochten Stücke halt nachher noch durch einen Fleischwolfdrehen.

Vorbehandlung der Früchte

Einstweilen aber kochen Sie die Scheiben oder Stücke noch nicht, sondern Sie legen sie, knapp überdeckt mit kaltem Wasser, in eine große Schüssel aus Steingut oder Porzellan. Mindestens vierundzwanzig Stunden so ste­hen lassen, und wenn das Wetter kühl ist, auch sogar noch länger! Natürlich werden Sie die Fruchte mit einem Holzbrett oder großen Pfannendeckel vor Staub und Schmutz und Fliegen schützen. Bitte, halten Sie dieses lange Stehenlassen der ungekochten Früchte nicht auch für eine Art von Küchenaber­glauben! Es ist bestimmt sehr sinnvoll: die

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Orangenscheiben sollen nämlich fast schon ein wenig gären, ehe man sie kocht. Denn die Innenseite der Schale ist zwar nicht bitter, aber wenn Sie die Früchte nicht auf diese Weise vorbehandeln, kann es endlos dauern, bis diese weiße Schicht so weich und glasig-durchsichtig wird, wie es für eine schöne Marmelade unerläßlich ist. Kocht man jedoch die Masse nicht so lange, bis sie aussieht wie goldenes flüssiges Glas, dann sieht sie nicht nur häßlich aus mit ihren vielen weißen, trüben Fetzen, sondern sie neigt auch zum raschen Schimmeln!

Nach ein bis zwei Tagen also kochen Sie die zerschnit­tenen Früchte samt dem Einweichwasser bis zur Glasig­keit. Hatten Sie vorher keine Zeit, die Früchte fein zu schneiden, dann müssen Sie jetzt die weichen Stücke noch durch den Fleischwolf treiben, wie wir es schon sagten.

Nun fügen Sie 700 bis 1000 Gramm Zucker pro Kilo Fruchtmasse hinzu und kochen die Marmelade kilo­weise kurz, aber gründlich durch. Sie wird sehr steif, sie duftet intensiv und schmeckt ganz herrlich.

Varianten der Orangenkonfitüre

Manche fügen etliche Zitronen bei - Zitronen haben aber ein ganz anderes und eigenartiges Aroma, sie über­decken und verfälschen den Orangenduft. Andere wieder setzen Bitterorangen zu. Das kann man natürlich. Wissen aber möchte ich, warum dann vor­her die vermeintlich bittere Innenseite der Schale mit so viel Mühe weggekratzt werden soll! Zudem er­hält man die Bitterorangen nicht immer und nicht überall.

Und außerdem ist sowohl das Leben wie die Marme­lade aus Zitrusfrüchten auch ohne eigens beigefügten Bitterstoff nach meiner Meinung genügend bitter.

Zitronenmarmelade

Dagegen können Sie auf die genau gleiche Weise auch aus Zitronen Marmelade kochen. Sie geliert noch weit stärker als die aus Apfelsinen. Sie wird so steif und fest, daß man sie fast nur mit dem Messer schneiden kann. Sie duftet so orientalisch und so intensiv und eigentüm­lich, daß Sie mit ihr ähnliches erleben werden wie mit dem Gelee aus den Tessiner Trauben: Anhänger und Gegner der Konfitüre werden sich unversöhnlich gegen­überstehen.

Doch auch die intensivsten Liebhaber von Zitronenmarmelade werden sich weigern, sie jeden Tag zu essen, So wie man auch die meisten sehr stark parfümierten Tropenfrüchte, im Gegensatz zu Äpfeln oder Pflaumen, nicht täglich sehen, riechen, essen mag. Dagegen wird man auch die Gegner der Zitronen­marmelade leicht dazubringen, sie als Konfekt zu essen. Solches Konfekt kann man fast aus allen Früchten ma­chen. Es ist zudem eine besonders verläßliche und halt­bare Art, Früchte zu konservieren.

Fruchtkonfekt

Gelees und Konfitüren halten sich desto besser und län­ger, je weniger Wasser sie enthalten, das ist klar. Am besten halten sie sich daher in jener Form, die man in Osteuropa früher so sehr liebte: als echtes Fruchtkonfekt.

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Es läßt sich leicht zu Hause zubereiten, auch aus Zitronen. Hier die allgemeine Regel für Frucht­konfekt :

Wenn du Gelees oder Konfitüren aus kleingehackten, in der Maschine durchgedrehten oder ausgepreßten Früchten einkochst, dann lasse einfach einen letzten Rest der Masse etwas länger kochen. Ständiges Rühren und sorgliches Überwachen ist unerläßlich, damit nichts anbrennt. Ist es eine Konfitüre, die gerne spritzt, dann hülle einen dicken feuchten Lappen um die Hand, die den Kochlöffel führt. - Ja und koche nicht solange, bis die Masse anfängt, braun zu werden und nach Caramel zu duften! Der Fruchtgeschmack muß ganz intakt sein.

Willst du dagegen Caramels bereiten, dann nimm nicht Früchte, sondern, außer Zucker, noch Milch und But­ter oder aber Rahm. Rezepte gibt dir jedes dicke Koch­buch zur Genüge.

Und ferner: glaube nicht, daß du den Kochprozeß abkürzen darfst, indem du künstliche Geliermittel bei­fügst! Behandelt man eine jede Frucht, wie ihre Eigen­art es fordert, dann ist bei Konfitüren und Gelees solche Nachhilfe von außen völlig überflüssig. Und hier, beim Konfekt, ist ein Geliermittel doppelt deplaciert: die Masse soll ja besonders dicht sein, damit sie nicht nach­her jede Hülse und Unterlage sofort durchfeuchtet!

Diese dicke, herrlich duftende Paste streichst du auf fla­che Schüsseln oder Platten aus Porzellan und wartest, bis sie ganz erkaltet ist. Hernach schneidest du sie in hübsche Würfel oder kurze, dicke, kleine Stangen, die du in grobein Grieß- oder noch besser Hagelzucker wäl­zest. Dann legst du sie in kleine, weiße, plissierte Kapsein aus Papier

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man bekommt sie in jeder großen Pa­peterie.

Das ist ein haltbares und sehr schmackhaftes Konfekt. Aus Quitten hast du es vielleicht schon selber zubereitet. Zitronenkonfekt schmeckt noch aparter. Man kann aber auch viele andere Früchte dafür verwenden und hat dann Konfekt in allen Farben: gelb und orange, rosa und dunkelrot, braun und violett. Geleebonbons kannst du natürlich auch im Laden fertig kaufen. Doch die bestehen meist nicht aus Früchten, sondern aus fabrikfertiger Gallerte, chemischer Farbe und künst­lichen Aromastoffen.

Zucker oder Honig ?

Altmodisch und in vieler Hinsicht hocherfreulich ist die Konservierung in sehr viel Zucker. Wir haben uns nicht ohne Grund so lange bei ihr aufgehalten.

Noch sehr viel älter ist natürlich das Konservieren in reinem Bienenhonig. Und sicher ist es an sich bekömm­licher. Jedoch: der chemisch ausgebleichte, weiße Zucker hat, mag er für die Gesundheit auch ein wenig frag­würdig sein, doch kulinarisch den einen großen Vorteil, daß er nur süß ist und nichts darüber hinaus. Und da­durch hebt er den Eigengeschmack der Früchte ganz anders als der echte Bienenhonig, der durch sein Aroma das der Früchte stört.

Doch nun zurück zum Küchenaberglauben!

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VOM PILZABERGLAUBEN UND VOM ZAUBERWALD

Den tollsten Küchenaberglauben finden wir aber im Zusammenhang mit Pilzen. Ich gebe zu, die Pilze sind unheimlich, für den Kenner sowohl wie für den, der nichts von ihnen weiß.

Haben Sie schon einmal versucht, Pilze in geschlossenen Gefäßen zu transportieren? Beim Öffnen schlägt Ihnen eine Wärme entgegen wie von einem tierischen Lebe­wesen ! Oder haben Sie schon davon gehört, daß Pilze den Asphalt der Straße sprengen können ? Man glaubt es nicht, bevor man es mit eigenen Augen sah! Was keine Baumwurzel und kein unterirdischer Quell ver­mag — und in beiden steckt doch gewaltige Kraft! —, das bringt ein Pilz zuwege, der so zart und weich ist, daß man ihn mit der bloßen Hand zu Brei zerquetschen kann! Oder vielmehr: nicht er selber kann es, sondern die Atmungswärme und die Gase, die er rings um sich verströmt.

Doch Pilze, mit und ohne Aberglauben, sind derart eigenartig und erregend, daß wir uns einen kleinen Seitensprung - Exkurs und Exkursion - in ihre Welt erlau­ben wollen.

Vom Pilzzauber

Von den Leuten, die man im Herbst im Walde trifft, halten sich manche brav an den gebahnten Weg, führen vielleicht ein Kind an der Hand, einen Hund an der Leine, freuen sich an dem tiefen Grün, dem goldnen Rot und Gelb, der reinen Luft, der Ruhe und streben friedlich dem Gasthaus auf der nächsten Lichtung zu. Von ihnen soll hier nicht die Rede sein. Es gibt andere, die klettern kreuz und quer durch Dorn­gestrüpp und Bäche, hinein in Schluchten und über Grate, schreiten behutsam und im Zickzack, äugen nach links und rechts, tragen Körbe, Eimer, große Tü­ten. Manche von ihnen wirken trotzdem ganz vernünf­tig und normal. Dann kann man jede Wette eingehen:

sie suchen Beeren oder Holz.

Pilzgänger

Andere aber spähen mit fiebrigein Blick in jeden faulen Strunk, ins Moos, unter die modrigen Blätter am. Boden. Sie ziehen die Luft vorsichtig sichernd durch die Nü­stern, rennen in plötzlicher Aufregung mit gezücktem Messer zu irgendeinem kleinen hellen Fleckchen auf der Erde, schütteln gramvoll enttäuscht den Kopf, schleichen weiter, bücken sich auf einmal und heben irgend etwas ganz nah an Auge und Nase heran. Sie drehen es hin und her, knabbern es vorsichtig ein wenig an, kauen, spucken aus, kratzen sich zweifelnd am Kopf. Und plötzlich knien sie, vor Freude bebend, mitten in den Dreck, pflücken, sammeln, das Antlitz verklärt von einem für den Zuschauer ganz unfaßbaren Glück — kurz, sie benehmen sich wie leicht Verrückte. Doch je­der, der sich auskennt, weiß: sie suchen Pilze...

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Der Städter und die Pilze

Solcherart Verrückte findet man nie in ländlicher Um­gebung, wo Pilze seit Jahrhunderten gegessen werden und ihre Kenntnis daher selbstverständlich ist, wo folg­lich Pilze jedem so <geheuer> sind wie einem Westler Radio und Telephon. Die Pilzekstase erfaßt nur den Städter, vor allem jenen, der den Pilz als Kind kaum kannte und ihn erst später sozusagen neu entdeckte, der sich die Kenntnis über Pilze umständlich und mit Mühe langsam zusammenklaubt. Bei guten Freunden viel­leicht zunächst, die ihm allerlei alten gefährlichen Pilz­aberglauben anzuhängen suchen: von dem Silberlöffel etwa oder von der Zwiebel, die, mitgekocht, durch ihre Verfärbung den Giftgehalt erweisen sollen. Und man­chenorts glaubt man bis heute, daß kleine Tintenpilze aus Hunde Urin entstehen. Und warum nennt man die Riesenkreise aus Pilzen in Wald und Feld und Wiese < Hexenringe >? Weil man einst wirklich glaubte, daß Pilze sprossen, wo bei Nacht die Hexen ihre Ringel­reihen tanzten!

Allmählich aber findet der Städter vielleicht den Weg zu einein Pilzkontrollbeamten, steht stundenlang neben ihm und schaut aufgeregt zu, wie dieser von zwei fast gleichen Pilzen den einen als giftig in den Abfallkübel fegt, den ändern zögernd [wegen der für Laien tödlichen Gefahr der Verwechslung] für das Essen freigibt. Oder er erlebt, wie der Kontrolleur zwei andere Pilze, den einen groß, den ändern klein, den einen grün, den än­dern violett, mit voller Sicherheit für eine und dieselbe Sorte erklärt.

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Täublinge

Bei Täublingen passiert dies letztere vor allem. Das sind kräftige, hübsche Pilze von verschiedenster Größe und Hutfarbe, mit nicht sehr hohem Stiel und wachsartig brüchigen, weißen bis rahmfarbenen Lamellen unter dem bunten Dach. Es gibt eßbare unter ihnen, die herr­lich duften und schmecken; andere, die man zur Not genießen kann; und schließlich bittere, stinkende oder pfefferscharfe, die niemand gerne essen wird - es sei denn in der Hungersnot. Regelrecht giftig ist kein Täub­ling. So ist es denn kein Unglück, daß man die vielen Sorten nur mit Mühe voneinander unterscheiden kann und daß zudem noch jede einzelne der Sorten von Jahr zu Jahr, von Wald zu Wald in Größe und in Farbe ganz unglaublich variiert. Der Laie zerbricht sich da nicht lange seinen Kopf: die Kostprobe - die aber nur bei Täublingen und Röhrlingen ohne Bedenken gestattet werden darf! - zeigt ihm rasch, ob der Fund genießbar ist. Nicht sehr geübte Pilzkontrolleure sind manchmal von den vielen Kostproben an scharfen Täublingssorten heiser wie aufgeregte Möwen.

Strenge Fachleute aber begnügen sich natürlich nicht mit einer Zungenprobe. Und da wir uns doch ohnehin bereits auf einem Seitensprung, auf einem Pilzausflug befinden, möge uns zusätzlich eine kleine Täublings­anekdote gestattet sein. Ein Franzose, Georges Becker, ein passionierter Pilzfachmann, teilt sie uns in seinem kleinen Buche mit, das sich sehr reizvoll < La vie privee des Champignons > [Das Privatleben der Pilze] betitelt:

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Die Täublingstollheit

Die merkwürdige Variabilität der Täublinge hat zur Folge, daß die gewiegtesten Experten sich nicht einig sind, welche Exemplare zur gleichen Art zu zählen sind und welche ändern man vielleicht doch besser zu zwei verschiedenen Arten rechnet. Fragt man daher einen Täublingsfanatiker, wieviel Täublingsarten existieren, dann kann die Antwort unglaublich variieren, von astro­nomischen Ziffern bis zur kleinsten zweistelligen Zahl. Nun nimmt bekanntlich ein Zank desto wildere Formen an, je nutzloser, praktisch gleichgültiger sein Gegen­stand ist. Selten im Laufe der Geschichte haben Ge­lehrte sich so fürchterlich gestritten wie im Mittelalter darüber, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden können.

Über den physischen Umfang eines Engels regt sich wohl heute keiner mehr auf. Doch wenn es darum geht, einen Täubling wissenschaftlich zu bestimmen und ein­zuordnen, beschimpfen sich ehrbare Mykologen - das sind Pilzfachleute - plötzlich in strafbarer Form.

Und einen gab es unter ihnen - so wenigstens behaup­tet es Georges Becker -, den die Täublingsfrage wie ein wahrer Wahnsinn packte. Jeden, der nicht seiner Mei­nung war, hätte er gern erschlagen. Wo immer man in seiner Wohnung hingriff, faßte man Täublingshüte an, die entstielt flach auf Tablaren lagen und ihre Sporen in hübschen Sternenmustern aus den Lamellen unter sich verstreuten. Niemand durfte in der Wohnung etwas berühren, verschieben oder gar den Staub wegwischen. Er hätte doch dabei auch einen Täublingskopf ver­schieben können! Berge von Briefen und Artikeln über Täublinge, voll von Beschimpfungen der < Ketzer >,

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wuchsen neben Bergen von Abhandlungen mit mittel­alterlich-scholastisch-scharfsinnigen Argumenten und Widerlegungen. Riesenschachteln mit mikroskopischen Präparaten standen in allen Ecken und Regalen.

Pilze als Ehegefahr

Der Mann hatte eine Frau und Kinder. Einst hatte er seine Familie geliebt -jetzt erschien sie ihm nur noch als Störung und Gefahr bei seiner Pilzforschung. Die Gattin war ganz reizend - er schaute sie gar nicht mehr an. Mißtrauen war das einzige Gefühl, das er für sie noch hatte: wer weiß - am Ende wischte sie doch ein­mal heimlich in seinem Zimmer Staub ? In ihrer Ver­zweiflung wandte die Arme sich schließlich an den Psychiater. Der sah nur eine Möglichkeit, den Mann zu heilen: Internierung und Elektroschock.

Tatsächlich half der Schock. Als der Mann wieder heim­kam, war es, als sei er aus einein Traum erwacht. Pilze waren ihm plötzlich ganz egal. Und fragte man ihn nach irgendeinem Täubling, dann pflegte er verächt­lich zu entgegnen: «Es gibt Verrückte, die unendlich viele Arten unterscheiden. Aber es gibt ja kaum ein Dutzend!» ...

Kehren wir nun zurück zürn Städter, der, weit entfernt von solcher Pilzverrücktheit, den Weg zur Orientierung sucht. Nachdem das Tun des Kontrolleurs ihn gründ­lich verwirrt und eingeschüchtert hat, wird er sich schließlich Pilzfachbücher kaufen. Und diese tragen dann das Ihre dazu bei, den Armen noch mehr zu er­regen und zu verwirren. Denn mag auch die Botanik

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im ganzen eine pedantisch-nüchterne Wissenschaft sein -Pilzkunde im speziellen ist ein wildes, unheimliches Abenteuer.

Das Geheimnis der Pilzfortpflanzung

Was soll man etwa dazu sagen, daß man bis heute noch nicht genau weiß, wie Pilze sich vermehren ? Man kennt die kleinen Samenzellen, die < Sporen >, die der Pilz ringsum verstreut. Aber genügt schon eine einzelne, auf feuchten Humus gefallene Spore, damit sich ein neues Pilzmyzel aus ihr entwickelt ? Oder müssen zwei solcher Zellen sich hierfür vereinen ? Und dürfen diese zwei von einem und demselben Pilze stammen, oder sind Ver­wandten Ehen hier unfruchtbar ? Neuerdings gibt es eine Theorie, nach welcher bei manchen Pilzen nicht nur zwei, sondern sogar vier ein wenig voneinander ver­schiedene Sporen sich vereinen müssen, damit ein neues Pilzgeflecht sich in der Erde bilde!

Der Steinpilz ein Eunuch!

Und was soll man von der These halten, daß sich der Steinpilz überhaupt nicht durch seine Samenzellen, seine Sporen, fortpflanzt, sondern allein durch Fetzen seines unterirdischen Myzels, welche von Waldtieren rein durch Zufall da- und dorthin verschleppt werden ? All die Milliarden Sporen, die der Steinpilz seit Millio­nen Jahren Herbst für Herbst verstreut, wären demnach nichts als nutzloses Relikt einer früheren Form der Fruchtbarkeit ?! - Wie ist es möglich, daß man von all dem nichts Genaues weiß ?

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Der Kaiserling und Fliegenpilz und Kardinal
Und weiter: da ist der Fliegenpilz. Fliegen sterben an ihm, wie schon sein Namen sagt, und manchen Men­schen hat sein Gift ins Grab gebracht. Einmal sogar einen römischen Kardinal. Das war in Ver­sailles, im siebzehnten Jahrhundert. Offenbar hatte der Kirchenfürst - ganz zu Unrecht! - kein Vertrauen zu der Küche der Franzosen. So brachte er, als er den Kö­nig von Frankreich besuchen kam, sein eigenes Küchen­personal mit aus Rom. Sein Koch ging Pilze suchen. Aus dem trockenen Süden kannte er den Kaiserpilz, der bei uns im feuchten Norden nur selten vorkommt. Es ist ein wunderschöner naher Vetter vom Fliegenpilz, von ihm nur dadurch unterschieden, daß Stiel und Lamel­len bei ihm nicht schneeweiß sind, sondern hell gold­gelb. Schon die alten Römer hatten den Kaiserling ge­gessen und so geliebt und hochgeschätzt, daß sie ihm eben den Namen <caesareus>, der Kaiserliche, gaben. Der Koch fand Fliegenpilze, die er vorher nie gesehen hatte. Er glaubte, dem Kirchen Fürsten Kaiserlinge zu servieren - doch er servierte ihm den Tod.

Der vieldeutige Fliegenpilz

Aber wird nicht dennoch immer wieder behauptet, daß man diesen gleichen Giftpilz, den Fliegenpilz, in man­chen Gegenden von Österreich ganz ohne Schaden konsumiere ? Oder sollte da umgekehrt eine Verwechs­lung mit dem bekömmlichen Kaiserling vorliegen ? Sicher jedoch liegt keine Verwechslung vor bei jenen Sibiriern, die Fliegenpilze bei Festen zu sich nehmen statt

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Alkohol, den sie sich dort, im kalten Norden, nur schwer beschaffen können: sie essen Fliegenpilze, um sich an ihnen einen Rausch zu holen wie vom Schnaps! Was aber ist das für ein Gift, welches den einen tötet, den zweiten berauscht, dem dritten aber so wohl be­kommt, als wären es Kartoffeln ? Ist am Ende ein und derselbe Pilz je nach der Gegend verschieden giftig ? Hängt das am Boden, am Klima ?

Der Nebeltrichter

Wir kennen jedenfalls die Tatsache, daß der hübsche, dicke silbergraue Nebeltrichter mit seinem merkwür­dig abstoßenden Parfüm schon seit Jahrhunderten in München Herbst für Herbst in Riesenmengen verkauft und gern gegessen wird - in der Schweiz aber hat dieser selbe Pilz oft übelste Magenverstimmung verursacht. Zufällige Empfindlichkeit des Essers? Warum dann aber nur bei Schweizern, nicht bei Münchnern ? Oder ist eben der Pilz doch chemisch anders komponiert, je nach Gegend, Standort, Jahrgang ?

Fliegenpilzgifte in Deutschland und Sibirien
Es könnte sein. Es würde jedenfalls die eigenartige Ge­schichte erklären von den russischen Gelehrten, die, lange vor dem Ersten Weltkrieg, mit unendlicher Mühe ein Gift aus dem Fliegenpilz herausdestillierten und es <Muscarin> [musca = Fliege] benannten. Preußische Biologen analysierten daraufhin ganze Kisten voll von deutschen Fliegenpilzen - sie fanden nicht die Spur

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von Muscarin! Und dabei war dies damals das einzige, das allereinzige Pilzgift gewesen, das man genau zu kennen glaubte!

Pilzdüfte

Zweideutig wie der Giftgehalt des Pilzes ist sein Duft. Nie gab es oder gibt es eine feine Küche ganz ohne Pilze. Chinesen und Japaner mischen Pilze in ihre teuersten, erlesensten Gerichte. Und auch Brillat-Savarin, Frank­reichs größter Küchenautor, sieht in Trüffeln, Mor­cheln, Champignons letzte Verfeinerung der feinsten Speisen.

Aber riechen denn Pilze wirklich gut ? Kann man bei ihnen im gleichen Sinne von Wohlgeruch sprechen wie bei einem reifen Apfel, einer Aprikose ? Sie riechen fas­zinierend, lockend, das ist sicher. Doch haftet dem Pilz, dem Sohn der Fäulnis, des Moders, des sonnenlosen Dunkels, stets ein leichter Hautgout an wie von ange­faultem Eiweiß.

Warum aber duften gerade die tödlichsten Pilze, jene Amanitasorten, deren Gift ganz langsam, erst nach Ta­gen, in Blut und Nerven eindringt und den Körper un­ter Folterqualen zerstört, so neutral und angenehm? Warum sehen sie so hell und appetitlich aus? Nichts warnt an ihnen. Sie schmecken gar nicht übel, und auch der Magen rebelliert nicht, ahnt kein Unheil.

Der Hexenpilz

Und umgekehrt sind gerade die < unheimlichsten >, die für das harmlose Gemüt so <verdächtig> aussehenden Pilze vollkommen giftfrei!

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Der Hexenpilz zum Beispiel, an Größe und Gestalt dem Steinpilz ähnlich, jedoch tief weinrot, braun, orange und gelb an Stiel und Hut, mit weißem Fleisch zwar, das aber, angeschnitten, sich auf der Stelle dunkelblau verfärbt; beim Kochen jedoch wird es schiefergrau!

Phallus impudicus

Oder der Phallus impudicus, ein großes, morchelähn­liches Gebilde, an der spitzen Kapsel oben mit einer grünen, klebrigen Sporenmasse überzogen, die langsam abtropft und den Pilz gespenstisch blaß zurückläßt. -«Seine Gestalt», so sagt der Psychoanalytiker im < Zau­berberg > von Thomas Mann, «ist die der Liebe, sein Geruch aber der des Todes.» - In der Tat sieht der Pilz so aus, daß er orgiastischen Kulten der Antike als Sym­bol hätte dienen können; riechen aber tut er penetrant nach Aas!

Das „ Hexenei“ als Liebeszaubermittel

Doch nicht von Anfang an riecht dieser Pilz nach übel­ster Verwesung. Zunächst liegt er einfach auf der Erde in Gestalt eines Hühnereis - < Hexeneu nennen ihn die Bauern in diesem Stadium - und ist ganz geruchlos. Schneidet man das <Ei> entzwei, so findet man darin, in Gallert eingebettet, die ganze Morchel fertig vor­gebildet. Manchenorts ißt man solche Eier, trotz des abscheulichen Namens, und man behauptet, sie schmeckten delikat. Andernorts wieder gilt der ganze Pilz als Zaubermittel für die Liebe.

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Der Pfeffermilchling

Und habt ihr je schon einen Pfeffermilchling im som­merlichen Wald gefunden? Schneeweiß ist er und groß und fest. Bricht man ihn durch, dann weint er un­schuldsvoll milchweiße Tränen. Leckt man ihn aber an, verbrennt man sich die Zunge! Manche freuten sich zunächst darüber. Sie träumten davon, hier einen bil­ligen einheimischen Ersatz für echten Pfeffer gefunden zu haben. Man brauchte den Pilz doch nur zu dörren, dann im Mörser zu weißem Pulver zu zerreiben! -Ja, Kuchen! Getrocknet schmeckt der Pilz so mild wie Stroh und Watte! Und kocht man ihn, so wird er plötz­lich grün und fad und etwas bitter!

Tintenpilze

Und der weiße Porzellantintling ? Erst steht er schlank und vornehm da wie ein halbgeschlossener kostbarer Damensonnenschirm aus Spitze, hochragend, seiden­glänzend. Dann, eines Tages fängt er an zu tropfen, schwarz jedoch und nicht weiß, tropft immer weiter, löst sich zuletzt in lauter schwarze, dicke Tinte auf...

Totentrompeten

Und die Totentrompeten ? Plötzlich, im frühen Herbst, stehen sie da am Boden zu Hunderten, die kleinen, schmalen, schwarzen Trichter. Geistertrompeten! Im frischen Zustand sind sie fast geruchlos. Dörrt man sie aber, dann duften sie mit einem Male so erregend wie die Trüffel!

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Edelreizker

Und gar der Edelreizker! Fleischfarben, nackt und feucht leuchtet er aus der schwarzen Bodennässe uns entgegen, vergießt aus jeder Wunde rotes Blut. Und wälzt man ihn in Mehl und Ei und bäckt ihn dann in heißem Fett, so hat man kleine Wiener Schnitzel, zarter und feiner als aus Kalbfleisch.

Anistrichter

Oder es kommt vor, daß es, mitten im nordischen Pilz­wald, plötzlich nach Anis und exotischen Gewürzen duftet. Wie ist das möglich ? Man schaut sich um - rich­tig, da steht der Spender der arabischen Gerüche, der Anistrichter, ein kleiner, türkisgrüner, feuchter Pilz, hübsch anzusehen, jedoch kaum genießbar.

Der Gallenröhrling

Und steht da nicht der schönste, dickste Steinpilz ? Doch warum ist er gar so blaß ? Und warum unterm hellen Hut so rosa überhaucht ? Man beißt hinein - natürlich! Nicht der Steinpilz ist es, sondern sein bitterer Doppel­gänger, der Gallenröhrling. Ein einziger davon verdirbt das schönste Pilzgericht.

Doch scheinbar nicht für jeden Gaumen! Professor Au­gust Klein, der Autor eines sehr hübschen Pilzbuches mit wunderschönen Pilzporträts in Farben, das leider längst vergriffen ist, berichtet, wie er im Walde einen traf, der sammelte die Gallenpilze. Der Autor warnte freundlich. Jener aber sprach: «Bitter nennen Sie das? Es schmeckt wie Mayonnaise!»

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Giftfreier Pilzmord: Hallimasch!

Übrigens morden Pilze nicht allein durch Gift und mor­den nicht nur Mensch und Tier. Sie morden Pflanzen. Vom Hausschwamm, dem Schrecken aller Hausbesit­zer, soll hier nicht die Rede sein. Er ist bescheiden, frißt nur <Aas >, wenn man so sagen will: nur totes Holz, ge­fällte Bäume.

Aber es gibt den Hallimasch. Er ist ein hübscher, nicht sehr großer, nußbrauner Pilz, die helle Freude aller, die Pilze suchen. Denn er schmeckt gut in jeder Form: ge­kocht, gedörrt, in Essig konserviert, in schwacher Salz­lauge säuerlich gegoren. Und wenn er kommt — er tut es gegen Mitte des Oktober -, dann kommt er nicht ver­einzelt. Ganz plötzlich ist der Wald, wohin man blickt, bedeckt mit Riesenbüschen von Hallimasch. Er steht am Boden, sofern sich dort, wenn auch verdeckt von Erde, nur etwas Holz befindet. Er überkleidet Strünke, er leuchtet von den Stämmen und Ästen lebendiger Bäume zu uns herab. Dem Sammler hüpft das Herz vor Freude. Dem Förster aber krampft es sich zusammen. Denn nicht umsonst klingt in dem alten deutschen Na­men des Pilzes die Silbe <Hel> auf: Hölle, Unterwelt. Der Hallimasch verbreitet die dicken Stränge seines Pilzmyzels unter der Rinde lebender Bäume wie ein Krebsgeschwür. Wälder, von denen er radikal Besitz ergreift, sind dem Tod geweiht.

Und wer dies weiß und nicht nur Pilze, sondern auch die Wälder liebt, der kann die leuchtendbraunen, schweig­sam mordenden Kolonnen des Hallimasch nicht ohne Grauen sehen.

Und dabei sind die Hallimasche doch so schön! Vor allem in der Jugend, wenn die Hüte des Pilzes

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sich noch nicht ausgebreitet haben und wie goldbraune, dicke Bernsteinkugeln zu Tausenden von allen Seiten aus dem Waldesdunkel blinken!

Schnecklinge

Doch lassen wir den finstern, stillen Mörder! Gehn wir in einen ändern Wald!

Da streifen wir nun kreuz und quer herum, spähen in jede Ecke - nichts!

Zwei Tage später aber, tief im Waldesdunkel, sind plötz­lich herrlich leuchtende Rabatten aufgeblüht, rosa und rahmweiß. Blumenbeete? Nein, Pilze! Schnecklinge! Wunderhübsch anzusehen, auch eßbar - aber der Ge­ruch ! «Wie Wanzen», sagt das Pilzbuch...

Mönchsköpfe

Ein andermal schaut man in die finstere Tannenschlucht hinunter - aber die ist auf einmal gar nicht mehr so fin­ster ! Da leuchten Hunderte von Suppentellern aus rein­stem Elfenbein! <Mönchsköpfe> nennt man sie, weil sie zunächst, in ihrer Jugend, schlanken Dominikanern gleichen. Dann aber entfalten sie sich auf ihren hohen hellen Stielen zu Riesentrichtern, duften und schmecken ganz unwiderstehlich fein, bleiben aber bei noch so langem Kochen ziemlich zäh.

Pilze im Walde - wann, wo, warum ?

Natürlich merkt man sich den Ort, die Jahreszeit, geht nächstes Jahr dorthin - und findet nichts! Ist es vielleicht zu früh,

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zu trocken, zu kalt, zu naß? Man weiß es nicht.

Und Jahr für Jahr eilt man zum selben Platze - nun ja, mitunter findet man da einen Schneckling, einen Rie­sentrichter. Aber vereinzelt, kümmerlich, nicht öfter und nicht schöner als an jedem ändern Ort. Weshalb ? Warum die Überfülle damals und der Mangel heute ? -Niemand, weder der Fachmann noch der Laie, weiß etwas darüber.

Pilzwald als Venusberg

Will man sich da noch wundern, wenn Menschen, die sich rückhaltlos auf Pilze eingelassen haben, ihrem Ge­heimnis verfallen, von ihm bezaubert, verzaubert und nie mehr losgelassen werden, wie weiland Tannhäuser im Venusberg ? Daß sie, kaum ziehen die ersten Silbernebel des frühen Herbstes übers Land, in jeder freien Stunde im Wald verschwinden, alles darob vergessen:

Geschäft, Familie, Wissenschaft und große Liebe ? Daß sie die zivilisierten Sitten mit einemmal verlieren und dreckbespritzt, zerkratzt auf allen vieren das Gebüsch durchkriechen ?

Versuchet ja nicht, sie zurückzuhalten! Es würde nicht gelingen! Laßt sie laufen! Sie werden mit dem ersten Schneefall, wiederum friedlich und normal geworden, zu ihrem gewohnten Leben zurückkehren.

Und tröstet euch inzwischen mit dem, was sie nach Hause bringen! Ihr werdet Freitag, statt nur Fisch und Zwiebelkuchen, nunmehr Ragouts und herrliche Pa­steten mit Pilzen auf dem Tisch vorfinden; euer beschei­dener Kartoffelsalat, jetzt mit Essigpilzen aufgeputzt,

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wird aussehen wie im Grandhotel; und eure Suppen werden duften, als hättet ihr den teuersten Pariser Koch im Hause!...

Beim Küchenaberglauben haben wir begonnen. Dem Aberglauben rund um Pilze haben wir uns dann gewid­met. Nun sind wir tief im deutschen Märchenwald ge­landet.

Marsch, zurück in die Küche! Aber es sei uns doch ver­gönnt, auch hier noch eine kleine Weile bei den Pilzen zu verharren!

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WAS MACHE ICH MIT PILZEN?

Wer sich im Laden seine Pilze holt, womöglich Cham­pignons, die man in Kellern züchtet und sauber, frei von Maden, in normierter Größe in kleine Kartons ab­gefüllt verkauft - der wird gar nicht verstehen, was wir mit unserer Frage meinen. Denn er holt ja die Pilze nur, wenn er schon vorher weiß, was er mit ihnen machen will.

Es gibt doch aber eben nicht nur die Champignons aus Kellerzucht. Es gibt - wir haben lang und breit davon erzählt - die Pilzkenner und fast immer zugleich -Fana­tiker, die die Schwämme in den Wäldern sammeln!

Das Pilzfieber

Einige wenige mag es unter ihnen geben, die prinzipiell nur solche Mengen und Sorten nehmen, die sie für ihre nächste Mahlzeit daheim verwenden wollen. Die mei­sten aber werden, sowie sie nur den Wald betreten, vom Pilzfieber gepackt!

Es packt nicht nur den Kenner, leider! Es packt auch solche, die von Pilzen keine Ahnung haben! Sie raufen alles aus, was sich nicht wehrt, und präsentieren es voll Stolz in riesigen Behältern dem nächsten Pilzkontroll­beamten. Der sitzt dann da. Stunden um Stunden, klaubt und sortiert und unterrichtet, mühsam be­herrscht, mit der Geduld des Heiligen - es sei denn, er ist selber pilzverrückt und tut es gern. Dann ist nach Kant

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sein sittliches Verdienst, trotz großer Plage, aller­dings gleich null. Oft schrumpfen Riesenberge von Pil­zen, die so ein Laie mitbringt, bei der Kontrolle auf ein erbärmliches Häuflein zusammen, das kaum noch lohnt, der Küche zugeführt zu werden. Und das ist für die Hausfrau und Köchin manchmal gut.

Der Pilzkenner

Allein: es gibt auch Kenner. Solche, die genaustens wis­sen, welche noch so unbekannten Pilze man dennoch essen kann. Für den Beamten der Kontrolle sind sie kein Problem. Er sieht sie selten. Wenn sie je zu ihm kommen, dann nur mit Einzelpilzen, ausgefallenen Sorten, die sich nur in den größten und teuersten Nach­schlagewerken finden lassen.

Jedoch die Köchin und die Hausfrau - die haben nichts zu lachen! Sie stehen nach dem Wochenende in der Küche Bergen von Pilzen gegenüber - alle eßbar! Und kaum ein Dutzend von ihnen paßt in ein Mischgericht zusammen. Der eine schmeckt nur, wenn man ihn gründlich auslaugt und ebenso gründlich nachher in viel Wasser auskocht; der zweite ist so zäh, daß man nur feingehackte Klopse aus ihm machen kann; der dritte schmeckt am besten in Ei gewälzt, paniert und dann in Öl gebacken wie ein Wiener Schnitzel; der vierte will ganz sanft in saurem Rahm geschmort sein; der fünfte taugt nur, w ;nn man ihn mit viel Gewürz in Essig ein­legt - was also soll die arme Hausfrau

tun ?...

Ich kenne ein junges nettes Ehepaar. Die Frau liebt wirklich ihren Mann - nur nicht im Herbst! Vor allem nicht an den September-Montagmorgen, wenn sie ihres Gatten

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Sonntagsfunde aus dem Pilzwald vor sich sieht! Drum, wollen Sie sich mit den Pilzen ärgerliche Arbeit sparen, dann hören Sie auf mich, und machen Sie es so:

Mischlingsprobleme

Wahr ist zwar, daß man von den rund zweitausend Pilz­arten unsrer Wälder mehrere hundert ungefährdet es­sen kann. Das aber heißt noch lange nicht, daß alle diese Sorten wirklich schmecken.

Nehmen wir nur einmal die große Gruppe der Milchlinge - das sind Pilze, die beim Anschnitt irgendeine Art von Saft verträufeln. Eßbar sind die meisten, töd­lich giftig keiner. Man soll das wissen und sich merken -aber nur für Hungerzeiten!

Rezepte für Bratling und Reizker

Hören wir nur einmal, was ein französischer Pilzfana­tiker behauptet! «Les lactaires», sagt er, «sont tous abominables, meme celui qu'on appelle <Le Deli-cieux>», zu deutsch: Die Milchlinge sind samt und son­ders scheußlich, selbst jener, den man den < Deliziösen > nennt. Mit dem < Deliziösen > meint er den Edelreizker, der lateinisch <Lactarius deliciosus> heißt.

Und auch den vielenorts beliebten Bratling nimmt er nicht aus. Warum auch sollte er ? Beide Pilze, Reizker wie Bratling, riechen und schmecken schließlich nicht nach <Pilz>. Dem Bratling haftet an angequetschten Stellen sogar der Geruch von faulem Hering an.

Dennoch tut der Franzose beiden Pilzen Unrecht! Ge­kocht oder gedünstet, zumal vermischt mit ändern Sorten,

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schmecken diese beiden Pilze in der Tat abscheu­lich, das ist wahr. Läßt man die Hüte aber ganz, wälzt man sie dann in Milch, in Mehl, in Ei, in Semmelbrösel oder, viel einfacher, nur in Omelettenteig und brät sie dann im Fett rasch goldbraun, dann schmecken sie, ge­würzt mit ein paar Tropfen Zitronensaft, zu einem knusprigen Stück Weißbrot oder zu körnigem Wasser­reis ganz herrlich, ergeben ein sehr gutes Abendessen.

Und Reizker eignen sich auch ganz vortrefflich zu Essigpilzen, ein Genuß für ausgebrannte Kehlen, die prächtigste Ergänzung zu einein scharfen Schnaps! Wir kommen noch darauf zurück.

Pfeffermilchlinge mit Natron

Und alle ändern Milchlinge ? Sehr einfach: Leben Sie in Zeiten des Wohlstandes, dann werfen Sie sie weg! Herrscht aber Not, dann schneiden Sie die Pilze in gro­be Stücke, um festzustellen, ob sie frei von Maden sind, und kochen sie in recht viel Wasser, vielleicht mit einer Prise Natron. Das Wasser darf beliebig heftig sprudeln. Milchlinge haben alle festes Fleisch und werden nicht zu Brei. Den Pfeffermilchling entbittert Natron unfehl­bar. Ob es bei allen ändern Sorten gleich gut hilft, ist nicht so sicher. Kosten Sie nach dem Kochen! Schmecken die Pilze jetzt erträglich, dann mischen Sie sie mit ein paar zerschnittenen Kartoffeln, Zwiebeln und Mayonnaise zu Salat. Es ist ein derbes und kommunes Essen. Aber zu einer derben warinen Wurst, mit einem heißen Tee darnach, mag es wohl angehn.

Schmecken die Pilze dagegen immer noch sehr mäßig, dann unterziehen Sie sie einer zweiten Prozedur:

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Saure < Salzpilze >

Sie schütten das Kochwasser von den Pilzen ab, spülen sie gründlich durch und schichten sie dicht in große Einmachtöpfe oder -gläser. Dann übergießen Sie die Pilze mit Salzwasser und sorgen gut dafür, daß kein ein­ziger die Oberfläche der Lauge übersteigt! Denn was in die Luft herausragt, verdirbt unfehlbar und infiziert mit Fäulnis auch den Rest! Am besten beschweren Sie daher die Pilze mit einem kleinen Plättchen oder Teller. Nun decken Sie das Ganze mit einem leichten Tuche oder Deckel ab - Schmutz und Staub soll nicht hinein­gelangen. Anderseits darf der Verschluß auf keinen Fall hermetisch sein. Denn bald beginnen die Pilze zu gären und zu säuern, entwickeln also Gase, die den festen Ab­schluß und das ganze Glas leicht sprengen könnten. An der Oberfläche der Lauge bildet sich eine häßliche Schimmelschicht - das ist normal! Von Zeit zu Zeit schöpft man sie ab.

Die Pilze bekommen nach ein paar Wochen ein etwas säuerliches Aroma und schmecken ganz erträglich. Man kann sie als Salat anmachen oder in irgendeiner schmackhaften Sauce, mit viel Gewürz und etwas Fett, noch einmal gründlich kochen. Eine Delikatesse sind sie weder so noch so. Es ist auch keine Rede davon, daß solche Pilze nach dem leichten Säuern ähnlich appetit­anregend schmecken wie Sauergurken aus dem Salz. Immerhin, wie gesagt: man kann sie essen.

Die Prozedur kommt übrigens nicht nur für Milchlinge in Frage, sondern für jeden Pilz mit festem Fleisch. Na­türlich legen Sie nur solche Pilze auf diese Weise ein, die überhaupt nicht oder nicht erfreulich schmecken. Isa­bellfarbene Schnecklinge zum Beispiel. Denen bekommt

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die leichte Säuerung sogar recht gut: sie hören auf zu stinken wie die Wanzen. Wohlschmeckende Pilze da­gegen sind für solch brutale Vorbehandlung viel zu schade!

Eine Bitte an die Pilzkenner aus dem Osten!
Eines aber würde ich ganz gerne wissen! Kraut, Gur­ken, rote Rüben - sie alle werden roh ins Salz gelegt. Warum also ist es nötig, die Pilze vorzukochen ? Viel­leicht nur deshalb, weil sie durch ihren hohen Luft­gehalt roh an die Oberfläche steigen und folglich auf der Stelle verderben würden ? Geht es nur um das tech­nische Problem, wie man die rohen, federleichten Pilze dennoch unter Wasser drückt? Das ließe sich schon machen.

Oder würden roh eingelegte Pilze faulen, statt zu gä­ren ? Tatsächlich sind mir zwei Versuche, die Pilze roh zu säuern, fehlgeschlagen. Die Pilze zersetzten sich nach ein paar Tagen und rochen höllisch. Vielleicht aber habe ich nicht die geeigneten Sorten für die Pro­zedur gewählt, oder die Lauge war zu wenig konzen­triert ?

Lieber Leser: falls Sie aus dem Westen stammen, dann haben Sie vermutlich Sauerpilze aus dem Salz Ihr Leb­tag nie gesehen und gegessen.

Falls Sie aber im waldreichen Osten von Europa auf­gewachsen sind und Auskunftswissen, dann, bitte schrei­ben Sie mir doch! Ich werde Ihr Rezept, zusammen mit dem Namen seines Spenders, sobald wie möglich an die Leser weiterleiten!

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Pilze im Salz gepreßt Natürlich gibt es noch andere Formen, Pilze zu konser­vieren. Man kann zum Beispiel die rohen Pilze, grob zerschnitten oder unzerschnitten, ganz ohne Wasser in soviel Salz einlegen, daß keine Gärung oder Fäulnis auf­kommen kann. In diesem Falle muß man die Pilze aber sehr stark pressen: Luft darfes keine mehr in ihnen oder zwischen ihnen geben, sonst verderben sie. Und essen kann man solche Pilze natürlich nur, wenn man sie vor dem Kochen sehr lange wässert. Doch viel Genuß hat man von solchen zuerst einmal gründlich durchgelaug­ten und dann nicht minder gründlich ausgelaugten Pil­zen auf keinen Fall.

Dies aber, liebe Leser, müßt Ihr wissen: die Eier­schwämme aus dem Ausland, die wir in kleinen Büch­sen zu hohen Preisen kaufen, sind oft nichts anderes als solche ausgelaugte Ware!

Essigpilze

Bekannter ist bei uns und auch in Polen die Methode,

Pilze in Essig einzulegen. Man macht das so:

Die Pilze - es muß natürlich eine feste Sorte sein; in Polen nimmt man hierfür am liebsten den rosiggelben Edelreizker -, die Pilze also werden möglichst ganz ge­lassen. Man trennt nur Hut und Stiel. Ist es ein gutes Pilzjahr, dann wirft man, vor allem bei den Reizkern, die Stiele besser fort. Denn sie sind hohl und nur mit Mühe auf Maden hin zu kontrollieren. Ist es ein schlech­tes Pilzjahr, so daß man keine Pilzsubstanz verschwen­den kann und will, dann nimmt man eben auch die Stiele. Man spaltet sie der Länge nach und kontrolliert,

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so gut man kann. Kleinere Hüte läßt man unzerteilt. Die großen werden halbiert oder gevierteilt.

In Polen pflegt man nun die Pilze in kochendem Salz­wasser ein paarmal aufwallen zu lassen. Dann nimmt man sie heraus, spült sie mit kaltem Wasser sehr sauber ab und schichtet sie, abwechselnd mit kleinen ganzen Zwiebelchen oder mit Zwiebelscheiben, ferner Pfeffer­körnern, Nelken und ändern passenden Gewürzen, in Gläser, die man mit einer Mischung aus Wasser und Essig - halb zu halb genügt, noch schärfer ist nicht nötig! - auffüllt. Drei Wochen stehenlassen! Mit oder ohne ein Stück Schwarzbrot ißt man solche Pilze zu scharfein Schnaps. Es ist in vieler Hinsicht eine brillante Zusammenstellung: belebend und rezent.

Essigpilze haben den großen Vorteil, sehr schön auszu­sehen und sozusagen endlos zu halten. Sie eignen sich auch gut zum Dekorieren von Salaten. Kartoffelsalat zum Beispiel, sonst fad und farblos anzusehen, gewinnt durch aufgestreute oder als Kranz herumgelegte Essig­pilze sehr an Schönheit.

Nicht aber an Bekömmlichkeit und Wohlgeschmack! Man braucht sich da nichts vorzumachen: ein Essig­wasser, das konzentriert genug ist, den Pilz verläßlich zu konservieren, ist auch scharf genug, um Kehle, Ma­gen, Darin zu reizen.

Sterilisierte Pilze

Und da wir dauernd vom Konservieren der Pilze spre­chen, höre ich Ihre Frage: Warum nicht einfach in leichtem Salzwasser in luftdicht verschlossenen Gläsern so lange erhitzen, bis der Inhalt ganz steril ist?

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Das kann man natürlich. Nur braucht es bei Pilzen, wie bei allem, was Eiweiß enthält, sehr große Sorgfalt, sehr lange Kochzeit und einen völlig sicheren Verschluß. Sonst kann es übelste Vergiftung geben! Es fragt sich nun: Lohnt solche Prozedur bei Pilzen, die ohnehin nicht sehr gut riechen oder schmecken ? Und nur von ihnen ist ja hier die Rede! Und aus dem gleichen Grunde lohnt auch nicht das Dörren solcher Pilze. Dörren lohnt nur bei wirklich gu­ten Sorten mit fülligem und typischem Aroma.

Dörrpilze

Dörren ist mühsam. Vor allem, wenn man keinen spe­ziellen Ofen dafür hat. - Man macht es so:

Pilze, die nicht von Natur aus ziemlich fest und trocken sind, muß man in feine Scheiben schneiden. Im ändern Falle kann man ganze Hüte trocknen oder grobe Stücke. Diese Stücke muß man dann auf Packpapier, auf aus­gespanntem Mull oder auf feinein Drahtnetz schön aus­breiten. Sonne, vor allem starke Sonne, soll nicht auf die Pilze fallen. Sonst kann es leicht geschehen, daß sie nicht trocknen, sondern fast kochen und auf der Stelle faulen. Die meist sehr schwache Sonne im späten Herbst ist allerdings nicht sehr gefährlich.

Gefährlicher ist Feuchtigkeit und Nässe. Zum Pilze­trocknen braucht es trockene Luft, das ist ja klar. Die letzte Spur der Feuchtigkeit entlockt man dann den Pilzen, indem man sie noch ganz zuletzt in nächste Nä­he eines Ofens legt oder hängt.

Ich pflege die Pilze zum Trocknen gern auf Fäden auf­zureihen, je nach Sorte unzerschnitten oder auch in Scheiben.

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Und solche < Perlenschnüre > mit Pilzen hän­gen den ganzen Winter über in meinein Zimmer. Nicht in der Küche! Der Kochdampf würde die Pilze erwei­chen und verderben!

Jedoch: das Trocknen lohnt wie gesagt nur bei Sorten mit faszinierendein Aroma. Sonst hat man dürre kleine Schnitzel oder Fetzen ohne Geschmack, die kaum ver­wendbar sind. Denn mit dem Nährwert ist es bei Pilzen nicht weit her. Eiweiß enthalten sie, das stimmt. Aber ein Gutteil davon ist von Zellstoff fest umschlossen und daher unverdaulich. Aromalose Pilze sind daher - man soll sich's merken! - außer in Notzeit kaum zu brau­chen.

Dagegen lohnt das Trocknen bei Sorten mit feinem Duft nicht nur - es hebt sogar beträchtlich das Aroma. War­um - das weiß ich nicht.

Pfifferlinge

Doch merken Sie sich eins: der Pfifferling, der Eier­schwamm, zählt nicht zu diesen feinen Sorten! Man überschätzt ihn, erstens weil er nie von Maden befallen ist, zweitens weil er ein festes Fleisch hat, das auf Trans­porten mit der Bahn nicht leidet, und drittens weil er sich mit keinem Giftpilz verwechseln läßt. Das sind schon Tugenden, gewiß. Doch sie genügen nicht. Sein Fleisch ist nämlich nicht nur fest und haltbar, es ist auch zäh, sogar in frischem Zustand. Einmal gedörrt, bleibt es für immer wie ein Leder. Und viel Aroma hat es auch nicht, dies ganz im Gegensatz zum. Mönchskopf, der mit seinem zähen Fleisch doch einen wundervollen Duft verbindet.

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Stein- oder Herrenpilze

Wirklich hochfein ist von den Röhrlingen - das sind die Pilze mit einein porösen Polster unterm Hut - zuletzt doch nur der Steinpilz, nicht umsonst in Österreich der Herrenpilz genannt. Die ändern Röhrlinge - der Marronenpilz, der Birkenpilz, Rotkappe, Sandpilz und wie sie alle heißen - taugen nicht halb soviel, mögen die Pilzkochbücher sie noch so loben. Immerhin, die mei­sten Röhrlinge schmecken nicht schlecht. Für ihre Zu­bereitung wählt man am besten die der Slawen in Eu­ropas Osten.

Vermutlich werden Sie jetzt sagen: Warum slawische Rezepte ? Die Franzosen verstehen doch ganz allgemein viel mehr vom Kochen! Zudem sind sie es und nicht die Russen oder Polen, die sogar herausgefunden haben, wie man einen Pilz - den Champignon - planmäßig züchtet!

Champignonzucht in Frankreich

Die Champignonzucht ist die Erfindung der Franzosen, das ist wahr. Obzwar sie nicht die einzigen sind, die her­ausgefunden haben, wie man Pilze züchtet. Chinesen und Japaner können es schon seit Jahrtausenden. Sie züchten zwar nicht Champignons, aber gleichfalls Blätterpilze, und sogar sehr gute. - Nebenbei: Sie wis­sen doch, was Blätterpilze sind? Das sind jene Sorten, bei denen die Sporen - das sind die Samen des Pilzes -unter dem Hut in fächerförmigen Lamellen - eben in <Blättern > - sitzen und nicht in einem Polster aus schma­len Röhrchen wie beim Steinpilz. - Röhrlinge fortzu­pflanzen ist bis heute nicht gelungen. Man weiß ja –

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wir haben weiter oben schon davon berichtet - bei den meisten von ihnen nicht einmal genau, wie sie sich über­haupt vermehren.

Franzosen also haben in Europa die Champignonzucht erfunden. Folgt nun daraus, daß man in Frankreich von den Pilzen mehr versteht als im gesamten Osten ? Nein. Was daraus folgt, ist nur, daß es in Frankreich nicht so viele Pilzwälder gibt wie bei den Russen. Und über­haupt ein Klima, in welchem Pilze nicht so gut gedei­hen wie in Osteuropa. In Rußland Pilze züchten - das wäre nackter Unsinn! Sie wachsen dort in reichstem Ausmaß <wild> auf Schritt und Tritt.

Pilzrezepte Frankreichs

Allerdings nicht die Trüffel! Die gibt es nicht in regen­reichem Klima. Die aber kann bis heute niemand züch­ten. In Frankreich wachsen Trüffeln, auch in Italien und Nordafrika. Und dennoch sind im allgemeinen die Pilzrezepte Westeuropas nicht besonders lecker. Im Sü­den Frankreichs dämpft man Pilze in Öl und mit To­maten, Zwiebeln, Knoblauch. Das ist nicht schlecht. Doch bleibt vom feinen Pilzaroma dabei nicht viel übrig.

Im Norden ißt man neben dem Zuchtchampignon fast nur den Maipilz, der zwar frei wächst, dem Cham­pignon jedoch in Farbe und Gestalt sehr gleicht. Man schneidet die Champignons in Frankreich blättrig, dämpft sie in etwas Butter an, gibt etwas Salz dazu und etwas frischen Rahm. Manche träufeln ein wenig Zitro­nensaft hinein. Und sozusagen alle schütten etwas Mehl und Petersilie in die Sauce.

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Und hier eben, liebe Leser, zeigt sich, daß die Franzo­sen trotz ihrer hohen Kochtalente doch < Pilzlaien > sind. Denn Petersilie schmeckt und riecht zwar angenehm und Pilze auch. Jedes für sich genommen ist vortreff­lich. Beider Aroma jedoch hebt sich gegenseitig nicht, ergänzt sich nicht — es stört sich höchstens und hebt sich gegenseitig auf! Was also soll die Mischung ?

Und was noch schlimmer ist: mitunter fügen die Fran­zosen bei Pilzgerichten nicht nur die kleine Prise Mehl zum Rahm, die auch schon überflüssig ist, sondern, um gleich den ganzen Rahm zu sparen, dünsten sie ihre Champignons einfach in einer Tunke aus Mehl und Milch und Fett! Die Tunke wird nicht besser und nicht delikater, wenn man sie schönklingend < Sauce Bechamel> benennt.

Pilze osteuropäisch zubereitet

Und nun frage ich Sie: Ist nicht zehnmal besser das, was die Polen und die Russen tun ? Sie schneiden Zwiebeln klein, schütten sie in die Kasserolle zu zerlassener But­ter, lassen eine Weile dämpfen, auf kleiner Flamme. Denn bräunlich darf die Zwiebel für das Pilzgericht nicht werden. Höchstens blaßgelb. Dann kommen die Steinpilze hinein, in Scheibchen geschnitten. Hat man darunter ältere Exemplare, dann entfernt man vielleicht die allzu schwammig gewordene Röhrenschicht unter dem Pilzhut. Denn mag dies auch der eiweißhaltigste Teil des Pilzes sein — zu alte und weiche Röhrchen sind schwer zu säubern oder nach Maden und ändern Schmarotzern zu durchsuchen.

Die Scheibchen kommen also zu den gedämpften Zwiebeln

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in den Topf. Schwach salzen. Zudecken und schmoren lassen. In einer Viertelstunde höchstens sind die Pilze gar. Jetzt ein paar Löffel Sauerrahm hinein! Aber bitte, wirklich sauren, nicht süßen, frischen!

Sauerrahm

Eine andere Frage ist es, wie Sie sich Sauerrahm ver­schaffen wollen. Denn vielenorts erhält man Rahm nur noch pasteurisiert und <süß>. Läßt man ihn ein paar Tage stehen, dann wird er folglich nicht mehr, wie der rohe, sauer, sondern schlecht und bitter.

Oder wollen Sie versuchen, die Rahmschicht von der rohen Milch zu schöpfen und dann durch Stehenlassen in der Wärme anzusäuern? Seit aber nicht mehr der bäuerliche Milchmann uns mit Milch beliefert, sondern die Molkerei, kann ich die Milch solange stehenlassen, wie ich will — es bildet sich da keine Rahmschicht! Und außerdem wird Molkereimilch —jedenfalls die, die ich bekomme - überhaupt nicht sauer, auch nicht nach vie­len Tagen. Läßt man sie lange stehen, dann fängt sie schließlich an zu bullern und zu brodeln, riecht erst alkoholisch und dann faulig. Welche Methoden der modernen Milchbehandlung in den Molkereien der Grund sind für solch anormales Milchverhalten - das weiß ich nicht.

Man hat mir nun gesagt, daß es an vielen Orten Sauer­rahm zu kaufen gibt. Aber bekommt man in den Läden wirklich Rahm von roher Sauermilch und nicht von Joghurt, der aus gekochter Milch bereitet und mit Hilfe bestimmter Stoße und Bakterien künstlich angesäuert wird ? Ich weiß es nicht.

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Auf jeden Fall: vollendet schmecken Pilze nur in rohem Sauerrahm. Haben Sie keinen, und haben Sie keine Bauernmilch, aus der er sich bereiten läßt, dann neh­men Sie eben den gekauften, auf welchem Wege er auch gesäuert worden sein mag! Und gibt es an dem Orte, wo Sie wohnen, auch diesen nicht, dann bleibt nichts übrig, als süßen Rahm zu nehmen und dazu ein paar Tropfen Zitronensaft. Nur: all das ist Ersatz und nicht das Rechte!

Zu einem solchen Pilzgericht gehört, wenn Sie es in der < orthodoxen > Form genießen wollen, Schwarzbrot aus Sauerteig mit frischer Butter. Und essen tut man solche Pilze stets mit Löffeln, nie mit Gabeln! An solche Herrenpilze in Sauerrahm knüpft sich in un­serer Familie eine Anekdote:

Der < pilzvergiftete > Kosakenoffizier

Das war im Ersten Weltkrieg, im Jahre 1915. Meine Großeltern lebten damals in Zölkiew, einer wunder­schönen kleinen Stadt mit altem Königsschloß, nicht weit von Lemberg. Der Ort gehörte zwar zur alten Donaumonarchie, war aber jetzt, im Kriege, besetzt von Russen. Der Großvater wohnte in einer komfor­tablen Villa und bekam daher als Einquartierung den Kommandanten, einen adligen Russen von Bildung und Kultur. Man war sehr glücklich, ihn im Hause zu haben. Denn durch seine Gegenwart war man vor rohen Übergriffen durch gewöhnliche Soldaten restlos ge­schützt.

Nicht geschützt war man jedoch vor Mißverständnis­sen.

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Eines Abends kam der Kommandant nach seinem Abendessen im Casino früh nach Hause. Um in sein Zimmer zu gelangen, mußte er durch den Eßraum der Familie gehen, die eben bei der Mahlzeit saß. Er grüßte höflich - und blieb plötzlich mit witternden Nüstern und aufleuchtenden Augen stehen: er hatte Steinpilze in Sauerrahm gerochen! Sehr artig bat er, man möchte ihm doch einen Teller voll in seinen Raum hinüber­schicken. Natürlich wurde ihm der Wunsch erfüllt. Es schmeckte ihm. Der Diener kam und bat für seinen Herrn um einen zweiten vollen Teller, dann um einen dritten...

Mitten in der Nacht erwachte der Offizier mit starkem Bauchweh. Durch seinen Diener ließ er den Großvater wecken und ihm sagen, daß, falls man ihn vergiftet hätte und er an der Vergiftung stürbe, am nächsten Morgen die ganze Familie erschossen würde. Es wurde für die Meinen eine schwere Nacht. Das Pilz­gericht war giftfrei und frisch gewesen - das war sicher. Frei von Pilzgift sowohl wie erst recht von ändern Gif­ten. Aber wußte man denn, wo und was der Komman­dant zuvor an ändern Orten in der Stadt gegessen hatte ? Und war es nicht auch möglich, daß er, ganz unabhän­gig von jedem Gift, von einer Todeskrankheit befallen worden war ? Wie sollte es dann gelingen, die Unschuld der Gastgeber nachzuweisen ?

Am ändern Morgen war der Offizier wieder vollkom­men frisch und munter.

Am Abend kam er, heiter und freundlich wie immer, wieder herein und wollte wieder einen Teller Pilze. Da aber wurde die Großmutter, sonst ein Engel an Gü­te, streng und böse und sagte: «Nein!»

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Warum erzähle ich Ihnen diese Anekdote ? Um Ihnen klarzumachen, wie ungemein verlockend die Herren­pilze in solcher Zubereitung duften und auch schmecken. Glauben Sie mir: nie wäre dies passiert mit Cham­pignons in Mehl und Petersilie!

Steinpilze in Gerstensuppe

Dies - also mit etwas Zwiebeln und in Sauerrahm - ist die feinste Form, den königlichsten aller Pilze, den Steinpilz, zu bereiten. Am zweitfeinsten schmeckt der Pilz in der Gerstensuppe. Man macht sie so:

Zerschnittene Zwiebeln und Pilze werden mit dem nö­tigen Quantum Gerste in etwas Butter sachte angedün­stet. Dann kommt das Wasser und ein wenig Salz hinzu. Und das ist alles. Langsam und lange kochen lassen, auf kleiner Flamme.

Zuletzt in jeden Suppenteller auf die Suppe ein kleines Stücklein frische Butter legen. Und wieder essen Sie eine Scheibe Schwarzbrot aus Sauerteig dazu, mit etwas fri­scher Butter, genau wie zu den Pilzen im Sauerrahm. Nachher vielleicht ein wenig Obst der Jahreszeit - Äpfel und Birnen oder Pflaumen also, und Sie haben wun­dervoll genachtmahlt.

Pilzmischgerichte mit Tomaten Ein Tip noch, für den Fall, daß Sie ein Mischgericht aus ganz kommunen Pilzsorten bereiten wollen, für die der Rahm Sie reut:

Dämpfen Sie in einem guten Fett oder Öl die Pilze mit zerschnittenen Zwiebeln zusammen etwas an, und fügen

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Sie etliche kleingeschnittene Tomaten bei. Womög­lich abgeschälte. Legt man die Tomaten einen Augen­blick in kochendheißes Wasser, dann läßt die Haut sich - wenn die Früchte reif sind - in der Regel leicht abzie­hen. Haben Sie nicht die nötige Geduld hierfür, oder ist die Zeit zu knapp, dann kommt die Schale eben mit hinein. Sie wird sich zwar unvermeidlich von den Früch­ten lösen und kleine, harte, papieren schmeckende Röll­chen bilden. Aber in einem derben Gericht nimmt man das schon in Kauf.

Pilzpasteten

Ich weiß, es gibt unendlich viele und komplizierte Pilz­gerichte. Von den mikroskopisch kleinen Trüffelstück­lein, die man bestimmten Fleischspeisen und Pasteten­massen beifügt, soll hier nicht die Rede sein: da sind die Pilze nicht ein Gericht für sich, sondern nur Würze. Aber es gilt zum Beispiel als Delikatesse, Pilze in weißer Sauce in Blätterteigpastetchen einzufüllen. Das ist nicht schlecht. Doch wenn Sie mich fragen: mir schmecken die Pilze besser ohne Blätterteig, nur mit ein wenig schwarzem Brot dazu.

Pilztoastbrötchen

Als hochfein gelten auch Scheiben von Toastbrot oder Zwieback, bestrichen mit Pilzen in dicker weißer Sauce und im Ofen bräunlich überbacken. Viele schwärmen für das Gericht.

Doch gilt im Grunde von Pilztoastscheiben dasselbe wie von Pilzpasteten: die Pilze schmecken besser ohne Toast,

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einfach in Sauerrahm bereitet. Der dicke Klei­ster, der nötig ist, damit die Pilze auf den Brötchen klebenbleiben, ist überflüssig und nicht delikat. Und außerdem erfordert das Gericht viel Arbeit.

Pilzklopse

Deutsche Pilzbücher empfehlen auch häufig Klopse aus Pilzen. Man macht sie so: Feinzerhackte rohe Pilze und kleingeschnittene Zwie­beln werden mit eingeweichter und ausgedrückter Sem­mel oder mit Semmelmehl zusammen gut vermischt, mit Salz und Pfeffer kräftig abgeschmeckt, mit etwas Ei gebunden. Aus der Mischung formt man mit feuchten Händen Kugeln oder dicke Plätzchen, die man in Mehl oder in Semmelbröseln wälzt und dann im heißen Fett knusprig herausbäckt. Das ist nicht übel, aber ich würde meinen: warten wir damit bis zur nächsten Hungersnot - möge sie nie mehr kommen!

Sie werden vielleicht einwenden, daß wir dann, in der Hungersnot, auch keine Eier haben werden, um die Masse zur Einheit zu < binden >? Nun - dann binden wir eben mit gekochtem Mehlpapp! Es macht bei sol­chen Klopsen für den Geschmack und Endeffekt kaum einen Unterschied.

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WO FINDE ICH REINES ROGGENBROT?

Immer wieder schreibe ich: Nehmt zu den Pilzen oder -das kommt noch später! - zu den Sauergurken ein Stück Schwarzbrot, und ich meine damit immer: reines Rog­genbrot aus Sauerteig. Bloß: wo bekommt man solches Brot jetzt noch bei uns im Westen ? Wer von den jungen Leuten westlich vom Eisenvorhang weiß überhaupt noch, wie es schmeckt ?

Schwarzbrot bei Leo Tolstoj. Letzthin ist mir beim Abstauben von Büchern ein Band Tolstoj auf den Kopf gefallen. Da hatte ich mit einen Male genug. Nicht von Tolstoj natürlich, sondern vom Abstauben. Ich habe mich hingesetzt und in dem Buch geblättert. Und dabei bin ich auf eine Stelle gestoßen, wo ein sehr tugendhafter Mann sich über seines leicht­sinnigen Schwagers Affären mit Ballettmädchen auf­hält. «Du hast doch eine reizende Frau », sagt er zu ihm. «Du kommst mir vor wie einer, der nach einer reichen Luxusmahlzeit noch in eine Bäckerei einbricht, um ein gewöhnliches Brot zu stehlen.» - «Warum nicht ?» entgegnet der Taugenichts mit leuchtenden Augen, «so ein duftendes frisches Brot!»

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Brot in Amerika

Da habe ich mir überlegt, ob ein Amerikaner diese Stelle begreifen kann. Haben Sie je schon den hygienisch ver­packten, knochenblassen Schwammgummi gegessen, den man drüben als <Brot> verkauft? Einem solchen Brot zuliebe bricht einer erst ein, wenn er vor Hunger den Verstand verloren hat. Die Stelle bei Tolstoj kann nur verstehen, wer in seiner Jugend echtes, gesäuertes, schweres Brot aus reinem Roggen gegessen hat. Wenn man dann noch ein Stück frische Maibutter dazu hätte nicht pasteurisiert, nicht aus dem Kühlschrank, sondern aus roher, leicht angesäuerter Sahne -: für eine solche Mahlzeit schenkte ich Ihnen gern alle Langusten und allen Kaviar der Welt. Obwohl wer allzu schnell zu Geld gekommen ist mich nicht verstehen wird: denn schwarzes Brot mit Butter ist ja billig!

Brot in Italien

Bloß - wo bekommt man noch im mittleren und west­lichen Europa solches unvermischtes dunkles Roggen­brot aus Sauerteig ? In Frankreich und Italien braucht man gar nicht erst zu suchen. Romanen essen nur Brot aus weißem Mehl. In Italien geschieht es vermutlich aus Gründen der kulinarischen Harmonie: der Italiener ißt ja sein Brot nicht zu Butter und Konfitüre, sondern zu scharfen Würsten - Salami oder Mortadella -, zu Sardinen, Sardellen oder Käse. Zu alledem paßt kaum das herbe dunkle Brot.

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Brot im Zuchthaus auf Sizilien Eine Wiener Journalistin erzählt in einem ihrer Bücher sehr erheiternd von ihrer Jagd nach schwarzem Brot in ganz Italien. Sie wäre unverrichteter Dinge heimge­kehrt, hätte sie nicht zugleich nach einem berühmten Banditen - ich weiß nicht mehr, ob auf Korsika oder Sizilien -Jagd gemacht im Auftrag ihrer Zeitung. Das mißverstand die Polizei der Gegend aus irgendeinem Grunde und steckte die Journalistin ins Gefängnis. Hier fand sie zwar nicht den Bergbanditen, den sie suchte, wohl aber schwarzes Brot! Vermutlich ohne scharfe Beikost in Form von Mortadella, Salami und Sardellen, so daß sie es voll genießen konnte.

Brot in Frankreich

In Frankreich aber ist der Grund, warum man schwar­zes Brot nicht essen will, nicht kulinarisch, sondern rein sozial: bis zur < Grande Revolution) aß nur der Adel weißes Brot. Der Bauer war sehr arm und meist schon froh, wenn er vom schwarzen nicht zuwenig hatte. Und oft enthielt das Brot des Bauern nicht nur dunkle Kleie, sondern auch Sand und Erde, die der Müller beigab. So rundete er nämlich gerne seinen Mahllohn auf, der nicht in Geld, sondern in einein festgesetzten Anteil an dem Mehl bestand. Dem Bauern jedoch war es bei ho­her Strafe untersagt, selber zu mahlen, was er geerntet hatte.

Dunkel ist aber nicht nur die schmutzige Mischung aus Weizen, Sand und Kleie; dunkel ist auch der herrlich duftende Roggen. So kommt es, daß die Franzosen, dies kulinarisch so hochbegabte Volk, aus rein politischen

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und sozialen, nicht mehr aktuellen Gründen, einzig der Farbe wegen, bis heute nur schneeweißes Brot genießen. Und dabei haben sie schon längst keine Ahnung mehr von den Zusammenhängen, die noch jetzt, nach hundertfünfzig Jahren, ihren Brotgeschmack bestimmen! Roggenbrot, und gar schon bäuerliches, nicht mit Hefe, sondern mit Sauerteig gelockertes, wird man im ganzen Lande wohl vergeblich suchen.

Brot in der Schweiz

Aber auch in der Ostschweiz, wo ich wohne, findet man nirgends reines Roggenbrot aus Sauerteig. Zwar gibt es Bäcker, die behaupten, solches Brot zu führen. Eilt man dann hin, dann sieht man: das Brot ist ziemlich hell und riecht kaum sauer. Und fragt man nach dem Grund, dann sagt der Bäcker: « Roggen allein ist viel zu dunkel, viel zu schwer! Und Sauerteig allein schmeckt viel zu expressiv. Es wird daher gemischt, mit Hefeteig und Weizen.» - In welchem Verhältnis? Ich möchte mei­nen: etwa eine Taube auf ein Pferd.

Die Bäckergesellen und der Sauerteig

Da blieb, so fand ich, nichts übrig, als allein zu backen. Ich habe also in einem Dutzend dicker Kochbücher nachgeschlagen, wie man Sauerteig bereitet. Glauben Sie, auch nur ein einziges gab klare Auskunft ? Da stand nur immer: « Man nehme eine Handvoll Sauerteig!» -Ja, aber eben: woher nehmen und nicht stehlen ? Und selbst, wenn ich es stehlen wollte - ich wüßte ja nicht, wo!

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Also begann ich, Bäckergesellen auszufragen. Zuerst zwei Hiesige. Die waren gleich beleidigt. Sie meinten, mit Sauerteig backe doch heute niemand mehr! Man backe nur mit Hefe!

Der dritte Gesell kam aus Berlin. Er kannte Sauerteig. «Sauerteig», sagte er, «beziehen die Berliner Bäcker täglich frisch aus der Fabrik.» - Er selber hatte keine Ahnung, wie Sauerteig entsteht. - Und so ein Mann wollte nun also Bäcker werden! Er gestand mir aber, daß er demnächst mit dem Backen aufhören und Tram­schaffner werden wolle. Das hat mich beruhigt.

Arthur Koestler als Koch

Nun überlegte ich, ob ich vielleicht an den bekannten Exkommunisten Arthur Koestler schreiben sollte. In seinen Memoiren erzählt er nämlich, auf seiner Ruß­landreise hätte er solches schwarzes, saures Brot zum erstenmal gegessen - es dufte und schmecke berau­schend, unvergeßlich.

Dann aber las ich in seinem Buche weiter und stieß da­bei auf eine Stelle, wo er seine eigene Kochkunst ganz ausführlich schildert. Während des Krieges hat er näm­lich als armer Emigrant in einem Heim für deutsche Flüchtlingskinder in Paris gekocht. Abwechselnd nahm er Reis oder Grieß, rührte Zucker und Kakao hinein und kochte das Gemisch mit sehr viel Wasser so lange, bis es zu einer qualligen Gallerte wurde. Die Kinder wunderten sich sehr und nannten die Speise schließlich nach ihrem Schöpfer < Koestler >.

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Brot in England

Das alles klang nicht, als verstünde Koestler viel vom Backen. Obendrein hat er bekanntlich etliche Jahre nach seiner Rußlandreise seine politischen Sympathien radikal gewechselt. Neuerdings schwärmt er nicht mehr für Volk und Politik von Rußland, sondern für Eng­land. Am Ende mag er da auch nicht mehr Roggenbrot aus Sauerteig, sondern nur noch den engelhaft weißen, elastischen Schwamm aus Weizen und Backpulver, der in England als Brot verkauft wird und der auch in Ame­rika längst den dunkeln Sauerteig aus Roggen ver­drängt hat ?

Brot im Baltikum

Schließlich kam mir in den Sinn, daß ich eine Dame aus dem Nordosten Europas kenne, aus einer Gegend, wo Füchse und Wölfe einander gute Nacht sagen. Sie ist auf einem Gutshof aufgewachsen. Sollte sie wirklich nie gesehen haben, wie man dort solches Urbrot bäckt? Und vielleicht hatte sie aus dem Debakel der letzten Kriegsjahre doch noch das eine oder andere von zu Hause gerettet ? Vielleicht auch einen Teil der väter­lichen Bibliothek ? Und vielleicht war da ein Kochbuch aus dem Baltikum darunter ? Oder vielleicht besaß sie Notizen eines Bäckers oder Kochs vorn Gute - sofern das Küchenpersonal dort nicht analphabetisch war? Und also schrieb ich ihr. Nach drei Tagen war die Ant­wort da, aus der ich einen Ausschnitt wiedergebe:

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Sauerteig im neunzehnten Jahrhundert

«... Zunächst aus einem Kochbuch von 1895. Ein we­nig südgermännischer, sentimental-dramatischer Stil. Aber Sie werden sehen, daß das Vorteile hat, da noch etwas von den Ängsten des Backenden, seinen Gefühlen und Geruchsempfindungen mit eingefangen ist:

Man nimmt Roggen- oder Weizenmehl und vermengt es mit soviel Wasser, daß man einen steifen Brei erhält, welchen man zugedeckt an einem warmen Orte auf­bewahrt. Nach 3 Tagen geht dieser Brei in Säuerung über, wirft Blasen auf und riecht angenehm säuerlich. Nach späteren 3 Tagen riecht der Teig spirituös [was das ist, werden Sie ja merken], und nach weiteren 2 Ta­gen nimmt er wieder den säuerlichen Geruch an.

Jetzt ist die Zeit eingetreten, wo der Sauerteig ver­braucht werden muß. Bei einem weiteren Aufbewahren würden sich alle Stoffe zersetzen und der Teig in Fäul­nis übergehen. Guter Sauerteig muß einen scharfen, weinsäuerlichen Geruch haben, elastisch sein und auf dem Wasser schwimmen.

[Hier folgt eine Moral über das Brot]» - so steht es in dem Brief, in Klammern. Die Moral selber steht leider nicht im Briefe drin. Wir fahren also weiter:

«Um gutes Brot zu backen, muß das zu dem Brotteig verwandte Mehl von bester Beschaffenheit sein. Es muß trocken sein, so daß 100 Gewichtsteile gutes Mehl un­gefähr 65 bis 75 Gewichtsteile Wasser erfordern.

12 Stunden vor dem Backen schüttet man das durch­gewärmte Roggenmehl, sagen wir 25 Pfund, in die er­wärmte hölzerne Backmulde und säuert den Teig an, indem man in der Mitte des Mehls eine Höhlung macht, in welche man lauwarmes Wasser und ein Stück Sauerteig im

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Gewicht von 300 Gramm gibt. Nun bildet man von dem Wasser, vom Sauerteig und der Hälfte des Mehls einen steifen Brei [6 Liter Wasser ungefähr], in welchem der Sauerteig durch dauerndes Kneten gleich­mäßig verteilt werden muß. Nachdem dies geschehen, bestreut man den Teig mit Mehl, stellt ihn in einen mäßig erwärmten Raum und deckt ihn mit erwärmten Decken zu, damit die Gärung, welche Wärme fordert, ihren Anfang nehmen kann.

Am folgenden Morgen, etwa 2 Stunden vor dem Backen, beginnt man mit dem Kneten von Neuem, indem man den gegorenen Teig mit der ändern Hälfte des Mehls, etwas lauwarmem Wasser [2,5 Liter] und etwas Salz mit den Knöcheln der Fäuste zu einem bindenden, zu­sammenhaltenden Teige durcharbeitet, welchen man, mit Mehl bestreut, 2 Stunden ruhen läßt... [Dann] Brote formen, welche man noch eine kurze Zeit warm­stellt und dann in dem wohldurchheizten Ofen [150 bis 200 Grad Celsius] 2 Stunden backen läßt...»

Der gleiche Brief enthielt auch ein Rezept aus einem neueren Kochbuch:

Sauerteig aus dem zwanzigsten Jahrhundert

« Sauerteigherstellung:

2 gehäufte Eßlöffel Roggenmehl werden mit etwas kal­tem Wasser und i Teelöffel Kümmel in einem Steingut­oder Porzellantopf zu einem dicken Brei verrührt, den man mit Wasser bedeckt und etwa 3 bis 6 Tage lang in Zimmertemperatur stehenläßt. Dann ist der Sauerteig gebrauchsfähig.

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Man gießt soviel Wasser ab, bis man einen Brei erhält, den man dem Brotteig zusetzt. Bäckt man häufiger Brot, so behält man von dem ver­kneteten Brotteig i gehäuften Eßlöffel zurück, auf den man Wasser füllt, bis er reichlich bedeckt ist. Dieser Sauerteig hält sich bis zu 8 Tagen. Die Haut, die sich oben bildet, nimmt man ab. Roggenbrot aus Sauerteig:

2,5 Kilo Roggenmehl

2 Eßlöffel Salz, 1 gestrichener Eßlöffel Kümmel [nach Belieben]

1 Liter lauwarmes Wasser zirka 3 bis 4 Eßlöffel Sauerteig. Der Teig wird mehrere Stunden vor dem Backen an­gesetzt, also am besten am Abend zuvor. Das macht man so: Das Mehl wird mit den Gewürzen in einer gro­ßen Schüssel gemischt. In der Mitte macht man eine Vertiefung, gibt den Sauerteig hinein und rührt ihn zu­nächst mit 1 Liter lauwarmem Wasser an. Über den an­gerührten Teig streut man Mehl und läßt ihn an einem zugfreien, warmen Ort zugedeckt stehen. Am ändern Tage nochmalige Verarbeitung, indem man den Teig mit geballten Fäusten in der Schüssel durchknetet. Nur wenn unbedingt nötig, fügt man noch Wasser zu. Der Teig muß geschmeidig werden, sich von der Schüssel und von den Händen lösen und beim Durcharbeiten unbedingt glucksende Töne abgeben, was nach 15 bis 20 Minuten eintreten kann. Die Hände werden mehrmals mit lauwarmem Wasser angefeuchtet, um den Teig dann wieder durchzuarbeiten. Nun formt man eine glatte Teigkugel, indem man die Hände in lau­warmes Wasser taucht und immer wieder darüber

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streicht. Die Teigkugel läßt man 1 bis 1,5 Stunden in der Schüssel gehen. Danach nimmt man den Teig im Ganzen heraus, bringt die untere Seite nach oben und streicht sie ebenfalls mit den Händen und lauwarmem Wasser glatt. Man formt ein Brot, das keine Risse haben darf und obenauf nach Belieben verziert wird. Man legt es auf ein mit Wasser abgespültes oder bemehltes Blech und läßt es 0,5 Stunde ruhen. Sollte es etwas aus­einandergehen, so schiebt man es nochmals zusammen. Mit einer Gabel oder einem Hölzchen sticht man mehr­mals in den Teig hinein, um dadurch ein Platzen des Brotes zu verhüten.

Inzwischen wird der Backofen vorgeheizt, das Brot auf die untere Schiene geschoben und gebacken. Nach dem Ausschalten [wir haben es also mit einem Gas- oder elektrischen Ofen zu tun!] und Herausnehmen be­streicht man die Oberfläche mit kaltem Wasser, damit sie glänzt. [Vorheizen 25 Minuten bei elektrischem Ofen, Backzeit 60 Minuten. Wrasenschieber (= Dampf­abzug) öffnen, wenn das Brot 10 Minuten gebacken hat.] ...»

Sauerteigprobleme im modernen Haushalt

Soweit die Kochbuchangaben. Man sieht, sie sind so de­tailliert, daß nach ihnen am Ende sogar Arthur Koestler es zustande brächte, tadellos gesäuertes Roggenbrot zu backen!

Wenn Sie aber glauben, daß ich selber mir jetzt welches backe, dann irren Sie! Denn erstens habe ich bei keinem Bäcker und in keinem Laden reines Roggenmehl erhalten können.

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Und zweitens steht doch da: «Die Mi­schung für den Sauerteig muß bis zu 6 Tagen in der Wärme stehen, bis sie ganz durchgegoren ist.» Wie aber soll ich das zustande bringen bei den kühlen Sommern, die wir häufig haben ? Und im Winter ist die Heizung in unserm Hause bei Nacht nicht eingeschaltet! Um solches Brot zu backen, braucht man offenbar die heißen Sommer Osteuropas und im Winter die riesigen, ständig ein wenig warmen Ziegelherde der östlichen Bauernhütten!

Der unsterbliche Sauerteig

Ich habe übrigens gehört, daß in solchen Dörfern kein Mensch sich je die Mühe nimmt, Sauerteig selber an­zusetzen. Man holt sich jeweils ein Stücklein von dem Nachbarn, der zuletzt gebacken hat. Wenn also nicht durch Krieg und Pestilenz das Dorf zeitweise völlig ausgestorben war, dann ist es möglich, daß in einem Brot, das jene heute essen, noch Teile eines Teiges aus den Zeiten Barbarossas enthalten sind!

Roggenbrot nach der russischen Revolution

Wenn zufällig ein Bäcker aus dem Nordosten oder Osten Europas diese Zeilen liest, dann möge er mir doch verraten: wie vermeidet man, daß Roggenbrot so her­auskommt wie kurz nach der großen Revolution in Ruß­land? Soschtschenko berichtet in einer seiner heiter­spöttischen Skizzen, es wäre in jener Zeit lebensgefähr­lich oder auch unmöglich gewesen, frisches Brot zu essen.

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Roggenbrot war damals eine Art von dunkelbrau­nem Klebemittel. Legte man es aber für ein paar Wo­chen auf den Ofen und hackte dann mit einem Beil klei­nere Splitter vom Brotlaib ab, dann waren sie durchaus verdaulich. So sagt Soschtschenko. Doch teilt er uns nicht mit, warum das Brot auf diese Art mißriet. Ich nehme an: es bestand aus allem möglichen, aber wohl kaum aus Roggen ?

Brot im englischen Gefängnis

Gesäuertes dunkles Brot ist, wie gesagt, das weitaus beste. Das zweitbeste ist Brot aus Hefeteig. - Gibt es denn überhaupt noch eine dritte Sorte ? werden Laien fragen.

Es gibt. Die Angelsachsen nehmen oft Backpulver statt der Hefe. Es vereinfacht erheblich die Prozedur. Man braucht keinen Vorteig anzurühren, nicht warmzustel­len, nicht mehrfach aufgehen lassen und die Zugluft fürchten. Das alles stimmt. Allein: was ist das für ein Brot!

Ich erinnere mich an eine Episode, die ein englischer Politiker berichtet. In der Hitze des Wahlkampfes hatte er den Gegenkandidaten schwer beleidigt. Die vom Ge­richt verhängte Geldbuße weigerte er sich zu zahlen. Er zog es vor, die Strafe abzusitzen. Vielleicht zum Spaß, vielleicht auch, weil er sich davon den größern Wahlerfolg versprach.

Und im Gefängnis wollte er nichts essen als die Kost, die auch die anderen bekamen. Sie schien ihm, rein dem Quantum nach, auch zu genügen. Doch schon am zweiten Tage empfand er solchen Hunger, daß er sich auf den

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schmutzigen Steinboden legte, um eventuelle Krümel vom Vortag aufzulecken.

Entlassen, ging er auf der Stelle der Frage nach, warum er denn bei solchen Nahrungsmengen so gehungert hatte. Und er fand heraus: die Kost der Gefangenen bestand zum großen Teil aus Brot. Die Quantität des Brotes war vor über hundert Jahren in einer Verord­nung festgelegt worden. Da England ein konservatives Land ist, hatte man die Verordnung und folglich Quan­tität nie abgeändert.

Geändert hatte sich jedoch inzwischen die Qualität des Brotes. Statt Roggen oder Weizen samt der Kleie war es jetzt überfeiner Weizenpuder, mehrfach gesiebt, che­misch gebleicht und dann mit Natron, Soda und was weiß ich aufgelockert statt mit Hefe oder Sauerteig. Bei solchem Brot kann man, obwohl es rein an Kalorien reicher ist als das vor hundert Jahren, krank werden, hungern und verhungern,

Brot in Pastellfarben

In einer Zeitschrift aus Amerika habe ich gelesen, Brot könne man dort jetzt auch in vielen hübschen Farben haben, passend zum Tischtuch und Geschirr: himmel­blau, rosa, hellgrün oder lila. Ob sich die Mode halten wird, das weiß ich nicht. Eins aber weiß ich: ob kno­chenblaß gebleicht oder pastellen gefärbt - es macht schon kaum mehr einen Unterschied!

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SÄURE, DIE ICH LIEBE

Sauerkraut

Gesäuertes Brot ist, wie gesagt, das beste. Das Säuern aber ist ganz allgemein ein wenig aus der Mode ge­kommen. Wer ißt denn heute noch das früher im Win­ter so beliebte Sauerkraut ein- oder zweimal in der Wo­che ? Zwar: der Geruch ist penetrant und setzt sich rasch in allen Wänden fest, ist kaum mehr zu vertreiben. Aber zu etwas fettem und vor allem eingesalzenem Fleisch ist Sauerkraut das Ideale.

Bloß: auch solches Fleisch ist nicht mehr Mode. Nun — es wird schon wieder in die Mode kommen! Welch hohe gesellschaftlich-kulinarische Schätzung dem Sauerkraut früher einmal zuteil wurde, mag Ihnen aber das nachfolgende alte Rezept beweisen:

Sauerkraut mit Champagner [Ghoucroute au Champagne]

Wir kennen Sauerkraut als ein billiges, volkstümliches Gericht. Es gibt aber im Elsaß eine Variante, die alles andere als billig ist. Eine Abschrift des Rezeptes hat sich einer in den Hungerjahren in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zur Erbauung an die Wand über das Bett geheftet. Der Text lautet so:

«Zu 4 bis 5 Pfund Sauerkraut nimmt man 0,5 Pfund Ochsennierenfett, fügt eine Bouteille Champagner hin­zu und läßt auf gelindem Feuer 3 bis 4 Stunden brodeln.

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Nachdem die Mischung etwa 1,5 Stunden gekocht hat, tut man je zwischen eine Schicht Sauerkraut etwas Schweinsohren und Rippchen, schwach gesalzen, und läßt dieselben bis zum Ende mitkochen. Natürlich hat man sehr darauf zu achten, daß das Feuer stets gelinde unterhalten wird und das herrliche Gericht nicht anbrennt...»

Eines Tages aber betrat ein Gast, Sproß einer Hambur­ger Patrizierfamilie, das Zimmer, las das Rezept und er­klärte :« Das ist noch gar nichts! In den privaten Küchen­notizen meiner Großmutter steht geschrieben: < Sauer­kraut bereitet man mit französischein Champagner. Hat man den zufällig nicht zur Hand, tut es auch wei­ßer Burgunder. Ganz arme Leute nehmen Moselwein.. .>»

Wie das Sauerkraut entsteht, brauchen wir hier nicht zu erklären. Denn wer im eigenen Garten Kohl anbaut, der weiß es seit der Kindheit. Familien, in denen das Einsäuern von Kraut seit Generationen üblich ist, be­wahren mitunter die Gewohnheit auch dann noch, wenn sie in die Stadt gezogen sind. Meist aber kauft der Städter sein Sauerkraut im Laden.

Zwar ist es nicht mehr jenes, das er in seiner Kindheit auf dem Lande aß. Statt der natürlichen Säuerung durch Salz, in schwacher Lauge, gibt es da heute diverse Kunstverfahren, die durch die Bank weit weniger be­kömmlich sind. Dennoch werden nicht viele in der Stadt den knappen Platz in der modernen Wohnung mit ei­nem Faß voll Sauerkraut belegen können oder wollen. Schon der Geruch verbietet es.

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Anders ist das bei Sauergurken aus dem Salz. Erstens bekommt man sie nicht überall. Und zweitens sind die Sauergurken kein Gemüse, sondern nur eine kleine, würzende Beilage zu Fleisch und Brot. Da genügen, statt eines ganzen Fasses, schon ein paar hohe Gläser oder Steinguttöpfe.

Salzgurken aus dem Laden

Salzgurken - höre ich Sie protestieren - bekomme ich doch ebenfalls an jedem Ort der Welt im Laden! Stück­weise, büchsenweise oder auch in einein Säcklein aus Cellophan! - Das ist wahr. Doch sind es in Städten ohne < Ostvertriebene > niemals die rechten Gurken. Sie sind, im Gegensatz zu allem Salzgesäuerten, steril und endlos haltbar, schwimmen in einer glasklaren Flüssigkeit -die Lauge echter Salzgurken dagegen ist immer trüb und undurchsichtig. Den Gurken aus dem Laden ist eben Bikarbonat oder sonst eine konservierende Chemikalie beigesetzt.

Essiggurken und Essigprobleme

Oder es sind die sogenannten Essiggurken. Hier konser­viert der scharfe Essig ganz allein, ohne Bikarbonat. Ist es noch echter Weinessig, wie im Süden, dann mag es angehen. Solcher Essig ätzt nicht, ist bekömmlich - ist aber genausowenig steril wie der Wein, aus dem er stammt. Essiggurken in solchem lebendigen, milden Essig können also mit der Zeit verderben. Voll steril ist nur der Essig aus reinen Chemikalien. Und hier nun möchte ich meinen: ob mit Bikarbonat

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oder mit chemischem Essig - alles, was so total steril gemacht ist, daß es sich unverschlossen ewig unverändert hält, das ist der lebenden, der wandelbaren, der verderb­lichen Urform der Nährsubstanz zu sehr entfremdet, als daß es unserm Körper, der doch gleichfalls lebt, als Nahrung völlig adäquat sein könnte. In sehr viel Zucker Konserviertes bildet vielleicht, spärlich genossen, die Ausnahme von der Regel: es hält fast unbegrenzt und ist, vorausgesetzt, man läßt sich nicht zu Riesen­quantitäten verlocken, sicher nicht schädlich. Und zu­dem schmeckt es herrlich: Fruchtpasten, Konfitüren, Gelees und Marmeladen.

Sterile Kompotte

Bei den Kompotten jedoch ist die Sache nicht so ein­fach. Man kann sich streiten, ob für die Dauer Konser­viertes, luftdicht Verschlossenes wirklich gleich gut schmeckt wie frisch Gekochtes. Es wird behauptet. Ich möchte dennoch sagen: Nein. Doch was man selber auf diese Weise einmacht, das ist in jedem Fall doch be­kömmlich. Es geschieht ja nur durch langes Kochen und durch Luftausschluß. Die Folge ist, daß Kompotte in solchen Gläsern, sind diese einmal geöffnet, genauso schnell verderben wie frisch gekochte Früchte und Ge­müse.

Doch bei gekaufter Ware ist das nicht so sicher. Büch­senkompotte halten mitunter auch geöffnet und ange­brochen unbegrenzt, ohne zu verderben. Das aber ist auf keinen Fall < normal». Nach ein paar Tagen - und bei Hitze noch viel früher! - muß ein Kompott in Zim­merwärme, und sogar im nicht zu kalten Kühlschrank,

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in Gärung oder Fäulnis übergehen. Sonst ist mit Mit­teln der Chemie der Haltbarkeit zu gründlich nach­geholfen worden.

Mixed Pickles

Was übrigens die total sterilen Essiggurken angeht, so sind sie natürlich nicht unbekömmlicher als alle ändern in solchem < toten > Essig eingemachten Früchte und Ge­müse. Ich weiß, englische Mixed Pickles gelten als et­was Feines. Und ich gebe zu: im Küchenzettel der An­gelsachsen sind sie unentbehrlich. In einem Lande, wo man Gemüse in sehr viel Wasser garkocht und dann dies mit Aroma vollgesaugte Wasser wegschüttet und wo man — das ist verbürgt! — mitunter sogar den Räu­cherspeck auf diese Weise durch Kochen auslaugt, braucht man zum Ausgleich für so viel Fadheit etwas Scharfes und Pikantes, egal ob rote Tunken mit Pfeffer und exotischen Gewürzen oder eben Essiggemüse.

Nun mag in Tropenländern, wo das feuchte heiße Kli­ma den Menschen lahmt, solch scharfe Kost ganz sinn­voll sein. Was aber soll dergleichen in Europa? Besser, man kocht nicht überfade und braucht dafür auch keine überwürzten Saucen und Zuggemüse.

Die echten Salz- oder Sauergurken

Wenn wir in diesem Buche von Salz- und Sauergurken sprechen, meinen wir also nicht die sterilen aus dem Laden, sondern solche, die man, am besten selber, in kräutergewürztem Salzwasser gären und säuern läßt. Sie sind verderblich, leider. Aber sie schmecken unvergleichlich:

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appetitanregend, lockend und erfrischend. Hören Sie sich zwei Anekdoten - wahre natürlich! - an, in welchen Sauergurken dieser Art die zentrale Rolle spielen. Dann werden Sie verstehen, wie anders solche Gurken duften und schmecken als die sterilen, und wer­den sich vielleicht entschließen, im kommenden August bei sich zu Hause welche einzumachen:

Die echten Sauergurken und Romain Gary

Die eine der Geschichten erzählt uns der bekannte fran­zösische Romancier Romain Gary aus seinem eigenen Leben. Und er erzählt sie nur deshalb, weil er von Her­kunft eben kein Franzose ist, sondern ein Russe: Sohn einer jüdischen Schauspielerin aus der Ukraine und ei­nes russischen Filmschauspielers. In Wirklichkeit heißt er daher auch gar nicht Gary, sondern Kacew. Gary also war als Kind mit seiner völlig mittellosen Mutter in Frankreich eingewandert, und er durchlebte manchmal schwere Zeiten. Die allerschwersten im Kriege, nach Frankreichs Niederlage, als er sich unter kaum vorstellbaren Mühen und Gefahren zu General de Gaulle durchschlug, um in dessen Freiheitsarmee als Kampfflieger weiterzukämpfen. Sooft nun Garys Lage ganz verzweifelt war und er den Eindruck hatte, das Leben ließe sich nicht mehr ertra­gen, kaufte er sich in irgendeinem armen russischen Emigrantenlädchen eine Zeitungstüte voll mit solchen Gurken. Die aß er auf, ganz ohne Brot. Dann ließ es sich für eine Weile wieder weiterleben.

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Die echten Sauergurken und die russischen Soldaten

Und auch in meiner eigenen Familie knüpft sich an sol­che Sauergurken eine wahre Anekdote:

Das war am gleichen Ort in Ostgalizien, wo auch die Geschichte mit dem russischen Kommandanten vor­gefallen war, der sich durch das Pilzgericht mit Sauer­rahm vergiftet wähnte. Dies hier geschah kurz vorher, beim Einmarsch der russischen Armeen. Im allgemei­nen verstand man sich nachher ganz gut mit ihnen. Sprachliche Schwierigkeiten gab es keine, und meist betrachteten die Russen die slawisch sprechende Bevöl­kerung in den besetzten Ländern nicht als ihre Feinde. Der Anfang aber, der Einmarsch der zaristischen Trup­pen, war stürmisch. An einem späten Abend waren die russischen Soldaten ganz plötzlich da, sprangen von ihren Pferden und drangen mit schußbereiten Waffen in alle Häuser ein. Bei des Großvaters Villa kletterten sie durch die Fenster in die Wohnung im Erdgeschoß. Die Großeltern saßen im Wohnraum und regten sich zunächst nicht weiter auf. Wer beim Rückzug der ei­genen Armeen nicht mitgeflohen war, mußte ja mit dem Kommen der Russen rechnen. Und daß sie, milde ausgedrückt, lebhafte Sitten hatten, wußte man auch. Die russischen Soldaten gönnten den Hausbewohnern keinen Blick und fingen auf der Stelle an, mit ihren Bajonetten Polsterstühle und Sofas zu durchstechen. Wozu, das weiß ich nicht. Man hat mir aber wiederholt erzählt, daß sie dies auch im letzten Kriege immer wie­der taten.

In diesem Augenblick betrat der Sohn des Hauses, mein junger Onkel, den Raum. Er war Gymnasiast und trug

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die hübsche altösterreichische Schüleruniform aus dun­klem Stoff, im Schnitt ein wenig ähnlich wie die Uni­form der Offiziere und am Kragen verziert mit den vier Goldstreifen des angehenden Maturanden. Der Onkel hatte - und hat noch heute - glasig blaue Augen und ein hart geschnittenes Profil. Slawen empfanden sein Aussehen immer als < preußisch >.

Einer der Soldaten unterbrach das Polsterschlitzen für einen Augenblick, warf einen kurzen Blick auf meines Onkels Uniform und Antlitz, brüllte ganz wild: « Germantschik!» - riß das Gewehr in die Höhe und legte auf ihn an. Nun - der Raum lag, wie bereits erwähnt, zu ebener Erde. Auf dem gleichen Wege, auf dem die Rus­sen eingedrungen waren, sprang der Gymnasial mit ei­nem Riesensatz hinaus und rannte in die Dunkelheit davon. Die Russen stürzten an die Fenster und schössen blind drauflos. Aber treffe einer einen Flüchtling bei Nacht in einer fremden, laternenlosen Straße!

Einen Moment lang waren die Großeltern starr vor Schreck. Zwar konnten sie sich mit den Russen mühelos verständigen. Die slawischen Sprachen gleichen sich alle wie die Dialekte ein und desselben Idioms. Und Polnisch und Ruthenisch sprach in jener Gegend jeder. Aber erkläre einer verwilderten Soldaten, die obendrein wahrscheinlich nicht lesen oder schreiben konnten, was ein Gymnasium ist! Wären die Kerle dem jungen Man­ne durch das Fenster nachgesetzt, so hätten sie ihn schließlich wohl doch gefunden und erschossen. Das galt es also zu verhindern.

Zum Glück war die Großmutter nicht in der Stadt auf­gewachsen, sondern auf einein riesengroßen Gutshof mit Hunderten von primitiven Bauern. Sie verstand

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mit ihnen umzugehen, hatte zudem Mut und gute Ner­ven. Sie schrie nicht, weinte nicht und klagte nicht, son­dern hob rasch den großen Krug mit Sauergurken vom Speiseschrank herunter, nahm den Deckel vom Gefäß und hielt es einem der schießenden Russen unter die Nase. Der begann sofort zu schnuppern, zu wittern, dann bekam er sehnsuchtsvolle Augen, ließ die Waffe sinken und drehte sich um. Die ändern folgten seinem Beispiel. Bald saßen sie alle rund um den Tisch, fischten mit bloßen Fingern aus der Lauge Gurken und kauten andachtsvoll.

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo man mit ihnen reden konnte. Sehr langsam, ruhig, erklärte man ihnen, daß der Onkel kein feindlicher Offizier war. Es war die volle Wahrheit. Aber die Russen hätten vermutlich, aus Angst, sie müßten sonst die Gurken im Stiche lassen, auch jede Lüge geglaubt.

So also sind die echten Sauergurken. Und so bereitet man sie zu — keine Angst! Es ist sehr einfach:

Rezept für echte Sauergurken

Man nimmt Steinkrüge oder große Einmachgläser. In ländlichen Gegenden nimmt man auch gerne kleine Fäßchen - wer aber Gurkenfässer bereits im Keller hat, der weiß schon längst Bescheid mit Gurken und braucht nicht unsere Auskunft darüber, wie man die Fässer vor­behandeln muß, ehe man Gurken einfüllt. Nun kauft man kleine, feste Gurken, am besten etwa daumenlange, notfalls ein wenig größer. Es dürfen aber keine rundlich aufgeblähten Exemplare sein! Denn sol­che werden sehr schnell weich und faulig!

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Man verschafft sich auch einige Zweiglein Dill und Estragon und nach Belieben ein paar Weichselblätter. Dann nimmt man eine Handvoll Knoblauchzehen, die man, mit etwas Salz zusammen - sie rutschen, springen und kollern dann weniger! -, kleinschneidet oder, noch besser, mit dem hölzernen Stößel zerstampft. Knob­lauch ist nicht obligatorisch. Wer den Geruch ein wenig fürchtet, kann die Gurken ohne Knoblauch in die Ge­fäße legen. Nur: sie werden dann nicht halb so gut und würzig.

Man schichtet nun die gut gewaschenen Gurken ab­wechselnd mit den Gewürzen dicht in Gläser oder Krüge und übergießt sie mit kaltem Salzwasser. Das genaue Quantum Salz schreibe ich nicht gerne vor; ich würde sagen: Die Brühe soll so scharf sein wie gut gesal­zene Fleischsuppe.

Von dieser Brühe müssen die Gurken immer ganz be­deckt sein. Was aus der Flüssigkeit herausragt, das ver­fault. Mit einem kleinen Teller oder Plättchen - aber beileibe nicht einem aus Metall! — muß man die Gurken daher niederdrücken. Das Plättchen beschwert man, egal womit. Manche nehmen einen Stein. Dann bindet man das Gefäß mit einem leichten weißen Tüchlein ab, oder man legt einen sehr leichten Deckel darüber. Luft­dichter Abschluß ist verboten; denn bei der Gärung ent­wickeln sich Gase!

Je nach der Wärme draußen und im Räume dauert es acht bis vierzehn Tage, bis die Gurken angenehm sauer riechen. Man sieht es ihnen schon von außen an, ob sie jetzt durchgegoren sind: die Flüssigkeit, die anfangs völlig klar war, ist jetzt trüb, blaßgrün, fast etwas mil­chig. Die Gurken ihrerseits, die anfangs grasgrün und

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undurchsichtig waren, werden allmählich glasig wie alte Butzenscheiben, sumpfgrün und etwas weicher als zuvor.

An der Oberfläche bildet sich immer wieder eine Art von Schimmel, der sogenannte Kam, ganz wie bei den eingemachten Pilzen. Von Zeit zu Zeit nimmt man die Kamschicht ab.

Haltbarkeit der Sauergurken

Am besten schmecken solche Sauergurken nach ein paar Wochen. Lagert man sie in einem sehr kühlen Kellerraum, dann halten sie sich ziemlich lange fest und gut, womöglich bis zum Frühling. Schließlich aber wer­den sie weich und riechen etwas faulig. In diesem Sta­dium taugen sie dann nicht mehr viel. Verderblichkeit ist eben der Nachteil jeder Konservie­rung, die nicht jedes Leben mordet, die den Lebens­prozeß nur wandelt und nicht einmal stoppt. Wenn Sie aber eine solche Sauergurke ein einziges Mal gegessen haben, dann wissen Sie für immer: es lohnt! Auch wenn die Gurke nicht so lange haltbar ist wie die chemisch steril gemachte.

Verwendung der Sauergurken

Solche Gurken also ißt man zu einer Scheibe Schwarz­brot mit ein wenig Butter und manchmal auch mit Quark dazu. Doch kommt nur Quark aus roher Sauer­milch hierfür in Frage, nicht aus gekochter und künst­lich angesäuerter! Oder man nimmt die Sauergurken statt Salat,

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als Bei­ kost zum Fleisch. Vor allem natürlich zum etwas faden Suppenfleisch. Sie schmecken aber auch sehr gut zu

Braten oder Gulyas.

Und schließlich gibt es welche, die essen Sauergurken - und zwar ohne Brot! - gern zu einem scharfen Schnaps.

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WAS WEISST DU VON DER ROHEN SAUERMILCH UND VOM HAUSGEMACHTEN QUARK ?

Wir sprachen eben von hausgemachtem Quark aus Sauermilch. Wer ihn je gegessen hat, wird sich nur schwer entschließen, einen Quark von jener Art zu kon­sumieren, wie man ihn in der Schweiz, in Deutschland und in Frankreich im Laden bekommt. Dieser gekaufte Quark entsteht ganz anders, wir sagten es bereits: man macht ihn nicht aus roher saurer Milch, sondern aus frisch, gekochter oder doch stark erhitzter, die man künstlich mit irgendwelchen Säurebakterien impft.

Wozu dieser Umweg ? Warum läßt man nicht einfach die rohe Milch so lange stehen, bis sie von selber säuert ? Ich weiß es nicht. Mag sein, natürliche Säuerung dauert zu lange. Mag auch sein, es geschieht aus Gründen der Hygiene. Rohe Sauermilch kann irgendwelche schäd­lichen Keime enthalten. Obwohl vermutlich der Prozeß der Säuerung viele Bakterien in der Milch abtötet. In jedem Falle aber ist Quark aus roher Sauermilch der weitaus beste. Man macht ihn so:

Quark aus roher Sauermilch

Man füllt die Milch in Krüge oder Schüsseln aus Stein­gut oder Porzellan — auf keinen Fall aus Aluminium oder gar anderem Metall! An einem nicht zu kühlen Platze läßt man diese Milch solange stehen, bis sie sich in eine feste, säuerlich riechende und schmeckende Gal­lerte verwandelt hat. Des Staubes, Schmutzes und der Fliegen

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wegen tut man gut daran, die Milchgefäße leicht zu überdecken.

Im heißen Sommer genügt die Zimmerwärme, um Milch an einein einzigen Tage genügend durchzu­säuern. Im Winter stellt man die Gefäße nahe an den Herd und Ofen. Doch wird bei solch künstlicher und un­gleichmäßiger Wärme die Milch nur langsam sauer;

manchmal so langsam, daß sie schon vorher ein wenig bitter ist. Dann bleibt nichts übrig, als sie wegzuschüt­ten. Am besten bereitet man daher den Quark aus Sauermilch einzig im Sommer.

Sauerrahm mit Erdbeeren

Ist die Milch vollfett, also nicht weitgehend abgerahmt, dann bildet sich an ihrer Oberfläche eine dicke Schicht von Sauerrahm. Den schöpft man, wenn der Rest zur Quarkbereitung dienen soll, vollständig ab. Es schadet nichts, wenn an dem Sauerrahm von unten noch ein wenig Sauermilch anhaftet.

Den Sauerrahm verwendet man zum Kochen, oder, noch besser, man ißt ihn roh zu Erdbeeren, statt der frischen Sahne. Im Osten ißt man dazu noch ein Stück Schwarzbrot. Erdbeeren, Sauerrahm und Schwarzbrot gelten dort als feines sommerliches Abendmahl. Es schmeckt auch wundervoll, zumal man dort meist die betäubend duftenden Walderdbeeren aus den Riesen­wäldern nimmt und nicht die großen, gezüchteten, weit faderen vom Garten.

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Sauerrahm mit Mamaliga

Noch öfter aber ißt man dort - vor allem im Südosten von Europa - den Sauerrahm zu einem dichten Mais­brei : eine Kelle voll von leicht gesalzenem Maisbrei auf den Teller; daneben, auf den gleichen Teller, eine Kelle voll vom dicken Sauerrahm - sonst nichts. Es schmeckt sehr gut zusammen. .

Quarkbereitung

Die entrahmte Sauermilch erwärmt man auf dem Herd jedoch ganz langsam und mit Vorsicht! Sie darf nicht kochen, sie darf nicht einmal heiß sein! Man darf den Herd nicht einen Augenblick verlassen, und ohne Pause muß man die Sauermilch im Topfe rühren! Sobald die Sauermilch in weiße, zarte Käseflöcklein und in gelb-grün-blasse, durchsichtige Molke zu zerfallen anfängt, nimmt man den Topf vom Herd und rührt noch eine Weile weiter in ihm herum, damit die Wärme sich rasch und gut verteilt und auch damit das Ganze rascher abkühlt. Nun schüttet man die Molke samt den weißen Flocken in ein feines weißes Tuch oder in ein sehr fein­gelochtes Sieb aus Aluminium - aber nicht aus rosten­dem Metall! Die Säure würde sich mit ihm verbinden und den Geschmack der Speise völlig ruinieren! - Tuch oder Sieb legt oder hängt man über einen Tropfstein oder über eine Schüssel. Ein bis zwei Stunden läßt man langsam den Quark abtropfen ohne auf irgendeine Weise nachzuhelfen. So wird der Quark am feinsten. Eilt es sehr, dann kann man auch ein wenig drücken -aber nur sachte! Denn nichts schmeckt fader, trockener, gummöser als allzu stark gepreßter Quark aus Sauermilch.

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Nach ein paar Stunden gibt man den locker­brüchigen, sehr feuchten Ballen Quark in eine Schüssel - und das ist alles.

Rohquark mit Sauergurken

Solchen Quark kann man, wir sagten es bereits, zu­sammen mit Sauergurken zum Schwarzbrot essen. Hat man kein Schwarzbrot, dann tut es notfalls auch wei­ßes - aber bitte nur Hefebrot! Kein angelsächsisches, schwammgummiartiges!

Rohquark mit Salz und Kümmel

Man kann auch etwas Salz und Kümmel in solchen Quark einknoten. Doch schmeckt er in ganz frischem Zustand so vollendet, daß es sehr schade wäre, ihn an­ders als <nature>, ganz ohne Salz und Kümmel oder Zucker, zu genießen. Nach ein, zwei Tagen allerdings gewinnt er durch Gewürze.

Mehlspeisen mit Rohquark

Und schließlich geraten auch gefüllte Knödel, Teig­taschen - gekochte wie auch gebackene oder in Öl ge­bratene -, Strudel und Topfentorten nur mit solchem Rohquark vollendet. In ganz Osteuropa kennt und konsumiert man ihn den ganzen Sommer über mit Ge­nuß und Freude.

Und eine einzelne, sehr einfache und dabei gute Quark­speise aus dem Osten der alten Donaumonarchie möch­te ich hier doch nennen:

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Teigflecke mit Rohquark

Sehr gute, breite, am besten hausgemachte Nudeln oder Teigflecke werden in Salzwasser abgekocht, mit kaltem Wasser gut abgespült, damit sie nicht zusam­menkleben, und dann in einem gut durchwärmten Topf, vielleicht sogar auf einem kleinen Feuer, mit reichlich frischer Butter durchgeschwenkt. Zuletzt kommt, leicht gesalzen und zerkrümelt, der frische Quark hinein.

Ohne weitere Zugaben als Mahlzeit direkt im Topf ser­vieren ! Höchstens kommt noch eine kleine Nachspeise hinzu: am besten Obst.

Nudeln mit solchem Quark schmecken weit feiner als Nudeln mit Parmesan - von ändern Käsearten, die sich beim Schmelzen in lange zähe Gummifäden wandeln, gar nicht zu reden! Doch setzt die Speise, wie gesagt, den hausgemachten Quark aus roher Sauermilch vor­aus, und nicht den cremeartigen aus dem Laden. Nebenbei: wenn Sie in Rezepten oder Kochbüchern aus dem Osten das Wort <Käse> lesen - dann ist immer Quark gemeint! Das muß man wissen!

< Fauler Käse> mit Rührei

Quark dieser Art schmeckt so erfrischend und verlockend, daß man beliebig viel von ihm bereiten kann - es wird alles auf der Stelle aufgegessen. Bleibt dennoch einmal etwas übrig - dann, liebe Leser, stellt es nicht in den Kühlschrank! Laßt vielmehr diesen Rest - natür­lich sauber zugedeckt - im warmen Räume stehen! Nach zwei, drei Tagen entwickeln sich auf dem Quark talgige, gelb zerfließende Stellen, genau wie bei überreifem Camembert.

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Im Osten nennt man ihn dann < Faulen Käse> und liebt ihn ebenso wie der Chinese seine < Faulen Eier>.

In diesem Zustand verwendet man den Quark im Osten zu einer wundervollen Eierspeise: Pro Person nimmt man, je nach Hunger und je nachdem, ob es der Haupt­gang oder eine kleine Zwischenspeise werden soll, ein bis zwei Eier und pro Ei einen Eßlöffel voll von solchem angefaultem Quark, dazu ein wenig Salz, auch Pfeffer, wenn man mag. Das alles wird sehr gut zerschlagen und auf einer kleinen Flamme, in flacher Pfanne, mit sehr viel Butter in eine rühreiartige, goldgelbe, sehr zarte Speise verwandelt. Soll sie ganz locker werden, dann fügt man etwas Milch hinzu. Allein: es muß nicht sein. Und dies einfache Gericht mit dem leichten Hautgout schmeckt ganz wundervoll! Kartoffeln und Gemüse passen nicht dazu. Am besten harmoniert es, genau wie Sauergurken und Sauerquark, mit etwas Schwarzbrot, nach Belieben trocken oder auch mit Butter. Ja - und eine Sauergurke schmeckt dazu ganz herrlich!

Sauermilch in Suppentellern

Das alles kann man also aus Sauermilch bereiten. Je­doch: man muß es nicht! Man kann sie trinken oder essen. Sie ist das erfrischendste, leichteste Sommer­getränk, das ich kenne. Bei weitem nicht so scharf und sauer und auch bei weitem delikater als der massive Joghurt.

In Norddeutschland wird die Sauermilch, soweit man sie dort überhaupt noch kennt und konsumiert, in gro­ßen flachen Schüsseln aufgestellt. Dann schöpft man

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jedem seine Portion in einen Suppenteller und schüttet zerkrümeltes Schwarzbrot und Zucker darüber.

Diese Kombination ist altbewährt und sozusagen klas­sisch. Ich wage daher nicht, sie anzufeinden, obwohl ich sie nicht mag. Aber vielleicht ist es doch erlaubt, hier die, wie mir scheint, weit lockendere Form zu schildern, in welcher man die Sauermilch im Osten zu sich nimmt:

Sauermilch in Gläsern

Man stellt dort die Sauermilch, wenn sie nicht zur Quarkbereitung bestimmt ist, sondern zum Rohgenuß, weder in Töpfen, Krügen noch in flachen Schüsseln auf, sondern in Tee- und Wassergläsern, also gleich von An­fang an portionenweise abgefüllt. Im Glas verwandelt sich die Milch in eine weiße, saure, hübsche Milchgal­lerte mit einer spiegelglatten, starren, hellgoldenen Schicht aus Sauerrahm darüber. In solche abgefüllte Sauermilch kommt weder Zucker noch Schwarzbrot­krümel noch sonst etwas hinein! Man konsumiert sie <pur>.

Bis die Milch die nötige Säure und Starre hat, muß sie natürlich in der warmen Wohnung stehen. Nachher je­doch, kurz vor Konsum, stellt man sie etliche Stunden in den Kühlschrank oder kühlen Keller.

Bei Tisch schöpft man dann mit dem Löffelchen zuerst die steife Rahmschicht ab und ißt sie auf- sie läßt sich nämlich mit der fettfreien Sauermilch darunter nicht gut zu einer homogenen Masse zerschlagen.

Den Rest, die appetitliche Gallerte, stechen die einen wie einen zarten Pudding löffelchenweise aus dem Glas heraus; die ändern zerschlagen die Sauermilch mit dem

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Löffel zu einer flüssig-schäumenden Masse, die sich trinken läßt.

Unsäuerbahre Milch

Ja, und nachdem Sie dies nun gelesen und, wie ich hoffe, Appetit auf Sauermilch bekommen haben, muß ich Ihnen etwas sehr Trauriges mitteilen. Ich erwähnte es im Buch schon einmal: wenn Sie Ihre Milch nicht di­rekt von einein Bauern, sondern aus einer Molkerei be­ziehen, ist es nicht sicher, daß sich Sauermilch aus ihr bereiten läßt.

Seit Jahren kommt zu uns nicht mehr der Bauer selber. Seit ebenso vielen Jahren versuche ich vergebens, die rohe Milch durch Stehenlassen in der Wärme anzu­säuern. Stelle ich die gefüllten Gläser eher kühl - dann bleibt die Milch selbst in der größten Sommerhitze end­los lange <gut> und unverändert. Und sorge ich für star­ke Wärme, dann gärt die Milch zwar, wird jedoch nicht sauer, sondern alkoholisch. Sie bullert und sie gluckst und schmeckt abscheulich. Woran das liegen mag! Sind irgendwelche Konservierungsmittel beigefügt? Oder wird aus irgendwelchen Gründen in den Molke­reien die Milch bestimmten mechanischen Prozessen unterworfen, die ihre Art von Grund auf ändern? Eines ist sicher: die Molkereien hierzulande müssen daran Interesse haben, auch völlig rohe Milch ziemlich <steril> zu machen, denn niemand kennt und liebt hier Sauermilch, vielmehr glaubt man, daß saure Milch < verdorben > sei, und gießt sie fort. Und dieser Mißstand - anders kann man es nicht nen­nen - erinnert mich an jenen Augenblick, in welchem ich,

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kaum vierzehnjährig, anfing, die <Kochkunst> von Amerika in Grund und Boden zu verachten:

Sauerrahm bei Mark Twain

Mark Twain erzählt in seinem Buch <Tom Sawyer> von einer Mutter, welche weinend berichtet, sie habe ihren Jungen durchgeprügelt, weil sie glaubte, er habe aus der Speisekammer den Rahm genascht. Und dabei habe sie ihn doch selber am Tage vorher weggegossen, weil er schon sauer war!

Man stelle sich nur vor! Die Amerikaner hielten die delikate saure Sahne für verdorben und schütteten sie weg! Konnten solche Menschen in Küchenhinsicht ernst genommen werden ? Es gab mir einen regelrech­ten Schock.

Buntsalate aus Amerika

Der Schock war aber heilsam. Denn als Jahre später Kochrezepte aus Amerika begannen, unsere gute alte Küche in Europa zu infizieren und zu ruinieren, war ich gegen die neue Modekrankheit in der Küche schon gleich im voraus restlos geheilt. Nichts imponierte mir. Weder die prächtig bunten Supertorten aus Amerika mit ihrem reichen und aparten Zierat und Schichten­aufbau noch die verblüffenden Supersalate, in welchen sich Äpfel mit Petersilie und kandierten Kirschen, mit Mayonnaise, Ananas und Chesterkäse, mit Kaviarkügelchen und Konfitüre zum lieblich farbenfrohen Kunstwerk fügen. Denn da wußte ich bereits: das ha­ben doch die gleichen Leute erfunden, welche Sauerrahm

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für Schweinefutter halten! Von da aus lag der Schluß sehr nahe, daß von den Speisen, die von drüben kamen, nicht viel zu halten war; daß der moderne Küchenzettel der Neuen Welt sehr wenig taugte; daß eine Speise trotz zauberhaftem Anblick rein kulinarisch dennoch ein trüber Schmarren sein kann.

Wir begannen mit dem Küchenaberglauben. Auf aben­teuerlichen Wegen hat er uns in den Herbstwald zu den Pilzen fortgeführt, darauf nach Ostgalizien zu russi­schen Regimentern und schließlich nach New York und an den Mississippi.

Aber die farbenfrohen, teuren amerikanischen Super­salate leiten uns ganz unmerklich wieder zu unserm Thema zurück oder doch zu einer Variante unseres Themas: nicht zum Küchenaberglauben, sondern zu den Küchen Vorurteilen.

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KÜCHENVORURTEILE

So auf den ersten Blick erscheint das Vorurteil als schwa­cher, harmloser Vetter des Aberglaubens. In Wirklich­keit ist es genau umgekehrt. Den Aberglauben kann man vielleicht bekämpfen und widerlegen — mit Vor­urteilen aber wird keiner fertig.

Nehmen wir eines davon: das Schwärinen für Primeurs.

Primeurs

Wo gibt es einen, der als ein Schlemmer gelten möchte und dennoch wagt, nicht für Primeurs zu schwärmen ? Dabei verlieren die Primeurs schon viel von ihrem Charme, sobald man sie mit ihrem deutschen Namen nennt: Erstlinge, egal ob von Gemüsen oder Früchten. Hatten Sie je Gelegenheit, Primeurs zu kosten? Ja? Na und? Schmeckten sie besser als das, was ein paar Wochen später auf den Markt kam ?

Denken wir einmal an die allerersten Erdbeeren oder Kirschen. Im frühen Mai sind sie der Blickfang in den Schaufenstern der teuersten Früchteläden. Sie sind im Flugzeug hergekommen, sorgfältig abgefüllt in winzig kleine Körbchen. Sie kosten ein kleines Vermögen. Aber sind sie wirklich gut ? Meist schmecken sie ein we­nig sauer oder fad wie Stroh. Nie haben sie den vollen Saft und Duft, nie das Aroma, die Zartheit einer Frucht im Höhepunkt der Reife zur Saison. Nicht einmal den letzten

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Spätlingen einer Frucht, der Nachlese also, ha­ben die Erstlinge viel voraus, obwohl auch diese meist nur wenig taugen.

Außer bei edlen Trauben. In sonnenreichen Jahren werden die Trauben desto zarter, süßer, voller, je län­ger sie am Weinstock hängen. Die meisten ändern Früchte und Gemüse aber werden allmählich mehlig, weichlich, fasrig, holzig.

Primeurs im Alten Testament

Woher also der Ruhm, den die Primeurs genießen? Scheinen sie köstlich, weil sie kostbar sind ? Oder ist es ein so berauschendes Gefühl, als allererster in dem Jahre diese bestimmten Früchte und Gemüse auf seinem Tisch zu sehen ? Ist das so erhebend, daß es sogar die Zungen­nerven besticht und infiziert ? Vielleicht. Gäbe es diese Überschätzung der Primeurs nicht in ganz Europa, wäre sie Eigenheit und Privileg der frommen Juden, dann könnte man es so erklären:

Nach dem mosaischen Gesetze blieben die Erstlinge im ganzen Lande Israel den Priestern vorbehalten. Da­durch erhielten sie damals ohne Zweifel Glanz und Glorie.

Was aber geht das einen Gourmet im zwanzigsten Jahr­hundert an ?!

Wie wenig es mit Primeurs aufsich hat, sobald man nur den ungewollten Zeit- und Kostenpunkt beiseite läßt, wie klein ihr Wert rein kulinarisch ist, erzählt uns eine alte jüdische Anekdote:

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Der Rabbi und die Kirschen im Januar

Ein berühmter Rebbe und Rosch-Jeschiwe, das ist ein Rabbi und Leiter einer Talmudhochschule, fährt von Polen westwärts, um. Spenden für sein Institut zu sam­meln. In Wien geht er natürlich zum reichen, frommen Baron Rothschild. Zufällig ist es gerade der Tag des Chamischa-Assar-Bischwat-Festes, an welchem man nach uraltem Brauch Früchte genießt. Der Ursprung der Sitte ist nicht ganz klar. Waren es in biblischen Zei­ten Erstlinge, die man an diesem Tage auftischte ? Aber selbst im warmen Süden ist der Termin für Erstlinge kaum sehr günstig: der Tag fällt nämlich in den Win­ter, meist auf Ende Januar. In kalten Ländern sind je­denfalls um diese Zeit Erstlinge auf keinen Fall zu fin­den. Daher hat man den Brauch im Norden ein wenig abgewandelt: man genießt einfach Früchte, die man in diesem gleichen Jahre noch kaum gegessen hat. Bei ar­men Dorfjuden im Osten war das kein Problem: sie nahmen etwa Feigen, Datteln oder auch Orangen. Süd­früchte kamen ja sonst nie auf ihren Tisch.

Baron Rothschild aber, der täglich im Winter Süd­früchte genießt, hat sich zu diesem Tage - baumfrische Kirschen verschafft!

Der fromme Rebbe wird zum Festmahl eingeladen. Als Nachtisch gibt es, während vor dem Fenster Schnee­flocken wirbeln, die frischen Kirschen. Der Rebbe kaut sie mit einem Gleichmut, als wären es Dörrpflaumen. «Fällt Ihnen nicht auf, daß Sie jetzt Kirschen essen?» fragt der Baron.

«Wieso ?» gibt der Rebbe gleichgültig zurück. «Solche habe ich doch schon zu Schawuot [= Pfingsten] ge­gessen.»

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Ich kann mir nicht helfen: sooft ich jemanden von Primeurs schwärmen höre, muß ich an den alten Rebbe denken. Wie recht er hatte! Denn mag es noch so schwie­rig sein, im Winter Kirschen aufzutreiben - sie schmecken im Januar nicht besser als zu Pfingsten, vermutlich sogar schlechter.

Kaviar

Ein anderes Vorurteil: der Kaviar. Allgemein hält man ihn für einen großen Leckerbissen. An sich mit Recht. Und jeder Russe, von Moskau bis nach Astrachan, wird es bestätigen. Denn in der Tat schmeckt Kaviar, ganz schwach eingesalzen und sehr frisch, deliziös.

Bloß: wo bekommen wir diesseits vom Eisenvorhang solchen Kaviar ? Das, was man uns serviert, ist Büchsen­ware, ziemlich alt, manchmal ein wenig matschig und sozusagen immer übersalzen. Was soll an solchem Ka­viar imponieren - außer dem Preis ? Wenn wir nicht merken, wie wenig er im Grunde taugt, so nur, weil wir ihn in der Regel in mikroskopischen Portionen vorge­setzt bekommen: nicht ganze Schüsseln voll, wie es einst in Rußland üblich war, sondern bloß spärlich hinge­tupft, als Andeutung und Hinweis für das preisliche Niveau der Tafel, an der wir speisen.

Der Käse zerfließt!

Oder nehmen wir bestimmte französische Käsesorten. Nicht die rahmartigen, weißen, die durch die Bank ganz herrlich schmecken - und zwar zur Abwechslung nicht zu unserm vielgelobten schwarzen Brot, sondern zum

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weißen, zu den knusprigen Pariser Brotstangen näm­lich, die einen Meter lang sind und nur wenige Zenti­meter breit und hoch und die fast nur aus herrlich duf­tender, splittriger Kruste bestehen. Und lassen wir auch jene festen, ziemlich milden Käsearten hier beiseite, die man auch in Italien findet.

Sondern betrachten wir jene Sorten, die ihre Akme, ihren Höhepunkt, erst dann erreichen, wenn sie be­ginnen, talgig zu zerfließen. Alle Franzosen lieben sol­chen Käse leidenschaftlich. Ich selber - dies nur neben­bei - liebe solchen Käse auch, trotz seines penetranten Duftes. Aber hören wir einmal, was andere Leute dazu meinen.

Frankreichs Käsedüfte und die deutsche Ärztin

Zu Hause habe ich ein altes < Gesundheitsbuch >, ver­faßt von einer deutschen Ärztin um die Jahrhundert­wende. Auf dem Buchumschlag ist die Autorin abge­bildet: schön, streng und blond, im fließenden Reform­gewand, ganz ohne Mieder, Puder, Schminke. Ihre Gesinnung ist nüchtern, tugendhaft und national. Ge­gen alles Französische ist sie zornig eingenommen, auch in Küchenfragen. Das konnte man sich damals in Deutschland gut erlauben, ohne deswegen als unge­bildet und unbereist zu gelten. Diese Dame nun behauptet vom Camembert und än­dern zerfließenden Delikateßkäsen Frankreichs:«... die talgartige, übelriechende Substanz, die aus dem reifen Käse tropft, enthält die gleichen Zersetzungsstoffe wie faulende Leichen.»

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Frankreichs Käsedüfte und Ilja Ehrenburg

Und der russisch-jüdische Schriftsteller Ilja Ehrenburg, der lange Jahre im Ausland verbrachte, ein < gelernter > Pariser und begeisterter Genießer und Kenner der Kü­che Frankreichs, schreibt in einem seiner Bücher, ein gut gelagerter Roquefort - das ist ein ziemlich weicher, blaßgelber Käse mit grünen Schimmelrillen -, ein gut gelagerter Roquefort also rieche «wie ungewaschene Soldatenfüße nach monatelanger Campagne». Und von einein ändern delikaten Käse Frankreichs meint Ehrenburg, der dufte, «als hätte er seit den Zeiten der Kreuzritter im Kuhmist gelegen».

Wissen Sie übrigens, daß Chinesen, die frisch aus ihrer Heimat nach Europa kommen, gegen alle unsere Käse -die quarkartigen ausgenommen - den gleichen Ab­scheu empfinden wie wir vor ihren < Faulen Eiern >?...

Küchenperversion

Da kommt mir eben in den Sinn: habe ich nicht weiter oben unsern Widerwillen gegen solche < Faulen Eier> mit den Grenzen des < Fremd Verstehens > in der Küche zu erklären versucht ? Vielleicht steckt aber in der Gier nach Speisen von der Art der fauligen Käse und der < Faulen Eier> noch ein weiteres Element. Vielleicht ist es nicht nur die national und regional bedingte Küchen­kultur, die hier den Zugang schafft, sondern auch eine Art von regionaler Küchenperversion, die sich nur bei späten, reifen Kulturnationen entwickelt, wie die Fran­zosen und Chinesen es eben sind ?

Lassen wir die Frage offen. Eines aber ist sicher: jene Ärztin

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aus Sachsen, die solche Käse im Grund mit Recht abscheulich fand, verstand trotzdem nur wenig von gu­ter Küche.

Und Ilja Ehrenburg, ein Schlemmer von Nuance und Format, liebt Frankreichs Käse trotz der schrecklichen Vergleiche, die er selber formuliert.

Da wir aber schon von wohlerzogenen Damen der Jahr­hundertwende sprechen, möge hier noch ein Vorurteil erwähnt sein Kreisen stammt, das aber auch noch heute durchaus lebt:

Bratensauce wegschütten ?

Die Bratensauce - so lernte damals jedes Kind aus gu­tem Hause - muß man im Teller stehenlassen. Nur schlecht erzogene Menschen tunken Sauce mit dem, das aus jener Zeit und jenen Weißbrot auf...

Man soll also den herrlich duftenden Saft von geröste­tem Fleisch und Gemüse, vermischt mit Wein, mit Rahm und Gewürzen, wegschütten! Sonst ist man kein Kulturmensch...

Mehl in der Sauce!

Aber am Ende ist die Vorschrift doch nicht so dumm, wie sie auf den ersten Anhieb klingt ? Sie stammtja nicht aus Frankreich und Italien, wo jede Sauce komponiert ist wie ein vollendetes Gedicht. Sie stammt aus Gegen­den, wo man den Saucen gerne Mehl beimischt, direkt oder mit Fett zuvor ein wenig gelb und braun geröstet. Meist fügt man dort auch künstliche Aromastoffe bei,

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fertig gemixt in Würfeln oder Flaschen und dann mit Wasser aufgelöst anstatt mit Rahm und Wein.

Am Ende ist es also doch nicht dummes Vorurteil, son­dern nur kluge Vorsicht, wenn man verbietet, solche Saucen aufzutunken ? In Frankreich und Italien, wo die Saucen wirklich schmecken, kümmert man sich den Teufel um die gute Form und tunkt die Sauce auf...

Betrachtet man jedoch das Wort für < Sauce> in Deutsch und in Französisch seinem Ursinn nach, dann wundert man sich doch, daß nicht die Deutschen, sondern die Franzosen ihre Sauce aufzutunken pflegen. Umgekehrt sollte es sein! Denn was heißt Sauce ? Soviel wie <salsa>, die Gesalzene. In Deutschland dagegen heißt der flüs­sige Rückstand auf dem Teller ursprünglich Tunke, und niemand kann bestreiten, daß das von <tunken> kommt!

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URSAUCEN

Überhaupt - Saucen! Sie können paradiesisch schmecken und unausmalbar scheußlich. Es gibt sie in weit mehr Varianten als die feste Nahrung. Es ist auch nicht gesagt, daß nur die teure Sauce gut ist. Und keineswegs ist sie, was viele glauben, ein Attribut der neuzeitlichen, der komplizierten oder gar <vornehmen> Küche. Viel­mehr gehört die Sauce zum Urbestand der Kochkunst. Und sie entwickelt sich in desto reicheren und besseren Varianten, je ärmer ein Volk ist. Denn mit der Sauce kann man, genau wie mit der Suppe, billigste Mehl­gerichte schmackhaft machen.

Armut allein genügt natürlich nicht, um nuancierte Saucen zu kreieren. Aber Armut und alte Kultur zu­sammen - sie schaffen Saucen von Vollendung.

Volksspeisen in Italien und in China

Denken wir nur etwa an Italiener und Chinesen. Beide Völker sind kultiviert und arm. Beider Küchen enthal­ten wenig Fleisch. Denn Fleisch ist teuer. Sofern in einer Speise dennoch Fleisch vorkommt, dann meist zermah­len, zerhackt, geschnetzelt und nur spärlich. Den Grundbestand der Mahlzeit bildet da wie dort ein Mehlgericht. In Italien sind es vor allem Nudeln in Dutzenden von Varianten: dick und dünn, flach und rund, breit und schmal, kompakt und hohl. Daneben Reis und Mais.

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Und die Chinesen kennen ebenfalls seit undenkbaren Zeiten die Nudeln. Vor allem aber Reis, immer in glei­cher Form, in Wasser mit ein wenig Salz gekocht. Dazu kommt bei den beiden Völkern noch das Gemüse der Saison. Die Italiener essen es am liebsten als Platte ganz für sich: gekocht, gekühlt, nach Art eines Salates mit etwas Öl und Essig abgeschmeckt. Bei den Chinesen jedoch wird das Gemüse kleingehackt und in den Reis gemischt. Dazu noch etwas kleingehackte Fische, Pilze und mitunter auch ein wenig Fleisch.

Saucen in Ostasien

Und dann kommt eben noch die Sauce, die würzende, duftende, bindende Flüssigkeit, durch die die simple Speise plötzlich herrlich schmeckt. Bei den Chinesen gibt es so viele Saucenarten, daß schon die Zahl ent­mutigt. Die Vettern der Chinesen, die Japaner, haben, trotz Kulturverwandtschaft mit dem alten China, nur ganz wenige Saucen kreiert. Gar nicht üble. Aber Chi­nesen wie Japaner benützen Grundsubstanzen, die man sich in Europa gar nicht oder nur aus Büchsen beschaf­fen kann. Die Saucen aus Ostasien scheiden deshalb für uns aus.

Saucen in Italien: Sugo mit Tomaten

Anders verhält es sich mit Saucen aus Italien. Wir kön­nen sie spielend leicht kopieren. Denn alles, was es dazu braucht, bekommt man auch bei uns. Meist ist die Sauce in Italien rot von Tomaten, die ja auch bei uns im Nor­den wachsen. Dann sind noch Speck und Zwiebeln drin und,

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so man hat, ein wenig Fleisch. Fleisch steigert sehr den Wohlgeschmack, ist aber niemals unerläßlich. Und dann kommt, nicht in die Sauce hinein, sondern über sie und über die ganze Speise auf dem Teller, der Par­mesan dazu.

Diese Zusammenstellung ist so vollendet, daß man sich gar nicht denken kann, es hätte in Italien solchen Sugo -so heißt die Sauce italienisch - jemals nicht gegeben. Sugo mit Nudeln oder mit Polenta - so heißt der Mais­brei italienisch -: das scheint ein Urgericht. So ausge­wogen, so wohlbekömmlich, so herrlich im Geschmack! Wenn man es ißt, dann hat man ganz den Eindruck:

das müssen schon die alten Römer, ja vor ihnen die Etrusker jeden zweiten Tag gegessen haben!

Sugo im alten Rom

Tatsächlich kannte man schon damals Sugo, bereitet aus Gemüsen, Fischen, einer Spur von Fleisch. Das Volk aß ihn zu Brei und Fladen aus Korn und Gerste und später dann zu regelrechtem Brot, das aber die ur­sprünglich sehr bescheidenen und bäuerlichen Römer erst spät von den Ägyptern übernahmen. Mais aber gab es damals nicht und auch nicht die To­maten ! Vor der Entdeckung von Amerika kannten wir beides nicht. Wie leicht sogar Gebildete derartiges ver­gessen können, sehen wir auch an Arthur Koestler, den wir in unserm Buche schon einmal in anderem Zusam­menhang erwähnten.

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Von Spartakus und Kukuruz und Kaktus
Es gibt von Koestler einen fesselnden Roman über den großen Sklavenaufstand im alten Rom unter der Füh­rung von Spartakus. Tausende von kampfgeübten Gla­diatoren kämpften mit den entwichenen Sklaven zu­sammen. Dennoch wurden sie schließlich besiegt und zu Zehntausenden ans Kreuz geschlagen. Nach Koestler versucht dieser Spartakus zunächst, mit seinen Sklaven und Gladiatoren zusammen in Süd­italien eine Kommune zu errichten, die sich von Mais -< Kukuruz > heißt er in Koestlers ungarischer Heimat -ernähren soll. Koestler vergißt, daß der Mais aus Ame­rika stammt und wir ihn in Europa folglich erst seit der Neuzeit kennen!

Und rund um die Felder der Sklavenkommune wu­cherte - so berichtet Koestler - der stachelige Feigen­kaktus.

Nun ist der Feigenkaktus heute in den subtropischen Gebieten Europas tatsächlich eine Plage. Bloß: im Ita­lien der Antike konnte er nicht wuchern, denn auch er stammt aus Mittelamerika, genau wie der Mais!

Wenn aber schon von Koestler, von seiner Heimat Un­garn und vom Kukuruz die Rede ist, dann wollen wir doch gleich auch schildern, wie der junge Mais dort ge­gessen wird:

Maiskolben ohne Butter

Maiskolben, deren Körner noch nicht mehlig, sondern jung und milchig sind, werden im ganzen Osten

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und Südosten von Europa seit Jahrhunderten viel gegessen. Es ist eine Delikatesse, dort aber gilt es als billige Volksnahrung. Fliegende Händler verkaufen in den Straßen frischgekochte Kolben. Weiter westlich hat sich die Speise merkwürdig spät und mühsam durchgesetzt. Auch in Italien, wo viel Mais angebaut und genossen wird, wartet man meist, bis er ausreift, und macht dann Mehl und Schrot aus ihm.

Im Westen ist es üblich, die jungen Maiskolben, nach­dem man sie in Salzwasser weichgekocht hat, mit fri­scher Butter zu bestreichen. Ich habe mich über die Sitte immer gewundert. Im Osten tut das keiner. Dort ißt man die heißen, aus dem Salzwasser gefischten Kol­ben trocken, ohne jedes Fett, dafür mit ein paar Kör­nern Salz bestreut.

Ja - und man kocht die Kolben nicht, wie manche es hier im Westen tun, mit samt dem < Seidenbart) und all den vielen Hülsen! Das hat ja keinen Sinn, erfordert nur beim Kochen riesengroße Töpfe und füllt die Teller auf dem Tisch mit ganzen Bergen Unkraut!

Essen Sie einmal junge Kolben auf östliche Art! Sie werden sehen: man vermißt die Butter nicht. Der Kol­ben schmeckt auf diese Art sehr lecker. Ganz davon ab­gesehen, daß ohnehin der Großteil der frischen Butter nicht von den zarten Körnern, sondern vom holzigen Kolben darunter aufgesogen wird, den dann die Säue fressen.

Zudem: fehlt es Ihnen denn an Fett in Ihrer Mahlzeit ? Später allerdings, im ausgereiften Zustand, geschrotet und zu Brei verkocht, verlangt der Mais viel Fett. Es kann ein tüchtiges Stück frische Butter sein, die man auf dem heißen dicken Brei zergehen läßt. Oder Schmalz und

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Grieben von Schwein oder Gans. Daß Sauerrahm sehr gut zum Maisbrei schmeckt, sagten wir schon. Doch auch die Sitte der Italiener, zum Maisbrei einen reich mit Öl durchtränkten Sugo mit Zwiebeln, Knob­lauch, Käse und Tomaten zu servieren, ist es wert, auch weiter nördlich nachgeahmt zu werden.

Natursaucen

Bitte kein Mißverständnis! Unter Kunstsauce im Ge­gensatz zur natürlichen meinen wir nicht solche aus der Tube, Büchse oder aus dem aufgelösten Saucenwürfel! Wir meinen vielmehr: Saucen, die sich nicht von allein dadurch ergeben, daß eine Speise etwas Saft ausfließen läßt, wie es vor allem dann geschieht, wenn man etwas anbrät. Löst man den Röststoff dann vom Pfannen­boden und von der Kruste, die sich rund um die Speise bildet, mit etwas Flüssigkeits-Wein, Rahm, auch gutem Speiseessig oder einfach Wasser -, fügt man zuletzt ein wenig Würzstoff bei - Kräuter, Salz und Pfeffer -, dann hat man Saucen von seltener Vollendung.

Kunstsaucen

Daneben also gibt es Kunstsaucen, das heißt: nicht <Abfallprodukt> und Mitergebnis eines Gerichtes aus Fleisch und Gemüse, sondern von Anfang an nur als Sauce gebaut und gedacht. Wir erwähnten bereits die eine aus Zwiebeln und Tomaten in Italien. Doch gibt es auch Saucen ganz allein aus Zwiebeln und solche, die nur aus Tomaten sind.

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Zwiebelsauce

Die Zwiebelsauce ist, so sollte man doch meinen, die einfachste beinahe und folglich auch die bekannteste. Sie schmeckt auch gut. Man kennt sie im gesamten süd­östlichen Europa. Merkwürdigerweise kennt man sie kaum bei uns. Man macht sie so:

Eine breite, flache, schwere Pfanne aus Eisen - Email ist nicht geeignet und Aluminium zu leicht - wird gut durchhitzt. Dann kommt ein gutes Fett hinein - öl, Butter oder Schmalz. Abermals gut durchhitzen! Jetzt kommen die nicht allzu fein zerschnittenen Zwiebeln in die Pfanne. Und zwar wenigstens ein Kilo! Flamme kleiner stellen! Gut überwachen! Oft umrühren! Und vor allem: viel Geduld haben! Eine gute Zwiebelsauce braucht eine ziemlich lange Kochzeit. Am besten ist es, man bereitet sie nur dann, wenn man ohnehin in der Küche viel und lang zu tun hat. Denn bis die Zwiebeln zuerst gelb und dann allmählich goldbraun und zu­gleich so weich wie Butter sind, kann es, je nach Jahres­zeit und Zwiebelqualität, fast eine Stunde dauern.

Zuletzt wird noch gewürzt, ein wenig Wasser beigefügt und zugedeckt. Auf kleiner Flamme läßt man jetzt die weichen braunen Zwiebeln leise weiterkochen, bis sie beinahe zu einem Mus zergehen. Manche sieben die Sauce vor dem Essen durch. Doch nötig ist das nicht. Und je nach Wunsch kann man sie eher flüssig machen oder dicht wie Brei.

Zwiebelbrei als Brotaufstrich

Als Brei schmeckt sie vorzüglich statt Butter auf eine Schnitte Brot gestrichen. In manchen Gegenden im

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nordöstlichen Europa aß man solchen braunen Zwiebel­brei mit Brot als Abendmahl, sooft man frisches Schmalz vom Schwein oder vom Geflügel ausgelassen hatte: man bräunte die Zwiebel in den Restbeständen vom Schmalz und ließ die frischen zarten Grieben gleich darin.

Zwiebelsauce mit Kascha und Nudelplätzchen

Die Zwiebelsauce schmeckt auch gut zu Reis, zu Brei­kartoffeln, zu Kascha - so nennt man im Osten flockig gekochte Buchweizenkörner.

Und manchmal mischt man dort in solche Kascha mit braunem Zwiebelmus noch viereckige, gekochte Plätz­chen aus Nudelteig. Das ist dann eine ganze Mahlzeit, ausreichend auch als Mittagessen, nicht teuer und sehr schmackhaft.

Siedfleisch mit Zwiebelsauce

Man kann die Zwiebelsauce aber auch dazu verwenden, Reste von Siedfleisch, in Scheiben geschnitten, in ihr aufzukochen. Reichen die Siedfleischreste nicht für eine ganze Mahlzeit, dann wird die Speise durch Würfel oder Scheiben einer nicht zu scharfen Wurst ergänzt, die man gleich mitkocht. Oder man fügt noch Fleisch­klößchen hinzu. Am einfachsten und billigsten erhält man sie, wenn man den Inhalt einer rohen Bratwurst portionenweise -je etwa einen Teelöffel voll - direkt in eine solche nicht zu dichte Zwiebelsauce preßt und dar­in aufkocht. In wenigen Minuten sind die Klößchen gar und mit der Sauce vollgesogen.

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Gebackene Zwiebelringe

Eines aber muß man beachten beim Bereiten solcher Zwiebelsauce: es darf nicht zuviel Fett sein in der Pfanne bei zuwenig Zwiebeln! Sonst kann es leicht geschehen, daß, zumal bei starker Hitze, nicht Zwiebelmus ent­steht, sondern etwas gleichfalls Gutes, aber doch ganz anderes: knusprig geröstete Zwiebelringe nämlich.

Will man solche Zwiebelringe haben, dann wälzt man am besten die auseinandergenommenen Zwiebelschei­ben, bevor man sie ins heiße Fett hineingibt, alle erst einmal in Mehl. Das überflüssige Mehl sehr gut von den Ringen abschütteln! Jetzt sind die Zwiebeln ringsum. trocken und werden in dem heißen Fett in wenig Augen­blicken braun und brüchig.

Solche Zwiebelringe schmecken sehr gut zu Bratwurst, zu Quetschkartoffeln, zu Brei von Linsen, weißen Boh­nen, gelben Erbsen. Oder man ißt sie, genau wie Zwie­belmus, zu einer Scheibe Brot.

Zwiebelsuppe

Es gibt eine überbackene Zwiebelsuppe in ganz Frank­reich. Von ihr soll hier nicht die Rede sein. Wir meinen hier nur jene Zwiebelsuppen, für die als Grundlage die Zwiebelsauce verwendet wurde. Sie sind nicht schwierig zu bereiten. Man fügt mehr Wasser bei und rohe zer­schnittene Kartoffeln, die ganz zerkochen sollen. Oder, wenn es sehr eilt, dann nimmt man statt Kartoffeln ein wenig Mehl, mit Wasser glattgerührt oder im Zwiebel­brei ein wenig angeröstet.

Solche Zwiebelsuppe ist durchaus genießbar, jedoch kein großer Genuß.

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Reine Tomatensauce

Mindestens ebenso gut wie Sauce nur aus Zwiebeln ist solche aus reinen, unvermischten Tomaten. Man be­reite sie aber prinzipiell nur in Zeiten, in denen die To­maten reif und gut und billig sind. Treibhausfrüchte eignen sich nicht sehr. Denn erstens sind sie teuer, und zweitens haben sie ein hartes, fades Fleisch.

Diesmal braucht man keine schwere flache Eisenpfanne. Es genügt Aluminium. Und zwar ein hoher Topf, denn die Tomaten müssen nicht angebraten werden. Viel­mehr sticht man mit dem spitzen Messer keilförmig die harten Teile am Stielansatz heraus, zerschneidet die Tomaten in grobe Stücke und kocht sie ohne Wasser auf kleiner Flamme langsam gar. Sobald sie weich sind, durch ein Drehsieb treiben, jedoch nicht zu gewalt­sam! Es ist nicht nötig, daß auch kleine Stücklein von der Schale mit in die Sauce kommen! - Nun ein wenig würzen: mit Salz, mit Pfeffer, mit ein wenig Zucker. Und das ist alles.

Tomatensugo italienisch

Liebt man schärferes Aroma, dann mischt man die To­maten natürlich mit Zwiebeln und röstet beide an, bis sie ein wenig Farbe angenommen haben und herzhaft duften. Und wählt man, um die Mischung anzubraten, statt Butter oder Öl zerschnittenen Speck, den man ein wenig ausläßt, jedoch samt Grieben in der Sauce mit­kocht, dann hat man den Sugo, der in Italien zu den Nudeln so beliebt ist. Natürlich kommt man in diesem Falle nicht darum herum, die Tomaten vorher abzu­schälen. Denn die Schalen zerkochen nicht. Sie rollen

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sich zu harten, kleinen Pfeilen zusammen, die sich nicht zerkauen lassen.

Ein solcher Sugo wird, wir sagten es bereits, noch bes­ser, wenn etwas Hackfleisch in ihm mitgeröstet wird. Doch sorgt der feingeriebene Parmesan, der gleichfalls zu dem Gericht dazugehört, auch ohne Fleisch für wür­ziges Aroma.

Daß man den Parmesan nicht in der Sauce mitkocht, sondern erst später, bei Tisch, über das Mehlgericht -Nudeln, Mais oder Reis - und die Sauce streut, sagten wir schon einmal.

Tomatensuppe <pur>

Hat man jedoch Tomaten ohne Zwiebeln samt Schalen durchgekocht und dann passiert, dann lassen sie sich auch als Suppe essen statt als Sauce. Man macht die Suppe so:

Wir schütten die passierten Tomaten zurück in den Kochtopf, würzen mit wenig Salz und Zucker, fügen ein wenig Rahm hinzu, ganz nach Belieben sauren oder süßen, frischen, erhitzen wieder und füllen die Mi­schung in die Suppentassen.

Das ist alles. Arbeit und Kosten sind gering. Und diese Suppe mit ihrem zarten Fruchtgeschmack mundet wohl jedem. In Wochen der Tomatenschwemme kann es solche Suppe ruhig täglich einmal geben. Entweder mittags, vor dem Hauptgericht, oder am Abend, als Hauptgang, mit ein paar Scheiben belegter Brote dazu. Sicher ist eines: wer Tomatensuppe einmal in dieser reinen Form genossen hat, wird nie mehr eine wollen mit Fett und Mehl darin und Nudeln oder Reis.

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Saure Eiersauce zu Fleischragout

Ich weiß, man kennt sie nicht in unseren Regionen. Doch ist sie uralt und im Süden und im ganzen Balkan sehr beliebt. Mit Recht! Es gibt sie dort so häufig wie bei uns den dünnen Mehlbrei, den wir <Sauce> nennen, über allen Speisen. Man sollte aber diese Eiersauce auch bei uns verwenden! Sie ist das beste Mittel, billiges Fleisch in eine delikate Speise umzuwandeln.

Man nimmt hierfür Füße vom Kalb oder auch billigste Teile von Lamm und Huhn und Ziege. Vornehmlich solche, die eine lange Kochzeit fordern. Man kocht sie in gewürztem Wasser langsam gar. Dann werden Zwie­beln, Lorbeerblätter, Lauch und was noch sonst an Würzen in der Brühe schwimmt entfernt, das Fleisch wird von den Knochen abgelöst, in handliche Stücke zerschnitten und in die Brühe zurückgelegt. Nun kommt der Topf zurück aufs Feuer.

In einem kleinen Porzellangefäß verrührt man ein paar Eigelb, fügt etwas guten Essig oder Zitronensaft hinzu, gießt dann sehr langsam ein paar Löffel heißer Brühe darüber, während man beständig rührt. Jetzt nimmt man den Topf vom Feuer und rührt die mit Essig und Brühe vermischten Eigelb hinein. Die Eier sollen nicht gerinnen. Erst später, im Teller, beginnen sie langsam und flockig zu stocken.

Es ist ein herrliches, billiges Eintopfgericht. Man ißt Fleisch und Brühe zusammen im Suppenteller, und es gehören kleine Scheiben Weißbrot dazu, im Ofen trocken und bräunlich geröstet und kräftig mit Knoblauch eingerieben. Die Scheiben legt man - zwei Stück pro Person - zuoberst auf die Brühe, aber erst im Teller!

Von zu Hause kenne ich dieses Gericht nur mit Kalbsfußen drin.

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In Rom wird es vom einfachen Volk auch gern mit den billigsten Bestandteilen vom Lamm und vom. Geflügel zubereitet. Im Balkan aber bereitet man diese saure Eiersauce zu jederlei Ragout aus hellem Fleisch.

Wichtig sind bei allen Varianten die klapperdürren Knoblauchbrötchen, die das Gericht erst richtig zur Mahlzeit runden! Brötchen dieser Art liebt man im Sü­den und Südosten übrigens nicht nur in sauren Eier­saucen, sondern auch in Suppen mit frischein Meer­getier.

Mehl in Suppen

Dann gibt es noch die Saucen oder Suppen, die sich dar­aus ergeben, daß es einen reut, Kochwasser von Ge­müsen oder Fischen wegzuschütten. An sich eine löb­liche Regung! Denn solche Brühe enthält mitunter wertvolle Stoffe.

Am besten ist es wohl, man kocht die Speisen mit sehr wenig Wasser. Soll es in Sauce umgewandelt werden, dann fügt man im Topf ein klein wenig Rahm oder Wein hinzu -je nachdem, was zu der Speise besser paßt. Soll aber diese Brühe von Fisch oder Gemüsen eine ganze Suppe geben, dann wird es wohl mit Rahm allein nicht gehen. Dann braucht es etwas Mehl, obwohl ge­kochtes Mehl nun einmal nicht besonders schmeckt.

Bechamelsauce überbacken

Aber da haben die kochbegabten Franzosen etwas sehr Kluges herausgefunden: Man schmeckt das Mehl

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weniger heraus, wenn man es vorher mit einem guten Fett zusammen im Kochtopf zergehen und ein wenig bro­deln läßt. Gießt man erst dann die Flüssigkeit darauf, wobei man es portionenweise tut, um Knötchenbildung zu verhindern -, dann wird die Brühe samtig, zart und homogen.

Sie wird noch zarter, wenn man nicht nur das gewürzte Kochwasser von Fischen oder vom Gemüse beifügt, son­dern auch etwas Milch. Bereitet man sie mit Milch al­lein, dann hat man die berühmte < Sauce Bechamel. An sich eine glänzende Erfindung. Vor allem dann, wenn man sie weder als Suppe noch als Sauce verwen­det, sondern als dickflüssigen, sehr leichten Teig, ver­mischt mit Käse, als Überzug für Speiseresten, die man im Ofen wärmen und ein wenig überbacken will.

Mißbrauchter Mehlpapp in Deutschland

Aber, du lieber Himmel, was hat man mit der guten Bechamel und ihrer dunklen, schärfer gerösteten, brau­nen Variante außerhalb Frankreichs, vor allem in Deutschland, alles angestellt! Da gibt es keine Sauce -pardon: Tunke oder Soße -, die nicht überquillt von Mehl. Mehl beim Gemüse, Mehl beim Gulyas, Mehl beim Ragout und Mehl sogar in Saucen, die ihrerseits bestimmt sind, Mehlspeisen - Nudeln, Reis und Pud­dings - zu begleiten. Mehl auch zu Pilzen und in der süßen oder scharfen Buttercreme. Ein dünner oder dicker Kleister, weiß, gelb oder braun, ergießt sich über alles und ertränkt Aroma und Nuance aller Speisen. Ich kenne zwei hübsche Anekdoten rund um das Mehl am falschen Ort:

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Der Hund des Diplomaten und das Mehl

Es lebte einmal - so hat man mir erzählt - ein Adelsherr aus dem alten Österreich, der als Diplomat nach Deutschland ziehen mußte. Dort lernte er die mehl­durchtränkten Saucen, Suppen, Speisen kennen. Er kämpfte wie ein Held gegen sein deutsches Küchen­personal. Umsonst. Er ging in Restaurants. Da war es noch viel schlimmer. Worauf er seinen Hund darauf dressierte, vor jeder Speise mit noch so schwachein Mehlgeruch knurrend zurückzuweichen und sie anzu­bellen. Vor allem aber: sie nicht anzurühren.

Mag sein, daß dieser eine Adelsherr in seinem Hause mit der Methode etwas erreichte. Die Kochgewohnheit eines ganzen Landes aber kann man nicht so leicht ver­ändern. Sogar das Gulyas bereitet man in Deutschland und in der Schweiz mit Mehl! Inzwischen habe ich er­fahren, daß auch die Wiener, sofern sie viele Kinder haben oder aus einem ändern Grunde sparen müssen, Saucen mit Mehl < verlängern >. Auf den reichen Adels­gütern weiter östlich jedoch nahm man zu Wiener Spezialitäten immer nur saueren Rahm. Und nun die zweite Anekdote:

Der Mehlpudding und Max Pallenberg

Als der große Komiker aus Prag, Max Pallenberg, zum erstenmal auf einer Gastspielreise in Deutschlands Nor­den einen steifen Mehlpapp vorgesetzt bekam, sagte er:

«Wackel net! I rühr di eh net an!» Keine Legende berichtet, ob es ein süßer Kleister war ein Nachtisch also - oder ein <scharfer>, also zum Bei­spiel Leipziger Gemüsepudding; das ist ein heller Mehlpapp

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mit kleinen Fetzen verschiedenster Gemüse drin. Was es auch war: kochet lieber so, daß ein Max Pallen­berg es anrührt! Benützet also Mehl zum Backen und meinetwegen auch - statt Ei - zum Überbacken einer Speise. Wollt ihr dagegen Saucen zubereiten, dann ist es besser, zu vergessen, daß man Mehl im Hause hat! Im ändern Falle tut ihr gut daran, die Anstandsregeln aus dem neunzehnten Jahrhundert neu hervorzuholen und die Sauce im Teller stehen zu lassen, sie nicht auf­zutunken

Mißbrauchter Mehlpapp in Frankreich

Die Franzosen also sind schuld, daß es Bechamel gibt. Zugegeben: sie selber verwenden sie mit Vorsicht und Reserve. Dennoch: ein wenig Mißbrauch treiben auch sie mit ihr. Sie sind nämlich, bei allem kulinarischen Talent, sparsame Menschen, hassen die Verschwen­dung. So haben sie die billige Mehlmischung doch an ein paar Stellen eingeschmuggelt, wo sie nichts zu su­chen hat. Daß sie es bei den Pilzen tun, erwähnten wir bereits.

Sie tun es aber auch beim weißen Kalbsragout zum Bei­spiel - es schmeckt jedoch weit besser, wenn man es an­statt mit Mehlpapp mit einer säuerlichen Eiersauce auf griechisch-römische Art bereitet. [Seite 141]

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MAYONNAISE, HOLLANDAISE, REMOULADE, BEARNAISE

Mayonnaise

Eine andere Sauce aber gibt es noch, gleichfalls in Frankreich erfunden: die Mayonnaise. Und diese zeugt von Küchengenialität.

Wie man sie überhaupt erfinden konnte, ist kaum be­greiflich. Wie soll denn einer daraufkommen, daß Öl und Eigelb, beide an sich flüssig, dennoch zusammen dick und puddingartig werden, wenn man das Öl nur tropfenweise dem Eigelb beifügt? Schüttet man beide gleich von Anfang an zusammen und schlägt und rührt sie noch so stark — sie bleiben flüssig, binden sich nicht miteinander. Und auch wenn man versucht, zuerst das Öl zu nehmen und das Eigelb tropfenweise beizugeben, wird keine Mayonnaise draus. Wer also hat die Proze­dur entdeckt und wie ?

Und wer hat das Rezept als erster auch auf die Mi­schung von Eigelb mit Butter übertragen, statt mit Öl ? Diese Abart nennt man nicht Mayonnaise, sondern Hollandaise, und man genießt sie warm, nicht kalt. Der Schritt von der einen Sauce zur ändern war aber gar nicht einfach, obwohl sie im Prinzip dasselbe sind. Man mußte doch daraufkommen, daß die Butter, weil ihr Schmelzpunkt höher liegt, nur in erwärmtem Zustand sich mit dem Ei zur dichten zarten Paste bindet.

Historisches zur Mayonnaise

Vor allem aber: seit wann gibt es überhaupt die Mayon­naise ? Die einen sagen, ein begabter Koch des Ducs und Marschalls Richelieu habe die Sauce erfunden. Und zwar im Kriege, bei Mac Mahon auf Minorca. Daher der Name Mayonnaise, oder genauer: Mahonnaise. Damals, im Jahre 1756, nach dem Seesieg seines Herrn, habe der Koch die traurig reduzierten Küchenbestände beliebig gemixt. Es war noch etwas Öl da und ein paar Eier und offenbar auch Essig oder auch Zitronen. Denn ohne solche beigefügte Säuren schmeckt die Mayon­naise nicht nur miserabel, sie wird auch nicht so ohne weiteres fest und dicht. Durch reinen Zufall also sei die Wundersauce damals entstanden.

Das alles klingt ganz spaßig. Doch ob es wahr ist ? Es ist nicht einmal wahrscheinlich!

Zwar: daß Richelieu, verwöhnter Freund des angeneh­men Lebens und der schönen Frauen, auch in den Krieg die besten Köche mitnahm, ist durchaus glaubhaft. Wenn aber wirklich die Mayonnaise ein Kind der kriegsbedingten Knappheit war - wie kam der Koch dann nur darauf, das Eiweiß wegzuschütten? Mit Ei­weiß aber in der Mischung entsteht nicht Mayonnaise. Wenigstens nicht, solange man sie nur von Hand rührt und nicht mit der viel kräftigeren elektrischen Ma­schine.

Dennoch ist diese Theorie von der Entstehung der Mayonnaise der ändern vorzuziehen, nach welcher nicht der Koch des Ducs de Richelieu, sondern der­jenige des Generals McMahon, eines Iren, sie erfunden haben soll. McMahon, Emigrant, kämpfte im Dienste Frankreichs und in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf der Krim. Vermutlich war sein Koch demnach Franzose. Nur: daß ein solch genialer Koch sich ausgerechnet einem Offizier aus Irland verdungen haben sollte, ist nicht sehr glaubhaft. Es wird ein Mär­chen sein, verschuldet durch den Namen des Generals MacMahon.

Cumberland-Sauce

Immerhin, eine gar nicht üble Sauce kennt man auch aus dem Gebiet der Angelsachsen: es ist die < Cumberland>, gemischt aus rotem Wein, Gelee von Johannis­beeren, Senf und ein wenig Öl und Essig und feinge­schnittener Orangenschale. Man ißt sie zu gebeiztem Wild. In dieser Verbindung schmeckt sie angenehm frisch und pikant.

Varianten der Mayonnaise

Die ändern Saucen, die man bei uns kennt und die auch lohnen, überhaupt gekannt zu werden, stammen durch die Bank vom Süden und vom Westen. Auch die Va­rianten der Mayonnaise und der Hollandaise, die An­reicherung der beiden mit zerhackten Essiggurken, Ka­pern und ändern pikanten Kleinigkeiten, sind franzö­sische Kreationen. Die Saucen heißen Remoulade und Bearnaise.

Und alle beide sind sie ebenfalls schon schier zweihun­dert Jahre alt. Denn war einmal die Grundform da, so war es leicht, sie auf diese Weise abzuwandeln.

Mayonnaise auf Wanderung

Interessant wäre aber zu erfahren, wie lange es damals, im achtzehnten Jahrhundert, brauchte, bis eine solche geniale Küchenerfindung weiter um sich griff. Die Mas­senmedien, die heute für Verbreitung jeder Neuheit sorgen, gab es damals nicht. Und zudem haben wir ja keine Ahnung, wie sich der hochbegabte Koch des Ducs de Richelieu verhielt. War er begierig, seine Erfindung allen mitzuteilen ? Oder hatte er umgekehrt den Ehr­geiz, der einzige zu sein, der es verstand, aus öl und Ei­gelb eine honiggelbe, feste Salbe hervorzuzaubern ? Gab ihm vielleicht sein Herr Befehl, einzelnen seiner, des Herzogs, Geliebten das Rezept der genialen Neuheit zu verraten ? Und wie lange mag es wohl gedauert ha­ben, bis die neue Sauce aus deren Schlössern in die der ändern und schließlich bis auf den Tisch der simplen Bürger vorgedrungen war ? Geschah es vor der Grande Revolution oder erst später ?

Jedenfalls muß die Adelsherkunft der Mayonnaise den Menschen noch sehr lange bewußt geblieben sein. Denn obwohl es doch keine besonders teure Sauce ist, gab es sogar noch in unserem Jahrhundert einen Schlager:

«... Es muß nicht Hummer sein und Mayonnaise, Es kann auch Schwarzbrot sein mit Harzer Käse...»

Und doch ist Mayonnaise weit billiger als frische But­ter!

Wie immer - inzwischen hat die Mayonnaise den gan­zen Erdball erobert. An sich mit Recht. Zu faden Spei­sen ist sie eine unvergleichliche Ergänzung.

Mayonnaise als Küchenunglück

Eines Tages aber wanderte sie nach Amerika aus. Und da geschah mit ihr ein Unglück. Wann und wo immer man in Amerika ganz unharmonisch und diffus diverse kalte Speisestücke durcheinanderwürfelt, bekleistert man sie gründlich mit Mayonnaise. Aus einer Delika­tesse wurde sie auf diese Weise drüben eine Art von Küchenallheilmittel.

Und in dieser verwandelten Bedeutung kam sie zu uns zurück. Kaum findet man noch im modernen deut­schen Küchenzettel eine kalte Speise, der nicht Mayon­naise beigegeben wäre. Man mischt sie mit diversen Käsen, mit Ananas, mit fettein Schinken und mit Kir­schen. Man rührt sie unter sämtliche Gemüse, sogar zu gelben Rüben, die sich mit ihr gar nicht gut vertragen. Und in einem angelsächsischen Kochbuch fand ich so­gar folgendes Rezept: Man mische gehackte Zwiebeln, Tomatenpaste aus der Büchse und Mayonnaise und lasse das Gemengsei als Eiscreme im Kühlschrank er­starren! «Es ist eine Spezialität!» versichert die Auto­rin. Und ob es eine ist!

Doch bei der Lektüre von modernen Küchenbüchern muß man sich jedes Verwundern abgewöhnen. Soeben schreibt mir ein Jurist aus Preußen, der mir im gleichen Briefe das Rezept für eine besonders gute Erbsensuppe mitteilt: «Ich habe einen Freund, der gerne Bratkar­toffeln mit Rollmops und Himbeermarmelade ißt. Aber verglichen mit den Rezepten aus neuesten Koch­büchern ist dies ein Gipfel der kulinarischen Harmonie.» Kurzum - die Mayonnaise, einst die geniale Erfindung eines französischen Meisterkoches, droht heute zum internationalen Küchenunglück auszuarten, genau wie vor ihr schon die lange nicht so klug und raffiniert er­dachte weiße Sauce...

Ganz unabhängig von der Qualität der Saucen, die ihr zu bereiten wißt, möchte ich euch einen kleinen guten Rat erteilen:

Fische - nackt serviert!

Laßt euch von keinem noch so guten Kochbuch dazu verleiten, Fische mit dicker Sauce überglänzt und über­deckt zu Tisch zu bringen! Mag sein, die Platte sieht auf diese Weise schöner aus. Das Entgräten ist dann aber sehr erschwert. Und ein paar Einzelgräte stecken doch oft genug sogar im zartesten, enthäuteten Filet vom feinsten Fisch.

Und zweitens bleibt dann ein Teil der Sauce unfehlbar an den diversen Resten hängen, die man nicht essen kann. Ist es eine wirklich feine Sauce, dann ist es viel zu schade, sie derart zu verschwenden. Ist sie dagegen mehldurchsetzt und wenig schmackhaft, so daß es uns nicht reut, den Großteil von ihr wegzuschütten - wozu dann überhaupt die Sauce ? Dann gibt man doch besser zum blaugekochten Fisch nichts als ein wenig Butter -frisch oder angebräunt - und zu gebackenen Fisch­gerichten ein paar Zitronenviertel!

Axiome für Saucen

Natürlich gibt es nicht nur die paar Saucen, die wir hier geschildert haben, sondern noch Dutzende, Hunderte, Tausende von ändern. < Natürliche > Saucen von Fisch, von Fleisch und von Gemüse. <Künstliche> Saucen, ver­schiedenartig komponiert, zu Fisch, zu Fleisch und zu Gemüse. Wir sagten es bereits und wiederholen es: Je älter, ärmer und kultivierter ein Volk ist, desto reicher und köstlicher wird die Auswahl seiner Saucen sein. In Weingegenden werden wir Wein in der Sauce finden oder sogar Weinbrand. In Gegenden mit Großvieh Rahm und Butter. Wo beides, Wein und Milch, sehr rar ist, wird man aus pflanzlichen Gewürzen herrliche Kombinationen schaffen.

Und weil dies alles stark von den lokalen Möglichkeiten abhängt, hat es wenig Sinn, hier sehr viel Saucen auf­zuzählen. Vieles, was zum Beispiel Inder und Japaner in ihre Saucen mengen, erhalten wir nicht in Europa oder nur aus Büchsen. Doch auch bei bester Konservie­rung schmeckt Büchsenkost niemals so gut wie frische. Man merke sich für Saucen daher nur ein paar Axiome:

Wein und Rahm verbessern fast jede Sauce. Mehl ver­schlechtert sie meistens und soll, wenn überhaupt, nur äußerst sparsam und zögernd verwendet werden.

Und ferner: geht es nicht um eine Sauce, die separat für sich bereitet wird, wie etwa Sugo mit Tomaten zu Spa­ghetti ; geht es um eine Sauce, die nur den Saft und die Aromastoffe, die eine Speise beim Kochen oder Braten abgibt, aufrunden und ergänzen soll — dann soll die Sauce den Duft und den Geschmack der Speise voll be­halten und erhalten! Die Eigenart der Speise soll nicht übertäubt sein durch allzu andersartige Zutaten und allzuviel Gewürze...

Wovon sind wir ausgegangen ? Richtig, von dem Vor­urteil, man beweise seine Kultur und gute Erziehung dadurch, daß man die Sauce im Teller stehenläßt und nicht etwa auftunkt. Ich schlage vor: zu Hause tunken wir die Sauce in jedem. Falle auf.

Und im Restaurant? Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder lohnt die Sauce in einem bestimmten Restau­rant nicht, daß man sie bis zum letzten Tropfen ganz kulturlos aufwischt. Dann zeigen wir, wie gut man uns erzogen hat, und lassen sie unberührt im Teller stehen. Aber zugleich merken wir uns, daß es auch nicht lohnt, das Restaurant ein zweites Mal noch zu betreten.

Im ändern Falle, wenn es also lohnt, tunken Sie Ihre Sauce ruhig auf! Gute Manieren hin oder her - der Wirt und Koch werden sich beide geschmeichelt fühlen. Und ringsum werden sich rasch Dutzende finden, die es Ihnen nachahmen... Pardon, nicht nachahmen, son­dern vormachen! Denn, wie gesagt, dort, wo die Saucen am meisten taugen, in Frankreich und Italien, tut man es schon seit Jahrtausenden!

BREVIER FÜR KALTE KÜCHE

Cocktailbissen

Zurück zu unsern Küchen Vorurteilen! Eines ist prak­tisch nicht totzuschlagen: die Auffassung nämlich, daß Cocktailbissen mit teurem Aufstrich etwas Feines seien. Woher ihr kulinarischer Ruhm ? Nun - sie sind präch­tig anzuschauen, sehr mühsam zu erstellen und oben­drein, wir sagten es bereits, sehr teuer. Das alles ist schon wahr.

Aber versuchen Sie einmal, bei einein Cocktailbissen Preis, Form und Farbe zu vergessen. Schmeckt er dann immer noch ?

Oder bereitet es Ihnen zuviel Mühe, soviel zu abstra­hieren ? Dann schließen Sie die Augen, und lassen Sie sich von irgend jemand mit Cocktailbissen füttern, die Sie zuvor nicht angesehen haben. Nun, wie schmeckt es ? Denken Sie aber ja nicht an die imponierend bunte, zierlich gefüllte Platte, von der die Bissen stammen, ver­gessen Sie auch die mikroskopischen Quantitäten Lachs, Trüffeln, Gänseleber, Kaviar, die auf die geometrisch ausgestochenen, winzigen Fetzchen Schwammgummi-Weißbrot aufgeklebt sind! Konzentrieren Sie sich rest­los auf den Geschmack!

Nun ? Sind Sie sicher, daß Sie nicht sogleich beginnen werden, auszuspucken?

Schwedisches Büffet

Und dann das schwedische und russische Büffet. Na­türlich, in Schweden oder Rußland taugen solche kal­ten Platten und Schüsseln eine ganze Menge. Dort hat man eine Riesenauswahl lebendfrischer Schalentiere oder Fische aus Meer und Flüssen, manches auch sehr frisch eingesalzen oder soeben geräuchert, herrliche Fisch- und Fleischpasteten, ferner eingemachte Gurken oder Pilze zum <Verbeißen> nach dem guten klaren Schnaps. Wir aber, mitten auf dem Kontinent, müssen uns all dies aus Importen mühevoll beschaffen. Es ist nicht mehr so frisch und taugt daher bei uns nicht halb soviel.

Schwedensalat

Die russischen Salate jedoch, die man aber, trotz ihres Namens, in Rußland überhaupt nicht kennt, weil sie in Wirklichkeit aus Skandinavien stammen, schmecken auch auf dem Festland ausgezeichnet. Und diese kön­nen wir mühelos und tadellos auch bei uns bereiten! Sie sind nicht einmal teuer. Wir müssen nicht auf Gäste warten, um sie uns zu gönnen. Man macht sie so:

In einer Schüssel vermischt man zerschnittene gekochte Kartoffeln, Äpfel - saure, mürbe natürlich! -, rote Rü­ben - ebenfalls gekocht; roh sind sie zwar sehr aroma­tisch, aber auch sehr hart -, ferner kleine Scheibchen von Zwiebeln und Salzgurken. Kleine Stücke Hering sind unerläßlich - egal ob aus dem Essig oder Salz.

Das Ganze wird mit öl und Essig abgeschmeckt oder, noch besser, mit etwas Sauerrahm. Dazu ein bißchen Zucker, Salz und Pfeffer. Manche verwenden auch Mayonnaise. Das kann man. Doch soll man sie dann unbedingt verdünnen: mit Fleischbrühe oder auch mit Milch. Sonst wird die Speise allzu schwer und fett.

Andere wieder mischen kleine Stücke Schinken und Braten hinein. Das verteuert den Salat, ohne ihn zu ver­bessern. Denn Fleisch und Schinken sind etwas härter als die ändern Stücke, aus denen sich die Mischung komponiert. Sie harmonieren nicht zusammen.

Solchen Salat kann man also auch bei uns sehr gut be­reiten. Verziert man ihn mit harten Eiern oder mit To­maten, dann schmeckt er nicht nur lecker, sondern sieht auch lecker aus.

Platten mit allzu vielen Fischspezialitäten aber wollen wir den Gästen nur bieten, wenn wir an einer Meeres­küste wohnen. Oder doch in der Nähe von Riesen­flüssen, in welchen vielerlei gedeiht. Denn Tiefgekühl­tes, weither Importiertes, lange in Salz, in Essig und in Büchsen Konserviertes schmeckt nicht besonders fein.

Mischsalate aus Amerika

Und da wir schon den Russischen Salat erwähnten -den aber, wie gesagt, nur Skandinavier und nicht Rus­sen kennen -, möge an dieser Stelle auch anderer Misch­salate gedacht sein. Vor allem jener, die uns Amerika seit ein paar Jahren schenkt. Sie sind, genau wie die Cocktailbissen, die ja auch von drüben kommen, als Anblick von hohem künstlerischem Wert. Eine Pracht und eine Augenweide. Zauberhaft gemischt aus bunten Früchten, Käse, Nüssen, rohen Gemüsen. Vergoldet mit Mayonnaise. Und eine Stange Sellerie ist immer mit dabei - warum, das weiß ich nicht. Die künstlerische Phantasie entfaltet sich bei ihnen ohne Hemmung. Ich habe einmal einen Salat gesehen, bei welchem abwech­selnd Cognacweichsel und grüne Oliven kleine Käse­scheibchen zierten, welche die Mischung umkränzten. Und oben, auf dem Gipfel, in der Mitte, lag ein Häuf­lein dunkler Kaviar, den ein Fähnchen - jedoch das amerikanische, nicht das von Rußland, obwohl der be­ste Kaviar aus der Wolga stammt! - zierte.

< Kunstgewerbe > in der Küche

Überhaupt - Künstlerambitionen in der Küche! Ein­mal bekam ich belegte Brötchen vorgesetzt: schnee­weißen Brotschaumgummi. Entrindet und kreisrund zugeschnitten. Darauf, ebenfalls kreisrund, wie mit dem Zirkel ausgestochen, ein dünnes Scheibchen Salami. Darüber eine Tomatenscheibe, auf ihr ein Scheibchen hartes Ei, auf diesem ein rundes Stücklein Olive und zu­oberst, als Krönung, eine Kaper...

Ich habe damals nachgezählt: hundert solcher Bröt­chen lagen auf den Platten. Die Damen des Hauses mußten tagelang daran gewerkelt haben. Oder sie hat­ten ein ganzes Bataillon Bediensteter zur Hilfe. Man überlege, was da an <Handarbeit> in solchen Brötchen steckt! ...

Und man bedenke, was es da bedeutet, wenn nur eine einzige der vielen Mitarbeiterinnen einmal vergißt, nach einer bestimmten < kaiserlichen > Exkursion die Hände gründlich abzuseifen und zu spülen!

Man bedenke ferner, wie sehr die armen Damen sich bei der Zubereitung solcher Brötchen gelangweilt ha­ben müssen, wieviel sie folglich aus allernächster Nähe über jedem der kreisrunden Scheibchen sicherlich ge­redet haben!

Zudem war es Winter. Wer weiß — am Ende hatte eine von ihnen auch Katarrh und nieste hie und da auf ihrer Hände Werk herab ?...

Ich wollte damals höflich sein und dennoch etwas von den Brötchen auf meinen Teller nehmen - aber dann hätte ich es doch essen müssen! Ich zog die ausgestreckte Hand wieder zurück.

Als ich aufblickte, sah ich einen jungen französischen Professor, der mit wild herausgewälzten Augen voll Abscheu auf die Platten starrte. Wir setzten uns zusam­men in eine stille Ecke, und obwohl ich sonst nur Kaffee oder Milch zu trinken pflege - diesmal trank ich ein Glas Schnaps. Und der Franzose, trinkgewohnt - wie sollte es auch anders sein in einem solchen Weinland ? -, goß schweigend jede Art von Alkohol in sich hinein, bis seine Augen nicht mehr wild rollten, sondern nur noch glasig starrten.

Da nahte mit einer Platte voll von Brötchen die Haus­frau, schön, mild, im weißen Seidenkleid mit einem Gurt aus Gold. Der Franzose warf ihr einen Blick zu, als wollte er sie gleich erschlagen. Doch selbst im Nebel­dunst der Trunkenheit war ihm scheinbar klar, daß das nicht anging. Und also blieb er schweigend sitzen.

Brevier für belegte Brote

Zu den belegten Broten zählen natürlich auch die mei­sten Cocktailbissen, trotz ihrer Winzigkeit. Was nun die Cocktailbissen angeht, so möchte ich den Vorschlag wagen: Laßt die Leute ganz in Ruh' damit! Ich schlage es vor, auf die Gefahr hin, daß mich eine Menge Leser in Briefen und durchs Telephon beschimpfen werden. Denn solche Bissen sind im Augenblick sehr hoch ge­schätzt und absolut tabu.

Doch auch bei appetitlichem und raschein Schaffen steht bei den kleinen Cocktailbissen die aufgewandte <Handarbeit> nicht im Verhältnis zum Wohlgeschmack und sättigenden Wert des Resultates. Wollt ihr trotzdem euren Gästen Cocktailbissen geben, dann macht sie lieber etwas größer als im allgemeinen üblich, und haltet euch an altbewährte, einfache Brot­belage! Begnügt euch ferner mit einfachster, spärlich­ster Dekoration!

Salzkonfekt

Besser aber, ihr spart euch die ganze Arbeit, mit der ihr niemand glücklich macht, und serviert statt dessen zu scharfen Getränken passendes, scharfes Konfekt, wie kleine Käsestangen, Salzbrezeln, kümmel- und salz­bestreute kleine luftige Kissen und kleine Gipfel oder Rollen aus Mürb- und Blätterteig mit einer Füllung aus Sardellen oder Schinken.

Backt ihr das alles selber, dann seid ihr hoch zu loben. Holt ihr es aber beim besten Konditor eurer Stadt, dann ist es sicher mindestens so gut, wenn nicht noch besser, und obendrein viel reicher assortiert. Allerdings auch viel teurer.

Salzmandeln

Stellt ihr dann noch für ausgebrannte Säuferkehlen

Salzmandeln hin — gekaufte oder selbstgeröstete — und für süße milde Seelen ein paar Teller mit Petits fours und ändern zuckerreichen Kleinigkeiten, dann wird euch sicher jeder gern verzeihen, daß die Cocktailbissen fehlen.

Pommes Chips ?

Pommes Chips dagegen brauchst du keine aufzustellen! Ich weiß, sie sind seit ein paar Jahren große Mode. Aber sie sind, im Gegensatz zur allgemeinen Meinung, keine Verfeinerung, sondern bloß Entartung der derberen Pommes frites. Denn während die Pommes frites, die dicken, festen, ölgebackenen Kartoffelstengel, den vol­len Nährgehalt der rohen Kartoffel beibehalten, ent­stehen Pommes Chips so:

Papierdünn werden die Kartoffeln zunächst gescheibelt, dann gewaschen, dann abgetrocknet. Bevor sie noch ins Öl gelangen, ist alles außer etwas Zellulose und Stärke aus ihnen weggelaugt. Sie schmecken auch ent­sprechend fade. Versucht nur einmal, sie zu essen, bevor sie eingesalzen sind! Dann werdet ihr erkennen: das einzige, was an den Pommes Chips taugt, ist allenfalls das bißchen Röstgeschmack - und dann das Salz.

Darum serviere auch keine Pommes Chips anstatt Nu­deln, Reis, Kartoffeln zum Fleisch, wie manche es seit ein paar Jahren tun! Obwohl es bequem ist: man kann sie, sauber verpackt, in Tüten fertig kaufen. Reicht deine Zeit nicht aus, mehlhaltige Beilagen zum Fleisch zu kochen, dann reiche einfach frische Semmeln oder weißes Brot dazu! Auf diese Weise aßen schließlich so­gar die Helden bei Homer ihr Fleisch.

Ungesäuerte Brotfladen

Und dabei war das Brot, das jene aßen, nicht halb so gut wie unser heutiges! Denn nicht die sonst so erfin­dungsreichen Griechen der Antike, sondern die alten Ägypter haben es entdeckt, daß man das Brot mit Hefe lockern kann! Zur Zeit Homers hatten die Griechen das luftige und leichte Brot aus Ägypten vermutlich noch gar nicht übernommen, aßen noch ihre flachen Gersten oder Weizenfladen, wie man sie heute noch an vielen Orten im Orient bäckt und kennt und wie die Juden sie Jahr für Jahr an Pessach, ihren Osterfeiertagen, essen. Denn sie feiern das Fest zur Erinnerung an ihren Aus­zug aus Ägypten vor vielen tausend Jahren. Dort hatten sie, wohl lange vor den Griechen, von den Ägyptern ge­lernt, lockeres, hohes Brot zu backen. Doch vor der Flucht - so lesen wir es in der Bibel - reichte die Zeit nicht aus, das Brot zu säuern. Sie aßen also flache Fla­den in jenen Tagen. Und solche Fladen - Mazzes hei­ßen sie - essen die Juden noch heute an ihrem Osterfest.

Die degradierte Gerste

Wissen Sie übrigens - dies nur nebenbei -, warum die Gerste trotz ihres Wohlgeschmacks an vielen Orten als zweitrangig, minderwertig betrachtet wird ? Kein Mensch verwendet sie, um irgend etwas aus ihr zu backen. Und Gerstensuppe essen fast nur Magenkranke, in Form von Schleim, anstatt, zusammen mit den hübschen ganzen Körnern, die Gesunden. Oder die locker und trocken gekochten Gerstenkörner statt Reis zum Fleisch - wer kennt das noch ? Und dabei schmeckt es herrlich!

Daß man die Gerste heute so schmählich unterschätzt, hängt eben mit der Entdeckung vom Hefebrot zusam­men ! Gerste läßt sich nicht säuern, nicht in die Höhe treiben. In Form von flachen Fladen hatte sie sehr gut geschmeckt. Als aber nun das Hefebrot die große Mode wurde, geriet die gute Gerste, ganz zu Unrecht, ein we­nig in Verruf. Denn mit ihrem so vollen, würzigen Aro­ma taugt sie zu Brei und Suppe, wie gesagt, weit besser als zum Beispiel der Weizen oder gar der fade Reis.

Noch einmal Cocktailbissen

Wir sind vom Thema wieder einmal abgeglitten. Wir sind von Pommes Chips ausgegangen. Zu ihnen waren wir auf dem Umweg über die Cocktailbissen gelangt, die so viel Arbeit und Kosten bereiten - und so bedenk­lich wenig Genuß! Zwar sind die Cocktailbissen im Augenblick die große Mode; nun - seien Sie tonange­bend, und nehmen Sie einfach in Ihrem Hause das Ende der Mode vorweg! Ihr Personal, sofern Sie wel­ches haben, wird sehr zufrieden sein. Sie selber und Ihre Gäste letztlich auch.

Willst du also belegte Brote geben, dann fabriziere sie nicht mikroskopisch klein, und spieße sie auch nicht auf Holzzahnstocher oder bunte Plastikstacheln. Bissen, die so klein sind, daß es kaum gelingt, ihren Geschmack auf der Zunge aufzuspüren, sind kein besonderer Genuß.

Noch einmal Kunstgewerbe am Küchentisch

Belege und verziere deine Brote nicht zu kunstvoll! Hast du Talent zu Kunstgewerbe, dann übe es an Lehmfiguren aus oder auf Papier und Leinwand, mit Farbe und mit Stift!

Allerdings tut das heute jeder zweite, meist auf Befehl seines Psychoanalytikers. Willst du demnach aparter sein als alle Welt ringsum, dann hol vielleicht den Stick­rahmen hervor, an welchem deine Urgroßmutter saß und stichelte, wenn sie ihre Bewunderer im Salon emp­fing ! Das ist so alt und so vergessen, daß es schon bei­nahe wieder neu sein könnte und sensationell! Du wirst damit Furore machen.

Doch lebe deine künstlerischen Ambitionen nicht an den Platten mit belegten Broten aus! Brote, denen man ansieht, daß mühsam an ihnen herumgewerkelt wurde, verschlagen selbst robusteren Naturen den Appetit.

Die teuren Brotbelage

Glaube ja nicht, daß du unbedingt die teuersten Zu­taten für den Brotbelag aussuchen mußt, wenn du es dir im Grunde nicht gut leisten kannst! Es sei denn, du hast Narren und Parvenüs zu Tisch geladen, welche die Kreditfähigkeit deines Mannes am Preise deiner Bröt­chen und Weine messen. Dann freilich ist das Teuerste gerade gut genug. Das aber sind geschäftliche Erwägun­gen, nicht kulinarische.

Kein Mißverständnis, bitte! Nicht daß gegen teuren Brotbelag, wie Gänseleber, frischen Kaviar, Räucher­lachs und dergleichen, etwas einzuwenden wäre! Im Gegenteil. Das alles schmeckt ganz herrlich. Zweierlei aber darf auf keinen Fall passieren: Erstens dürfen die Gäste nie den Eindruck haben, daß die paar Lecker­bissen, die sie bei dir essen, dein Budget total zertrüm­mert haben könnten. Anständige Leute haben es nicht gern, wenn man für sie sinnlose Opfer bringt. Es mordet ihren Appetit. Zweitens aber ist es genauso schlimm, wenn du, weil knapp bei Kasse, von den teueren Sub­stanzen nur soviel einkaufst, als du dir leisten kannst. Dann sind gerade von den besten Brötchen zu wenig da. Oder aber die Zahl der feinen Brötchen reicht zwar aus, sie sind jedoch so dünn, so kümmerlich, so ärmlich be­legt, daß jeder merkt: Aha! Man mußte sparen. Und das verschlägt den Appetit nicht minder.

Wähle also den Brotbelag nach deinem Beutel, und kaufe lieber zuviel ein als zuwenig!

Amerikanischer Brotbelag

Und laß, wenn du Europäer eingeladen hast, amerika­nische Brotbelage ganz beiseite! Nicht jeder hält es aus, auf einer faden, blassen, rindenlosen Scheibe kalkwei­ßen Brotes eine dünne Schicht von Erdnußbutter und darüber ein Salatblatt mit Nüssen und Mayonnaise zu essen. Es mag auch lang nicht jeder blasses Brot mit dünnen Käsescheiben und geraffelter Sellerie darauf. Und selbst wenn einer frisch von drüben kommt und solchen Küchenschreck von Kindheit auf gewöhnt ist, wird er doch nicht weinen, wenn ihn die Heimatküche nicht bis ins Ausland hinein verfolgt.

Diätbrötchenplage

Laß beim Bereiten von belegten Broten alle Diätüber­legungen radikal beiseite! Magerquark mit Zitronen­saft und Petersilie, garniert mit Nuß und Apfel - das mag bekömmlicher sein als Thon mit Mayonnaise, Salz und Pfeffer, Essig und Paprika. Aber es schmeckt nun einmal, auf feuchtes Brot gekleistert, schlechterdings abscheulich.

Dicker Brotbelag

Belege die Brote dick, reichlich, aromatisch! Es ist nicht angenehm für deinen Gast, sofern er Hunger hat, sich Dutzende Male zum Büffet zu drängen, um immer wie­der seinen Teller mit den viel zu dünnen Broten neu zu füllen. Und es ist für deinen Gast auch keine Freude, dauernd nach Salz und Pfeffer fahnden zu müssen!

Überwürzter Brotbelag ?

Anderseits: übersalze die Belagmasse nicht! Denn es steigt täglich zwar die Zahl der Damen, die gerne einen Whisky oder Wodka kippen. Die Männer unserer Tage sind aber oft nur schwache Trinker und obendrein noch Autofahrer. Sie legen wenig Wert darauf, den Durst be­wußt zu steigern, wie es in früheren Jahrzehnten oft ge­schah.

Teufelseier

Zum Beispiel durch die sogenannten Teufelseier. Weißt du, was das ist ? Sehr hart gekochte Eier, deren Schale man von allen Seiten anklopft, bis sie voll von Sprüngen und beinahe mürbe ist. Dann legt man diese Eier für ein paar Tage in eine konzentrierte Lauge mit viel Salz und Pfeffer. Sie werden davon brennend scharf. In Ost­europa ißt man sie zum Schnaps, genau wie Essigpilze oder saure Gurken, und zwar ganz ohne Brot.

Teufelsbohnen

Dort kennt man übrigens noch eine wundervolle Va­riante der Teufelseier: die Teufelsbohnen. Man macht sie aus den sogenannten Saubohnen. Kennen Sie die? Sie sind groß und herrlich zart. Leider bekommt man sie bei uns nur selten und nicht überall, obwohl sie < Ur­gewächs > sind in Europa. Die ändern, die auf hohen Stangen, kamen aus Amerika zu uns.

Saubohnen waren es demnach, die die römischen Ple­bejer vor zweitausend Jahren auf den Straßen dauernd kauten, so, wie man heute im Süden Marroni kauft und kaut, und die der griechische Philosoph und Mystiker Pythagoras aus Gründen, die wir nicht mehr kennen, seinen Anhängern verbot zu essen. Solche Urbohnen, Saubohnen also werden sorgfältig weichgekocht und dann in dieselbe Lauge gelegt wie die Teufelseier. Man ißt sie aus der Hand, zum Wein, sogar zum Süßen.

Wenn Sie mich fragen: ich finde solche Bohnen weit besser als Salzmandeln und dergleichen. Nur sind sie, wie gesagt, bei uns schwer aufzutreiben.

Käse < barfuß >

Teufelsbohnen wie Teufelseier ißt man übrigens nicht nur aus der Hand, sondern darüber hinaus auch < bar­fuß >. So nannte es ein verfressener Berliner, wenn er Substanzen, die sonst nur als Zukost und als Brotbelag gedacht sind, ohne Brot genoß. Zum Beispiel Käse, der < barfuß > sicher ziemlich schwer verdaulich ist, jedoch weit besser schmeckt als auf dem Brot. Versuchen Sie es einmal! Trinken Sie Wein dazu, und nehmen Sie et­was Obst - Äpfel und Birnen - als Nachtisch. Daß man in Polen die Sauergurken aus dem Salz, ferner die Essiggurken und die Essigpilze ebenfalls < barfuß > zum gebrannten Wasser ißt, haben wir schon berichtet. Zurück zu den Sandwiches!

Einfaches Dekor der Brötchen

Daß man, schon aus Hygienegründen, die Brote nur sehr einfach dekorieren soll, sagten wir schon. Ein Scheibchen Gurke, ein paar Kapern, eine Prise Schnitt­lauch oder Petersilie, ein Tomaten schnitz, ein Scheib­chen hartes Ei - das alles ist, wenn man ein wenig auf Farbkontraste achtet, vollauf genügend.

Rohe Tomaten

Und wenn wir schon bei den Tomaten stehen: sie schmecken ausgezeichnet nicht nur auf dem Brot, son­dern auch zum Brot, das heißt in einer Schüssel, als Salat gerichtet, oder auch einfach auf dem Teller, zer­schnitten, mit ein wenig Salz und nach Belieben auch Pfeffer oder Zucker.

Gemüse als Brotbelag ?

Sonst aber alte Maß mit der Verwendung von Gemüsen zu belegten Broten! Zwar: etwa Rettichscheiben auf Schwarzbrot mit frischer Butter schmeckt wundervoll. Als Anblick aber stellt das wenig vor, und zudem gilt es, weil es billig ist, zu Unrecht als kommun. Bereite also solche Brote nur für dich selber und die Deinen, nicht für eure Gäste! Und versuche ja nicht, vornehmer aus­sehende Varianten dafür zu bieten in Form von Broten mit einem Häuflein geschabtem Rettich darauf! Rettich schmeckt nur in Form von Scheiben, ohne Mayonnaise oder andere Salatgewürze, bloß mit ein wenig Salz!

Spargelbrötchen ?

Ja - und laß die Leute ganz in Ruh mit Spargelbröt­chen ! Ich weiß, sie haben einen guten Ruf. Doch ganz zu Unrecht! Denn erstens schmeckt der Spargel besser warm als kalt - obwohl die sonst so kochbegabten Ita­liener ihn häufig kalt genießen. Aber ob warm, ob kalt - die Möglichkeit soll man doch immer haben, die Stangen in die Hand zu nehmen und nur soweit abzuessen, als sie nicht holzig oder fasrig sind. Auch bei ganz kurzen Spargelspitzen ist es nie si­cher, ob sie vollständig kaubar sind. Und wenig be­glückend ist es für den Gast, sich mit schweißbedeckter Stirne abzumühen, die Spargelbrötchen mit dem Mes­ser durchzutrennen oder ein Stück von ihnen abzubei­ßen, ohne dabei die ganzen Spargelstangen mitzuzie­hen, oder gar würgen und spucken zu müssen, weil die endlich mit Zähnen oder Messer glücklich durchgesäg­ten Fasern sich doch nicht schlucken lassen.

Welches Brot für Sandwiches ?

Benütze zum Belegen Pariser Stangenbrot - das ist ein helles, sehr knuspriges, zart duftendes Hefebrot aus Weizen - oder beliebiges Schwarzbrot. Hüte dich aber vor jenem Brot, das ein unbegabter Koch oder Bäcker einmal, in einer für alle Zukunft verhängnisvollen Kü­chenstunde, eigens für Sandwiches erfand! Wir spre­chen wieder einmal von dem bleichen Schwammgummi der Angelsachsen, dem Kastenbrot.

Vom rein ästhetischen Gesichtspunkt aus eignet es sich zwar für Sandwiches ganz vortrefflich. Es hat statt regelloser Löcher nur winzig kleine Poren und eine voll­kommen glatte, geometrisch geformte und genormte Rinde, rund oder auch quadratisch, die man mit einein Messer, eben weil sie glatt ist, sehr leicht entfernen kann - sofern man Wert darauf legt, und die internationale Küche tut es leider. Aber es nährt nicht richtig, dieses Kastenbrot - wir haben schon davon berichtet -, und zudem schmeckt es nicht. Und das ist noch schlimmer. Denn unsere Kost ist schließlich reich gemischt, wir le­ben nicht von Brot allein, würden uns also auch bei schlecht nährendem Brot keine Mangelkrankheit zu­ziehen.

Crackers und Knäckebrot für Sandwiches ?

Nimm für belegte Brote auch keine Crackers oder Knäckebrot! Obwohl hier nicht die Rede davon sein kann, daß sie aus einein überpräparierten und chemisch malträtierten Mehl gebacken wären, dem alles außer Kalorien mit System entzogen wurde. Ausgelaugt ist das Mehl vom dünnen Flachbrot sicher nicht. Aber die Crackers und Knäckebrote taugen nur, solange sie ganz leicht und splittrig sind, duftig und knusprig. Saugen sie sich jedoch mit der Feuchtigkeit des Belages voll, dann werden sie nach kurzer Zeit gummös und klebrig und schmecken miserabel.

Weiches Flachbrot

Daneben allerdings gibt es auch weiches Flachbrot, biegsames, das von Anfang an nicht knusprig ist. Man kennt es gut im ganzen Vorderen Orient, wo man es auf den Straßen bäckt und feilhält. Man ißt es immer nur belegt mit irgendeiner pikanten, scharfen oder süßen Masse.

Doch dieses weiche Flachbrot kennt man nicht bei uns. Vielmehr: man kennt es doch. Aber nur in einer Luxus­variante : es sind die Palatschinken, nicht nur aus Mehl mit Milch und Wasser, sondern mit sehr viel Ei bereitet. Übrigens habe ich umsonst versucht, herauszukriegen, woher das Wort, der Name < Palatschinken > kommt. Es ist mir nicht gelungen, es herauszufinden. Mir scheint:

es klingt ein wenig türkisch. Weiß mir jemand vielleicht Bescheid ?

Was aber die Tatsache angeht, daß Crackers und Knäckebrot sich nicht eignen, als belegte Brötchen stundenlang herumzuliegen, so sollte es nicht nötig sein, die Warnung auszusprechen. Es ist ja klar, daß Knus­priges nicht mehr genießbar ist, wenn es mit Naß-Sein, Kalten sich durchtränkt. Dennoch geschieht es immer wieder, wird auch in Kochbüchern und Zeitschriften oft empfohlen.

Gaudaer Waffeln

Das Schlimmste dieser Art habe ich einmal in Holland gegessen: Gaudaer Waffeln. Das waren zarte, flache Waffeln, je zwei und zwei zusammen festgepappt mit einer dicken, honigartigen Melasse. Die Waffeln ganz für sich allein hätten vermutlich gut geschmeckt, und auch die süße, mit echtem Bienenhonig vermischte Masse in der Mitte war nicht schlecht. Zusammen je­doch, als < gefüllte Waffel >, ergab das Ganze eine Art von Scherzartikel: man fühlte sich verlockt, die Waf­feln Leuten mit Kunstgebiß zu offerieren. Es war zehn gegen eins zu wetten, daß sich die Waffel nur mit dem. Gebiß zusammen aus dem Mund entfernen ließ.

Mayonnaise - gewußt wo

Daß Mayonnaise in der modernen Küche mißbraucht wird, sagten wir schon. Dennoch veredelt sie gar man­chen Brotbelag. Darum ein guter Rat: wenn du eine große Menge belegter Brote vorbereiten mußt, dann halte ein tüchtiges Quantum Mayonnaise bereit! Sie spart dir Arbeit, Kopfzerbrechen, Phantasieaufwand. Nimm nicht gekaufte Mayonnaise! Sie ist für solche Massenverwendung doch ein wenig teuer und meist auch viel zu scharf. Bereite sie allein! Am besten im elektrischen Küchenmixer - wenn du einen hast. Mayonnaise aus dem Mixer hat zwei Vorzüge: Erstens kann man ihr, weil so ein Mixer viel intensiver und kraftvoller rührt als selbst der stärkste Mann, die ganzen Eier beimengen anstatt nur der Dotter. Und zweitens gerinnt und scheidet sie im Mixer nicht so leicht, wird sehr viel steifer und hält sich lange.

Mayonnaise aus dem Elektromixer

Wenn du viel Mayonnaise brauchst, machst du es so:

Du zerschlägst in deinem Mixer zwei ganze Eier mit einem kleinen Löffel Salz, zwei kleinen Löffeln Zucker, etlichen Löffeln Essig. Nicht Zitronensaft, obwohl er weit bekömmlicher ist! Er hat aber, im Gegensatz zu dem sterilen Essig, den Nachteil, daß er bereits am zwei­ten Tage zu schimmeln anfängt. Dann wird die ganze Mayonnaise unbrauchbar.

Senf nach Belieben. Er steigert das Aroma, aber nicht jeder hat ihn gern.

Man zerschlägt diese angegebenen Substanzen im Mi­xer und tröpfelt Öl hinein. Zunächst langsam. Dann, sobald die Mayonnaise fest ist — und das ist sie nach we­nigen Sekunden —, können etwas stärkere Güsse öl nicht schaden. Von Zeit zu Zeit stellt man den Mixer still und rührt mit einem Holzlöffel um, denn die Masse wird rasch so fest, daß neu beigefügtes öl auf der Ober­fläche liegenbleibt, wenn man nicht nachhilft. In wenigen Minuten hat man auf diese Weise dreiviertel Liter sehr steife, gute Mayonnaise.

Echter Weinessig

Was übrigens den Essig angeht, so war er, wie wir schon einmal erwähnten, früher keineswegs steril. Er ist es auch noch heute nicht, wenn er aus reinem Wein berei­tet wird. Ein solcher Essig, frei von chemischer Sub­stanz, duftet viel feiner, ätzt nicht, ist viel gesünder. In Südeuropa kennt bis heute auch der Ärmste keinen än­dern Essig. Was wir jedoch bei uns im Laden kriegen, ist Kunstprodukt moderner Chemie.

Natürlich hindert uns niemand, Weinessig selber im Hause zu bereiten. Aber wer hat schon die Geduld, erst Wein zu kaufen und ihn dann in Essig umzugären? Und zudem: weiß man denn, ob der billige Importwein - und teurer ist für Essig ohnehin zu schade - nicht auch schon chemisch infiziert ist? Außerdem bin ich offen gestanden gern bereit, ein we­nig chemische Substanz in Kauf zu nehmen, seit ich in den Küchenmemoiren einer Patrizierin aus Basel ge­lesen habe, wie man bei ihr zu Hause - und es war ein sehr reiches Haus! Die Basler Patrizier nagen im allge­meinen sowenig am Hungertuch wie die von Ham­burg ! -, wie man also bei ihr zu Hause echten Weinessig herzustellen pflegte: Nach großen Festmählern pflegte ihr Vater [so erzählt sie und findet nichts dabei!] die Restchen Wein aus allen Gläsern der Gäste einzusam­meln und ins Essigfaß zu schütten... Ein Chemiker, dem ich davon erzählte, meinte zwar, da wäre wirklich nichts dabei. Denn bei der Säure­gärung sterbe sicher alles ab, was an krankheitserregen­den Bakterien und Bazillen in den Weinresten zuvor lebte. Dennoch möchte ich solchen Essig nicht gern trinken. Während ich anderseits es ganz und gar nicht unappetitlich finde, daß Männer in den Versen des Hohenliedes im Alten Testament den Wein mit nackten Füßen, die sich davon blutrot färben, keltern.

Brotbelag mit Mayonnaise

Mit Hilfe solcher Mayonnaise also bereiten Sie ver­schiedene Arten von Brotbelag. Fleischkäse oder eine nicht zu grobe Wurst - Servela etwa; aber an ändern Orten mag sie anders heißen - kann man in kleine Wür­fel schneiden, mit Mayonnaise mischen und auf Brote streichen. Auch grob zerzupfter Thunfisch aus der Büchse ergibt einen guten Brotbelag zusammen mit der Mayonnaise. Wir schmecken ihn mit Paprika und even­tuell Zitronensaft noch etwas ab.

Knoblauch und Zwiebel roh

Der Brotbelag gewinnt an herzhaftem Aroma, wenn Sie ihm feingehackte Zwiebeln beigeben und eventuell auch etwas zerstampften Knoblauch. Tun Sie es aber nur, wenn Sie ganz sicher sind, daß alle Gäste solcherart gewürzte Brötchen essen werden! Knoblauch und Zwie­bel sind, wenn man so will, <gesellige> Gewürze. Das heißt, man kann sie in Gesellschaft nur kollektiv genie­ßen - oder gar nicht. Denn nur wer selber ebenfalls da­von gegessen hat, stößt sich nicht am Geruch.

Eierbrötchen mit Mayonnaise

Statt Fleisch und Thunfisch können Sie auch grob ge­hackte harte Eier nehmen. In diesem Falle aber sind feingehackte Zwiebeln unerläßlich: Eier allein schmecken mit Mayonnaise fade. Sie dekorieren die Eierbröt­chen mit Tomatenschnitzen, mit Sauergurken oder ei­ner Prise Schnittlauch.

ZWEI ASSE MIT KÄSE

Käsebrötchen ?

Neuerdings ist es Mode geworden, auch kleine Käse­würfel mit Mayonnaise zu vermischen und auf Brote aufzustreichen oder als Salat zu geben. Wenn Sie mich fragen - ich finde, es ist eine mörderische Kombination! Der schwere und massive Käse, dazu die gleichfalls schwere, kalte Öl- und Eiersauce - auch ein robuster Magen setzt sich da gern zur Wehr. Und erst noch schmeckt der Käse zur Mayonnaise gar nicht lecker. Am besten ißt man den Käse auch heute noch, trotz allen Küchenmoden, so, wie man ihn in Frankreich seit Jahrhunderten zu essen pflegt: mit knusprig-frischem Weißbrot und, wenn man will, noch etwas frischer But­ter. Und nachher trinkt man am besten etwas roten oder hellen Wein.

Käsesalat mit Mayonnaise als Brotbelag taugt also we­nig. Flach aufgelegte Käsescheiben aber taugen noch weit weniger. Denn in der Wärme werden sie rasch hart, verbogen, unansehnlich.

Am besten ist es noch, wenn man den Käse reibt, mit etwas Butter mengt und das Gemengsei aufstreicht. Das geht zur Not, schmeckt aber auch nicht sonderlich. Bedeutend besser und auch dekorativer sind Käsebröt­chen auf norddeutsche Art:

< Schichtbrötchen > aus Pumpernickel und Käse

Man besorgt sich Pumpernickel, viereckig und in Schei­ben geschnitten. Mehrere Scheiben bestreicht man mit Butter und belegt sie mit einein nicht zu harten Käse. Die Scheiben legt man aufeinander. Zuoberst wird eine trockene Scheibe aufgepreßt. Den ganzen Schichtauf­bau ein wenig zusammenpressen, so daß das Ganze gut zusammenklebt.

Und nun mit einein scharfen Messer das Ganze in hand­liche Stücke vom Umfang nicht zu großer Törtchen schneiden. Die Würfel sehen aus wie Schokoladetört­chen mit weißer Cremefüllung und wirken deko­rativ.

Brötchen mit Brinze und Sardinen

Zweierlei Käsebrote kenne ich aber, die alle ändern übertreffen. Das erste ist ein ungarisches Rezept: Bröt­chen mit Brinze und Sardinen.

Kennen Sie Brinze? Wahrscheinlich nicht. Es ist ein weißer, ziemlich fester und fetter, sehr aromatischer Quark aus Schafmilch. Unter den Käsesorten des We­stens gleicht ihm am ehesten noch der Gervais. Brinze ist allerdings viel billiger und nicht ganz so fett. Notfalls kann man statt Brinze auch Magerquark verwenden, vor allem selbstgemachten, aus roher Sauermilch. Hat man nichts anderes, kann man auch gekauften nehmen. Doch ist er meist zu sauer, naß und fad.

Haben Sie keine Brinze, ist der Gervais Ihnen zu teuer, und sagt Ihnen Magerquark nicht zu, dann mischen Sie vielleicht halb Gervais und halb Magerquark. Das dürfte gehen. Doch <orthodox> ist nur die Mischung mit der Brinze.

Sie schütten nun den Inhalt einer Sardinenbüchse samt dem Öl in eine kleine Schüssel, zerdrücken ihn mit einer Gabel und vermischen ihn mit etwa doppelt soviel Brin­ze. Sie mischen gründlich, aber nicht so gründlich, daß nachher nur noch eine homogene graue Paste da ist. Ein wenig krümlig und bröcklig soll der Belag doch bleiben. Und diese Masse streicht man also dick auf knuspriges Weißbrot. Man kann die Brötchen mit Sardellenstrei­fen und Sauergurken dekorieren, beides paßt im Ge­schmack nicht schlecht dazu. Vor allem aber: solche Brötchen fordern wenig Arbeit und schmecken herrlich!

Warme Käsepolster

Und dann kenne ich noch ein heißes belegtes Brot mit Käse, das vor allem im Winter immer starken Anklang findet und auch nicht viel Arbeit macht: die heißen Käsepolster. Sie eignen sich sehr gut zu einein kleinen Küchenimbiß, der zugleich sättigt und belebt, spät in der Nacht zum Beispiel, nach einem, abendlichen Bum­mel. Ich habe das Rezept vom Requisitenverwalter ei­nes Stadttheaters, der mit solchen heißen Käsepolstern seine Lieblinge unter den Schauspielern nach anstren­genden Abenden zu bewirten pflegte. Diesmal darf es auch das blasse, fade Kastenbrot sein, das man, fertig in Scheiben geschnitten, im Bäckerladen bekommt. Die Käsepolster schmecken ohnehin so kon­zentriert und würzig, daß niemand mehr das fade Brot herausschmeckt. Und dunkles Brot oder auch Brot mit starken Löchern ist hier ungeeignet.

Pro Person rechnest du vier Scheiben weißes Brot und, je nach Hunger, ein halbes oder ganzes rohes Ei und 50 bis 100 Gramm geriebenen Käse. Emmentaler am be­sten oder, wenn du schärfere Kost bevorzugst, Gruyere. Dann kommt noch ein halber Löffel Mehl dazu, viel­leicht auch etwas mehr. Zuletzt noch ein paar Tropfen Milch. Die Masse, die du aus diesen Substanzen rühren sollst, muß weich und leicht zu streichen sein.

Ja - und nicht vergessen: kaufe nicht Käse, der wer weiß wie lange schon gerieben im Laden herumsteht! Der Käse muß frisch gerieben sein. Am besten machst du es selber oder lassest es beim Käsehändler vor deinen Au­gen machen.

Diese Mischung wird dick auf die Brotscheiben aufge­strichen - und das ist einstweilen alles. Auf einein wei­ßen, sauberen Papier oder auf großen reinen Platten können die Scheiben nun beliebig viele Stunden auf die endgültige Zubereitung warten. Dann aber, einmal fertig zubereitet, muß man sie auf der Stelle essen! -Natürlich wird man vorsichtshalber die feuchten Schei­ben mit einem leichten Papier gegen Schmutz und Flie­gen schützen.

Die Brote kannst du also auf diese Weise vorbereiten und dann dich nach Belieben den Gästen widmen oder sogar das Haus verlassen. Fünf Minuten ehe du die Brote essen willst, erhitzest du in einer großen, flachen schweren Eisenpfanne ziemlich viel gutes Öl. Sobald es stark erhitzt ist, aber doch noch nicht gerade raucht, legst du Brote hinein. Zuerst mit dem Belag nach unten. Gewöhnlich haben vier Brote auf einmal in der Pfanne Platz. In wenigen Sekunden rundet sich die Käsemasse, schwillt wie ein Kissen an, wird goldbraun, platzt zuletzt auf der erhöhten Mitte auf und läßt an der gesprun­genen Stelle einen hellgelben Streifen sehen. Jetzt wen­dest du die Brötchen mit der Spachtel oder Gabel und lassest auch ganz kurz die Unterseite bräunen. Sofort, noch glühheiß, werden die Käsepolster auf Ga­beln gestochen oder auf Teller gelegt und gleich, am be­sten in der Küche, stehend verzehrt. Zu solchen Käsepolstern trinkt man gern Wein oder Schnaps - es muß kein teurer sein - oder heißen Tee mit Rum und Zucker. Solch schwere Speise braucht, soll sie uns wohl bekommen, als Nachguß Alkohol. Zumal die Brote jedem schmecken und keiner weniger als vier von ihnen essen wird.

Käsepolster mit Mischsalat

Natürlich kann man solche Käsepolster statt zu einem Küchenimbiß auch zu einem regelrechten kleinen Abendbrot servieren. Dann legt man sie auf große, heiße Platten - die Brötchen sollen nicht aufeinander liegen und sich gegenseitig mit Fett durchtränken! Und sind die Käsepolster als Hauptgang gedacht und nicht als kleine Zwischenspeise, dann gibt man einen säuerlichen Mischsalat dazu. Er muß nicht teuer sein. Der Großteil darf aus Kartoffelscheiben bestehen. Doch müssen un­bedingt sehr viele saure, mürbe Äpfel - am besten Boskop - hinein und möglichst auch gekochte rote Rüben. Hat man keine frischgekochten, dann können es auch solche aus der Büchse sein, also in Essig konservierte. Und ferner saure Gurken und feingeschnittene Zwie­beln.

Im Sommer kann man zu den Käsepolstern statt solchem sehr massivem Mischsalat auch grünen Salat ser­vieren oder Tomaten und rohe frische Gurken in Schei­ben. Das schmeckt genauso gut dazu. Und als Nachspeise: Kompott oder rohes Obst. Nicht nochmals Käse natürlich und auch nicht eine schöne fette Torte! Das Hauptgericht ist schwer und fett genug. Ja -, und auch nicht Eis! Und wenn Kompott, dann, bitte, in diesem Falle nicht eisgekühlt!

Käsepolster < barfuß >

Und nun, zum Schluß, noch etwas wirklich Gutes: < bar­fuße > Käsepolster! Die gleiche Masse nämlich, aus der du solche heißen Käsebrötchen machst, kannst du auch < barfuß >, das heißt ohne Brot, ganz einfach löffelweise ins heiße öl gleiten lassen. Das gibt in wenigen Sekun­den sehr rasch anschwellende, goldbraune, appetitlich duftende und prächtig schmeckende Käseküchlein von Form und Größe eines Gänseeies.

Zu ihnen servierst du, anstelle des fehlenden < Brot­schuhs >, am besten trockenen Wasserreis. Und aber­mals Salat. Oder auch nur Kompott.

Und ganz zum Schluß des Abschnitts < Käsepolster), damit du es dir ja gut merkst, noch eine Warnung: glau­be ja nicht, daß du bei diesen Polstern zu sehr an Eiern sparen kannst! Man kann zum Beispiel Palatschinken nach Belieben mit viel oder wenig Ei bereiten. Nicht aber Käsepolster! In unserem Rezepte heißt es: wenn nötig nehme man noch ein paar Tropfen Milch. Diese paar Tropfen sind wörtlich gemeint!

Zwar: in der Schüssel und auf den rohen Brötchen wirst du kaum einen Unterschied erkennen zwischen einer Masse mit sehr vielen Eiern und einer, die fast nur Milch enthält. Bloß: aus der letzteren erhältst du keine festen, hohen Polster, sondern verflossene Fladen, die oben­drein noch ganze Fetzen an das heiße öl abgeben und nach allen Seiten spritzen.

BREVIER FÜR SALATE

Der Salat - das heißt wörtlich und ursprünglich nur <das Gesalzener das Gewürzte. Gemeint war wohl:

Grünzeug, vermutlich roh, vielleicht zerschnitten in Scheiben oder kleine Stücke, die sich leichter essen las­sen, und eben gewürzt mit ein wenig Salz, vermutlich auch schon früh mit Öl und Essig.

Wann eigentlich hat das Wort im Deutschen den Nebensinn von <Durchemander> erhalten wie in der Re­densart: «Das ist ein schrecklicher Salat»? Ich weiß es nicht. Vermutlich erst nach der Entstehung fragwür­diger Mischsalate.

Und wann begann man, auch süße Mischungen aus ro­hen Früchten als <Salat> zu bezeichnen ? Ich habe keine Ahnung. Es lohnt auch kaum, der Frage nachzugehen. Denn wichtiger als solche Wandlung der Wortbedeu­tung ist die reale Wandlung und Verwandlung des Sa­lates selber in den letzten Jahren: aus einer klugen Form, Fades und Ungekochtes durch Marinieren schmackhaft und eßbar zu machen, ist er zu einer ab­scheulichen Methode geworden, teuerste Substanzen, von denen jede isoliert ganz herrlich schmeckt, voll­kommen anorganisch zu vermischen, des eigen Geschmackes zu berauben und kulinarisch zu entwerten;

sie gleichzeitig aber - wir sprachen schon davon - rein künstlerisch, unter dem optischen Gesichtspunkt, auf­zuwerten.

Ursalate

Natürlich gilt das nicht für jene Ursalate, die sich schon seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden in der Volksküche vieler Länder so gut bewähren.

Die klassisch-mediterrane Mischung aus grünen Salat­blättern mit Salz und öl und Essig und, wenn man will, ein wenig Senf und Pfeffer, die sich inzwischen auf der ganzen Welt verbreitet hat, wird auch in aller Zukunft <Mode> bleiben und sich durch nichts verdrängen las­sen.

Und auch die Variante dieser Mischung aus dem Nord­osten, wo die Olivenbäume fehlen und man kein autochthones, gutes Öl hat und folglich den grünen Salat lie­ber mit etwas saurein Rahm und Zucker anmacht, wird

sich weiter halten.

Auch die alten guten Gemüsesalate wird man, obgleich sie etwas derb sind, auch in aller Zukunft essen. Einen von ihnen, den aus Kartoffeln, haben wir schon er­wähnt. Er zählt zu den jüngeren, denn er kann nicht älter sein als die Kartoffel in Europa. In ihrer Urheimat, bei den Indios, wurde die Kartoffel meines Wissens nicht als Salat gegessen.

Grundregeln für Kartoffelsalat

Daß die Kartoffeln für einen wirklich guten Kartoffel­salat nicht schon am Vortag gekocht sein dürfen - das wissen Sie doch schon? Kartoffeln, die nicht frisch ge­kocht sind, werden im Salat nie zart und mürbe, son­dern kleistrig, schwer und glitschig. Kartoffeln vom Vortag kann man für andere Zwecke nehmen - etwa zu Bratkartoffeln oder zu Bärner Röschti. Sie kennen doch den Unterschied? Wir kommen später noch darauf zurück!

Kartoffeln vom Vortag kann man auch zerreiben, mit etwas Mehl und Eiern mischen und zu Knödeln formen, die man in wenigen Minuten in Salzwasser garkocht und zum Fleisch oder Kraut serviert.

Die Regel, daß die für den Salat bestimmte Substanz auf keinen Fall vom Vortag stammen soll, gilt aber nur für die Kartoffeln. Fleisch oder Fisch vom Vortag kann man gut zu Salat verwenden. Desgleichen mancherlei Gemüsereste: Blumenkohl, Erbsen, auch Brüsseler Endivien oder grüne Bohnen. Nur die Kartoffeln müssen frisch vom Herde kommen. Am besten ist es, wenn man sie in der Schale kocht. Dann schälen, scheibeln und rasch mit heißer Fleischbrühe übergießen, damit sie sich mit ihr durchtränken! Notfalls kann man auch warme Milch nehmen, heißes Salzwasser oder erwärm­ten guten Essig. Das alles aber ist nur Ersatz und nicht dasselbe! Durch das Durchtränken mit fettfreier, hei­ßer Flüssigkeit erreichen Sie, daß der Salat zwar feucht wird, aber nicht zu fett und schwer.

Jetzt erst kommen alle die anderen zerschnittenen Sub­stanzen in den Salat hinein - falls es ein Mischsalat wer­den soll und nicht nur einer aus Kartoffeln - und erst zuletzt die Sauce, sei es nun eine Mischung aus Essig, Öl und Senf, sei es eine Mayonnaise oder, am besten, saurer Rahm. Zerschnittene Zwiebeln passen immer gut in den Salat hinein, «"p riechen aber intensiv. Nicht immer mag man das. •

Daß außer Zwiebeln auch saure mürbe Äpfel, rote Rü­ben, Essigpilze in den Kartoffelsalat passen, sagten wir schon.

Vor allem aber: manche glauben, der Salat werde fei­ner, wenn sie von allem Anfang an nur Mayonnaise nehmen. Tun Sie es nicht! Er wird auf diese Weise viel zu unbekömmlich und zu schwer!

Krautsalat

Weit älter und in Europa einst weit bekannter ist der Krautsalat. In der alten, unverfälschten Form wird er so zubereitet:

Ein weißer oder roter fester Krautkopf wird mit dem Gemüsehobel - heute kann es natürlich auch ein elek­trischer sein - oder dem scharfen Messer in nicht allzu feine Streif lein geschnitten, die man nach Belieben ent­weder mit kochendem Salzwasser nur überbrüht oder regelrecht kurz aufkocht.

Inzwischen werden Speckwürfelchen angebraten und ein wenig ausgelassen, bis die Grieben glasig und schon etwas knusprig sind. Nun gießt man das heiße Wasser von den Krautstreifchen ab und mischt statt dessen Essig, Salz und Pfeffer gut darunter. Zuletzt kommt noch das heiße Schmalz samt den Grieben hinein. Man kann den heißen Krautsalat mit einem Brettlein über­decken und beschweren, damit die Marinade ihn gut durchtränkt. Auskühlen darf der Krautsalat ein wenig, nicht aber eiskalt werden. Tierisches Fett schmeckt bes­ser etwas temperiert. In manchen Gegenden wird der Salat auch richtig heiß gegessen!

Solcher Salat paßt nur für kalten Wintertage, zu fettem Schweinefleisch, zu Wurst und Salzkartoffeln. Es ist der­be Hausmannskost. Doch wurde sie vor wenigen hundert Jahren auch an deutschen Fürstenhöfen nicht verachtet.

Liselotte von der Pfalz und Krautsalat

Die Schwägerin von König Ludwig XIV von Frank­reich, Liselotte von der Pfalz, berühmt durch ihren Mutterwitz und ihre derbe Frische, erzählt in einen ihrer Briefe, wie sie als junges Mädchen im väterlichen Schlosse oft bei Nacht, im Finstern, im Nachthemd heimlich in die Küche schlich, um dort mit bloßen Fin­gern ganze Schüsseln voll von solchem Krautsalat leerzunaschen und wie sie dann mit fettverschmiertem Maul [Maul! Nicht Mund!] ins Bett zurückschlich. Und sie erzählt es so, daß man wirklich bedauert, nicht aus der Schüssel mitgenascht zu haben!

Die nordischen Salate erwähnten wir bereits. Ihre Hauptbestandteile sind Kartoffeln, Äpfel, rote Rüben und Sauergurken. Dazu Heringe aus dem Essig oder Salz. Winterliche Gemüsesalate also.

< Italienischer Gemüsesalat >

Gemüsesalate gibt es aber auch andere, passend für den Sommer. Sie stammen aus dem Süden. Das sind die Salate, die man so gern und häufig in Ita­lien ißt, und zwar am liebsten im heißen Sommer. Den­noch können wir sie nicht < Italienische Gemüsesalate > nennen, denn mit diesem Namen bezeichnet man im Norden etwas anderes: Erbsen, Rübchen, dazu noch andere kleingeschnittene Gemüse, mit Mayonnaise überkleidet.

Nennt und beschreibt man aber diese Mischung einem Italiener, dann zuckt er mit den Achseln: er hat noch nie von ihr gehört! Das ist so ähnlich wie mit den < Polnischen Klopsen > und den < Russischen Eiern >, von de­nen in Polen oder Rußland auch niemand etwas weiß.

Fondue Bourguignonne

Oder mit der Fondue Bourguignonne - schon rein be­grifflich eine Mißgeburt! -, die in Burgund auch nie­mand kennt. < Fondue > ist <das Geschmolzene >. Auf Käse angewendet, also auf Neuenburger Käsefondue etwa, ist das Wort gut am Platze. Die Fondue Bourgui­gnonne dagegen, eine Erfindung der internationalen Küche und nicht der Küche von Burgund, besteht aus festen kleinen Stücken Rindfleisch, die sich jeder selber bei Tisch in einer Eisenpfanne mit heißein Öl kurz an­brät und mit vielen scharfen Zutaten zusammen ißt. Offenbar heißt die Speise deshalb Fondue, weil auch Käsefondue bei Tisch auf kleiner Flamme zubereitet wird. Doch warum Bourguignonne? Das weiß kein Mensch... In Wirklichkeit ist es ein japanisches Ge­richt!

Gemüsesalat in Italien

Wir sprechen hier also von jenen Gemüsesalaten, die der Italiener selber ißt. Man nimmt hierfür Lattich oder Broccoli - das ist eine südliche Variante des Blu­menkohls -, Spargel oder Artischocken, auch Zucchetti und Auberginen [Eierfrüchte] sind geeignet. Das Ge­müse wird in Salzwasser nicht zu weich abgekocht, dann ausgekühlt und mit ein wenig Öl und Essig über­schüttet. Das schmeckt ganz gut. Ich selber esse den­noch frisches Gemüse lieber warm.

Hochsommersalate

Und dann gibt es noch die Hochsommersalate: Gurken, Rettiche, Radieschen, Tomaten, in Scheiben geschnit­ten und mit ein wenig Salz bestreut. Zu den Tomaten paßt auch eine Spur von Zucker und von Pfeffer. Essig und öl sind zwar gestattet, aber völlig überflüssig. Das alles schmeckt sehr gut zu Fleisch wie auch zu schwar­zein Brot mit Butter, und in der Hitze liebt und lobt es jeder.

Tomaten mit harten Eiern

Versuchen Sie doch einmal, im Sommer, bei großer Hitze, mittags einen solchen Imbiß aufzutischen:

Pro Person zwei bis drei Tomaten. Sie entfernen mit ( spitzem Messer kegelförmig die harte Stelle rund um den Stielansatz und schneiden die Tomaten in Scheiben oder Achtelschnitze. Die Stücke füllen Sie in eine Schüs­sel und legen oben, zugleich als Verzierung, pro Person drei halbe harte Eier auf. Dann übergießen Sie das Ganze mit einer Sauce aus öl und Essig, aus verdünnter Mayonnaise oder aus saurem Rahm, ein wenig Salz und Pfeffer und ein wenig Zucker. Vor der Mahlzeit eine j halbe Stunde marinieren lassen. Die Sauce soll sich gut mit dem Salat verbinden. Anderseits: durcheinander­rühren darf man die Tomatenstücke und die Eierhälften nicht, weil sonst die Speise nicht mehr hübsch aussieht. Sie servieren zum Salat noch Schwarzbrot mit etwas Butter und einen nicht zu harten Käse.

Heißer Tee bei Hitze

Zuletzt, trotz großer Hitze, kommt ein heißer Tee. In solchen Küchenfragen kann man ruhig von den kulti­vierten Völkern in Ostasien lernen: die Japaner, die in einem feuchten heißen Klima leben und in erhitzten Zustand niemals Eisgekühltes, sondern nur kochend­heißen Tee genießen, wissen was sie tun! Kalte Geträn­ke, und gar eisgekühlte, erfrischen kaum bei Hitze, sie steigern noch den Durst. Die heißen löschen ihn da­gegen wirklich. Warum, das mag der Fachmann, der Physiologe Ihnen erklären. Ich bin kein Fachmann, kenne nur die Wirkung, nicht den Grund.

Geschabte Rohsalate

Heutzutage ist es große Mode, allerlei sehr fein gehobel­te Gemüse roh als Salat zu essen. Nicht gründlich mari­niert oder mit Schmalz zusammen fest gepreßt wie frü­her, sondern ganz frisch und locker, mit der rezenten Sauce mehr besprengt als durchmengt. Die dünnen Spänchen sollen nicht zusammenfallen, sondern sich präsentieren wie Negerkraushaar. Man nimmt für sol­che Salate Rüben aller Art: gelbe, rote und weiße, oder auch weißen und roten Kohl.

Ich selber mache mir nicht viel aus alledem. Aber ich gebe zu: es ist vermutlich recht bekömmlich und ge­sund.

Kaum genießbar jedoch sind die gleichfalls hochmoder­nen und sehr beliebten, hier im Buche bereits oft er­wähnten Phantasiesalate aus Amerika, in welchen sich Kandiskirschen, Sellerie und Schinken und was weiß ich zum lieblichen Genrebild vereinen.

KÜCHENUNFUG AUS EUROPA UND AMERIKA

Da fällt mir eben auf, daß ich zum x-ten Male die ame­rikanische Küche attackiere. Ich gebe zu - es ist nicht ganz gerecht. Schließlich gibt es auch in Europa Kü­chengreuel in rauhen Mengen. Den Leipziger Gemüse­pudding nannten wir bereits, desgleichen die Kieler < Lange Sauce >, die aussieht wie das Erbrochene von einem Säugling, der zum erstenmal versucht hat, rohes Grünzeug zu verschlingen.

Es gibt noch vieles mehr. Einmal bekam ich in Berlin gezuckerten Rosenkohl vorgesetzt! Und wie ist es mit der Schokoladesuppe vor dem Fleischgericht? Oder da hätten wir die <Rote Grütze > - etwas an sich gar nicht Übles. Meist aber ist sie anstatt aus Frühsommer­früchten aus künstlichem Bonbonaroma, Farbstoff und künstlicher Gallerte aus dem Fertigbeutel zuberei­tet, und obendrein serviert man sie in Deutschlands Norden, genau wie die Schokoladesuppe, vor dem Fleisch.

Amerika, Amerika!

Dennoch habe ich immer wieder und am intensivsten die Küche der Amerikaner angegriffen. Allmählich mag das aussehen wie eine USA-Phobie.

Ich habe nur sehr wenige Phobien. Vor allem aber keine gegen ganze Völker und schon gar nicht gegen die im allgemeinen so hilfsbereiten Einwohner von Amerika.

Mein Zorn gegen die Küche von Amerika erklärt sich so: Zwar gibt es miserable Küche da und dort auch in Europa. Meist aber nur in ziemlich armen Gegenden ohne viel Kultur und Lebenskunst und Küchentradi­tion, wo man zu allem hin nur wenig Möglichkeiten hat, den eigenen Speisezettel mit dem von kochbegabteren ändern Völker zu vergleichen.

In Amerika liegen die Dinge anders. Dort strömten Menschen aus allen Gegenden der Welt zusammen. Nicht nur aus England, wo man vom Kochen sehr we­nig versteht, sondern auch aus dem Westen, Süden und Osten Europas, wo man zum Teil ganz billig und dabei sehr schmackhaft kocht. Es fehlte also drüben nicht an Gelegenheit, zu lernen. Die Amerikaner hatten die Chance, eine Küche zu entwickeln, die ihresgleichen auf der ganzen Welt nicht hat: Anregungen von allen Seiten und dazu eine Fülle von bestem Material aus allen Klimazonen ihres Riesenkontinentes, der das Er­lesenste das ganze Jahr durch bieten kann!

Die Amerikaner hätten ohne alle Mühe, nur durch Aus­wahl und Synthese, die beste und feinste Küche aller Zeiten schaffen können!

Was aber tun sie wirklich ? Einwanderer, die eben hin­gekommen sind, halten noch eine kurze Zeit am Kü­chenzettel ihrer alten Heimat fest - mag dieser nun zu­fällig gut sein oder nicht. Schon ihren Kindern aber er­scheint die Küche ihrer Ahnen als eine Art von Schande, als Beweis der mangelnden Assimilation. Sie weigern sich, die Bouillabaisse, die Spätzle, Vareniki und Pizza oder Kalbsbeuschel ihrer Eltern anzurühren und pas­sen sich fanatisch und eilig der allgemeinen Küche drü­ben an.

Und worin besteht sie, diese Küche drüben, die über alle Küchen von Europa siegt? Aus einer Synthese der besten Küchentraditionen des Alten Kontinentes? Eben nicht! Sie ist vielmehr eine verschlechterte Va­riante der Küche Englands, dazu aufreizend reich an Material und folglich teuer und obendrein mit einem Phantasieeinschlag, der rein die optischen Aspekte der Speisen anvisiert. Alles ist bildschön anzusehen - und schmeckt ganz miserabel.

< Optische > Obstzucht

Übrigens fängt das Küchenunglück in Amerika nicht erst in der Küche, beim Kochtopf an. Es setzt schon auf dem Felde draußen ein, beim Anbau der Gemüse und bei der Obstzucht. Alles muß schön sein drüben, das ist die erste und auch einzige Forderung. Ein Apfel, der nicht so vollendet aussieht wie einer aus dem Para­diese oder aus der Hexenszene beim Schneewittchen, wird nicht gekauft. So auch die Birne. Groß muß sie sein und ebenmäßig, wie aus Glas geblasen, und präch­tig koloriert. Und ebenso die Traube, der Pfirsich, die Pflaume...

Wir können heute viel. Wir können Sorten züchten, die schöner sind als alles, was es jemals gab.

Jedoch: wir können diesen wunderschön gefärbten und geformten Früchten nicht zugleich den Wohlgeschmack anzüchten, der einer altbewähren Sorte von unschein­barem Aussehen eignete. Den Geschmack herauszu­destillieren und mit einein ändern Äußern der Frucht zu verbinden - das gelingt fast nie. So gehen, eine nach der ändern, die besten, würzigsten Obst- und Gemüsesorten drüben unter. So kommt es, daß frisch nach drü­ben Emigrierte immer wieder klagen, sie könnten in Amerika, rein dem Geschmack nach, Äpfel von Kar­toffeln kaum unterscheiden. Manche fragen sich dann schließlich, ob ihnen früher, in der alten Heimat, die Speisen vielleicht nur deshalb soviel würziger und aro­matischer erschienen, weil sie, die Esser, damals sehr viel jünger und vielleicht auch dauernd ausgehungert waren ? - Dann aber, eines Tages, kommen sie wieder nach Europa, in das Land, wo sie geboren sind. Sie sind jetzt reich, verwöhnt und alt - und dennoch schmeckt jetzt alles wieder genauso gut wie in der Kindheit!

Doch auch gebbürtige Amerikaner beginnen immer mehr, auf ihren Reisen die Küche mancher Gegenden Europas zu genießen. Ich kenne zum Beispiel einen ur­amerikanischen Professor, dem Tränen in die Augen steigen, sooft er <Gulyas> sagt. Er aß es täglich vor über zwanzig Jahren als Besatzungsoffizier in Wien. In der Provinz Amerikas, wo er jetzt lebt und lehrt, kann aber niemand Gulyas zubereiten. Natürlich, in New York bekäme er es schon. Denn dort bekommt man alles, was es auf der ganzen Welt nur irgend gibt. Wenn auch ver­mutlich nur noch für einige Jahrzehnte. Solange näm­lich, als die Immigrierten noch selber kochen und nicht ihre Söhne, die schon gebbürtige Amerikaner sind, gleich­gültig, welcher Farbe.

Der Professor aber, wie gesagt, lebt in der Provinz. Dort kriegt er dicke Steaks mit Pommes frites. Das schmeckt gut, verleidet aber auf die Dauer. Und außerdem kriegt er dort blasses Kastenbrot - anstatt der krachenden, duftenden Schustersemmel, die man in Wien in kleineren Lokalen zum Gulyas serviert - und Sandwiches, be­legt mit Nüssen, Mayonnaisen und Salaten, und bunte Supertorten statt dem wundervollen Apfelstrudel...

Rußlands Adel in Amerika

Am eindrucksvollsten schildert Vladimir Nabokow, der Autor des berühmten und berüchtigten Romans <Lolita>, diesen ganz eigentümlichen Zerfall der Küchen­tradition bei den Amerikanern. In einem anderen Ro­man von ihm, < Professor Pnin>, berichtet er von einem Gastmahl, das Flüchtlinge aus Rußland auf einem Landgut in Amerika für ihre Freunde zubereitet haben. Seinerzeit, nach der Oktoberrevolution, war es ihnen noch gelungen, mit Geld und Dienerschaft ins Ausland zu entkommen. Sehr gute Köche waren mit dabei. Die freuen sich jetzt, den Gästen, die alle gleichfalls aus Rußlands Adelskreisen stammen, gewissermaßen die <Volkslieder der alten Küche Rußlands > vorzuführen. Und man muß wissen, daß diese Küche zugleich üppig, ein wenig ländlich und sehr schmackhaft war. Dankbar genießen die Gäste, Tränen der Rührung in den Augen­winkeln, die wundervollen Fisch- und Fleischpasteten, die Blini mit Sauerrahm und Kaviar, die duftenden Bauernsuppen, die zarten Nachspeisen aus Quark und Sauerrahm.

Ihre Kinder aber, die schon in Amerika geboren sind, rühren nichts davon an. Sie sitzen alle draußen in den Autos, schimpfend und maulend, sie haben eine Menge Konservenbüchsen eingekauft mit Corned beef und Hamburgers drin. Hamburgers - das sind Hackplätz­chen aus billigstem Mischfleisch. Das alles essen sie mit bloßen Finger kalt aus dem Blech heraus und schlucken dazu Coca-Cola.

Nabokow ist zwar ein Mann von hohem wissenschaft­lichein Niveau, aber er schreibt Romane, nicht Ab­handlungen. Er schildert daher nur, versucht nicht, diese zugleich typische und unbegreifliche Szene zu erklären. Es ist auch wirklich schwer, wenn nicht un­möglich, dergleichen zu verstehen. Denn man begreift zur Not, wenn arme Proletarier aus Europa sich drüben an die Küche der Amerikaner rasch gewöhnen. Ihnen sind ja die Heimatspeisen: Kolatschen, Kuskus, Borschtsch oder Olla Potrida, zugleich Erinnerung, Symbol und Überrest aus einer Welt, in welcher sie ge­treten und verachtet waren. Und blasses Kastenbrot, mit Soda aufgetrieben, belegt mit Grünsalat und Büch­senkirschen und dergleichen, ist für sie zugleich Sym­ptom und Teil der Schicht und Welt, zu der sie eilig auf­zusteigen streben und der sie endlich angehören wollen. Da kann es auch dem kulinarisch recht Begabten pas­sieren, daß er den Maßstab in Küchenfragen ein wenig einbüßt. Zumal, wenn er in seinem Herkunftsland die an sich guten Heimatspeisen vielleicht nur in der arm­seligsten Abwandlung kannte.

Hier aber, in der Szene, die Nabokow malt, sind es doch junge Adelsherren, für die der Eintritt selbst in die aller­höchste Gesellschaftsschicht Amerikas immer noch Ab­stieg bedeutet! Und doch verhalten sie sich nicht anders als die Kinder bettelarmer Arbeitsloser aus Sizilien, die in Europa ihren Hunger vielleicht mit Schnecken und Brennesseln stillen mußten!

Wahrscheinlich wird ein Soziologe dennoch finden, es sei nicht schwer, das Phänomen zu deuten. Er wird uns klarzumachen suchen, daß in den usa der Trend zur völligen Vermassung eben stärker ist als jeder andere Impuls, stärker als Herkunft, Tradition und Maßstab. Auf dem Papier klingt die Erklärung ganz plausibel. Wer aber je im Leben eine gute Fleischpastete aus Ruß­land gegessen hat und kurz danach Hamburgers aus der Büchse - der wird es trotzdem nicht verstehen.

Kulinarische Unterwanderung Europas durch Amerika

Übrigens würde ich trotz allem wenig Gedanken an die Küche von Amerika verschwenden, wenn sie nicht wie ein Krebsgeschwür begonnen hätte, sich nach Europa auszubreiten. Daß Amerika im Kriege siegreich war, trug viel dazu bei. Es gibt Hotels und Häuser, deren Küchenzettel kaum mehr europäisch ist. Natürlich kocht man in Wien, in Frankreich, im medi­terranen Süden auch heute noch nach uralten Rezep­ten und ißt vortrefflich. Deutschland jedoch, das Land, in welchem Traditionen allgemein sehr leicht zerbre­chen und neuen Ideen und Ideologien weichen, ist im Küchensektor für zerstörerische Neuerungen nicht we­niger anfällig als in der Politik. Noch anfälliger sogar. Da in Deutschland das Kochen nie solch perfektes Handwerk und solch hohe Kunst war wie in Paris und Wien, kommt es sehr leicht zum Umsturz: man hat zu wenig zu verlieren.

Aus diesem gleichen Grunde — eben, weil die Koch­kunst hier nie große Volkskunst war - ist auch die Schweiz, wiewohl politisch so gefestigt, in der Koch­tradition dennoch gefährdet.

Küchenmodernismus und -Surrealismus

Daher verfällt man da wie dort den Modernismen, den Surrealismen in der Küche, die dem Auge schmeicheln und die Zunge kränken. Keiner will mehr die guten alten Speisen kochen. Und eh man sich's versieht, ist es passiert: Grete wie Gritli, Traude wie Trudi wissen mit einem Male nur noch, wie man grellbunte Cocktail­happen kleistert - doch wie man eine echte Bärner Röschti langsam brätelt oder wie man eine würzige Berliner Erbsensuppe kocht oder ein schmackhaft-der­bes Krautgericht aus Bayern, davon hat eine junge Frau von heute oftmals keine Ahnung.

Und wenn sie dann erwartungsvoll die Kochlektionen am. Fernsehschirm verfolgt, um auf diesem Wege die altneuen Geheimnisse der Heimatküche zu erfahren, bekommt sie oft abermals Import aus usa zu sehen. Sie lernt nicht, wie man Knödel, Honigkuchen aus dem Mittelalter oder gefüllte Plinsen zubereitet, sondern wie man kaltes Fleisch mit Pfirsich mengt und Knob­lauch, Zwiebel, Zuckerkirschen und Mayonnaise darüberschüttet.

WEISST DU DEN UNTERSCHIED VON BÄRNER RÖSCHTI UND DEUTSCHEN BRATKARTOFFELN?

Die guten alten Speisen aus der Heimat soll man also nicht vergessen. Sie sind zum Teil sehr einfach, auch billig, aber darum nicht minder gut. Nehmen wir etwas vom Allersimpelsten: die Bärner Röschti. So mancher Schweizer sagt das neuerdings verächtlich hin. Als wäre es nicht ein Gericht, das Wert ist, den internationalen Küchenzettel anzureichern!

Einem Bauernsohn, der von der Röschti abfällig spricht, bin ich allerdings noch nicht begegnet. Und wissen Sie, woher das kommt ? Weil er die Röschti noch aus dem Hause seiner Eltern kennt und folglich in der guten, alten, echten Form und nicht als jämmerlichen Zwitter zwischen Röschti und den - an sich ebenfalls vortreff­lichen - deutschen Bratkartoffeln. Was also sind die Unterschiede ?

Deutsche Bratkartoffeln

Die deutsche Bratkartoffel ist resch, knusprig, kroß - die Wörter variieren mit der Gegend, sie meinen aber über­all dasselbe: daß die Kartoffel innen zart und weich ist, außen aber von einer braunen, mürb splitternden Rin­de umgeben wie gut gebackenes Brot. Das erreicht man auf folgende Weise:

Man nimmt Kartoffeln von einer nicht zu mehligen Sorte, kocht sie in der Schale weich, gießt dann das Wasser ab und trocknet die Kartoffeln auf kleiner Flamme noch rasch und gründlich nach. Und jetzt, wenn möglich, einen Tag lang stehenlassen. Dann bleiben die Kartoffeln beim Braten am schönsten ganz. Fehlt es an Zeit, dann wenigstens abwarten, bis die Kartoffeln

kalt sind. Schälen, in nicht zu dünne Scheiben schneiden und in

einer weiten, flachen, gut durchhitzten Eisenpfanne in einein guten Fett - Schmalz oder Butter eigenen sich am besten - auf starker Flamme bräunen. Man muß die Prozedur sorgfältig überwachen und den Pfanneninhalt von Zeit zu Zeit mit einer Spachtel wenden - aber nicht zu oft! Sonst bleiben die Kartoffelscheiben blaß!

Drei Fehler werden oft begangen, die die Speise total

verderben l

Sünde Nummer eins: zu kleine Flamme! Dann werden die Kartoffeln so langsam braun, daß sie gleichzeitig bis ins Innerste auch ganz ledrig werden. Sünde Nummer zwei: zu rasches Wenden! Wir sagten schon: dann werden die Scheiben nicht recht braun, sondern statt dessen feucht und fett und schwer. Sünde Nummer drei - und dies ist auch die größte Sün­de, die man begehen kann beim Kartoffelbraten: zu­gedeckte Pfanne! Dann zieht der Dampf nicht ab, fällt auf die Kartoffeln nieder, macht sie weich und schlapp

und miserabel.

Zuletzt ein wenig Salz und Pfeffer. Und sehr rasch ser­vieren !

Hat man dies alles einmal genau durchdacht, dann weiß man auch, warum im Grandhotel, bei Massenzu­bereitung, die Röstkartoffeln meist so wenig taugen:

es fehlt an Platz und Personal, um die Kartoffeln in so vielen flachen Pfannen gleichzeitig alle anzubraten.

Und folglich überbäckt man sie im Ofen. Da werden sie dann oben ledrig und bleiben unten blaß und weich.

Bärner Röschti

Und nun die Röschti. Sie fordert keine dicken, festen Scheiben, sondern ganz dünne oder aber Grobgeraffel­tes. Und sie ist nicht kroß und resch, sondern sanft, feucht und währschaft. Am allerbesten gerät sie in Schweineschmalz, was auch die moderne Ernährungs­hygiene dazu sagen mag. Ich weiß: Cholesterin! Doch wenn Sie bedenken, wieviel weit Unbekömmlicheres Sie in sich stopfen - chemisch Durchsetztes zum Beispiel oder Eisgekühltes -, dann kommt Ihnen das bißchen Cholesterin auf einmal gar nicht mehr so schrecklich vor. Dann werden Sie sich statt dessen darauf besinnen, wie gut es in der Küche roch, wenn Ihre Großmutter irgendeine Speise im ausgelassenen Speck samt allen Grieben briet! Tun Sie es auch - es muß ja nicht gerade täglich sein! Es ist ein Leckerbissen! In den gut erhitzten, ausgelassenen Speck samt Grieben schütten Sie also die Kartoffelraspeln. Und diesmal wenden Sie fast pausenlos, sanft und mit großer Ruhe. Jede Raspel soll rundum vom Fett umglänzt sein! Doch darf sie weder knusprig werden noch negerbraun. Helle Goldfarbe genügt. Ist sie erreicht, dann wird gesalzen und gepfeffert.

Manche steigern die milde Feuchtigkeit der Röschti noch und mindern zugleich ihren Fettgehalt, indem sie einen heißen Guß Fleischbrühe oder Wasser fast zuletzt beigeben. Bei dieser Abart nimmt man gleich im voraus sehr wenig Fett.

Dann wird das Ganze festgedrückt und zugedeckt. Röschti ist eine Art von Kuchen. Man wartet nun, bis die Unterseite der Kartoffelmasse schön braun ist. Be­sondere Kochkünstler verstehen es, den Röschtikuchen umzudrehen und nun auch auf der ändern Seite anzu­bräunen. Aber nicht jeder bringt das fertig! Hat Groß­mutter es Ihnen nicht schon beigebracht, dann ist es besser, wenn Sie es nicht versuchen!

Auf der Platte aber legen Sie die braune Unterseite un­bedingt nach oben!

Manche fügen der Röschti Zwiebeln bei. Bei Bratkar­toffeln kann man das nicht tun, weil Zwiebeln Wasser schwitzen. Hier aber, bei der feuchten Röschti, geht es. Röschti mit Zwiebeln schmecken sogar besonders gut, sind aber etwas schwierig zu bereiten, weil Zwiebeln und gekochte Kartoffeln mitunter nicht im gleichen Tempo <durch> sind. Es kommt ein wenig auf die Zwie­belsorte an und auch auf die Jahreszeit.

Solche Bärner Röschti - mit oder ohne Zwiebeln und notfalls statt auf Speck auf Butter durchgebraten -, da­zu Salat der Jahreszeit und; traditionsgemäß, sehr hel­len Milchkaffee kann es dreißigmal im Monat zum Abendessen geben, genau wie bei den Schwaben die nicht halb so guten < Spätzle > - niemand wird protestie­ren!

Aber versuchen Sie einmal, dreißigmal im Monat Hawaiisalat mit Ananas und Chesterkäse und Oliven zu servieren oder eine aparte Modesuppe, etwa mit Lauch und Nüssen drin! Sie werden es erleben, daß selbst die artigste Familie revoltiert!

KÜCHENSTILKRITIK

Dauernd predigen wir Konservatismus in allen Küchen­fragen, warnen vor Modernismen und Surrealismen. Fast klingt es, als lehnten wir die Phantasie am Koch­herd in Bausch und Bogen ab. So aber ist es nicht! Der Zerfall der Kochkunst kommt ja nicht daher, daß Fern­sehköche und Kochbuchautoren Phantasie besitzen -gute Köche hatten immer Phantasie. Denn ist das Kochen eine Kunst, dann kann es sie, wie jede Kunst, nicht geben ohne Phantasie.

Das Unglück in der modernen Kochkunst kommt da­her, daß in ihr, genau wie in der neuen Kunst schlecht­hin, die Phantasie durch keine Regeln, Schranken und Gesetze gebändigt ist. Die klare Vorschrift, der ge­schlossene Stil ermöglichen auch weniger Begabten eine akzeptable Leistung. Zwang und <Korsett> sind nicht nur Last, sie geben auch die rechte Haltung. Das ist der Grund, warum die Kunst im Mittelalter nie Minder­wertiges erzeugte.

Freiheit jedoch bedeutet, daß die allgemeine Regel durch die reine Schöpferkraft des einzelnen ersetzt sein soll. Was Privileg und Vorteil schien, das ist in Wirk­lichkeit nur schwere Forderung und Last. Denn wahl­los-blindes Tasten und Versuchen ergibt nicht Kunst, ergibt nur Konfusion und Wirrnis. Kunst blüht nur auf, wenn einer jetzt statt nach allgemeinen Regeln nach ei­ner Norm schafft, die er selbst aus sich heraus geboren hat und die vielleicht auch nur für ihn persönlich gilt.

Nicht Unordnung demnach, sondern das Individual-Gesetz. Dieses setzt aber Genialität voraus. Und Geniali­tät ist in der Küche genau so selten wie in der Kunst.

Küchengenialität

Genial zum Beispiel war der Mann, der vor Jahrtausen­den als erster einen angesäuerten nassen Mehlbrei nicht als < verdorben > wegwarf oder mit Abscheu dennoch kochte und dann aß, sondern die Gärungsgase dazu be­nutzte, ein Brot zu backen und zu lockern, so daß es <aufging>.

Ein Genie war auch der erste, der den Überschuß der Traubenernte nicht mehr bloß zu Sultaninen und Ro­sinen dörrte - was in feuchten Jahren manchmal ohne­hin mißlingen mochte -, sondern den Saft der Früchte kelterte und dann gären und sich setzen ließ. Genial war auch der Einfall, Gurken, Kraut oder Rü­ben durch Salz zu säuern. Und auch die Erfindung von Quark und festem Käse erforderte wahre Genialität. Aber auch der erste, der einen Kochtopf formte oder goß, war ein Genie. Denn immer nur Gegrilltes und nichts anderes dazwischen - das bekämen sogar unsere modernen Grill- und Picknickfanatiker allmählich über. Ganz abgesehen davon, daß manche Fleischsorten und Gemüse nur durch langes Kochen genießbar werden.

Nudeln - seit wann ?

Es folgen die Scharen der Hochbegabten. Sie haben den Küchenzettel der Menschheit für alle Zeiten angerei­chert und aufgesteigert. So jene, die herausbekamen, wie man Tee oder Kaffee bereitet. Oder jene ändern, die als erste das zerstampfte und von Kleie befreite Ge­treide nicht mehr in Form von groben Nocken oder amorphein Brei servierten, sondern in der Gestalt von hübschen, langen, sanft gleitenden und weichgekochten Bändern oder Schnüren: als Nudeln, Makkaroni, Spa­ghetti und dergleichen.

Wo wurde die charmante Erfindung gemacht? Am Mittelmeer ? Oder in Ostasien ? Oder geschah es, wie beim Schießpulver, an beiden Orten zugleich? Ich habe versucht, es herauszubekommen - es ist mir nicht gelun­gen. Aber sicher ist, daß nur ein sehr altes, hochkulti­viertes Volk auf den Einfall kommen konnte, das Mehl in etwas umzuwandeln, das sich mit zerhackten Gemü­sen und Gewürzen und ein wenig Fett, vielleicht auch Fleisch und Fisch, zu einer zugleich so herrlich sättigen­den und verlockend duftenden Mahlzeit abrunden ließ. Es war eine epochale Idee!

Gebrannte Wasser

Natürlich gab es auch sehr viel später von Zeit zu Zeit geniale Küchenschöpfer. Die Alchimisten etwa, denen es gelang, aus Wein den reinen Alkohol zu destillieren. Zwar ist es fraglich, ob man sie als Genies des Küchen­sektors bezeichnen kann und nicht vielmehr der reinen Wissenschaft. Denn Araber, und zwar Moslems, haben das Verfahren entdeckt - ihnen aber hat Mohammed den Genuß von Alkohol verboten! Daß ausgerechnet solche den Weinbrand fanden, die ihn nicht kosten durf­ten - das stimmt ein wenig melancholisch!

Die Mönche und die Schokolade

Und großartig war auch zum Beispiel der Einfall etli­cher spanischer Mönche, den Cacaoati, den würzigen Bittertrank der Indios, anstatt mit Pfeffer und ändern brennenden Gewürzen mit der Essenz des Zuckerrohrs zu kombinieren. Und dabei waren die Urbewohner Mexikos in jeder Hinsicht, auch in Gartenbau und Kü­chenkunst, so hochbegabt und hatten beides in ihrem Lande, die Kakaobohnen wie auch die süßen Halme! Dennoch waren sie nie darauf verfallen, beides zu ver­mischen. Und auch die Vanille, die der Dunkelschoko­lade ihre letzte Feinheit gibt, stammt ja aus Amerika. Doch die Synthese der drei Substanzen ist eine Schöp­fung geistlicher Herren aus Spanien!

Pralinen

Französisch und folglich gleichfalls europäisch ist auch das delikate Luxuskind der Schokolade, das Praline. Wir wissen sogar scheinbar den Namen des Erfinders:

Marschall du Plessis-Praslin. Hier aber macht sich trau­rig bemerkbar, daß die zarte Leckerei an einem Fürsten­hofe der Feudalzeit erfunden wurde: denn nach dem Schloßherrn, in dessen Küche die Pralinen zum ersten­mal das Tageslicht erblickten, heißen die Bonbons. Der Koch, der sie erfand, blieb anonym und unbekannt. Genauso unbekannt wie auch der Schöpfer der Mayon­naise !

Küchenfolklore

Nicht eigentlich genial erfunden, wohl aber herrlich komponiert sind sozusagen alle ragout- und suppen­artigen Eintopfgerichte der Volksküche: das Rindsgulyas und seine Varianten auf der Basis von Schweine­fleisch in Ungarn. In der Provence die EtoufFade de bceuf. Der Borschtsch der Russen: die säuerliche Rote­rübensuppe mit Fleisch darin - sofern man welches hat und sonst mit trockenen Salzkartoffeln, die aus der Hand dazu gegessen werden. Die Bouillabaisse aus Meergetier im Süden Frankreichs an der Küste. Und so manches mehr.

In diesen Eintopfspeisen mischt sich harmonisch alles, was der betreffende Landstrich billig und gut hervor­bringt. Und ganz allmählich, im Laufe der Jahrhun­derte, wenn nicht sogar Jahrtausende, findet sich meist auch das Gewürz dazu, das der Speise die letzte Voll­endung gibt.

Nur selten wird es uns daher gelingen, an diesen Ur­gerichten - <Volkslieder der Küche > nannte sie ein char­manter Küchenautor, der im letzten Kriege leider fiel -etwas zu verbessern. Die Erfahrung unzähliger Genera­tionen hat hier meist die besten Varianten herausge­funden.

Salonkunst in der Küche

Diese Ragouts - sie sind die Volkskunst in der Küche. Die Pralinen dagegen, die Mayonnaisen, die Trüffel­pasteten und dergleichen - das ist gewissermaßen die Salonkunst. Kunst jedoch, echte Kochkunst sind auch diese. Denn wären sie es nicht - nie hätten sie vermocht, sich für die Dauer durchzusetzen. All diese Schöpfungen stammen ja aus Ländern, in denen man schon immer gut zu leben wußte.

Dort hatte der Bauer seine, wenn auch bescheidenen, so doch uralten, urbewährten Küchentraditionen, der Adel seine raffinierte Küchenhochkultur. Der Bürger aber, in der Mitte zwischen beiden stehend, lernte von beiden, verband das Beste aus der Bauernkost mit dem, was er gerade noch bezahlen konnte, vom Tisch der gro­ßen Herren. Das gab die gute Mischung.

Der Wunsch nach Neuerung und Sensation im Kulina­rischen war da nicht sehr groß. Man begnügte sich im allgemeinen mit leichten Verbesserungen und Varian­ten, die dann der Küchenmeister an den Lehrling, die Mutter an die Tochter weitergab. Taugte die neue Va­riation, so setzte sie sich langsam durch. So langsam, daß alles weniger Gute inzwischen wieder wegfiel.

Massenmedien in der Küche

Es fehlten ja die Medien der Massenkommunikation. Vermutlich brauchte unter solchen Konditionen selbst eine fulminante Neuheit wie die Mayonnaise eine gute Weile, bis sie zum kulinarischen Gemeingut wurde. Wie lange so etwas damals dauern konnte, wird heute schwer festzustellen sein. Und letztlich ist es ja auch egal. Wichtig für uns ist nur zu wissen, daß auch Bestes da­mals etwas Mühe hatte, sich durchzusetzen. Und daß, im Gegensatz dazu, auch Schlechtestes sich heute ohne Mühe rasch die ganze Welt - in diesem Falle: Küchen­welt - erobert. Den Hauptgrund nannten wir bereits ein paarmal: es ist der Zerfall der bürgerlichen und bäuerlichen Tradi­tion, beschleunigt und besiegelt durch die beiden gro­ßen Kriege. Den zweiten Grund erwähnten wir soeben:

die Massenmedien helfen, jeden Unsinn rasch und sug­gestiv zu verbreiten.

Geld in der Küche

Als dritter Grund kommt etwas an sich Hocherfreu­liches dazu: die Leute haben zuviel Geld.

Während auch noch die üppigste und beste Volksküche es versucht, gerade das Billigste an Fleisch und Fisch und die besonders leicht erhältlichen Obst- und Ge­müsearten schmackhaft auszuwerten - klagen heute alle Metzger und Gemüsehändler, daß sie nur noch die teuersten Sorten oder Stücke absetzen können. Herr­liche Volksgerichte - aus Kutteln, Lunge oder Kohl be­reitet - geraten so in völlige Vergessenheit. Die Leute fragen nicht mehr: Wie kann ich auch aus einem Kalbs­kopf, einer Milz oder aus Fallobst dennoch etwas Gutes machen ? - sie fragen vielmehr: Was kann ich aus den allerteuersten und ausgefallensten Substanzen nie Da­gewesenes zuwege bringen ?

Und so kommt es eben zu jenen wahrhaft abenteuer­lichen Kompositionen aus Hühnerbrust mit Austern, Pfirsich und Avocados und was weiß ich, das Ganze so­zusagen immer mit jener Sauce übergossen, die früher einmal für die eleganteste und teuerste gehalten wurde:

der Mayonnaise. Daß es abscheulich schmeckt zusam­men - was verschlägt's ? Wenn es nur teuer ist und <mal was Neues >.

Noch mehr Geld in der Küche

Die Allerreichsten aber haben schon wieder aufgehört, nur noch das Köstlichste und Kostbarste zu wollen für ihre Phantasiegemengsel in der Küche. Das ist schon überholt. Das kann sich ja zur Zeit des Wirtschaftswun­ders jeder zweite leisten. Und darum suchen jetzt die Reichsten nur noch die nackte Sensation.

Und so kommt es eben, daß man in Deutschland heute zu jeder Festzeit aus den Tropen importierte Konserven mit Insektenlarven, Würmern, Heuschrecken und andern Ungeziefer, das sonst nur arme Primitive im Ur­wald in der Not verzehren, zu höchsten Preisen handelt. Oder daß eine weltgereiste und sehr reiche Dame in ihrem Kochbuch in allem Ernst empfehlen kann, man möchte als Nachtisch statt etwa Rahm mit Früchten lieber die bereits erwähnte Mischung aus geschabten Zwiebeln, Mayonnaise und Tomatenpaste aus Büchsen eingefroren, als Eiscreme, den Gästen offerieren. Ein solches Eis - erzählt die Dame - wurde ihr einmal zur Erfrischung nach einem Gastmahl vorgesetzt, als es ihr sterbensübel war. Wir möchten meinen: kein Wunder! Wenn auch alle ändern Speisen so ähnlich waren! Die Eiscreme aber - meint die Dame - habe ihr wohlgetan. Nun - wohl bekomm's!

Grenzen der Küchenphantasie

Bemerkenswert ist, was heutige berühmte Köche in Wien und Frankreich übereinstimmend zu neuerfun­denen Speisen meinen, und zwar Köche, die selber in ihren Lokalen Spezialitäten führen, die sie erfunden ha­ben und die man folglich anderweitig nicht bekommt.

Alle bekennen sie, daß es sich hierbei dennoch nicht um völlig Neues handle. Es seien vielmehr nur besonders raffinierte Varianten von bereits Vorhandenem. Jedoch Varianten, wie sie nur der talentierte Fachmann viel­leicht einmal im Laufe von Jahrzehnten herausbringt und niemals der ungeübte Küchenlaie. Experimente sind es nie. Und ein willkürliches und wildes Puzzlespiel schon gar nicht.

Und wenn nun also sogar die kulinarisch hochbegabten Wiener, Italiener und Franzosen zugeben, daß ihnen selten oder nie etwas wirklich Neues einfällt - um wie­viel weniger ist da in Deutschland, England oder in der Schweiz auf diesem Felde etwas zu erwarten! Gerade in diesen Ländern aber bringen uns Bildschirm, Koch­buch und Küchenspalten in den Illustrierten täglich < vollkommen Neues >. Hier eben fehlt das hemmende Talent: der fehlende Maßstab enthemmt die Phanta­sie!

Ist man sich aber einmal klar über Zusammenhang von fehlender Begabung und enthemmter Produktion, dann ist man auch gefeit gegen die suggestive Kraft von solch modernen Küchendirektiven.

DIÄTEN, DIÄTEN!

Wer heute kochen will, der hat es einerseits gut wie noch nie: wann hätte je es solche Fülle an Material zu jeder Jahreszeit gegeben ? Anderseits gab es noch nie so viele Ärzte, Physiologen und Diätetiker, die mit ihren Vor­schriften und Warnungen die gute Küche stören und sogar zerstören.

Wären Diätgesetze wenigstens ewig gültig wie die der großen Kunst! Sie stammen aber aus wissenschaftlichen Tagesmoden und wandeln sich mit ihnen zusammen von Tag zu Tag!

Wir sprechen hier natürlich nicht von den Diätvor­schriften für Schwererkrankte, wie etwa für Diabetiker. Zwar sind auch diese ein wenig variabel, im ganzen aber recht gut erprobt, stabil, fundiert, und straflos übertritt sie keiner. Wir sprechen hier von den Diäten für Gesunde. Sie wechseln wie die Kleidermoden. Jede von ihnen ver­spricht uns langes Leben, ewige Gesundheit, Jugend bis zur Todesstunde. Manche von ihnen schaden im Grun­de mehr als die hemmungsloseste Vollere!. Und den­noch werden sie von Hunderttausenden gläubig und fromm befolgt.

Man kann dabei nicht einmal sagen, daß alle solchen Diätvorschriften unvernünftig sind. Sehr oft beruhen sie auf einer richtigen Erkenntnis, die aber, weil sie neu und folglich eine Sensation ist, nun plötzlich allzu abso­lut genommen wird. Das Frischentdeckte erstrahlt in solchem Glänze, daß alles andere daneben blaß und nicht mehr sichtbar ist. Einwände und Gegenfaktoren werden übersehen und vergessen.

Gefahr der Neuentdeckung: Marx und die Biologie

Das ist natürlich nicht nur in der Küche so. Aus einem solchen Grunde ist heute die ganze Welt gespalten. Denn nur aus solcher Überschätzung und absoluter Wertung von etwas frisch Entdecktem lebt der Kom­munismus, der Marxismus: man hatte allzulange über­sehen, welch zentrale Rolle im historischen Geschehen wirtschaftliche und soziale Faktoren seit jeher spielten. Diesen bösen Fehler in der bisherigen Geschichtsbe­trachtung hat Karl Marx aufgedeckt. Das war genial. Und daß er selber, fasziniert von seiner eigenen Ent­deckung, daneben nichts mehr anderes gelten lassen wollte, das ist verständlich und normal.

Jedoch: die Schüler des Entdeckers sollten wieder freier blicken. Mitunter aber ist es gerade umgekehrt. Nicht nur auf dem Gebiet der Diätetik. Ich entsinne mich noch gut, wie seinerzeit - das war noch unter Stalin -harmlose, unpolitische Biologen plötzlich aus Lenin­grad und Moskau nach Sibirien wandern mußten -weil sie behauptet hatten, Lebewesen könnten sich auch langsam und allmählich verändern und entwickeln. Nach Marx jedoch gibt es Veränderung nur sprung­haft, in Form. von Revolution. Im biologischen Bereich bedeutet dies: nicht Evolution, sondern Mutation. Und dafür kam man also nach Sibirien!

Der Marxist und die Kuh

Ich erinnere mich ferner, wie ein junger Marxist in Pa­ris in einem Museum einer Gruppe bildungsbeflissener Arbeiter Bilder erklärte. Kunst als solche ist in Sozial­begriffen nicht zu fassen. Also sprach er ausschließlich vom dargestellten Gegenstand. Nun, es war einfach:

Religiöses war < Opium fürs Volk>, verspielte Gesellschaftsszenen aus dem Rokoko ein Beweis dafür, wie gut die Feudalschicht es hatte, während das Volk verhun­gerte.

Dann stand man im Saal der Impressionisten. Da war eine flimmernde Sommerlandschaft, kaum hingehaucht im Sonnenglast und Silberdunst, vorn eine Kuh und hinter ihr ein Zaun. - «Genösse, was an dem Bild ist kapitalistisch ? » fragte ein heller Pariser Junge sehr hei­ter. Der Gruppenleiter blieb ernst. «Der Zaun», er­klärte er, «Zäune begrenzen Privatbesitz, den es im Kommunismus nicht geben wird.» - Daß keine Wirt­schaftsform Kühe daran hindern kann, uneingezäunte Gemüsegärten zu zertrampeln – darauf kam er nicht...

So ähnlich ist es auch mit den meisten Gesundheits­diäten : die Einseitigkeit macht sie zum Unfug. Ander­seits : sind sie nicht einseitig, dann sind sie ja nicht mehr Diäten...

Ich werde mich hüten, hier alle Gesundheitsdiäten der letzten paar Jahrzehnte zu kri­tisieren. Manche wollen wir schon deshalb lieber nicht schildern, weil sie nicht sonderlich appetitlich sind: sie beschäftigen sich nicht nur mit der Frage, was und in welcher Zubereitung man essen — sondern auch, wie man den Magen zwingen soll, seinen Inhalt beschleunigt zu entleeren. Nur einige Hauptdiäten seien hier ge­nannt.

Das Volk der Hunsa

Da wäre zunächst die berühmteste und beliebteste aller neueren Diäten, die von Dr. Bircher-Benner, das so­genannte Birchermüsli. Ausgelöst wurde sie durch eine Forschungsreise ins Gebiet des Himalaya. In einem Ge­birgstal, selbst im Sommer schwer erreichbar und im Winter ohne Helikopter - den es damals noch nicht gab! - überhaupt nicht, fand man ein kleines Volk von unge­wöhnlicher Gesundheit. Epidemien gab es dort über­haupt nicht. Was lag näher, als den guten Körperzu­stand der Talbewohner auf ihre Lebensweise zurück­zuführen ?

Nun - es waren arme Bauern. Sie lebten, wie sich er­wies, weitgehend von leicht angerösteten Brotfladen aus flüchtig zerriebenen Getreidekörnern samt der Kleie und von etwas Früchten und Gemüsen. Fleisch oder Milch aßen sie scheinbar überhaupt nicht. Die Früchte genossen sie roh, frisch gepflückt am liebsten, und sonst eben gedörrt. Das einzige Fett, das sie benütz­ten, war ranzige, schwach gesalzene Butter.

So also mußte man offenbar leben, wenn man gesund sein wollte wie die Hunsa! Nur Pflanzenkost, und mög­lichst roh und unverfälscht!

Das Birchermüsli

Und so entstand das Birchermüsli: Haferflocken, lange eingeweicht in Wasser, kalt und naß und roh, mit rohem

Obst dazwischen, geschabt, sonst aber möglichst im Naturzustand. Das heißt bei Äpfeln oder Birnen: zu­sammen mit dem Butzen und der Schale. Zuletzt kommt noch etwas Kondensmilch hinein und nach Be­lieben Zucker oder etwas Honig...

Ich weiß, es gibt heute viele, die den Begriff < Birchermüsli > auf jede Speise aus Milch oder Rahm, rohen Früchten und irgendwelchen Getreideflocken anwen­den, auch den knusprigen, gerösteten, die nur locker übergestreut und rasch, ehe sie weich werden, verzehrt werden. Und auch die Früchte - Beeren oder Bananen -werden nicht zerquetscht, sondern, je nach Art, ganz gelassen oder nur grob zerschnitten.

Hier sprechen wir aber nur von der Urform des Birchermüeslis. Haben Sie es je gekostet? Und hat es Ihnen geschmeckt ? Bitte, rufen Sie nicht sofort begeistert; Ja! Versuchen Sie sich vielmehr vorzustellen, wie es Ihnen schmecken würde, wenn Sie nicht wüßten und glaub­ten, daß dies ein Wunderelixier ist zur Verlängerung des Lebens und für ewige Gesundheit! Nehmen Sie ein­mal an, es wäre eine Speise wie jede andere. Nun -schmeckt es immer noch ?

Charosset

Mich erinnert Birchermüsli in Aussehen und Ge­schmack immer ein wenig an eine Trauerspeise der frommen Juden: Charosset. Es ist dies ein lehmfarbenes Gemisch, das die Juden bei ihrer Osterfeier zusammen mit noch anderen Symbolen auf eine runde Schüssel legen. Charosset besteht in der Hauptsache aus gehackten Nüssen und Äpfeln, mit Hilfe von etwas Wein zu einer feuchten, grobkörnigen Paste verbunden. Und es versinnbildlicht den Lehm, den die Juden vor viertau­send Jahren in Ägypten, zu Staatssklaven degradiert, kneten und zu Ziegeln formen mußten. Ein bitteres Symbol der Knechtschaft also. Und so schmeckt es auch. Oder doch nicht viel besser. Weniger fromme Ju­den begnügen sich daher damit, wenn sie beim Rezitie­ren der Festlegende zu passenden Stellen kommen, das Charosset nur anzublicken und den Tischgenossen herumzuzeigen. Nur die allerfrömmsten kosten von der Mischung.

Aber noch keiner hat behauptet, es wäre ein Genuß, obwohl doch die Grundsubstanzen des Charosset, jede für sich allein genommen, vorzüglich sind.

Rohkostproblematik

Kulinarisch und als Anblick ist das blaßgraue, kalte, nasse Birchermüsli nicht sehr beglückend. Bleibt noch die Frage: Ist es wirklich so enorm gesund ? Zunächst: meist wird es nicht aus ganzen oder nur grob gehackten Haferkörnern zubereitet, sondern aus fla­chen < Flocken >. Das Korn wurde also durch Maschinen gepreßt und bereits ein wenig denaturiert. Ist es nun sicher, daß alle wertvollen Bestandteile des rohen Hafers hierbei intakt geblieben sind ?

Gespritztes Obst

Dann: Birchermüsli enthält ungeschältes Obst. Unser Obst wird aber meist gespritzt, mit Insektiziden sowohl wie mit Chemikalien gegen Schorf und andere Pilz­erkrankungen.

Ist es da sicher, daß nichts von diesen Giften an der Schale haftenbleibt ? Pfirsiche aus dem Süden zum Bei­spiel riechen schon seit Jahren, wie stark man sie auch wäscht, oft penetrant nach solchen Giften. Ist es aber so - dann opfert man die Schale lieber und wirft sie fort -was sie an Aufbaustoffen für unsern Körper auch ent­halten mag. Gift kann man nicht empfehlen.

Verschmutzte Rohkost

Ferner: die Speise erfordert, vor allem wenn man das Kernobst von Hand reibt und nicht mit der Maschine, sehr viel Hantieren. Ferner ruht der eingeweichte Ha­fer viele Stunden, und zwar in rohem Zustand, ehe man das Müsli ißt.

Das aber heißt: die Speise ist ein idealer Nährboden für allerlei Bazillen und Bakterien, die sich hier ungestört entwickeln können. Denn schließlich bringt auch rein­liches Personal und eine sauber erzogene Frau oder Tochter des Hauses nur selten die nötige enorme Vor­sicht auf beim Zubereiten solcher Rohkost. Sie atmen oder husten über dem Mus; sie vergessen, die Hände immer wieder frisch zu waschen, wenn sie ein Taschen­tuch benützen, eine Haustür öffnen oder ein Telephon abnehmen mußten.

Tatsächlich hat man einmal festgestellt, daß roher Rü­bensaft - den manche schlürfen wie ein Wunderelixier -in manchen Küchen mehr gefährliche Bakterien ent­hielt als frischer Dünger!

Naßkalte Speisen

Aber selbst wenn das Mus aus ungespritztem Obst und bei Beachtung größter Sauberkeit bereitet wird, bleibt dies doch zu beachten: nasse, kalte Speisen bekommen noch lange nicht jedem wohl! Man weiß - wir sprachen in diesem Buche bereits davon -, daß die Japaner, die sich auf richtiges Essen und Leben so gut verstehen, auch im heißen Sommer gern glühheiße Speisen und Getränke zu sich nehmen. Mag sein, sie übertreiben. Aber es sollte doch zu denken geben!

Rohkostwirkungen

Sie werden vielleicht einzuwenden haben, bei diesem oder jenen unter ihren Freunden habe das Birchermüsli Wunder gewirkt. Vielleicht. Ich meinerseits weiß jedenfalls von zwei alten Damen aus dem Rhein­land, welche die überkonsequente Rohkost mit ihrem Leben bezahlten. Die eine starb an einer Darminfek­tion, die andere an Schwindsucht.

Dies aber muß zugegeben werden: an ihrem histori­schen Ort hatte die Bircherdiät ihren guten Sinn! Denn damals aßen die Leute mitunter überwürzte und auch zu schwere Kost, und Obst galt vielen nur als wertlose Leckerei, so ähnlich wie Bonbons.

Die fleischessenden Hunsa!

Das Witzige an der Bircherdiät ist nun aber, daß ihre Voraussetzung, die These nämlich, nach welcher die Hunsa solcher Rohkost ihre Gesundheit zu verdanken haben, sich als ein reiner Irrtum erwiesen hat. Wir sagten schon: Damals, als man das Hunsavolk entdeckte, war es unmöglich, in ihr Gebirgstal zu ändern Zeiten als im Sommer zu gelangen. Im Flugzeug aber kam man ohne Mühe inzwischen auch im Winter hin.

Und was stellte sich heraus ? Die Hunsa aßen Fleisch! Sie lebten nur im Sommer vegetarisch, notgedrungen, weil dann ihr Vieh - Kleinvieh natürlich - zusammen mit den Hirten hoch in den Alpen weilte. Im Winter aber, wenn das Vieh zurückkam, wurde geschlachtet, gefeiert, Fleisch gegessen. Und Milch und alle Milch­produkte gab es jetzt, soviel man wollte.

Bircher-Kompromiß

Wir schlagen daher vor: eßt Hafer, genau wie die Ver­ehrer des Birchermüslis! Hafer bekommt nicht nur dem Pferd. Er schmeckt auch besser, voller, runder als der fade Reis, den die Asiaten nicht umsonst mit Curry würzen und mit vielerlei Gemüsen, Fleisch und Fisch und Kräutern mischen!

Aber esset den Hafer gekocht! In Form von dicken Sup­pen, abgewürzt mit braunglasierter Zwiebel, oder in Form von Brei, zusammen mit Kompott, mit Konfitüre, mit ein wenig Zimt und Zucker. Und esset Obst! Gekochtes, wenn ihr wollt. Dann aber:

frisch gekocht und als Konserve nur im Notfall. Wenn aber roh: dann bitte nicht geschabt und nicht zerrieben, sondern ganz einfach so, wie es wächst. Zusammen mit der Schale, wo ihr es riskieren dürft - ich kenne Bauern, die ihr Obst nicht spritzen -, und sonst halt ohne Schale. Jedoch: eßt euren Hafer und euer Obst nicht als Ge­mengsei, sondern jedes separat!

Joghurt

Ich entsinne mich auch einer zweiten Modediät aus den zwanziger Jahren: Joghurt war ganz plötzlich der letzte Küchenschrei. Hersteller von Joghurtgetränken und -bakterien wurden plötzlich Millionäre. Einer von ihnen erfand den Slogan:

«Das Maximum an Jahren

Erreichen die Bulgaren. -

Warum?» - Und dann ging es in kommuner Prosa

weiter:

«Weil sie Joghurt trinken.»

Alles aß plötzlich Joghurt. Und viele nährten sich fast ganz von ihm. Warum es jetzt mit einemmal nicht mehr die rohe Sauermilch sein durfte, die man bisher so gern getrunken hatte, habe ich nie begriffen. Denn wenn man Joghurt anpries, sprach man zumeist nur von der größeren Bekömmlichkeit einer Milch mit Säurebak­terien gegenüber der <süßen> Frischmilch. Milch säuert aber auch von selber, ohne künstlich beigefügte Joghurt­pilze, vorausgesetzt, man läßt sie roh. Joghurt dagegen wird aus gekochter oder doch erhitzter Milch bereitet. Was also soll da der große Vorteil sein ?

Ich möchte meinen: es ist eher umgekehrt! Die rohe Sauermilch ist sehr wahrscheinlich weit bekömmlicher und leichter, auch erfrischender als Joghurt. Joghurt schmeckt schärfer und ist massiver.

Warum die Steppenhirten Innerasiens und die Bulgaren dennoch die Milch zuerst erhitzen und dann künstlich säuern, weiß ich nicht. Mag sein, sie tun es, weil sie zu­meist nicht Kuhmilch, sondern Schaf- und Stutenmilch verwenden. Vielleicht schmeckt rohe Sauermilch von Schafen und von Stuten nicht sehr gut.

Wie immer - Joghurtessen wurde damals, genau wie der Genuß von Birchermüsli, zu einer Art von Reli­gion. Man aß nicht eine Speise, man aß Gesundheit und die Garantie für langes Leben. Man kaufte Joghurt in den Molkereien, man fabrizierte ihn auch selber, man löffelte aus Joghurtgläsern vom frühen Morgen bis zum späten Abend, man löffelte so lange, bis eine neue Mode

aufkam...

Raubtiernahrung

Die neueste der Moden ist, der Wirtschaftskonjunktur entsprechend, bedeutend teurer. Sie schreibt vor, große Stücke festes Fleisch zu essen, und zwar sehr kurz ge­braten. Kohlenhydrate - Mehlspeisen also - soll man meiden, vor allem die gesüßten, weil sie durch zarten Wohlgeschmack dazu verleiten, immer mehr zu essen. Dann aber wird man dick! Das mindert - heißt es - ganz gefährlich die Lebensjahre. Und man darf zwar beliebig große Stücke Fleisch verzehren, jedoch keine fetten. Denn Fett vom Tier enthält Cholesterin, was den Pro­zeß des Alterns so beschleunigt.

Das Fleisch darf ferner nicht in fetten Saucen mit appetitanreizendem Aroma bereitet werden, nicht ge­mahlen und auch nicht zu weich gebraten und gekocht. Am besten äße man es roh oder doch nur ganz kurz ge­kocht, vielleicht nur angegrillt und in der Mitte noch rot und blutig. Im Grunde: Raubtiernahrung.

Gemischte Kost

Ob solche Kost dem Menschen wirklich so bekommt, bleibt abzuwarten. Eines jedoch ist sicher: schädliche Elemente neben den notwendigen enthält fast jede Nah­rung. Ißt man nun sehr Verschiedenes, und das heißt eben: nicht Diät, dann fällt das Schädliche nicht sehr ins Gewicht.

Eßt also ruhig Beefsteak Tartare - das ist rohes Hack­fleisch mit rohem Eigelb - und blutende Steaks! Trinkt euren Joghurt! Kaut rohe Früchte und Gemüse!

Aber eßt daneben auch Eintöpfe und Ragouts, die viele Stunden schmoren mußten. Mag sein, es werden beim langen Kochen bestimmte wesentliche Stoffe gemindert oder gar zerstört. Andere werden auf diese Weise -durch langes Kochen nämlich - vielleicht erst verdau­bar. Und in jedem Falle wird ein eher schwacher Ma­gen mit gut gekochter und durchhitzter Nahrung leich­ter fertig.

Als wir von Rohkost sprachen, erwähnten wir im Vor­übergehen die Küchenhygiene. Die Frage schien ganz einfach: man soll reinlich sein - und damit basta. So einfach ist es dennoch nicht. Denn Hygiene hat nur Sinn am rechten Ort.

WAS IST HYGIENE?

Die alten Haushaltsbücher

Lesen Sie auch so gerne Haushalts- und Anstandsbücher vom vorigen Jahrhundert ? Ich habe etliche in meinen Bücherborden stehen. Jeder, der hinblickt, lacht zunächst darüber. Dann fängt er an zu blättern — die Bücher sind ja voll von altmodischen, reizenden Illu­strationen. Hernach liest er da und dort ein Stücklein. Und plötzlich sitzt er in irgendeiner Zimmerecke, in die Lektüre ganz vertieft, und will das Buch nicht mehr zur Seite legen. Es endet regelmäßig damit, daß er bittet, ich möchte ihm den Band doch leihen!

Ich sage immer unerbittlich: Nein! Und biete als Ersatz irgendeine teure Neuerscheinung an. Noch keiner hat sich aber auf den Tausch einlassen wollen. Wie aber soll ich verleihen, was mir keiner der Entleiher - ich fühle es ganz deutlich —je wiederbringen wird und was ich nie ersetzen kann ?

<Gute Sitten > in der Bürgerwelt

Aus solchen Büchern kann man jede Regel des bezau­bernd-unnützen Rituals des bürgerlichen Gesellschafts­lebens kennenlernen. Man erfährt genau, in weichein Moment allerspätestens man die Papierhülle von mit­gebrachten Blumen nehmen und wohin man sie dann legen soll. Man bekommt beigebracht, bei welchen Vi­siten die Dame den Hut ablegen, wann und wo dagegen sie ihn aufbehalten muß; und wann und wo der Herr den Hut zwar abnehmen, jedoch trotzdem in den Salon mitnehmen soll. Und was dann mit dem Hut und den Handschuhen im Salon zu geschehen hat: wo und wie man den Hut hinstellt, ob mit der Öffnung nach unten oder oben, und wie man die Handschuhe beilegt.

Man lernt hier ferner, wo man sich hinzusetzen hat, falls die Dame des Hauses den Platz nicht selber be­zeichnet. Wobei das Ritual einen jeweils ändern Platz vorschreibt, je nachdem, ob Herr und Dame des Hauses beide zugegen sind oder die Dame allein oder gar nur die Tochter des Hauses.

Der Heiratsantrag

Man erfährt auch, welche Farbe die Handschuhe für bestimmte Anlässe haben müssen. Den Hochzeitsantrag bei den Eltern der Braut durfte der junge Mann zum Beispiel nur in Handschuhen von Ochsenblutfarbe wa­gen. Warum dies grausam-wilde Kolorit ? Ich habe ver­sucht, es herauszubringen. Jedoch kein Lexikon, kein Soziologe, kein Folklorist konnte mir Auskunft geben. Ritus ist eben Ritus und bedarf keiner rationalen Be­gründung.

Aber von allen Vorschriften in dem Buche schien mir dies die härteste und boshafteste zu sein. Denn man be­denke nur, was geschieht, wenn der arme Kandidat von den Eltern abgewiesen wird! Dann weiß es doch auf Grund der Handschuhfarbe die ganze Dienerschaft des Hauses und durch sie bald auch die ganze Nachbar­schaft !

Das hat denn auch einer der Autoren eines solchen Anstandsbuches eingesehen. Er rät darum, allen Anstandsregeln zum Trotz sollte sich der Heiratskandidat zuvor mit dem Mädchen selber in Verbindung setzen und von ihr erfahren, wie seine Chancen stehen. Das spart ihm die Blamage und die Pein...

Geschältes Obst

In allen diesen Büchern gibt es natürlich auch strenge Hygieneregeln. In bezug auf Obst, das bei Tisch geges­sen wird, lautet die Regel so: außer Nüssen, Trauben, Kirschen und Apfelsinen darf man keine Frucht mit der Hand berühren. Aprikosen und Zwetschgen also, Pflau­men und Mirabellen, Äpfel und Birnen werden aus­schließlich mit Messer und Gabel traktiert. Schalen von Äpfeln und Birnen zu essen gilt ferner als unfein. Wo­möglich soll man auch die Pflaumen schälen.

Umgekehrt darf man Spargel - und diese Regel betrach­ten die meisten auch heute noch als bindend - nur mit den Fingern zum Munde führen.

Hygiene oder Ritual ?

War nun das, was für das Früchteessen vorgeschrieben war, hygienisch gemeint, oder war es, genau wie die blutroten Handschuhe des armen Heiratskandidaten, nichts als ein Ritus ? Ich weiß es nicht. Doch ich glaube:

eine klare Antwort läßt sich hier sowenig finden und erteilen wie bei der Kescher-Gesetzgebung der Juden. Da wie dort sind die Motive vermutlich gemengt. Aber obwohl die Speisegesetze der Juden in Bibel und Talmud nur religiös begründet werden, möchte ich doch meinen: bei ihnen überwiegt der hygienische Sinn.

Und wiewohl umgekehrt das neunzehnte Jahrhundert bei allen diesen Regeln viel von Hygiene spricht, möch­te ich vermuten: sie sind nichts als Gesellschaftsritual.

Scheinhygiene

In seinen < Etiketteplaudereien > wendet sich daher auch einer der Verfasser eines solchen Buches, Eustachius Graf Pilati, zornig und entschieden gegen solche Schein­hygiene bei Tisch. Wie ihm auch umgekehrt die strenge Vorschrift, Spargel nur mit der Hand zu essen, albern und überflüssig scheint.

Tatsächlich schreibt ja diese gleiche scheinbar hyper­hygienische Küche des neunzehnten Jahrhunderts für festliche Platten und Torten solch komplizierte und reiche Verzierung vor, daß sie ohne Mißachtung einer ganzen Reihe von Hygieneregeln kaum zu schaffen ist. Und keine Etiketteregel - so stellt der Graf entrüstet fest - verbietet den Tischgenossen, eine Platte mit Spei­sen nahe an sich heranzurücken und über ihr zu spre­chen und zu niesen!

Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Haben Sie schon zugeschaut, wie Festteilnehmer, die sich für wohlerzogen halten, mit kalten Platten, Sandwiches, Cocktailbissen, Mischsalaten und auch warmen Schüs­seln umzugehen pflegen ? Mit den Bakterien und Bazillen, die hierbei aus nächster Nähe zielsicher auf die Spei­sen abgeschossen werden, lassen sich mühelos ganze Armeen infizieren!

PASTEURISIERT UND KONSERVIERT

Most in der Ostschweiz

Gleichzeitig aber hat man Angst, einen Schluck Milch oder Obstsaft roh zu trinken. Man muß - so meint man - das Getränk erst pasteurisieren. Unbedingt! Und man behauptet, der Pasteurisierprozeß ändere nichts am. Geschmack einer Speise...

Ach, ich erinnere mich noch gut, wie schön es früher in der Ostschweiz war im Herbst, wenn ringsum die Äpfel und die Birnen reiften! Es gibt hier in der Gegend kleine, süße Sorten, die, als Frucht und roh gegessen, nicht be­sonders schmecken: sie sind zu süß und fad. Der Saft, der Most jedoch aus solchem Obst schmeckt herrlich. Ein jeder Landwirt preßte früher solchen Most auf sei­nein Hofe selber, und an jedem. Gasthaus auf dem. Lande hing wochenlang im Herbst ein Schild, welches ver­sprach: <Saft ab Presse > oder < Frischer Most>. Manch­mal war der Saft dann doch schon ein paar Tage alt und bereits etwas angegoren. Nun — dann war er eben nicht mehr ganz so süß und mild, sondern zugleich ein wenig alkoholisch. Perlen stiegen in ihm hoch wie im. Cham­pagner.

Man aß den blaßgelben, fetten, stark riechenden Appenzeller Käse dazu mit etwas Senf und dunklem Brot. Zum Nachtisch brachte der Wirt jeweils duftende Appenzeller Biberfladen: einfache, leichte, flache, große runde Kuchen aus honigbraunem, altmodisch gewürz­tem Teig.

Und etwas angeheitert zogen die Städter am Abend nach Hause.

Entkeimter Most!

Und heute ? Man kann suchen, wo man will: sogar im entlegensten Bergtal bekommt man den Most nur noch in genormten, fest verschlossenen Flaschen. Natürlich pasteurisiert. Sonst würde die Gärung die Flasche in Stücke sprengen.

< Frisch ab Presse > steht im Herbst zwar auch auf diesen Flaschen aufgedruckt. Allein was hilft die < Frische >? Durch das Entkeimen ist der Most aus einer lebendigen und wilden Kraft in eine sanfte Sauce und tote Nähr­substanz verwandelt. Er schmeckt wie Limonade.

Entsauster Sauser!

Und mit dem frischen Saft aus Trauben ist es auch nicht anders. < Sauser > nannte man ihn früher in der Ost­schweiz. Mit Recht. Es sauste und brauste in ihm. Drum kam er auch nur im offenen Kruge zu Tisch.

Aber genau wie der Most aus Äpfeln und Birnen ist auch der frische Saft der Trauben heute nicht mehr trübe und bewegt und leise angegoren, sondern so glasklar, brav und still wie Kindersirup: denn durch Erhitzen und — was weiß ich! —vielleicht auch gärungs-hemmende Chemikalien hat man das Leben in ihm hingemordet.

Das, was in der Ostschweiz <Sauser> heißt - das ist der < Heurige > der Wiener. Und ich warte nun bloß darauf, daß auch die Wiener damit beginnen, den Heurigen steril zu machen und in verkorkten Flaschen zu ser­vieren. Das wird eine Freude sein! Alle Babies wer­den dann zum Heurigen mitgehen dürfen, die Mamas werden ihnen die stille, rote und sterile Flüssigkeit in die Schoppen füllen - und die Papas? Die werden plötzlich gar nicht mehr so < durstig > sein!

Wenn sich nun aber Reisegäste aus Amerika mit cocktailausgebrannten Kehlen zum Heurigen verirren wer­den - was macht man dann mit ihnen ? Nun - sehr ein­fach! Man schüttet ihnen in den sterilen Saft einen Schuß Whisky hinein! Und die natürliche Gärung des jungen wilden Weines ersetzt man dann durch künstlich injizierte Kohlensäure.

Das Pasteurisieren und die Vitamine

Es ist ja überhaupt eine merkwürdige Sache mit dem Prozeß der Entkeimung, und sei es in der mildesten und schwächsten Form, durch Pasteurisieren mit Hilfe nicht zu starker Erhitzung. Immer wieder behaupten die Ver­ehrer der Methode, daß solch ein Eingriff weder die Vitamine noch den Geschmack zerstöre.

Was nun die Vitamine angeht, so bin ich nicht vom Fach und will mich folglich nicht darüber streiten. Ob­wohl ich doch vermuten möchte: das Wissen der Che­miker, Biologen und Physiologen bleibt, bei allem. Um­fang, ewig lückenhaft. Von Natur ist unser Körper auf lebende Nahrung ausgerichtet und auf sie eingestellt. Ein jeder Vorgang, der Bakterien und Bazillen tötet, tötet in eins damit vermutlich noch viel andere, was unser Organismus, weil selber lebend, auch in der Nah­rung lebendig und nicht gemordet braucht.

Natürlich hat man keine Wahl bei Speisen, die man roh nicht essen kann. Und manche ändern Lebensmittel ge­winnen durch den Koch- und Bratprozeß so sehr an Wohlgeschmack, daß man den Nachteil gern in Kauf nimmt. Doch keine Speise gewinnt an Wohlgeschmack durch Pasteurisieren.

Das Pasteurisieren und der Geschmack der Speisen

Ich möchte sogar die Behauptung wagen: ein Entkei­men, das nicht zugleich den Geschmack ein wenig schwächt und stört - das gibt es nicht. Das festzustellen, braucht es keinen Fachmann. Dies ist nicht nur beim Saft von Kernobst und von Reben so, sondern auch bei Milch und Butter und vielem anderen mehr. Es gilt natürlich doppelt dann, wenn man nicht nur schwach pasteurisiert, sondern radikal sterilisiert. Es mag ein Segen sein, daß wir Methoden kennen, wie man Fleisch und Fische, Früchte und Gemüse durch radikales Entkeimen endlos konserviert - rein kulina­risch betrachtet ist es nur ein Notbehelf.

Tiefgekühltes

Dies gilt, obwohl man heute oft das Gegenteil behaup­tet, auch vom modernsten aller Verfahren zur Konser­vierung : der radikalen Kühlung. Denn es stimmt ein­fach nicht, daß hierbei die Lebensmittel nur in einen Dornröschenschlaf verfallen, aus dem sie völlig unver­ändert wieder auferstehen! Bei derben Gemüsen - Win­terspinat oder Erbsen etwa - merkt man den Unterschied nicht sehr, das ist schon wahr. Bei zarten Früch­ten aber ist die Geschmackabweichung deutlich merk­bar. Und auch bei Fischen. Am intensivsten merkt man die Veränderung bei Edelsorten, wie Forelle, Äsche, Felchen. Ein derber Dorsch dagegen schmeckt auch tiefgekühlt nicht übel.

Konservieren - gewußt wie!

Von den Fragen der Hygiene sind wir unmerklich in die der Konservierung hineingerutscht. Tatsächlich sind die beiden Fragen nah verwandt. Die Hygiene strebt eine partielle Keimfreiheit an, die Konservierung eine viel weiter gehende, womöglich absolute. Der Unter­schied ist also scheinbar nur graduell. Aber nur schein­bar ! In Wirklichkeit ist die Distanz gewaltig und un­heimlich. Weil jede Absolutheit von Grund auf lebens­feindlich ist. Das gilt im Küchensektor so gut wie in Moral, Philosophie und Politik. Und darum sind Ver­fahren, die die Lebendigkeit nur partiell zerstören oder die eine Form des Lebens durch eine andere ersetzen -wie es die alkoholische und die Säuregärung etwa tun -, auch heute noch die kulinarisch besten. Doch eben dar­um muß man bei diesen Konservierungsformen in Kauf nehmen, daß sie die Haltbarkeit einer Speise nicht ver­ewigen, sondern nur verlängern.

Konservieren in Salz -mit und ohne Säuregärung

Ordinärstes Schweinefleisch aus dem Salz, dazu, wie es die Tradition befiehlt, gekochtes Sauerkraut und Salzkartoffeln - das schmeckt weit besser als Zungenbraten oder zartes Huhn aus einer Büchse. Und auch die im­portierten tiefgekühlten Hühnchen, die man so gern als sonntäglichen Leckerbissen auftischt, schmecken nicht halb so gut wie solche alte Bauernspeise. Ein ganz kom­muner Hering schmeckt, frisch eingesalzen, besser als Kaviar aus Büchsen. Schinken und Würste gewinnen beim Räuchern nicht nur an Haltbarkeit, sondern zu­gleich an Wohlgeschmack - vorausgesetzt, daß der Pro­zeß nicht mit modernen Kunstmethoden unterstützt und auch beschleunigt wurde, durch Beifügen, Einrei­ben und Einspritzen von Chemikalien also, wie es neuer­dings leider sogar beim Sauerkraut geschieht.

Dörren

Auch Dörren ist als Form der Konservierung nicht zu verachten, mag es auch ziemlich aus der Mode gekom­men sein. Natürlich, ich weiß: Büchsenkompott ist wunderschön, Dörrobst dagegen runzlig und unansehn­lich. Aber es schmeckt sehr süß und voll und zart und gibt, richtig behandelt, ein herrliches Kompott! Bieten Sie doch einmal Ihrer Familie oder Ihren Gästen - so­fern es nicht Snobs sind, die nur das Teuerste zu essen wünschen - folgenden Nachtisch an:

Sahnekompott mit Dörrpflaumen

Schöne, große Dörrpflaumen werden gut gewaschen und über Nacht in kaltem Wasser eingeweicht. Dann fügt man etwas Zucker bei, ein Stücklein Zimt und eine bis zwei Nelken und kocht die Pflaumen, mit Wasser knapp bedeckt, langsam und gründlich, ohne umzu­rühren, weich.

Im allgemeinen ist es in Europa Sitte, Kompotte eis­gekühlt zu Tisch zu bringen. Tun Sie es nicht! Lassen Sie das Kompott im Zimmer ein wenig auskühlen, das genügt. Es schmeckt, dies nebenbei, auch warm vorzüg­lich.

Nun schlagen Sie frischen Rahm. mit etwas Zucker so lange, bis er nicht mehr flüssig ist, aber auch noch nicht ganz steif.

In jeden Teller kommt über das Kompott eine Kelle voll von diesem Rahm. Er schmiegt sich wie ein dicker Honig um die Früchte.

So einfach diese Speise ist - sie schmeckt doch unver­gleichlich ! Wer sie einmal gekostet hat, will sie immer wieder haben!

Rosinen

Da wir schon bei Dörrobst stehen, möge auch den be­scheidenen Rosinen - Zibeben, Sultaninen oder wie man sie bei Ihnen nennt - ein Blick gegönnt sein. Sie sind heute billig, folglich schätzt sie keiner. < Kuchen mit Rosinen> - welches Kind riefe da heute noch: « Oh!» Und doch sind die Rosinen etwas ganz besonders Fei­nes - vorausgesetzt, man weiß sie zu behandeln. Die meisten Frauen und sogar Köche von Beruf nehmen beim Backen die Rosinen einfach, wie sie aus der Tüte kommen. Bestenfalls werden sie gewaschen. Daß man sie einweichen könnte wie jedes Dörrobst - daran denkt kaum. einer. Und doch entfalten die Rosinen ihren vol­len Wohlgeschmack nur dann, wenn sie gequollen sind, genau wie jedes andere Backobst auch. Sie müssen also, bevor man sie verbäckt, für eine Nacht ins reine kalte Wasser.

Gekochte Rosinen

Reicht die Zeit bis zum Backen hierfür nicht aus, dann gibt es eine andere Methode, die noch besser ist als lan­ges Einweichen: kurzes Kochen! Ohne Zucker und an­dere Beitat natürlich und nur knapp bedeckt mit Was­ser. Und bitte nur so lange kochen, bis die Rosinen wie­der straff und rund sind wie frisch gepflückte Trauben! Auf diese Weise zubereitet, sind die Rosinen mit einem Schlag ein Leckerbissen. Sie brauchen es mir nicht zu glauben - Sie können es versuchen. Das Experiment ist ja nicht teuer.

Aber eine Vorsichtsmaßregel müssen Sie dabei beach­ten: falls Sie Kinder haben, dann halten Sie sie beim Rosinenkochen entweder von der Küche fern, oder ko­chen Sie ein Pfund mehr, als Sie für Ihren Kuchen brau­chen! Sonst ist dann, wenn Sie fertig sind mit Ihrem Teig und die Rosinen hineingeben wollen, plötzlich nicht eine einzige mehr vorhanden. Auch Kinder, die rohe Rosinen nicht einmal berühren wollen, entfalten bei gekochten plötzlich einen immensen Appetit.

Boskopmus mit gekochten Rosinen

Solche Rosinen sind übrigens nicht nur zum Backen gut, sondern auch als Beigabe zum besten Winterkompott, das ich kenne: Boskopmus mit gekochten Rosinen. Man macht es so:

Sie wählen große, reife Boskopäpfel. In Viertel schnei­den, schälen, den Butzen gut entfernen. Es ist nicht an­genehm, wenn man beim Essen dauernd harte Butzenhülsen kauen oder spucken muß! Ich weiß, daß viele sich die Arbeit des Schälens lieber sparen. Man kann natürlich die Äpfel auch in Schale kochen und dann durch ein Drehsieb treiben. Bloß wird das Mus dann lange nicht so gut.

Die Apfelviertel halbieren Sie der Breite nach noch ein­mal und geben Wasser in den Topf. Etwa soviel, daß es das unterste Drittel der Apfelstücke im Topfe deckt. Jetzt kochen - aber nur sehr kurz. Von Zeit zu Zeit um­rühren. Die Boskopäpfel zerfallen beim Kochen ohne­hin. Zuckern Sie, aber nicht zu reichlich! Kompott ist keine Marmelade. Fügen Sie ferner beim Kochen ein ganz kleines Stücklein Zitronenschale bei - giftfreie, un-gespritzte natürlich! Sonst lieber keine. Ferner eine Nelke, höchstens zwei.

Sie kochen, wie gesagt, nur kurz. Die Äpfel dürfen noch nicht dunkelgelb sein, sondern ganz hell und krümelig, und sie dürfen noch nicht ganz zu Mus verwandelt sein. Diesem Kompott fügen Sie nun eine Handvoll gut durchgekochter heller Rosinen bei. Und das ist alles. Sie servieren die Speise kalt, aber nicht eisgekühlt. Bloß: versuchen Sie nicht, das Kompott mit einer än­dern Apfelsorte zu bereiten! Schlecht wird es zwar auch dann nicht. Vollendet aber schmeckt es nur mit solchen säuerlich-mürben Boskop.

ALLERLEI GEBÄCK-MIT UND OHNE OBST

Mit den Rosinen, die auf diese Weise gekocht sind, wird auch der nachfolgende Apfelkuchen vollkommen. Man kennt und liebt ihn vor allem im Osten von Österreich:

Gedeckter Apfelkuchen mit Rosinen

Für einen Kuchen, der für sechs bis acht Personen rei­chen soll, nehmen Sie 200 bis 250 Gramm frische But­ter, zwei frische Eier, eine kleine Prise Salz und eine Prise Zimt. Sie fügen etwa zwei Handvoll Zucker bei, und zwar am besten durch ein Sieb hindurch. Das kürzt das Rühren ab.

Dies alles mischen Sie zu einer geschmeidigen Salbe. Wenn die Butter nicht allzu hart war - und dafür kann man durch sehr sachtes Erwärmen ja selber sorgen! -, dann dauert es nicht länger als zwei Minuten.

Nun sieben Sie portionenweise weißes Mehl hinzu, rüh­ren, sieben wieder Mehl hinein, kneten, fügen wieder Mehl bei, jedoch nicht mehr als nötig, um einen wei­chen, gut knetbaren Teig zu erhalten. Das Quantum reicht für einen großen runden Kuchen, der gerade noch in einen der üblichen Backöfen hineingeht. Wollen Sie aber einen Riesenkuchen haben für viele Gäste oder viele Tage, viereckig und genau so groß wie die Bodenfläche Ihres Backofens, dann nehmen Sie von allem doppelt soviel.

Mit dem Papier oder Stanniol, in welches die Butter verpackt war, reiben Sie gründlich das Backblech aus. Hernach stäuben Sie es ebenso gründlich mit Mehl.

Nun teilen Sie den Teig in zwei nicht ganz gleich große Klötze. Den größeren legen Sie ins Kuchenblech und verteilen ihn, je nach der Form und Größe des Bleches, entweder mit Hilfe vom Nudelholz oder auch einfach von Hand, durch leichtes Pressen, so, daß der Teig den Boden des Bleches bedeckt und am Rand wenigstens drei Zentimeter hoch ansteigt.

Jetzt streuen Sie frisch gemahlene Haselnüsse oder Mandeln auf den Kuchenboden. Baumnüsse sind zwar feiner, jedoch für diesen Zweck doch fast ein wenig schade.

Wichtig ist aber, daß die Nüsse wirklich frisch gemahlen sind! Kaufen Sie nie fertig gemahlene aus dem Laden! Gemahlene Nüsse verlieren schon in wenigen Tagen ihr Aroma. Und liegen sie noch länger, dann riechen sie zuletzt auch fettig und muffig. Anstelle von altgemah­lenen Nüssen nehmen Sie schon besser eine Handvoll Semmelbrösel. Nur: mit Bröseln wird der Kuchen nicht halb so fein. Und außerdem müssen auch die Brösel frisch gerieben sein und nicht aus einer alten Fertig­packung.

Jetzt erst schälen Sie die Äpfel. Am besten eignet sich auch hier der sauermürbe Boskop, doch diesmal darfes auch eine andere Sorte sein. Bloß keine süße! Das er­gäbe einen faden Kuchen! Und mürbe muß der Apfel deshalb sein, weil er sonst nicht zerkocht- oder genauer:

zerbäckt - und hart und glasig bleibt. Doch ist die Wahl nicht schwierig. Das meiste, was unter dem Namen < Kochapfel > auf den Markt kommt, eignet sich ganz gut.

Moderne Apfelsorten

Dagegen scheiden alle modernen Edelsorten - Cox' Orange oder Golden-Delicious und wie sie alle heißen -restlos aus. Denn erstens sind sie nicht auf das Aroma hin gezüchtet, sondern nur um ihrer Schönheit willen. Züchter und Käufer haben hier, wie so häufig heutzu­tage, Zunge und Auge verwechselt. Und außerdem sind solche Edeläpfel zum Kochen viel zu teuer. Dagegen lohnt es, der Marktfrau für die Äpfel einen etwas höhern Preis zu bieten, wenn sie dafür bereit ist, die größten Früchte herauszusuchen. Das spart beim Schälen eine Menge Arbeit!

Die geschälten Äpfel schnetzeln Sie rasch direkt auf den nußbestreuten Teig. Vielleicht haben Sie eine elektri­sche Küchenmaschine, die Ihnen die Arbeit abnimmt ? Sonst machen Sie es halt von Hand. Aber kleine, feine Schnitzlein bitte!

Für einen großen runden Kuchen brauchen Sie knapp zwei Kilo Früchte, für einen noch größeren, vierecki­gen, entsprechend mehr.

Ist die Hälfte der Äpfel auf den Teig verteilt, dann pres­sen Sie sie mit der Hand gut an und streuen die gekoch­ten Rosinen auf. Dann kommt die zweite Hälfte der Apfelstückchen darüber.

Ein wenig Zucker ist erlaubt, aber nicht nötig. Teig und Rosinen sorgen für die Süße.

Wenn aber Zucker, dann vielleicht auch ein wenig Zimt! Das gibt dem Kuchen den feinen Weihnachts­duft.

Nun wird der Rest des Teiges auf dem bemehlten Brett zu einem passenden Deckel ausgewallt, darübergelegt und an den Rändern gut festgeklebt. Haben Sie kein genügend großes Teigbrett, so ist es auch kein Unglück: dann setzen Sie das Deckblatt eben aus einigen Stücken zusammen. Die < Nahtstellen > dürfen ruhig offen bleiben - ohnehin soll der Dampf aus der Füllung ab­ziehen. - Mit etwas Eiweiß bestreichen oder, wenn man keines zurückbehalten hat beim Teigbereiten, dann eben mit etwas kaltem Wasser. Manche streuen ein wenig Zucker und Zimt darüber. Das ist nicht obligatorisch, erfüllt aber Küche und Wohnung mit herrlichem Duft.

Zuletzt mit Gabelzinken oder spitzem Messer kleine Löcher in das Deckblatt schneiden oder stechen, damit der Dampf aus den Äpfeln gut abziehen kann und sich das Deckblatt nicht wie eine Kuppel wölbt.

Und nun im vorgewärmten Ofen eine gute Stunde backen, bei nicht zu starker Flamme. Denn der Kuchen soll nicht nur von außen braun sein, sondern, samt Fül­lung, gründlich durchgebacken. Überhaupt schmeckt ein solcher Kuchen - im Gegensatz etwa zu den alter­tümlichen verschiedenen Honigkuchen, die sehr weich bleiben müssen - besser ein wenig angebrannt als ein wenig roh.

Apfelkuchen mit gekochtem Mus

Wenn Ihre Zeit nicht ausreicht, so viele Äpfel zu schä­len und zu schnetzeln, dann geht es auch auf diese Wei­se : Äpfel sehr gut waschen [denken Sie immer an die giftigen Spritzmittel!], vierteilen, Butzen entfernen und ungeschält in sehr wenig Wasser kochen und dann durchpassieren. Aber bitte nicht kleinlich sein! Opfern Sie lieber etwas zuviel von der Substanz des Apfels im Passiersieb, als daß Sie zuviel Schale mit durch die fei­nen Löcher treiben! Mit solcher vorgekochter Masse, die man ein wenig zuckert und mit Zimt abschmeckt und mit gekochten Rosinen mischt, gelingt der Apfel­kuchen auch, und in romanischen Ländern wird er aus­schließlich so bereitet. Jedoch: mit rohen Äpfeln wird er besser.

Man ißt den Kuchen zum Kaffee, zusammen mit ge­schlagenem Rahm. Er darf beim Aufschneiden ruhig noch ein wenig warm sein, wie eine Pastete.

Ist er aber ohnehin schon ausgekühlt, dann läßt man ihn fast besser bis zum nächsten Tage stehen. Dann erreicht er nämlich wieder eine neue Form der Vollendung:

jetzt erst haben sich Obstaroma und Duft vom Teig ganz miteinander durchzogen.

Merke dir aber eines: diese Art gedeckter Obstkuchen gelingt nur mit Äpfeln und mit keinen ändern frischen Früchten! Denn zwei Bedingungen muß das Obst er­füllen : die Backzeit - also eine gute Stunde - muß aus­reichen, damit es weich geworden ist, und außerdem darf keine Flüssigkeit aus den Früchten tropfen. Und diese Doppelbedingung erfüllt einzig der Apfel. Darum sind auch die berühmten englischen Obstpasteten eine ziemlich nasse Sache und nicht sehr zu empfehlen.

Der Vorteil eines solch gedeckten Apfelkuchens dem <offenen> gegenüber liegt auf der Hand: er hält sich fast eine Woche völlig frisch. Offener Apfelkuchen dagegen schmeckt nur am ersten Tage. Bald wird er glitschig, feucht und ledrig.

Offener Apfelkuchen

Wenn du nun aber aus irgendeinem Grunde dennoch einen offenen Apfelkuchen backen willst, dann merk dir eins: er schmeckt sehr gut in zweierlei Varianten.

Entweder wenn du die Äpfel trocken, also ohne <Guß>, auf einen Blätter- oder Mürbteig legst, den du zuvor mit geriebenen Nüssen bestreut hast.

Er schmeckt genauso gut, vielleicht sogar noch voller, zarter, besser, wenn du die Apfelschnitze mit einem Guß aus Ei und Zucker überziehst. Jedoch: es darf

nichts anderes sein als Ei und Zucker!

Apfelkuchen-Gußprobleme In deutschen Kochrezepten findest du neuerdings oft den Vorschlag, als Unterlage oder Überzug der Äpfel oder ändern Früchte auf einem Kuchen einen Vanille­pudding zu benützen. Es schmeckt abscheulich! Mach es nicht nach! Willst du es aber trotzdem tun, dann frage vorher ganz genau, ob von den Gästen, die den Kuchen essen sollen, keiner aus Wien ist oder aus Ita­lien. Er würde es dir nie verzeihen und niemals mehr dein Haus betreten wollen!

Wie kamen wir bloß zum gedeckten Apfelkuchen? Richtig, von den Rosinen aus! Und zu den Rosinen ge­langten wir durch das Dörrobst. Und zum Dörrobst? Wir erwähnten es im Zusammenhang mit altmodischen Formen der Konservierung, die wert sind, daß man sie ein wenig mehr beachte.

Da wir nun aber schon beim Dörrobst stehen, wollen wir doch noch ein zweites Backrezept beifügen, das um die Weihnachtszeit besonders locken dürfte, dann also, wenn die frischen Früchte, die man zum Backen neh­men könnte, rar oder unerhältlich sind. Von diesen frischen Früchten, die sich zum Backen be­sonders eignen, sind - dies nur nebenbei - die allerbe­sten die Zwetschgen und die Heidelbeeren. Die viel­geliebten Aprikosen bewahren meist auch nach dem Backen einen leichten sauren Stich - immerhin, schlecht sind sie nicht. Weit weniger zu empfehlen sind aber jene Früchte, die sehr körnig sind - die meisten Beeren also außer Heidelbeeren - oder die beim Backen an Aroma nicht gewinnen, wie Pfirsiche oder Birnen. Aus Dörrobst läßt sich also sehr guter Früchtekuchen machen. Und zwar so:

Kuchen mit Backpflaumen

Gute, große Dörrpflaumen werden über Nacht einge­weicht. Dann kocht man sie, genau wie beim Kompott­rezept, mit etwas Zucker, einein Stücklein Zimt und ein paar Nelken mit einem Minimum an Wasser langsam weich. Auskühlen lassen! Dann entkernen - sofern man nicht die ziemlich teuren, aber sehr guten, bereits ent­kernten Pflaumen gekauft hat.

Die Früchte durch ein grobes Sieb treiben oder, noch besser, mit dem Holzlöffel zerreiben. Sind sie wirklich weich gekocht und eine gute Sorte, die nicht nur aus Haut und Kern besteht, dann geht das ohne Mühe. Zerreiben Sie aber bitte die Früchte allein, nicht zu­sammen mit der Brühe vom Kompott! Sonst erhält man keine dicke Salbe, sondern eine dichte Flüssigkeit.

Den Kompottsaft braucht man deswegen nicht wegzuschütten. Man füllt ihn in ein Krüglein und gibt ihn den Kindern, ein wenig verdünnt, als Sirup. Da er sehr süß ist, gewinnt er durch ein paar Tropfen Zitronensaft.

Sie machen den genau gleichen Teig wie für den < Ge­deckten Apfelkuchen», bestreuen ihn, genau wie dort, mit geriebenen Nüssen, streichen nun aber statt der Mischung aus Äpfeln und Rosinen die weiche Zwetsch­genpaste auf. Das Quantum läßt sich nicht genau be­stimmen. Ich möchte meinen: für einen großen runden Kuchen genügt ein schwaches Kilo Früchte. Sie quellen ja beim Kochen!

Nun nach Belieben entweder ganz mit Teig bedecken oder mit einem hübschen Gitter aus schmalen Rollen oder Streifen Teig belegen, ähnlich wie bei der berühm­ten Linzer Torte.

Es ist ein guter, altmodischer, sehr sättigender Kuchen. Am besten backen Sie ihn vor einer Kette von Feier­tagen, während welcher Sie auch beim Konditor keine frischen Kuchen kriegen können. Denn diese Art von Zwetschgenkuchen hält sich, kühl und nicht zu trocken aufbewahrt, sehr lange völlig frisch und schmeckt nach Wochen fast noch besser als am ersten Tag. Doch auch im. warmen Zimmer verdirbt der Kuchen nicht: er trocknet nur allmählich etwas aus, wird hart und ledrig.

Da wir schon dabei sind, Kuchen und Torten mit Fruchtmassen zu schildern, möchten wir Ihnen noch einen Kuchen dieser Art servieren, der aber, im Ge­gensatz zum Kuchen mit Trockenpflaumen, den Nach­teil hat, daß er an Feinheit verliert, wenn er zu lange aufbewahrt wird. Nun - man wird ihn eben etwas klei­ner machen und in ein bis zwei Rationen in höchstens zwei Tagen aufessen. Ich habe den Kuchen unter dem Namen < Marschalltorte > kennengelernt. Aber ich glau­be, auch die Genfer und Holländer und vielleicht noch andere Städte und Länder kennen den Kuchen und seine Varianten und nennen ihn nach ihrer Stadt oder ihrem Land als dem Ort der vermeintlichen Herkunft. Bleiben wir beim Namen < Marschalltorte >.

Marschalltorte

Sie brauchen etwa 300 Gramm Blätterteig. Am besten ist es natürlich, wenn Sie den Blätterteig nach den alt­bewährten Rezepten aus Großmutters Kochbuch sel­ber zubereiten. Dann sind Sie sicher, daß nur frische Butter verwendet wurde und nicht irgendein Kochfett oder Margarine. Der zarte Butterduft ist durch kein an­deres Fettprodukt erreichbar, was immer der Reklame­fachmann Ihnen einzureden sucht.

Reicht Ihre Zeit und Geduld nicht aus, einen zunft­mäßigen Blätterteig herzustellen, dann bereiten Sie vielleicht einen Bastard aus Blätter- und Mürbeteig, in­dem Sie 100 Gramm Butter mit 100 Gramm möglichst nicht zu wäßrigein und zu magerem Quark und etwa 100 Gramm Mehl verkneten. Ein wenig Salz hinein, aber keinen oder doch fast keinen Zucker.

Mit diesem Teig legen Sie Boden und Rand einer run­den Torten- oder Wähenform aus. Sie können das Back­blech vorher vorsichtshalber fetten und mit Mehl aus­stäuben, obwohl die Gefahr nicht groß ist, daß der Teig am Boden der Backform festkleben wird.

Nun streichen Sie auf den Tortenboden eine feste Kon­fitüre, eine selbstgemachte natürlich. Aprikosen passen sehr gut, es kann aber auch ein Zwetschgenmus sein. Darüber kommt folgende gut vermengte Masse: 80 Gramm Zucker, 3 Eigelb, 3 steifgeschlagene Eiweiß, 80 Gramm geriebene Mandeln.

Der Kuchen wird feiner, wenn Sie geschälte Mandeln nehmen. Man kann aber Mandeln nicht schälen, wenn man sie nicht vorher mit kochendem Wasser überbrüht oder sogar ein Weilchen mitkochen läßt. Davon aber werden die Mandeln so weich und elastisch, daß man sie nicht mehr ohne weiteres reiben kann. Sie müssen daher erst wieder langsam bei schwacher Hitze ganz durchgetrocknet werden, und das dauert viele Stunden. Diese Masse also streicht man über die Konfitüre. Hat man Teigreste, dann legt man sie als dünnes Gitter obenauf. Es muß aber nicht sein.

Im vorgewärmten Ofen nicht zu stark backen. Die Mandelmasse darf nicht durchgetrocknet sein.

Da wir schon am Backofen stehen, wollen wir gleich noch ein paar andere sehr gute alte Backrezepte durch­probieren.

Wie sehr die Traditionen heute auch zerfallen - an manchen halten wir doch fest, unbewußt und fast gegen unsern Willen. Denken wir einmal an das Backen von süßem Konfekt. Vor Weihnachten befällt uns alle die Lust dazu wie eine Epidemie. Sind Sie eine Ausnahme ? Schwerlich! Wenn ich Ihnen etwa vorschlagen würde, zur Abwechslung im Hochsommer oder Frühjahr Kon­fekt zu backen - würden Sie es tun ? Wahrscheinlich nicht...

An sich besteht wenig Grund, unser Buch und Ihr Back­repertoire mit Konfektrezepten anzureichern: es gibt sie wie Sand am Meer, und viele sind ausgezeichnet. Hier konnten auch Modernismen nicht zuviel Schaden anrichten. Denn Konfekt bäckt man, wie gesagt, fast nur zur Weihnachtszeit, und in diesen Tagen erinnert man sich an die Kindheit, an Eltern und Großeltern, und unwillkürlich will man die gleichen lieben Ein­drücke auch bei den eigenen Kindern erwecken — zu­sammen mit dem Duft des altmodischen, gewürze­reichen, feinen Backwerks.

Einige besonders gute alte Rezepte, die Sie vielleicht nicht genau kennen, gebe ich Ihnen daher gerne preis. Eines davon mit Baumnüssen. Sie sind - was die wenig­sten wissen - im Aroma und in der Konsistenz unver­gleichlich feiner als Haselnüsse oder Mandeln. Unsere Großmütter wußten es noch. Die vollendete Nußtorte zum hohen Fest war immer nur mit Baumnüssen zu­bereitet. Allerdings ist es nicht gleichgültig, woher die Nüsse stammen. Die aus Italien oder Indien haben we­nig Aroma. Am besten sind die Nüsse aus Grenoble. Aber auch aus dem Balkan und aus Mittel- und Ost­europa bekommt man mitunter sehr aromatische Nüsse - nur sind sie meist kleiner als die aus Grenoble und folglich schwerer auszukernen.

Konfekt mit Baumnüssen

100 Gramm frische Butter, 60 Gramm Zucker, 80

Gramm geriebene Baumnüsse, 1 frisches Eigelb und

etwa 150 Gramm Mehl werden rasch und gründlich

miteinander verknetet. Man kann eine kleine Prise Salz

beifügen, muß es aber nicht.

Der Teig wird nicht allzu dünn ausgewallt und kreisförmig oder in Form runder, fünfblättriger Blüten aus­gestochen.

Da man für den Teig nur das Eigelb verbraucht hat, kann man jetzt das Eiweiß dazu verwenden, die Plätz­chen damit zu überstreichen, bevor man sie mit einer halben Baumnuß dekoriert. Sie wird auf dem Eiweiß tadellos kleben.

Im vorgeheizten Ofen goldbraun backen. Das Konfekt ist sehr mürb, duftet und schmeckt herr­lich. Und dies wissen Sie doch: daß die Mürbe eines Teiges gemindert wird, wenn man nicht nur Fett und Eigelb, sondern auch Eiweiß beifügt ? Ein zweites, ebenfalls sehr zartes, mürbes und gutes Konfekt sind die sogenannten Sandplätzchen aus dem 1-2-3-Teig:

Sandplätzchen aus 1-2-3-Teig

Sie nehmen für diese Plätzchen womöglich nicht Grieß-, sondern Staubzucker, und zwar auf 0,5 Pfund Staub­zucker i Pfund frische gute Butter und l,5 Pfund wei­ßes, durchgesiebtes Mehl.

Das Mehl wird mit der Butter sandig verrieben. Die Butter darf also auf keinen Fall warm und weich sein. Dann kommt der durchgesiebte Staubzucker hinzu. Wer will, fügt eine kleine Prise Salz bei oder ein wenig Vanillezucker.

Nun müssen die Bestandteile möglichst rasch auf einer kühlen Platte - eine aus Marmor eignet sich am besten, aber notfalls geht es auch auf einem gewöhnlichen Teig­brett - zu einem Teig zusammengewirkt werden. Hat man Mühe dabei, weil alles ein wenig trocken ist, dann kann man als Feuchtigkeitsspender etliche Tropfen Wasser oder Zitronensaft oder auch ein halbes zer­schlagenes Eiweiß beifügen - aber ja nicht mehr! Den Teig formt man zu einer dicken Wurst (Durch­messer 3 bis 4 Zentimeter), die man in Grießzucker wälzt und im Kühlschrank gefrieren läßt. Von der steif gefrorenen Rolle schneidet man 1 Zentimeter dicke Scheiben, legt sie mit etwas Abstand voneinander auf ein gefettetes Blech und bäckt sie bei Mittelhitze hell­gelb.

Manche fügen dem Teig ganze Mandeln bei, andere geben dem Konfekt ein dekoratives Aussehen, indem sie einen Teil des Teiges mit Schokoladepulver vermi­schen. Man kann auf diese Weise hübsche Muster er­zielen, indem man zum Beispiel eine braune dünne Wurst mit einer hellen Außenschicht umwickelt oder indem man eine helle und eine dunkle Teigplatte auf­einanderlegt und beide so zusammenrollt, daß die Scheiben nachher ein Spiralmuster aufweisen. Das alles sieht hübsch aus, der Teig büßt aber bei diesen Mani­pulationen etwas von seiner sandigen Mürbheit ein. Am besten schmecken die Sandplätzchen ohne solche Bei­tat. - Sie halten sich sehr lange frisch, sind aber, da sie so gut schmecken, gewöhnlich schon nach wenigen Tagen alle weggegessen.

Und da wir schon davon sprachen, daß man Klein­gebäck am liebsten selber um die Weihnachtszeit nach althergebrachten Rezepten herstellt, seien hier noch zwei ganz altmodische und sehr gute Weihnachtsrezep­te beigefügt, aus dem Nordwesten Deutschlands das eine, aus dem Nordosten das andere.

Printen, rheinisches Weihnachtsgebäck

Vermutlich gibt es die Printen in vielen Varianten. Diese hier habe ich von einem Kunsthistoriker aus dem Rheinland, der in einein Hause aufwuchs, wo gut und üppig gegessen wurde, der in Küchenfragen kein ge­ringeres Stilgefühl hat als im Kunstfach und der mit seiner Frau zusammen wahre kulinarische Zauberwerke zuwege bringt.

Für die Printen braucht man 1 Pfund Honig oder Me­lasse, 0,5 Pfund Zucker, 0,25 Pfund Butter - manche neh­men Margarine, aber Butter ist besser - und 0,125 Liter warme Milch. Dies alles wird zunächst einmal gut ver­mengt, bis es, dank der warmen Milch, zergeht und eine homogene Masse bildet. Man läßt dann ein wenig ab­kühlen und fügt 1 Ei hinzu und, sofern man hat und will, 0,25 Pfund in winzige Stückchen zersplitterten Kan­diszucker. Es muß aber nicht sein.

An Gewürzen nimmt man, was man mag und gerade hat: etwa 1 Teelöffel Zimt, 1 Eßlöffel Kakao, 0,5 Tee­löffel zerstoßene Nelken, ein wenig Muskat - aber nicht mehr als eine Messerspitze! - und womöglich 1 Tee­löffel Aniskörner.

Dies alles wird nun mit Hilfe von Mehl, das mit einem Backpulver vermischt wurde, zu einem glatten Teig ver­arbeitet. Das Rezept schreibt 2 Pfund Mehl vor. Meist braucht man aber mehr. Wie es überhaupt nicht leicht ist, genau festzulegen, wieviel Mehl ein bestimmter Teig brauchen wird, um eine gewünschte Konsistenz zu erhal­ten. Es hängt viel von der Mehlqualität und der der Bei­taten ab. - Der Teig wird von Hand verarbeitet, und es ist eine ziemliche Schmiererei. Das Ergebnis lohnt aber!

Der Teig wird aufbemehltem Brett ziemlich dünn aus­gewallt und mit in Mehl getauchtem Teigrädchen in lange, nicht zu kleine Vierecke geschnitten, die man goldbraun bäckt.

Natürlich schreibt das Urrezept nicht Backpulver vor, sondern Pottasche und Hirschhornsalz, auch Natron. Aber auch jedes moderne Backpulver enthält meines Wissens Natron und der Teig wird durch diese altmo­dischen Substanzen weder besser noch schlechter.

Der Zufall will, daß ich auch das zweite Weihnachts­rezept nicht von einem Berufskoch oder -bäcker erhal­ten habe, sondern von einein Akademiker in hoher Staatsstellung, der es seinerseits von seiner Großmutter und Mutter her kennt. Das Gebäck wird seit mindestens hundert Jahren in seiner Familie garantiert unverän­dert von einer Generation zur nächsten weitergegeben, was in diesem Falle noch dadurch sehr erleichtert war, daß Vater wie Großvater beide ihre Cousinen gehei­ratet haben. Der Spender des Rezeptes selber hat zwar mit der Tradition gebrochen, eine Cousine heimzu­führen, dafür aber hält er an den Backtraditionen sei­ner Vorfahren mit doppelter Treue fest. < Großmutters braune Pfefferkuchen > bäckt er vorsichtshalber immer selber, und zwar mit einer Perfektion - ich habe Pro­ben davon genossen -, um die ihn jeder Fachmann be­neiden könnte!

Großmutters braune Pfefferkuchen

Zunächst die vielen Zutaten: 1 Pfund Honig, 1 Pfund Zucker, 3 Pfund Mehl, 5 Pfund Butter, 4 Eier, 15 Gramm gestoßene Nelken, 15 Gramm gestoßener Zimt, 15 Gramm gestoßene Pomeranzenschale, 0,25 Pfund fein gewiegte - aber nicht gemahlene! - süße Mandeln, 0,25 Pfund fein gewiegtes Zitronat, 100 Gramm Rosenwasser - man erhält es in jeder besseren Drogerie! - und je 15 Gramm Pottasche und Hirschhornsalz, die aber vermutlich beide ohne wesentliche Verschlechterung des Gebäcks durch modernes Backpulver in entspre­chendem Gewicht ersetzt werden können. Außerdem braucht man noch süße geschälte Mandeln und, wenn man es mag, Zitronat in dicken Scheiben zum Ver­zieren, ferner, damit die Oberfläche schöner glänzt und die Verzierungen besser kleben, ein bißchen stark mit Wasser verdünnte Stärke. - Ja, und zum Fetten des Backbleches: reines, frisches Bienenwachs!

Honig und Zucker werden zusammen aufgekocht und das Mehl mit der heißen, dicken Flüssigkeit überbrüht. Tüchtig durchrühren, am besten in einer hölzernen Backmulde, die nur für diesen Zweck gebraucht wird. Es geht aber auch in einer Backschüssel aus glasiertem Steingut. - Wenn der Teig abgekühlt ist, Butter, Eier und Gewürze hineingeben. Kneten, bis der Teig ganz homogen ist, dann Hirschhornsalz und Pottasche, in Rosenwasser gelöst, dazutun und weiterkneten, bis der Teig glänzt.

24 Stunden stehenlassen. Dann etwa 3 Millimeter dick ausrollen, in weihnachtliche Formen ausstechen, mit der verdünnten Stärke bepinseln und mit Mandeln und, wenn man will, auch Zitronat verzieren. Das Backblech muß, wir sagten es schon, mit reinem, frischem Bienenwachs gefettet werden. Bei gleichmäßi­ger Hitze hellbraun backen.

Das Rezept stammt aus dem Netze- und Warthebruch, also aus einem ursprünglich nicht sehr wohlhabenden Kolonistengebiet. Daraus erklärt sich die Bescheiden­heit im Aufwand, die anderseits die Bekömmlichkeit auch bei Verzehr in großen Mengen gewährleistet. Tat­sächlich aber ist es nicht nur viel bekömmlicher, son­dern auch weit wohlschmeckender als manches Weih­nachtsgebäck, das sich größeren Ruhmes erfreut und bei der Herstellung bedeutend teurer stellt.

Fragt man in Mitteleuropa Hausfrauen oder Köche, mit was für Fett sie backen, dann lautet die Antwort:

Butter, Pflanzenfett oder Margarine. Daß man mit tie­rischem Fett einen herrlichen Mürbteig erzielt, weiß fast niemand.

Feingebäck mit Fleischfett

Am feinsten schmeckt ein Mürbteig, der mit Butter zu­bereitet ist. Am zweitfeinsten schmeckt er aber merk­würdigerweise nicht mit einein der an sich gar nicht schlechten Koch- und Backfette, die uns der Handel an­bietet - sondern mit tierischem Fett. Und zwar mit ro­hem, also nicht ausgelassenem. Man kann nach Belie­ben Geflügelfett nehmen, das man dann aber, bevor man es feinhackt, von allen Häuten <freikratzen> muß. Nicht ganz so gut, aber doch erstaunlich wohlschmeckend wird Gebäck mit Rindsfett. Fleisch- oder Herzfett vom Rind wird ganz fein zerhackt. Auf 0,5 Pfund Fleisch­fett kommen 1 Pfund Mehl und 1 bis 3 Eidotter. Das Eiweiß darf man nicht beifügen: es macht den Teig statt mürb eher elastisch. Will man an Dottern sparen, dann gibt man lieber ein wenig kaltes Wasser in den Teig hinein. Aber wenigstens ein Dotter sollte man schon nehmen.

Man mischt in den Teig ein bißchen guten Kirsch, et­was Zucker, eine Prise Salz, ein bißchen Zimt, Zitronen­saft und -schale. Sehr rasch und gut vermengen! Ja nicht mit warmen Händen zu lange kneten! - Den aus­gewallten Teig kann man als Boden für Fruchtkuchen verwenden, und zwar vor allem für Kuchen, die, ähn­lich wie die Linzertorte, nicht mit frischen Früchten, sondern mit einer dicken, selbstgemachten Konfitüre belegt sind. Ein dichtes Teiggitter über der Konfitüren­schicht verschönert solche Kuchen nicht nur, sondern verlangsamt auch ein wenig das Austrocknen der Kon­fitüre.

Man kann aber aus dem Teig auch Kleinkonfekt aus­stechen und es rasch im Ofen goldbraun backen. Es schmeckt überraschend gut.

All dieses süße Gebäck schmeckt herrlich. Aber viel­leicht schwärmen Sie gar nicht so sehr für Süßigkeiten ? Dann wird Ihnen sicher einer der beiden nachfolgenden Kuchen desto besser schmecken:

ZWEI ZWIEBELKUCHEN

Zwiebelkuchen süddeutsch

Zu jungem Wein und leicht gärendem, frischem Apfel­most gibt es kaum eine passendere Ergänzung als einen ofenfrischen, warmen Zwiebelkuchen. Es gibt verschie­denste Varianten. Im Westen mischt man die Zwiebel­füllung gern mit Ei und Rahm oder, verschlechtert, mit Mehlpapp. Manche setzen geriebenen Käse zu. Der Kuchen gewinnt dadurch. Wichtig ist, daß er von unten und oben schön braungebacken ist: nichts schmeckt fader als ein blasser, etwas roher Zwiebelkuchen! Und wichtig ist ferner für jeden Zwiebelkuchen, daß man die Zwiebeln vorher richtig weichdämpft mit etwas Butter, notfalls Öl. Denn niemals reicht die Backzeit allein aus, die Zwiebeln direkt im Ofen durchzugaren. So aber, in der Pfanne, im heißen Fett, dauert es keine zehn Minuten.

Eine sehr gute Variante aus Süddeutschland ergänzt die Zwiebelfüllung mit kleinen Würfeln von angebra­tenein Speck. Das genaue Rezept:

Man schält und zerhackt mehrere große Zwiebeln und dämpft sie in etwas Butter, bis sie glasig aussehen. Man läßt die Zwiebeln etwas auskühlen, vermischt sie mit 3 bis 4 zerschlagenen Eiern, fügt 0,25 Liter sauren Rahm hinzu, salzt und pfeffert. Etwa 100 Gramm Speck wer­den in kleine Würfel geschnitten. <0rthodox> wird der Kuchen mit gewöhnlichem Roggenbrot- oder Semmelteig bereitet, mit dem man das butterbestrichene Back­blech auslegt. Man läßt den Teig im Blech noch einmal ein wenig aufgehen. Man kann den Kuchen aber auch mit einem Mürbteig aus 100 Gramm Butter, einem Ei, etwas Wasser, etwas Salz und dem nötigen Mehl backen.

Auf den ausgewalzten Teig streut man die Speckwür­felchen auf, und über die Würfelchen verteilt man die Mischung aus Eiern und Rahm. Manche fügen auch Kümmel bei. Andere mischen eine Handvoll geriebe­nen Schweizer Käse dazu. Gut durchbacken und heiß verzehren!

Und eine Variante von der Ostgrenze des alten Öster­reich möchte ich hier schildern, die jedem, welcher Quark mag, sehr gut schmecken wird:

Österreichischer Zwiebelkuchen mit Quark

Für einen großer!' runden < Familienkuchen > nehmen Sie für den Teig 100 Gramm frische Butter, l Ei, eine kleine Prise Salz und soviel Mehl als unerläßlich, um einen knetbaren Teig zu erhalten.

Das runde Backblech mit dem möglichst hohen Rand -ich nehme immer die runde Tortenspringform für die­sen Zweck - wischen Sie mit dem fettigen Hüllpapier der Butter gut aus und stäuben es mit Mehl. Dann wal­zen Sie den Teig zu einem runden Blatt aus, das auch den Rand bis ziemlich weit hinauf bedeckt.

Und nun die Füllung: 1 Kilo Zwiebeln wird fein zer­schnitten und in einer flachen Eisenpfanne in Butter auf kleiner Flamme gedünstet, bis die Zwiebeln weich und glasig sind, aber noch nicht braun, sondern höchstens hellgelb.

Dann zerschlägt man 2 bis 3 Eier mit etlichen Löffeln weißein Mehl und einer Prise Salz und Pfeffer gründ­lich, bis alles zusammen eine knötchenfreie Creme er­gibt.

Und nun mischt man die Zwiebeln und ein knappes Kilo Magerquark - am liebsten selbstgemachten aus roher Milch; notfalls gekauften, aber nicht zu nassen! -zu der Eiercreme. Wenn die mit Quark durchmischte Füllmasse umgekehrt zu hart, zu trocken ist, fügt man etwas mehr Eier oder aber ein wenig Milch hinzu. Die Masse wird auf den Teig aufgestrichen und der Ku­chen bei ordentlicher Hitze über eine Stunde gebacken, bis er auch oben schön mittelbraun ist. Wenn der Quark nicht zu naß ist, geht der Kuchen sehr schön auf.

Beim Backen entweicht dem Kuchen recht viel Dampf, so daß man gut daran tut, den Ofen nach einer Weile ein Spältchen weit offenzulassen. Es genügt die Ritze, die sich ergibt, wenn man ein Messer - ein altes natürlich! Messerklingen lieben keine Backofenhitze! - in die Ofentüre einklemmt.

Man gibt den Kuchen sehr heiß zum Tisch, und jeder legt im Teller auf sein Stück noch etwas frische, kalte Butter auf, die rasch zerfließt und den Kuchen noch zarter und schmelzender macht. Der Kuchen eignet sich - wir sagten es schon - für einen zwanglosen Imbiß, mit einem Glas jungen gärenden Weines oder Apfelmosts dazu. Wird er aber als Haupt­gang bei einer Mahlzeit serviert, dann gibt man vorher vielleicht eine nicht zu schwere und gehaltvolle Ge­müsesuppe und zum Kuchen einen leichten Salat: grü­nen oder aus Tomaten.

Ich habe den Kuchen immer nur in jüdischen frommen Häusern gegessen. Da war er stets aus selbstgemachtem Quark bereitet. Solcher Quark schmeckt weit würziger und nicht so säuerlich wie der gekaufte. Das Aroma war so voll und rund, daß man weitere Zutat zur Füllung nur als Störung empfunden hätte. Obendrein kämen die im Westen üblichen Speckwürfel für Juden ohnehin nicht in Frage. Denn erstens verbietet ihnen das mosa­ische Gesetz den Genuß von Schweinefleisch, und zwei­tens dürfen sie Milchgerichte - also auch Quark - mit Fleisch nicht mischen.

Wenn Sie aber Nichtjude sind, lieber Leser, und auf gekauften Quark angewiesen, dann können Sie durch­aus versuchen, die Zwiebeln statt mit Butter mit aus­gelassenem Speck samt Grieben anzudünsten und so dem Kuchen zu einein etwas prägnanteren Aroma zu verhelfen.

KÜCHENLÜGEN

Das Schnellkochen

Von Zeit zu Zeit erscheinen Kochbücher oder Küchen­seiten in einer Zeitschrift, welche versprechen, die Methode, das Geheimrezept zu verraten, wie du in un­wahrscheinlich kurzer Zeit - etwa in einer Mittags­pause im Betrieb - dennoch eine perfekte Mahlzeit ko­chen kannst mit Suppe, Vor- und Hauptgericht und Nachtisch. Es sind durchaus nicht Dilettanten, die sol­che Bücher und Rezepte schreiben. Die meisten können wirklich kochen. Und sie schreiben auch nicht in die Luft hinein: sie haben in der Regel die Mahlzeiten, die sie empfehlen, selber durchgekocht und mit der Stopp­uhr die Zeiten kontrolliert. Und wenn du also pedan­tisch genau die vorgeschriebene Reihenfolge der Hand­griffe einhältst, dann hast du wirklich in einer halben Stunde eine ganze Mahlzeit. Aber du darfst auch nicht das mindeste auslassen oder gar vergessen! Du mußt tatsächlich, wie das Kochbuch vorschreibt, noch mit dem Mantel auf der Schulter zunächst den Wasserkessel füllen und aufs Feuer stellen, dann sofort die Gemüse in eine Schüssel mit reinem kaltem Salzwasser werfen, da­mit Schmarotzer, die sich vielleicht darin verbergen, rasch entweichen.

Du mußt, während das eine kocht, brät, mariniert oder schmort, bereits das zweite in Angriff nehmen. Du mußt das Zubereiten dieser zweiten Speise mit der Kontrolle der ersten geschickt verbinden. Du mußt im rechten Augenblicke beides unterbrechen und dich einer dritten Sache widmen - aber ja nicht so lange, daß inzwischen mit den beiden ersten Speisen etwas schiefgeht!

Zuletzt ist dann, genau, wie es das Kochbuch dir ver­sprochen hat, im rechten Augenblick alles parat...

Und die Folge ? Wenn du das Ganze wirklich fehlerlos zuweg gebracht hast, bist du vom pausenlosen konzen­trierten Reflektieren, Disponieren und Hantieren so er­schöpft, als hättest du soeben den Montblanc bestiegen. Dann liegst du auf dem Sofa mit ausgestreckten Glie­dern und hast nur noch den Wunsch: nie mehr zu ko­chen, zu essen, einen Gast zu sehen und nie mehr auf­zustehen !

Denn < Können > ist ein dehnbarer Begriff. Der Mensch kann vieles, wenn er muß. Und folglich kann er auch in einer halben Stunde eine ganze Mahlzeit richten - er < kann > es ebenso, wie auch ganz schwache Menschen in akuter Notlage die Leistung von Athleten vollbringen:

es ist die gleiche Aktivierung letzter Kraftreserven, die man auch durch gewisse Drogen leicht erreicht. Man soll es aber ohne Not nicht tun. Denn das totale Potential an Kraft, das in uns steckt, wird dadurch nicht gesteigert. Der Körper rächt sich durch Katzenjammer und doppelte Erschöpfung.

Der Wert der Schnellkochbücher

Und dennoch haben solche Schnellkochbücher ihren guten Sinn und Wert. Denn sie enthalten ganze Reihen von Menüs, die in der Tat nicht soviel Arbeit fordern wie die üblichen Diners. Und wenn du also keine Küchenhilfe hast und dennoch einmal Gäste einlädst, dann halte dich an Speisefolgen und Bereitungsweisen aus solchen Schnellkochbüchern - aber mach es lang­sam!

Gäste ohne Mehrarbeit ?

Eine zweite Küchenlüge: daß du Gäste sozusagen ohne Mehrarbeit bewirten kannst. Das stimmt nicht, mag der Gast noch so bescheiden und mit dir befreundet sein! Du kannst es drehen, wie du willst - die Arbeit ist mit einemmal, gering gerechnet, doppelt. Ein Sprich­wort aus dem Osten lautet: «Ein Gast verwandelt jeden Hausgenossen mit zum Gaste.»

So ist es wirklich. Denn unwillkürlich wirst du die Tafel ein wenig anders decken. Du wirst jetzt ferner Reste vom Vortag oder von der früheren Tagesmahlzeit, sofern sie nur für einen Teil der Tischgenossen reichen, nicht mehr gern servieren. Du kannst die Butter, den Käse, den Hering, den Aufschnitt jetzt nicht mehr einfach im Staniol oder Papier auf die Tafel legen, sondern du mußt sie auf Plättchen und Schüsseln verteilen. Und die warmen Speisen und die Suppe kannst du jetzt nicht mehr ohne weiteres im Kochtopf reichen...

Kochtöpfe auf dem Eßtisch von Madame Colette

Obzwar - dies letztere solltest du dennoch tun! Du

kannst dich dabei auf ein berühmtes Vorbild berufen:

auf die französische Prosameisterin Colette. Sie pflegte, auch als sie schon reich war und berühmt und immer eine gute Köchin hatte, die Speisen stets im Kochtopf auf den Tisch zu stellen. Und zwar auch dann, wenn Könige und Fürsten bei ihr eingeladen waren. Und selbst in Gegenwart der feinsten Leute pflegte sie bei der Mahlzeit immer an jungen Knoblauchstangen herumzukauen.

Knoblauchdüfte

Was das Knoblauchkauen angeht, so ist es inzwischen ganz allgemein große Mode geworden! Wo sind die Zeiten hingeschwunden, in denen Wilhelm Busch noch reimen konnte:

«Die Zwiebel [er hätte ebenso gut sagen können: der Knoblauch] ist des Juden Speise -Das Zebra trifft man stellenweise» ?

Heute dagegen findet man umgekehrt viele Juden, die es ängstlich meiden, ihre Gerichte mit Zwiebel und Knoblauch zu würzen. Und dies, obwohl die jüdische Küche, wie die aller mediterranen Völker, schon seit Jahrtausenden Zwiebel und Knoblauch gebraucht. Sie fürchten, man könnte dann den Eindruck bekommen, sie hätten sich nicht genügend an ihre nordeuropä­ischen Wirtsvölker assimiliert.

<Arier> dagegen, die sich vor Zwiebel- und Knoblauch­düften fürchten, findet man kaum. Die Modekrankheit der vielen Auslandreisen hat sich hier einmal positiv ausgewirkt.

Und auch die Ärzte haben das Ihre dazu getan, den bei­den Knollengewächsen zu neuem Ansehen zu verhel­fen. Heute kauen manche mit der gleichen Inbrunst Zwiebel und Knoblauch wie früher der Reihe nach Birchermüsli, Joghurt, rohes Gemüse und halbrohes Fleisch. Noch keine zwanzig Jahre ist es her, daß <feine Leute in Mittel- und Nordeuropa Knoblauchdüfte als ungeziemend und verächtlich empfanden. Heute mi­schen diese selben Leute den Knoblauch oft auch in Gerichte, mit denen er in keiner Weise harmoniert. Zwiebel und Knoblauch sind eben das neueste Wunder­elixier, der neueste Lebenstrank im modernen Küchenmärchen. Ich warte nur darauf, bis ein neues Kochbuch mit knoblauchgewürzten Eiscremes herauskommt! Zwiebelgewürzte Eiscremes gibt es bereits, wir sprachen schon davon.

Jedoch: der deplazierte Gebrauch von Zwiebel und Knoblauch in der modernen Küche ändert nichts dar­an, daß sie tatsächlich sehr gesund sind. Und daß man notfalls von dunklem Brot mit Zwiebel und mit Knob­lauch weitgehend leben kann. Die ägyptischen Staats­sklaven, die seinerzeit die Pyramiden bauten, haben es bewiesen.

Versalzenes entsalzen ?

Eine berühmte Küchenlüge sagt auch, daß man versalzene Speisen <entsalzen> kann. Die bekannteste Me­thode lautet: man füge der Speise - Suppe, Ragout oder Sauce - etliche kleingeschnittene rohe Kartoffeln bei.

Glaub es nicht! Oder meinetwegen kannst du es auch glauben und selber ausprobieren. Warum auch nicht? Steht nicht [nach einem sehr bekannten Judenwitz] im Tram von Tel Aviv geschrieben: « Spring nur! Du wirst schon sehen!» - statt: «Abspringen verboten!» ? Nun also: mische brav und fleißig rohe Kartoffeln in die versalzene Sauce oder Suppe! Du wirst schon sehen! Näm­lich : daß die Suppe jetzt genauso salzig schmeckt wie vorher, aber außerdem noch nach Kartoffeln.

Angebranntes < entduften >?

Eine andere Küchenlüge sagt: gieße angebrannt rie­chende Speisen sorgfältig in einen neuen Kochtopf und mische etwas Mehl hinzu!

Niemand hindert dich, verehrte Leserin, es so zu ma­chen. Du wirst dann sehen: die Speise schmeckt jetzt genau so angebrannt wie vorher, und außerdem schmeckt sie jetzt nach Mehl.

Mehl statt Zucker ?

Im Kriege, während der Rationierung vieler Lebens­mittel, gab es noch eine andere recht aparte Küchen­lüge. Der rare Zucker - so hieß es - lasse sich partiell durch Mehl ersetzen. Zum Beispiel beim Rhabarber­kompott.

Weißt du, was herauskommen wird, wenn du es wirk­lich tust? Das Kompott wird genauso sauer schmecken wie zuvor - aber es schmeckt jetzt außerdem nach Mehl und ist ein wenig pappig.

Billiger Ersatz ?

Und nun die schlimmste aller Küchenlügen: daß man erstklassiges Material durch schlechteres ersetzen kann, ohne Wert und Geschmack der Speise zu mindern. Das kann man nicht! Fruchtsorten ohne viel Aroma zum Beispiel oder in unreifen Zustand ergeben fades Kompott und schlechte Konfitüre. Das Fleisch von al­ten Kühen schmeckt schlechter als das von jungen Och­sen. Die importierten Eier haben, auch wenn sie von der ersten Stunde an sehr kühl gehalten wurden, niemals den Wohlgeschmack von einem völlig frischen Ei. Und Margarine oder Speisefette ersetzen dir beim Backen niemals reine Butter!

Ferner: Semmelbrösel sind nicht dasselbe wie geriebene Mandeln. Und Mehl und Milch zusammen sind kein Ersatz für Rahm. Rahm steigert das Aroma einer jeden Speise; das Mehl ersäuft es, übertäubt es, überpappt die Konsistenz der Sauce oder Suppe. Dennoch nehmen in Deutschland und in der Schweiz viele sogar zur Gulyassauce Mehl!

Und da wir schon beim Gulyas angekommen sind, möchte ich Ihnen mehr davon erzählen.

GULYAS ALS UNENDLICHER GEGENSTAND

Hegel, der große Philosoph, unterscheidet zwischen zwei Formen der Unendlichkeit: der gradlinig-fortlau­fenden ; das ist - so sagt er - die schlechte. Und der kreis­förmig in sich geschlossenen - das ist die gute. In der Metaphysik mag dies vielleicht einen Sinn ergeben. In der Küche aber gilt im allgemeinen: alles, was sich end­los hinschleppt, egal, auf welche Weise, ist vom Übel. Eine Ausnahme gibt es: das Gulyas. Es ist, richtig be­reitet, eine Speise, die kaum verleidet. Man kann ein Riesenquantum davon erstellen, man kann es immer wieder wärmen oder kalt genießen, man kann die Reste vom Gulyasfleisch und von der Gulyassauce dutzend­fach verwenden. Mit einem Gulyas hält man ohne Mü­he sieben Tage in der Woche durch!

Die Gulyassünden

Doch zunächst die üblichsten Gulyassünden. Ich habe letzthin ein Gulyasrezept gelesen, das hat mich tief be­eindruckt. Gulyas, so hieß es, macht man so: In eine Papiertüte schüttet man Salz und Pfeffer und eine halbe Tasse Mehl, wirft die Rindfleischwürfel noch dazu, ver­schließt die Tüte und schüttelt ihren Inhalt gründlich durcheinander. Hernach schüttet man den ganzen Tü­teninhalt zu den angeschmorten Zwiebeln in den Koch­topf. Und später fügt man zur Sauce Graupen und Trockenpflaumen...

Das alles klingt nach einem Küchenscherz, soll aber keiner sein. Es ist vollkommen ernst gemeint. - Magy­aren! Habt ihr das gehört? Auf und herbei! Die Kü­chenehre Ungarns steht auf dem Spiel!

Gulyas ä la minute

Eine andere unkorrekte, aber doch wenigstens nicht ko­mische und auch gar nicht üble Variante heißt < Gulyas ä la minute >. Hierzu wählt man das teuerste, bestab­gelagerte Rindfleisch. Es muß so zart sein, daß man es ohne zuviel Mühe auch roh genießen könnte. Dieses Fleisch nun wird in kleine Würfel geschnitten und im Fett rasch angebraten - ohne Zwiebel! Denn Zwiebeln brauchen, um weich und braun zu werden, nun einmal sehr viel Zeit. <A la minute > lassen sie sich nicht der Gulyassauce einverleiben.

Dann fügt man ein wenig Wasser oder Wein hinzu, würzt, wenn man will, noch mit einem Fertigfabrikat, einem Würfel < Gulyassauce >, kocht das Ganze rasch und gründlich durch und gibt es mit frischen Semmeln zusammen sogleich zu Tisch.

Es schmeckt nicht schlecht, nicht gut. Man kann es aber essen. Es ist jedoch sehr teuer - man braucht dazu das beste und zarteste Fleisch. Vor allem aber: es ist kein Gulyas! Es sei denn, die Erfinder dieses Stenogramm­verfahrens wollten sich darauf berufen, daß das Wort <Gulyas> nichts heißt als <Rinderhirt>, so daß aus dem Namen nichts hervorgeht, als daß die Speise vermut­lich aus Rindfleisch bereitet sein wird. Doch sie berufen sich auf nichts und niemanden. Sie wissen einfach nicht, was echtes Gulyas ist.

Gulyas in der Puszta

Was also ist es, das berühmte Gulyas ? Eine uralte Hir­tenspeise, bereitet im Freien, am Lagerfeuer, im eiser­nen Topf über der kleinen ruhigen Flamme, während alle wartend rings im Kreise sitzen und sich mit Liedern und Geschichten die Zeit vertreiben. Denn Zeit - die hat man in der Puszta! Und Zeit braucht folglich auch das echte Gulyas.

Und es ist klar, daß die armen Hirten vom Rinde nicht nur die allerbesten Stücke wählten und den Rest den Hunden gaben, sondern daß sie für ihre Mahlzeit eine Bereitungsform erfanden, bei welcher auch die zähesten Stücke vom Rind, die fettdurchsetzten und die sehni­gen, ganz zart und schmelzend werden.

Und wie erreicht man das ? Zunächst erhitzt man in ei­nem schweren Eisentopfe ein gutes Fett - ursprünglich war es sicher tierisches, denn Öl und Butter hatte man nicht zur Hand in der Puszta. Dann kommen zerschnit­tene Zwiebeln hinein und Würfel Rindfleisch. Beides läßt man nun langsam bräunen, dünsten, braten, dämp­fen. Von all dem ist etwas drin in dem Prozeß, der jetzt beginnt. Man deckt bald den Topf fest zu, denn sonst verdunstet die Flüssigkeit vom Fleisch und von der Zwiebel viel zu rasch, und Fleisch und Zwiebel begin­nen anzubrennen, noch ehe sie auch nur durchhitzt sind.

Mitunter schaut man in den Topf hinein und rührt den Inhalt um. Sind Fleisch und Zwiebeln schon ein wenig bräunlich, und ist alle Feuchte, trotz dem schweren Eisendeckel auf dem Topfe, schon ganz verdunstet, so daß Gefahr besteht, daß das Gericht gleich anbrennen wird, dann schüttet man das Wasser auf. Nicht allzuviel! Das Fleisch soll nicht einmal ganz bedeckt sein. Und vor allem: wirklich erst jetzt und nicht schon vor­her Wasser zugeben! Sonst wird das Gulyas fade. Ursprünglich kam jetzt nur noch etwas Salz hinzu. Dann kochte das Gericht - immer auf kleiner Flamme -weiter, bis das Fleisch schon fast zerfiel und auch die Zwiebeln ganz zergangen waren, so daß die Sauce braun und sämig war von ihnen.

Gulyas mit Indianergaben

Dann aber wurde Amerika entdeckt. Und was die In­dios uns bescherten, bereicherte und wandelte sogar die Hirtenspeise der Magyaren. Es war ein Segen für den Küchenzettel der Magyaren und von ganz Europa, wie ja alles, was wir damals von den Indios übernahmen. Zum Küchenunglück von Europa wurde der Einfluß aus Amerika erst, als die Weißen dort begannen, ihre Kochideen auszuleben. Die Indios schenkten uns To­maten und Paprika, ferner die Kartoffeln, den Mais, die Bohnen, den Kakao und vieles mehr.

Tomaten und Paprika gaben jetzt der Gulyassauce ihre Farbe, Würze, Schärfe, Säure. Wobei ich aber meinen möchte: Tomaten für das Gulyas soll man auch außer­halb von Ungarn unbedingt beibehalten. Paprika je­doch ? Nicht jeder mag es. Manche behaupten, es sei ein herrliches Gewürz. Ich selber mache mir nicht viel dar­aus. In der milden Variante scheint es mir nicht beson­ders aromatisch, und in der scharfen nur brennend, und sonst nichts. Vermutlich wirkt ein solches Brennen in den Tropen recht belebend. Wir sprachen früher schon davon. Im kalten Klima aber wird man sich die Kehle, wenn überhaupt, doch lieber mit einein starken Alkohol verbrennen. Nun - vielleicht bin ich persönlich einfach < paprikablind >. Aber auch manche Ungarn machen sich nicht viel daraus. Und irgendwo habe ich gelesen, daß die Magyaren zwar schon ziemlich lange die To­mate ihrem Gulyas applizieren, Paprika jedoch erst seit etwa hundert Jahren.

Dann kam noch die Kartoffel zu dem Gericht hinzu. Man schüttet sie bei der < orthodoxen) Form des Gulyas in der letzten halben Stunde in die Sauce. So hat man ein herrliches Eintopfgericht, das alles enthält: Eiweiß, Gemüsesalze, Kohlenhydrate.

Gulyasrezept für sehr hartes Fleisch

Eine kleine Abweichung von der orthodoxen Form der Zubereitung erlaube ich mir mitunter: habe ich es mit einem Fleisch zu tun, das offenkundig wenig abgelagert, sehr hart und zudem sehnig ist, dann brate ich es nicht zusammen mit den Zwiebeln an. Denn wenn das Fleisch beim Braten auch an Aroma stark gewinnt und dieses an die Sauce abgibt, so steigert sich dabei doch auch seine Lederhärte.

In solchen Fällen also bräune ich die Zwiebeln nur mit den Tomaten an und füge die Fleischwürfel erst sehr viel später, zusammen mit dem Wasser, bei. Das Fleisch bleibt dann ein wenig zarter.

Die Ungarn, die bei sich zu Hause nur sehr gutes, zartes Rindfleisch kannten, bei welchem eine solche Prozedur sinnlos gewesen wäre, mögen die kleine Ketzerei begrei­fen und verzeihen!

Gulyasvarianten

Kennt man einmal genau die Urform des Gulyas und seinen Sinn und seine besten Varianten, dann kann man wagen, selber leichte Änderungen anzubringen. Paprika soll nur hineintun, wer es mag. Das sagten wir bereits.

Tomaten kann man, wenn sie sehr teuer oder rar sind oder völlig fehlen, durch einen kleinen Schuß Essig er­setzen oder durch Wein oder meinetwegen durch eine kleine Büchse fabrikfertiges Tomatenpuree. Und die Kartoffeln ? Die kocht man besser nicht in der Sauce, sondern separat. Denn sie gewinnen zwar da­durch, daß sie sich mit der Sauce von Anfang an durch­tränken. Die Sauce aber gewinnt durch die Kartoffeln auf keinen Fall. Sie wird ein wenig pappig, mehlig. Und außerdem muß man bedenken: Gulyas schmeckt wun­dervoll auch aufgewärmt. Kartoffeln aber schmecken aufgewärmt abscheulich.

Darum: eßt euer Gulyas mit Kartoffeln, wenn ihr wollt. Beides paßt gut zusammen. Doch kochet beides stets ge­trennt !

Gulyas mit Gerste oder Kascha

Es müssen aber nicht unbedingt Kartoffeln sein. Viel älter ist vermutlich die Gewohnheit, die sich bei den Ost­juden bis heute erhalten hat, Gulyas mit Gerstengraupen oder Kascha zu genießen. < Kascha > heißt wörtlich Brei. Aber als < Kascha > bezeichnet man in der Ukraine auch eine grobe Grütze aus Buchweizenkörnern, die eben nicht als Brei, sondern flockig und locker gekocht ist wie der Reis der Ostasiaten. Wie man das macht, habe ich sehr genau in meinen < Koscheren Kostproben > beschrieben. Dorthin gehört die Schilderung, weil ich außer bei frommen Juden aus dem Osten die Verbin­dung von Kascha und Gulyas nirgends mehr angetrof­fen habe. Und doch ist Kascha die bei weitein beste Zu­gabe zum Gulyas, die ich kenne. Denn der Buchweizen ist die aromatischste aller Getreidearten, würziger sogar als Hafer. Und trocken und körnig zubereitet ist Ka­scha saugfähiger für Sauce als die Kartoffeln oder gar der Reis.

Reis zum Gulyas

Aber natürlich kommt auch Reis zum Gulyas durchaus in Frage: Bloß: trocken und ohne Beitat gekocht, ist der Reis doch eher fad. Und als Risotto - das heißt mit an­gebratenen Zwiebelscheiben und Tomatenstücklein untermischt - paßt er nicht zu der würzigen Sauce des Gulyas.

Nocken zum Gulyas

In Ungarn selber ißt man Gulyas oft mit Nocken. Das sind große, grobe Spätzle, Teigfetzen also, die man in siedendem Salzwasser in wenigen Minuten garkocht. Ob man sie ursprünglich direkt in der Gulyassauce garzukochen pflegte, weiß ich nicht. Es ist wahrschein­lich, ist aber heute nicht mehr üblich und auch kaum zu empfehlen: die Nocken geben doch zuviel Stärke an die Kochflüssigkeit ab! Das würde die Sauce ver­derben.

Feste Rezepte gibt es für die Nocken sowenig wie in Schwaben für die Spätzle. Ist einer arm, dann mischt er seinen Nockenteig im wesentlichen nur aus Mehl und Salz und Wasser. Die Nocken werden dann so schwer und kleistrig, daß man sie gut als Wurfgeschosse benüt­zen kann, und nur ein Schwerarbeiter verdaut sie ohne Mühe.

Bei steigenden Mitteln werden die Nocken feiner. Statt Wasser nimmt man Milch und Eier, ziemlich viel sogar. Und man gibt nur gerade soviel Mehl hinzu, daß die Nocken im Wasser beim Kochen nicht gleich auseinan­derfallen. Um dies festzustellen, macht man, genau wie für die Knödel, einen <Probekloß>. Zerfällt er, dann mischt man eben noch ein wenig Mehl zum Teig.

Knödel zum Gulyas

Und da wir schon von Knödeln sprechen: natürlich passen auch Knödel immer zu Ragoutgerichten und folglich auch zürn Gulyas. Die Knödel werden, wenn sie als Begleitung zum Gulyas gedacht sind, natürlich nicht mit Schmalz und Butter übergossen und auch nicht paniert. Am besten schöpft man etwas von der Gulyassauce in eine breite flache, gut durchhitzte Pfan­ne, in die man dann die gargekochten Knödel legt. Oder man nimmt eben doch ein wenig Fett - aber nur soviel als unerläßlich, damit die Knödel nicht zusammen­kleben.

Knödelrezepte brauchen wir an sich keine anzugeben. Knödel sind nicht mehr Mode. Doch eben darum findet man die Rezepte unverändert und unverdorben in allen Kochbüchern. Und sollten sie in deinem neuen Koch­buch fehlen, dann kaufe dir ein dickes, altes! Der Antiquar verkauft es billig, und du findest darin Knödel­rezepte, soviel dein Herz begehrt!

Und merk dir: am besten waren die Knödel - und sind folglich auch die Rezepte für die Knödel - aus dem Be­reich der alten Donaumonarchie. Man ißt sie dort na­türlich nicht nur zum Gulyas, sondern zu jeder Art von Fleischragout oder aber, gefüllt mit Quark oder Früch­ten, als süße Nachspeise. Man tut ihnen ein wenig Un­recht damit. Sie sind es wert, als Hauptgang und für sich allein genossen zu werden. Auch bei süßer Füllung. Oder zum Beispiel in folgender Form:

Kartoffelknödel als Hauptgang

Die Knödel sollen eigentlich aus frisch abgekochten Kartoffeln zubereitet werden. Aber man kann notfalls auch Kartoffelreste vom Vortag mitverwenden.

2 Pfund frisch gekochte Kartoffeln werden mit dem Stößel zerstampft oder durch das Drehsieb gerieben. Man fügt 60 Gramm Fett hinzu - Butter oder Geflügel­fett, aber es geht auch anderes; nur nicht gerade öl! -, ferner 1 Ei, 100 Gramm Mehl, 2 Eßlöffel geriebene Semmel [Paniermehl], eine Prise Salz. Irgendwelche weiteren Gewürze sind unnötig. Das alles wird gut vermischt. Nach dem Rezept soll es 18 Knödel er­geben - gibt es aber nie! Es sind weniger! Am besten formt man aus dem Teig zwei Rollen, zerschneidet sie und formt die Stücke mit befeuchteter Hand zu Ku­geln. Man legt sie in einen weiten Topf mit etwa 3,5 Li­ter kochendem Wasser, dem man etwa 15 Gramm Salz beigefügt hat.

Die Knödel tauchen bald an die Oberfläche und sollen von diesem Augenblick an noch etwa 6 Minuten lang leise kochen. Man ißt gar nichts dazu, auch keinen Sa­lat. Es kommt nur tüchtig braune Butter über die Knö­del.

Soll es ein Mittagessen sein, dann gibt man vorher viel­leicht noch eine Gemüsesuppe und nachher ein Kom­pott oder rohe Früchte. Hungrig wird keiner vom Tisch aufstehen!

Gulyas mit Semmeln

Zurück zum Gulyas! Irgendeine mehlhaltige Beilage gehört dazu, das ist sicher. Es müssen aber nicht unbe­dingt gekochte Zerealien sein: gebacken, in Form von Brot, passen sie ebensogut dazu. Mit Brot aßen schon die homerischen Helden ihr Fleisch. Und in Altöster­reich servierte man in kleinen Wirtshäusern zum Gu­lyas gern die krachendfrischen, duftenden <Schuster-Semmel.

Gedehntes Gulyas

Ein Gulyas kocht sehr lange. Man tut daher gut daran, es gleich für zwei und mehr Mahlzeiten zu bereiten. Keine Angst, daß es sogleich verderben könnte! Spei­sen, die solange kochen, halten sich, kühl aufbewahrt, im allgemeinen eine ganze Weile frisch und gut. Und daß das Gulyas verleiden könnte, wenn man es et­liche Male nacheinander essen soll, ist auch nicht zu be­fürchten. Man mag es sozusagen täglich wieder. Zudem serviert man es ja nicht immer mit den gleichen <Accessoires>. Man wechselt zwischen Kascha, Knödein, Nocken und Kartoffeln. Zu einem kleinen Abend­brot gibt man es nur mit frischen Semmeln.

Allmählich fängt das Fleisch womöglich an, ein wenig knapp zu werden. Nun - dann strecken wir es eben, in­dem wir etwa rohe Bratwurstmasse in kleinen Portionen direkt aus der Wursthaut in die Sauce auspressen. Nö­tige Kochzeit: 2 bis 5 Minuten. Dann schwimmen ne­ben den dunkeln Rindfleischwürfeln kleine helle Klöß­chen in der Sauce, die nicht schlecht zu dem Ganzen passen. Allerdings: sind die Würste nicht von bester Qualität, dann leidet das Aroma der Sauce stark darunter.

Statt Bratwurstkugeln kann man auch eine milde Koch­wurst oder Fleischkäse in grobe Würfel schneiden und in die Sauce mengen.

Sugo aus Gulyasresten

Und schließlich, ganz zuletzt, zerschneiden wir die Gulyasreste - samt den Wurststückchen in der Sauce -ziemlich fein, erhitzen sie noch einmal gründlich in der Sauce und haben nun für unsere Spaghetti oder Makkaroni einen Sugo, wie man ihn sich nicht besser den­ken kann. Ob man nun außerdem noch Parmesan dazu servieren soll ? Mir scheint: es ist nicht nötig.

Omelette mit Gulyasresten

Oder wir können auch diese zerhackten Reste anstatt zu Sugo dazu benützen, gefüllte Eierkuchen zu berei­ten. Ganz dünne, Palatschinken also, oder auch dicke, leichte, aus Ei und Milch und ohne Mehl.

Und da wir schon von Omeletten sprechen, bleiben wir noch ein paar Augenblicke bei ihnen stehen:

Omeletten und Rührei mit Milchzusatz

Die Franzosen gelten allgemein als sehr gute Köche. Sie sind es auch. Doch ihr an sich verdienter guter Ruf hat zur Folge, daß man ihnen auch dort Gefolgschaft lei­stet, wo andere vorbildlicher wären. Nehmen wir einmal die Rezepte für Omeletten. Als das Nonplusultra der Kochkunst gelten Omeletten auf fran­zösische Art bereitet, das heißt in heißer, aber nicht an­gebräunter Butter und nur mit Eiern, ohne Zusatz von Mehl oder Milch.

Was nun das Mehl angeht, so ist es in einer lockeren Omelette sicher fehl am Platze. Es darf nur bei den fla­chen, dünnen Eierkuchen, den Palatschinken, in den Eierteig gemischt werden. Milch dagegen verschlechtert die Omelette nicht, son­dern verbessert sie. Die Wiener wissen es. Sie mengen nicht aus Sparsamkeit zu Rührei und Omelette einen tüchtigen Schuß Milch, sondern weil die Speise auf diese Art entschieden gewinnt. Der Grund ist einfach genug: eine Eierspeise schmeckt nur, wenn sie feucht und locker ist. Sie darf nicht trocken durchgebacken sein. Soll aber eine milchfreie Eier­masse noch richtig feucht sein, dann muß sie, wenigstens im Innern, fast roh bleiben. Halbrohe Eier schmecken aber nicht sehr angenehm. Die Beimengung von Milch erlaubt nun, die Eier etwas gründlicher durchzugaren, ohne daß die Speise gleich schon trocken würde.

Für Rührei und Omelette nehmen Sie die gleiche Mi­schung: pro Ei einen Eßlöffel kalte Milch und eine kleine Prise Salz. Gut mengen und zerschlagen! Für die Omelette erhitzen Sie eine schwere Eisenpfanne, lassen rasch ein Stück Butter in ihr schmelzen und schütten die Masse hinein. Bei kräftiger Flamme die Unterseite leicht bräunen. Alle paar Sekunden die Omelette mit der fla­chen Schaufel nach der Mitte zu zusammenschieben, damit alles Flüssige von ihrer Oberfläche auf den Pfan­nenboden fließt und sich ebenfalls leicht bräunt. Kurz bevor die letzte Spur der Flüssigkeit ausgetrocknet ist, nimmt man die Pfanne vom Feuer, faltet oder rollt die Omelette und schiebt sie auf einen vorgewärmten Tel­ler.

Mit etwas Tomatensalat oder in Butter erwärmten jun­gen Erbschen zusammen - sie können auch aus einer Konservenbüchse stammen! - ist das eine gute kleine Mahlzeit. Knusprige Semmeln passen dazu.

Merkwürdigerweise schmeckt Rührei, obwohl es aus denselben Bestandteilen bereitet ist, dennoch ganz an­ders. Es verhält sich hiermit ähnlich wie mit den vielen Nudelarten der Italiener, die je nach der Preßform, bei gleichem Teig einen ändern Geschmack entwickeln. Oder wagt jemand zu behaupten, daß die gewaltigen Hohlnudeln genau gleich schmecken wie die zarten Müschelchen oder langen Spaghettibänder ?

Für das Rührei also nimmt man eine leichtere, kleinere Pfanne, man wärmt sie nur ein bißchen vor und schüttet dann Eier und Butter gleichzeitig hinein. Mit einem Schäufelchen löst man nun die Speise immer wieder vom Pfannenboden, so daß sie zuletzt aus Fetzen und Brocken besteht, die aber alle noch sehr feucht sein müs­sen. Ein dauerndes heftiges Rühren, das die Speise in eine fast homogene Masse verwandelt, gilt nicht als orthodox und verschlechtert tatsächlich den Ge­schmack.

Pro Person: je nach Appetit 2 bis 3 Eier. Das Rührei wird in einzelnen kleinen Pfännchen zubereitet und di­rekt aus diesen Pfännchen heraus gegessen. Es gehören Semmeln dazu.

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ALTE GUTE FLEISCHREZEPTE

Wir haben uns beim Gulyas so lange aufgehalten, daß am Ende der Eindruck aufkommen könnte, als wäre dies das einzige Fleischgericht, das kulinarisch zählt. Davon ist natürlich keine Rede. Man kann sogar um­gekehrt sagen: mit Fleisch versteht auch die Mode­küche heute umzugehen. Sie weiß vor allem sehr gut, wie man fettfreie, gut abgelagerte Stücke auf dem Grill, am Spieß oder mit sehr wenig Fettzusatz in der offenen Pfanne zubereitet. Hier weitere Anregungen bringen -das hieße Eulen nach Athen tragen.

Aber die altmodischen Fleischrezepte, für die man nicht unbedingt das allerteuerste Fleisch nehmen muß und die, bei langer Kochzeit, dennoch sehr gute Resultate ergeben, geraten heute ein bißchen in Vergessenheit. Von ihnen möchten wir darum noch einige hier beifü­gen. Zunächst zwei mit Mohren, von denen das eine aus der ostjüdischen Küche stammt, das andere von ei­ner Dame, die zwar in Köln lebte und starb, jedoch in Litauen geboren war. Mag sein, sie brachte das Rezept noch aus ihrer Heimat mit.

Zuerst die Möhrenspeise der litauischen Dame in Köln:

Möhrenspeise mit Fleisch

Etwa gleichviel Rübchen und Kartoffeln werden zer­schnitten und mit einem fetten Stück Fleisch zusammen in den Kochtopf gelegt.

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Salz hinein und nur soviel Was­ser, als man unbedingt braucht, damit die Speise gar werden kann, ohne anzubrennen. Je nach der Qualität des Fleisches tut man unter Umständen gut daran, das Fleisch erst ein Weilchen vorzukochen, ehe man die Ge­müse beifügt. Zuletzt soll womöglich nur noch wenig Flüssigkeit im Topfe sein.

Man fischt das Fleisch heraus, zerstößt Rübchen und Kartoffeln mit dem Stößel schnell zu einem gleich­mäßigen Brei, legt das Fleisch wieder hinein und läßt es sorgfältig wieder ganz heiß werden. Ungefähre Proportionen: auf 0,75 Pfund Fleisch - am be­sten gutes, fettes Schweinefleisch ohne Knochen - neh­me man 1,5 Pfund Rübli und ebensoviel Kartoffeln.

Und nun die altjüdische Variante:

Rindfleisch mit Honigmöhren

Man braucht für die Speise: 1 Pfund fettes Rindfleisch, also etwa Brust, etwa 3 Kartoffeln, 6 Karotten, 1 zer­schnittene Zwiebel, 3 Eßlöffel Honig, am liebsten ech­ten. Ferner kochendes Wasser. Manche fügen etwas Ingwer bei, andere mischen in die Sauce ein bißchen Mehl. Ich finde die Speise aber besser ohne Mehlbeitat. Etwas Salz und, wenn man will, auch Pfeffer.

Fleisch, Salz und kochendes Wasser kommen zuerst in den Topf. Das Fleisch muß vom Wasser überdeckt sein. Man läßt eine Stunde kochen. Dann fügt man die zer­schnittenen Gemüse und die zerhackte Zwiebel, Honig und Ingwer bei und läßt wieder eine Stunde auf sachter Flamme kochen, möglichst ohne umzurühren. Notfalls gibt man noch ein wenig Wasser bei. Zuletzt soll aber das ganze Wasser eingedampft sein. Man kann die Ver­dampfung beschleunigen, indem man, wenn das Ge­richt schon fast fertig ist, den Deckel abhebt.

Wenn dieser sehr aromatisch duftende Eintopf dazu be­stimmt war, eine große Familie mit vielen Kindern zu sättigen, dann pflegten ärmere Ostjuden gerne einen Kloß im gleichen Topfe garzukochen, den sie so zu­bereiteten :

Mehlkloß zum Eintopf

0,5 Pfund rohes Fett vom Kalb, vom Rind, am besten natürlich vom Geflügel, wird sehr fein zerschnitten und mit 1 bis 1,5 Pfund Mehl oder noch besser mit einer Mischung aus Mehl und ein wenig Weizengrieß oder auch zerriebenen gekochten Kartoffeln und dem nö­tigen Salz und Pfeffer gut vermischt. Je nachdem, wie­viel Geld man hatte, fügte man diesem Teig 2 bis 4 Eier bei - oder auch nur Wasser. Man formte aus den Zuta­ten einen festen runden Kloß, den man mit Fleisch und Gemüsen zusammen in dem schweren, fest verschlos­senen Topfe gar werden ließ. Zuletzt, wenn die Flüssig­keit im Topfe schon fast ganz eingekocht war, schob man den aufgedeckten Topf gern noch für ein Weilchen in den heißen Backofen, um den Kloß bei guter Ober­hitze noch ein wenig zu überbräunen. Er schmeckte dann viel besser.

Es ist ein schweres, gutes Gericht, nicht für Menschen gedacht, deren einzige Sorge darin besteht, möglichst wenig Kalorien aufzunehmen. Und auch nicht für solche, die beim Gedanken an das Cholesterin, das sich beim Genuß tierischer Fette bildet, vor Angst beinahe krank werden. Wer aber zur Abwechslung währschafte, altmodische, schmackhafte Kost liebt, wird einen sol­chen Eintopf sehr genießen.

<Tscholent> und <Chamin>

Solch fetten Mehlkloß fügten die Ostjuden besonders gern jener Speise bei, die sie Tscholent oder Scholent nannten. Bei Heine heißt sie Schalet. Der Name stammt ursprünglich aus Frankreich und kommt vorn altfran­zösischen <chauld>, das heißt < warm >. Name und Speise hängen mit der Tatsache zusammen, daß die Juden am Sabbat kein Feuer anfachen dürfen. Wollen sie dennoch eine warme Mahlzeit haben, dann kommt nur ein Ge­richt in Frage, das sie schon vor Anbruch des Sabbat -also am Freitagabend - in den vorgewärmten Ofen schieben und bis Sabbatmittag langsam gardünnsten las­sen. Solche Speisen müssen die Juden schon sehr früh gekannt haben, denn bereits der Talmud kennt einen Ausdruck für sie: Chamin. Das bedeutet ganz genau dasselbe wie Tscholent. Der Talmud aber entstand schon bald nach der Kodißzierung der Bibel, zunächst als mündliche Überlieferung, und seine letzten Teile wurden im fünften nachchristlichen Jahrhundert nie­dergeschrieben.

Die Juden stammen aus dem mediterranen Raum, und rund um das Mittelmeer herum sitzen lauter kochbe­gabte Völker. Die Juden bilden keine Ausnahme. Im Gegenteil. Bedenkt man zudem, wie schwer die Juden es im Exil inmitten meist feindlicher Völker hatten und wie streng ihre eigenen Religionsgesetze sind, dann be­greift man, daß sie die wenigen Freuden, die ihnen blie­ben - und folglich auch die der Tafel - besonders liebe­voll kultivierten.

Wer also nach schmackhaften Gerichten mit langer Kochdauer sucht, tut ganz gut daran, sich unter den Tscholent Rezepten der Juden umzusehen - und zwar auch dann, wenn er selber Nichtjude ist. Wie gut solche Speisen duften und schmecken, weiß nur, wer sie selber gekostet hat. Was für Eindruck sie bei ihren Liebha­bern hinterlassen, können Sie aus dem Ausspruch einer ostjüdischen Soziologin in Amerika ersehen, welche schreibt: «Gäbe es den Duft der Sabbatspeisen in Kon­servenbüchsen zu kaufen, dann hätten wir in Amerika keine jüdische Jugendkriminalität.» Natürlich irrt sie. Kriminelle Jugend gab es ja auch in den Großstädten Osteuropas unter den Juden und auch in jenen Quartieren, die an Sabbat und Feiertagen re­gelrecht durchtränkt waren vom Duft jüdischer Fest­speisen. Aber wie faszinierend müssen Speisen sein, de­nen ein wissenschaftlich geschulter Mensch solche Zau­bermacht zuschreiben kann!

Nennen wir also noch zwei Tscholent-Gerichte. Wenn Ihnen der Name nicht gefällt, können Sie die Speise als <Eintopf> bezeichnen:

Tscholent mit Bohnen und Gerste

Sie brauchen hierfür ein fettes Stück Fleisch. Überhaupt taugen solche Gerichte wenig, wenn man sie mit ma­geren Fleischstücken bereitet. Und außerdem brauchen Sie einige Stücke ausgelassenes oder sehr klein zerschnittenes, von den Häuten freigeschabtes tierisches Fett. Und dann noch ein paar Markbeine...

Haben Sie Angst vor Cholesterin ? Dann überschlagen Sie die nächsten paar Seiten und lesen Sie sie erst, wenn eine andere Modeangst den Cholesterinschrecken bei Ihnen in den Hintergrund gedrängt hat!

Alle übrigen aber sollen weiter zuhören: Sie nehmen einen schweren Topf— einen eisernen oder irdenen — mit sehr gut schließendem Deckel, geben die Fettstücklein oder das ausgelassene Fett zuunterst hinein, legen das Fleisch und die Markbeine darauf, fügen, wenn Sie wol­len, eine zerschnittene Zwiebel hinzu oder noch besser ein paar Knoblauchzehen [wenn Sie sie ganz lassen, können Sie sie später, vor dem Essen, herausfischen und entfernen!] und schütten 0,5 Liter grobe Gerste und ebensoviel weiße Bohnen hinzu. Die Gerste muß gut gewaschen werden, die Bohnen weicht man, wenn sie nicht ganz frisch aus dem Garten kommen, am besten vorher eine ganze Nacht lang ein. Salz und Pfeffer hin­ein, und gut mit Wasser überdecken. Topf gut verschlie­ßen und auf kleiner Flamme oder im nicht allzu heißen Ofen langsam, in mehreren Stunden, gar werden lassen. Wenn Sie die Flüssigkeit richtig berechnet haben - aber das lernt man nur mit der Zeit und Übung -, dann ist der Tscholent zuletzt fast trocken. Bleibt noch etwas Brühe, so ist es auch kein Unglück. Wenn Sie unbedingt wollen, können Sie zuletzt noch ein Weilchen den Deckel vom Topf abnehmen, so daß der letzte Rest des Was­sers verdunstet. Aber Vorsicht! Trotz dem vielen Fett kann die Speise, wenn man nicht aufpaßt, anbrennen! Sie schmeckt, wie gesagt, sehr gut. Aber ich möchte raten: für uns moderne schwächliche Esser genügt es, wenn wir einen solch massiven. Leckerbissen einmal im Monat, und zwar im Winter, vorgesetzt bekommen. Nach einer solchen Mahlzeit hat man ein dringendes Bedürfnis nach ein paar Gläschen gutein klarein Schnaps oder nach Tee mit sehr viel Rum.

Daß aber auch heißes Klima den Appetit an fetten Ein­topfgerichten nicht unbedingt zu verderben braucht, beweist eine Tscholent-Variante aus Portugal. Es riecht in ihr nach allen möglichen exotischen Gewürzen - wie sollte es auch anders sein in einem Lande mit aben­teuernden Seefahrern und Gewürzhändlern?

Portugiesischer Tscholent mit Zwetschgen und Kalbsfüßen

Sie brauchen 4 gebrühte Kalbsfüße, halbiert und ge­spalten. Ferner i Pfund gedörrte große Zwetschgen, ein Stücklein Zimtrinde, ein wenig Salz und ein wenig Zucker. Das alles kommt in einen dicken gußeisernen oder irdenen Topf. Gerste oder Bohnen sind hier nicht üb­lich, wohl aber ein Kloß. Das Rezept kennen Sie schon. Sie fügen aber - wir sind im gewürzereichen Portugal! dem Teig für den Kloß noch ein wenig Ingwer und Muskat bei.

Alles gut mit Wasser bedecken und langsam, in 3 bis 4 Stunden, garkochen. Am besten im Backofen, notfalls geht es aber auch auf kleingedrehter Flamme auf dem Herd. Zuletzt muß dann das Fleisch von den Knochen fallen, die Zwetschgen müssen ganz weich und rund ge­quollen sein, der Kloß goldbraun und saftig, und die Flüssigkeit fast ganz eingekocht.

Gemüse mit langer Kochzeit teilen heute das Schicksal der Fleischteile, die nicht in wenigen Minuten gar sind:

sie sind aus der Mode geraten! Und dabei gehören zu den langkochenden Gemüsen gerade jene, die Eiweiß enthalten und von denen ein Mensch sich fast vollstän­dig ernähren kann: die Leguminosen! Am besten kom­biniert man sie mit einein Fleischstück, das ebenfalls nur langsam gar wird. Ein solches Rezept brachten wir schon: Tscholent mit Fleisch, weißen Bohnen und Ger­ste. Es war ein trockenes Gericht, das heißt mit weg­gekochter Flüssigkeit. Es gibt aber auch eine sehr gute Variante mit Suppe:

Bohnen- oder Erbsensuppe mit Kloß und Fleisch

Sie nehmen wieder den schweren, gut verschließbaren Topf. Den Boden streichen Sie dick mit einem tierischen Fett aus. Am besten schmeckt Geflügelschmalz. Not­falls kommt auch Fett vom Rind oder Schwein in Frage. Letzteres natürlich nur, wenn Sie nicht frommer Jude sind - auch dieses Rezept ist nämlich ursprünglich jü­disch, und den Juden ist der Genuß von Schweinefleisch nach mosaischem Gesetz untersagt. Nun legen Sie brei­te, flache Knochen in den Topf und ein Stück fettes Rindfleisch darüber. Christen können auch Schweine­fleisch nehmen. Markknochen kommen ebenfalls hin­ein, und dann noch, sofern man will, eine gute, gewürz­te Knoblauchwurst. Eine gefüllte Milz paßt aber auch ganz gut zu dem Gericht. Das Rezept geben wir später. Nun die gelben Erbsen oder weißen Bohnen hinein, pro Person ein gehäufter Eßlöffel oder etwas mehr. Von den Bohnen sagten wir bereits: wenn sie nicht frisch aus dem Garten kommen, weicht man sie besser die Nacht zuvor ein. So auch die Erbsen. Salzen. Gut mit Wasser über­decken - diesmal soll es ja eine Suppe geben!

Wenn Sie wollen, können Sie jetzt noch einen Kloß hin­einlegen. Das aber tun Sie besser nur im Winter und wenn Sie eine große Tafelrunde streng arbeitender Menschen satt zu kriegen haben. Aber ehe Sie von dem Kloß einem Tischgenossen auf seinen Teller eine dicke Scheibe legen, deren Duft allein schon sättigt und aus der, wenn sie wirklich durchgegart ist, das goldene Fett herausträufelt - fragen Sie ihn, ob er nachher vielleicht ein motorisiertes Vehikel besteigen muß? Wenn ja, dann bekommt er Suppe und Fleisch, aber nichts vom Kloß! Denn, wie wir schon sagten: ohne einen klaren Schnaps nachher oder wenigstens ein Glas Tee mit viel Rum übersteht keiner so leicht eine solche Mahlzeit.

Die Kochzeit der Suppe ? 4 bis 6 Stunden. Mit dem län­geren Kochen gewinnt sie an Wohlgeschmack.

Anstelle oder auch neben einen solchen fetttriefenden, herrlich duftenden Kloß legte man in den Tscholent gern auch einen gefüllten Gänsehals, gefüllte Rinds­därme oder eine gefüllte Milz. Manchmal bestand die Füllung aus gehacktem Fleisch, weit öfter aber war sie ähnlich komponiert wie die Teigmasse des Klosses: aus Fett und Zerealien. Sie mögen es glauben oder nicht:

obwohl die fleischlose Füllung billiger ist, schmeckt sie dennoch besser. Bei der Milz allerdings war die Füllung nicht ganz fleischfrei, denn der herausgeschabte Milz­inhalt kam mit in sie hinein. Nachfolgend ein gutes Re­zept:

Gefüllte Milz in Gersten- oder Bohnensuppe
Die Milz wird an einer Seite aufgeschnitten, und das weiche Fleisch kratzt man heraus. Am besten macht man dies mit einem Blechlöffel. Gut achtgeben, daß die Milz dabei keine Löcher bekommt!

Nun verwiegt man 0,25 Pfund Herz- oder Mickerfett mit einer Zwiebel und Petersilie, fügt nach Belieben ent­weder drei in Würfel geschnittene oder auch einge­weichte und ausgedrückte Brötchen bei oder auch eine Mischung aus 400 Gramm Mehl und 100 Gramm Wei­zengrieß. Nimmt man nicht feuchte Brötchen, sondern trockenes Mehl und Grieß, dann kann man ruhig etwas mehr Fett beifügen: 0,5 statt 0,25 Pfund. Nun kommen noch Eier hinein. Wenigstens eines, höchstens drei. Man würzt mit Salz und Pfeffer, wenn man will auch mit Muskat und Ingwer. All das wird mit dem heraus­geschabten Milzfleisch gut vermischt und in die Milz eingefüllt. Die Öffnung näht man zu, sticht aber die Milz mit den Gabelzinken an, damit sie beim Kochen nicht aufplatzt.

Die Milz kocht volle 3,5 Stunden. Man kann sie für sich allein in Salzwasser kochen oder, mit Fleisch und Suppengemüse zusammen, in einer gewürzten Brühe. Wurde die Milz in einer solchen klaren Flüssigkeit gar gemacht, dann kann man sie nachher herausneh­men und noch bräunen, sei es im Ofen, zusammen mit einem Braten, oder auf offener Pfanne auf dem Herd.

Man kann die Milz aber auch sehr gut in einer schmack­haften Gersten- oder Bohnensuppe kochen. Suppe und Milz brauchen beide ungefähr gleich lang, um gar zu werden. Und man hat auf diese Weise gleich eine ganze

und gute Mahlzeit.

Bleibt von der Milz noch etwas übrig, dann kann man sie erkalten lassen, in Scheiben schneiden und zu einer frischen Semmel essen. Das gibt ein kleines, gutes Abendbrot.

Nicht nur die Ostjuden liebten Bohnengerichte. Auch die Friesen kennen auf dem Lande den fetten Eintopf mit Fleisch und Bohnen. In manchen Häusern hat man dort noch vor kurzein siebenmal in der Woche solche Bohnengerichte zu Tisch gebracht - sie verleideten nie­mandem. Man braucht sich darüber nicht weiter zu verwundern. In Mittel- und Südamerika essen die ar­men Leute ja auch nicht viel anderes als Tag für Tag Bohnen und Mais. Es sind die Urspeisen der Indios. Man kann von ihnen ganz gut leben. Zumal, wenn man als Würze noch die Peperoni und die Tomaten hat, die ja beide ebenfalls aus dem Kontinent der Indios stam­men.

Aber auch ohne Tomaten und Peperoni schmecken Bohnengerichte ganz vorzüglich. Eine ostpreußische Dame, die mit ihren Kindern im letzten Kriege nach Friesland geflohen war und dort eine Zeitlang auf einem Bauernhof bei der Arbeit mithalf, um dafür mit den Ihren auf dem Hofe mitessen zu dürfen, erinnert sich noch gut, wie sehr sie sich anfangs wunderte über das tägliche Bohnengericht. In Ostpreußen wurden Boh­nen nur selten gegessen, auf vielen Bauernhöfen kannte man sie kaum. Anfangs dachte sie, sie werde sich später einmal, nach überstandenen Hungerjahren, voll Ab­scheu sagen: Nie wieder Bohnen! Merkwürdigerweise kam ein solches Gefühl des Überdrusses in ihr nicht auf - weder damals noch später! Vielmehr schickt sie mir heute das nachfolgende Rezept, durchsät von Ausdrücken der Sehnsucht nach jener Bohnenzeit. Es ist eine ähnliche Sehnsucht, wie sie manchmal in uns aufsteigt, wenn wir uns an bestimmte Brotsorten oder Speisen er­innern, die wir seit unserer Kindheit nie mehr gegessen haben.

Bohnen mit Speck, friesisch zubereitet

Auf manchen Bauernhöfen im Nordwesten Deutsch­lands scheint ein Mittagessen ohne Bohnen kaum denk­bar zu sein. Sobald es warm genug ist im Frühling, wer­den Bohnen gesteckt. Und dies wiederholt man bis in den Sommer hinein alle vierzehn Tage, um möglichst lange, bis tief in den Spätherbst, junge frische Boh­nen ernten zu können. Man pflückt die Schoten nicht ganz so jung wie im Süden und Westen Europas; es ist auch nicht nötig, denn in dem feuchten kühlen Klima dort verholzen die grünen Hülsen nicht so rasch. Die weißen oder bunten Samenkerne können schon eine respektable Größe erreicht haben - die grüne Schote, die sie umhüllt, ist nach wie vor zart und weich und kann noch gut gegessen werden.

Im Winter, wenn es keine frischen grünen Bohnen gibt, ißt man getrocknete oder im Salz eingesäuerte. Oder aber voll ausgereifte Kerne ohne grüne Hülse.

Nun aber das Sommergericht. Die bereits ziemlich dicken grünen Bohnen werden kurz aufgekocht, dann gießt man das Wasser ab und schüttet frisches, kochendhei­ßes darüber. Wozu es gut sein soll, die Bohnen so zu überbrühen, weiß ich nicht. Vielleicht soll auf diese Weise eine besonders gründliche Reinigung von Staub und Schmutz erreicht werden ?

Wichtig ist jedenfalls, daß man weder zuviel noch zu­wenig heißes Wasser zu den Bohnen schüttet. Denn genau wie beim Tscholent der Juden soll zuletzt die ganze Flüssigkeit eingedampft, die Speise aber auf kei­nen Fall angebrannt sein. Und genau wie beim Tscho­lent werden daher auch bei diesem Friesengericht meh­rere Löffel Fett beigefügt, die man aber nicht unten auf dem. Topfboden verteilt, sondern ins Kochwasser hin­eingibt. Salz hinein. Pfeffer scheint nicht üblich, aber mir scheint: eine kleine Prise kann nicht schaden. Zu Bohnen - allerdings vor allem zu ausgekernten, nicht zu grünen - gehört ein wenig scharfe Würze. Und nun kommt ein tüchtiges Stück Speck hinein, pro Person etwa 0,25 Pfund. Er soll gesalzen und getrocknet sein, aber nicht geräuchert. Der Speck wird, anders als beim Tscholent das fette Fleischstück, nicht unten in den Topf gelegt, sondern er kommt zuoberst hinein, und zwar mit der Schwarte nach oben. Auf diese Weise kann er dann während des Kochens etwas von seinein Fett und Aroma auf die Bohnen herunterträufeln lassen. Nun wird der Topf fest verschlossen, und auf ganz klei­ner Flamme köchelt das Gericht gut 2 Stunden lang. Es soll womöglich während des Kochens nicht aufgedeckt und erst recht nicht umgerührt werden. Hat man Was­serquantum und Flammengröße richtig aufeinander abgestimmt - es gehört natürlich ein bißchen Übung dazu! -, dann ist zuletzt das Wasser aufgesaugt und ver­dunstet, und die Bohnen glänzen und glitzern vom Schweinefett und Rindertalg.

Zu dem Gericht gehören trockene Salzkartoffeln. Man stellt sie 0,5 Stunde vor dem Mittagessen auf die Flam­me, dann ist alles gleichzeitig fertig.

Kochspeck ist, im Verhältnis zum Nährwert und Wohl­geschmack, nicht sehr teuer. Aber es gibt auch andere billige Fleischsorten, die dennoch ein sehr gutes, voll­wertiges Mittagessen ergeben:

Kalbslungenragout

Der Name ist irreführend, genau wie der des Wiener <Kalbs-Beuschels>! Das Gericht besteht nicht aus Lun­ge allein: sozusagen immer werden auch Stücke vom Kalbsherz beigefügt. Nun kann man zwar zweifeln, ob das Gewebe der Lunge sehr nahrhaft ist. Ganz bestimmt aber besteht das Herz aus schönstein Muskelfleisch, und nur irgendeiner Modelaune wegen wird es billiger ta­xiert als ein Filet-Beefsteak. Lunge und Herz werden in nicht zu große Würfel ge­schnitten, ähnlich wie für ein Gulyas. Die Stücke muß man sehr gründlich abwaschen. Dann kocht man sie ei­nige Stunden lang. Und zwar entweder in einer Zwie­belsauce, wie wir sie weiter vorn beschrieben haben, oder in einer Sauce aus Zwiebeln und Tomaten, jedoch ohne Speck darin und ziemlich mild und flüssig. Man­che fügen eine Prise Zucker bei oder etwas Mehl. Oder aber wir kochen die Stücke in einer folgender­maßen gewürzten Flüssigkeit:

Salzwasser mit etwas Paprika, ganzen Pfefferkörnern, Wurzelwerk, einem Kräuterbouquet und einem Glas Rotwein. Hat man keinen, dann kann man notfalls auch ein kleines Glas Essig nehmen. In diesem Falle aber füge man eine Prise Zucker hinzu. Manche geben noch eine Zwiebel hinein, die sie mit ein paar Nelkenkörnern be­stecken, andere lieben auch den Duft von Lorbeerblät­tern in dem Ragout.

Da die Lunge mit Luftbläschen gefüllt ist, steigen die Lungenstücke anfangs hoch an die Oberfläche. Man muß sie von Zeit zu Zeit niederdrücken und die Koch­brühe immer wieder abschäumen, bis sie schließlich ziemlich klar bleibt. Dann erst den Deckel auf den Topf auflegen und lange und sacht kochen lassen. Wenn die Fleischstücke weich sind, siebt man die Sauce durch und verfeinert sie noch ein wenig. Man kann dies auf zweierlei Weise tun:

Die einen bräunen einen Löffel gutes Fett mit einein Löffel Mehl zusammen, gießen mit der Sauce auf, ko­chen gut durch und legen die Fleischstücke wieder hin­ein. Sie fügen mitunter auch ein wenig abgeriebene Zi­tronenschale hinzu. Das schmeckt nicht schlecht.

Noch besser aber ist die Balkanvariante ohne Mehl:

Etliche Eigelb - zwei genügen für eine kleinere Familie ~ werden gut zerschlagen, worauf man sorgfältig die heiße Brühe dazugießt. Die Eigelb dürfen aber nicht etwa kochen, sonst gerinnt die Sauce. Dieser zarten Sauce fügt man gern, wenn der Kochwein sehr mild war, noch ein paar Tropfen Essig oder Zitronensaft und auch eine Prise Zucker bei.

Aber an diesen süßsäuerlichen Einschlag bei Fleisch und Fischspeisen, den ganz Osteuropa und übrigens auch Ostasien kennt, muß sich der Westeuropäer erst gewöhnen. Die Kombination erscheint ihm fremd und befremdend, viele können sich mit ihr nur schwer an­freunden.

Zu diesem Gericht servieren Sie nicht Salzkartoffeln, sondern Nudeln, Nocken, Spätzle oder Knödel, die aber nur sehr wenig, am besten gar nicht „abgeschmälzt“ und schon gar nicht in fettgebräunten Bröseln gewälzt sein dürfen! Sie sollen trocken sein, so daß sie die schöne Sauce in sich aufnehmen.

All diese Speisen, vor allem die Mischgerichte aus Fleisch, Zerealien und Gemüse, sind altbewährt, schmackhaft, billig. Und praktisch! Man hat an ihnen gleich ein ganzes Mahl. Wer mit modernen Kochprin­zipien aufgewachsen ist und Fleisch kaum in anderer Zubereitung kennt als gegrillt oder sehr kurz gebraten, ahnt kaum, welche Genüsse der Vorfahren ihm ent­gehen. Das Wort < Eintopfgericht) hat - ich weiß nicht seit welchem Zeitpunkt - eine Abwertung erlebt, die von der Sache, von den verschiedenen volkstümlichen Eintopfgerichten her, kaum verständlich ist. Gulyas und die vielen Tscholent -Varianten sind lange nicht die einzigen Eintopfgerichte, die es wert sind, wieder häufig auf unsern Tisch zu gelangen, vor allem dann, wenn wir für eine größere Familie kochen. Es lohnt, zur Anreiche­rung des Küchenzettels, durchaus, auch in die Eintöpfe fremder Kontinente einen Blick zu werfen. Allerdings wird man nicht alles genau übernehmen können und dürfen: manches ist zu ungewohnt im Geschmack, für anderes sind die Zutaten nicht erhältlich. Wir sprachen schon von diesen Grenzen bei der Übernahme von Fremdgerichten. Nachfolgend aber geben wir Ihnen ein südamerikanisches, in der Urform sehr scharf schmeckendes Eintopfgericht, das von einer passionierten deut­schen Köchin geschickt dem mitteleuropäischen Gau­men angepaßt worden ist. Die Speise hat in dieser eu­ropäischen Abwandlung eine leichte Ähnlichkeit mit dem Irish-Stew, schmeckt aber doch anders und vor allem viel besser:

Insupade [südamerikanisch]

Wir brauchen 1,5 Pfund mageres Rindfleisch. Am be­sten läßt man sich vom Metzger ein Stück geben, das sich auch für Gulyas eignet. Er kann das Fleisch gleich in passende Würfel schneiden. Das Fleisch wird in reich­lich Fett angebräunt, und zwar - anders als beim Gu­lyas - ohne Zwiebeln.

Man deckt den Topf dann zu und läßt das Fleisch auf kleiner Flamme im eigenen Saft dünsten und halbgar werden. Wenn dann der Zeitpunkt da ist, in welchem man Flüssigkeit aufgießen müßte - sobald nämlich die im Fleisch enthaltene Flüssigkeit trotz fest aufgelegtem Deckel verdunstet ist und die Speise bald anbrennen könnte —, fügt man verschiedene, in kleinere Stücke zer­schnittene Gemüse bei. Das Gericht gerät am besten zur

Zeit der frischen grünen Bohnen:

Man nimmt etwa 1,5 bis 2 Pfund grüne Bohnen, etliche Rübchen, 1 bis 2 Rübkohl, etwas Blumenkohl, alles, wie gesagt, in kleinere Stücke zerschnitten. Dagegen wer­den 1 Teller rohe Kartoffeln, etwa 1,5 Pfund Tomaten und 1 Pfund Zwiebeln, die gleichfalls hineinkommen,

nur in Scheiben geschnitten. Nun soll das Gericht im fest verschlossenen Topf mindestens 3 Stunden lang leise schmoren, und zwar am besten ganz ohne Wasser. Die Tomaten sondern ja ge­nügend Flüssigkeit ab. Geht es nicht anders, dann fügt man einige wenige Löffel Wasser hinzu. Nicht zu stark salzen. Und wenn man hat, gibt man auch etwas Sauer­ampfer hinein.

Zum Schluß soll das Gericht ganz ausgedörrt sein, aber natürlich darfes nicht anbrennen.

Und wenn wir schon bei Fleischgerichten sind, die an iberische Vorbilder erinnern, so möge auch die nach­folgende sehr gute Eintopfspeise hier beschrieben sein. Kennengelernt habe ich sie unter dem Namen:

Spanisch-Frico

Ob allerdings die Spanier das Gericht genau so zuberei­ten, wie ich es in einem deutschen Hause vorgesetzt bekommen, erprobt und sehr genossen habe, ist nicht sicher. Der beigefügte saure Rahm deutet eher darauf hin, daß da mittel- und osteuropäische Kochideen zur Vollendung der Speise beigetragen haben. In Spanien kocht man nur selten mit Rahm, und schon gar nicht mit saurem. Man braucht zu dem Gericht etwas Butter [zum Ausstreichen der Puddingform], 1,5 Pfund ge­hacktes mageres Rindfleisch, 1 Kilo rohe Kartoffeln in Scheiben, 0,25 Liter dicken sauren Rahm. In die ausgebutterte Form gibt man abwechselnd Kar­toffeln und Fleisch. Jede Fleischlage wird mit etwas Sauerrahm beträufelt, der meiste Rahm wird aber zu­oberst darüber gegossen. Jede Schicht wird gesalzen. Das Gericht darf ziemlich rezent schmecken.

Die Form wird gut verschlossen und 3,5 Stunden im Wasserbad gekocht. Wenn zuviel Wasser verdunstet, muß man kochendes Wasser nachgießen: die Form darf nicht zu weit aus dem heißen Wasser herausragen. Beim Anrichten stürzen, aber unbedingt in eine Schüs­sel mit genügend hohem Rand: der reichlichen Sauce wegen! Das Gericht ist alles andere als trocken.

Die Speise steht und fällt aber mit der Möglichkeit, sich dicken Sauerrahm zu beschaffen. Süßer Rahm mit ei­nem Zusatz von Zitronensaft oder Essig ist kein Ersatz, Joghurt auch nicht und eine säuerliche weiße Mehl­sauce schon gar nicht!

Huhn oder Rindfleisch in Pilz- und Gemüsesauce

Nun noch ein zweites Fleischgericht in Sauce, für das es aber keinen bestimmten Namen gibt. Es bewährt sich sehr gut bei der Zubereitung von Rindfleisch oder von Hühnern mit etwas zähem, nicht mehr ganz jungem

Fleisch:

Es gehören dazu 4 Pfund Fleisch, sei es vom Huhn oder vom Rind. Das Huhn wird höchstens in vier Stücke ge­teilt; das Rindfleisch bleibt am besten unzerteilt. Es sei denn, das Quantum ist für zwei Mahlzeiten bestimmt. Dann halbiert man das Fleisch vor dem Kochen.

Das Fleisch kommt in einen genügend großen, festen Topf. Man umlegt es mit zwei zerschnittenen Zwiebeln, zwei dick gescheibelten Karotten, einem etwas feiner zerschnittenen Peperone [Pfefferfrucht], aus dem man aber die scharfen Körner sorgfältig entfernt hat und, wenn irgend möglich, einer Tasse zerschnittener Pilze.

Zuchtchampignons kommen zwar in Frage, besser aber sind frische Waldpilze, junge Steinpilze vor allem. Steri­lisierte Pilze dagegen haben hier wenig Sinn: sie haben ein zu schwaches Aroma. Man fügt ferner mehrere ge­schälte, entkernte und zerschnittene Tomaten bei. Im Winter nimmt man statt dessen eine Büchse Tomaten­püree. Man würzt mit einem Teelöffel Salz, einer tüch­tigen Prise schwarzem Pfeffer und einer oder auch meh­reren Knoblauchzehen.

Ein wenig Wasser kommt hinein, dann deckt man den Topf sehr gut zu und läßt das Gericht 4 Stunden lang auf kleiner Flamme kochen. Während des Kochens sollte man den Deckel nicht abheben. Bereitet man die Speise aber zum ersten Male, dann wird man es wohl dennoch tun müssen. Denn es ist unmöglich, genau an­zugeben, wieviel Wasser nötig ist, damit die Speise nicht anbrennt, sondern zuletzt noch ein wenig Sauce vor­handen ist. Gibt man aber aus übergroßer Vorsicht her­aus von Anfang an zuviel Wasser hinein, dann schmeckt die Sauce nachher fade und wird zu wäßrig.

Zu dem Gericht paßt ein körniger Reis. Es schmeckt aber auch sehr gut zu einer Scheibe knusprigem Weiß­brot.

So gut die Speise schmeckt - dies ist Ihnen doch klar, daß man sie aus einem eher derben Suppenhuhn und nicht mit ganz jungen Hühnchen zubereitet ? Die wären viel zu schade für eine solche Prozedur und derart lange Kochzeit!

Rezepte für junge Hühnchen kennt man heute zur Ge­nüge. Wir brauchen keine anzuführen. Nur ein Hin­weis sei hier erlaubt:

Schinden Sie das Hühnchen nicht!

Wie man ein Wiener Backhendl paniert und bäckt, wis­sen Sie wohl? Wer es noch nicht kann, findet in jedem einschlägigen Kochbuch die genauen Angaben. Neuer­dings hat aber irgendein bequemer oder überlasteter Koch herausbekommen, daß man viel Zeit spart, wenn man einfach die Haut von den Hühnchen herunter­reißt, anstatt sich mit dem sorgfältigen Entfernen aller Federn abzuplagen. Das stimmt, es geht auf diese Weise rascher. Nur: das Hühnchen wird, wenn man es der Haut beraubt, nicht halb so zart und gut. Vielleicht erscheint Ihnen der Rat, die Warnung über­flüssig, weil Sie in Ihrem Lebensmittel-Großladen die Hühnchen ohnehin gerupft und ausgenommen erhal­ten ? Dies ist aber sehr oft Importware, tiefgekühlt und viele Wochen alt. Zwar hindert die Tiefkühlung das Verderben und Verfaulen, sie mordet aber das Aroma. Haben Sie also die Wahl zwischen einein pfannenfertig bereiteten, hygienisch verpackten Importhühnchen und einem frisch geschlachteten von einem inländischen verläßlichen Lieferanten, dann nehmen Sie, wenn es nicht anders geht, das Federzupfen, Absengen und Ab­brühen in Kauf! Aber vielleicht ist Ihr Lieferant trotz Zeitnot und Mangel an Hilfskräften bereit, selber das Geflügel für Sie pfannenfertig herzurichten ? Wie immer: lassen sie dem Hühnchen, wie sie es auch zubereiten wollen, seine Haut!

SUPPENDÜFTE

Langgekochtes

Wir haben uns sehr lange beim Gulyas und bei ändern langgekochten Fleischgerichten aufgehalten. Obwohl oder vielmehr gerade weil sie nicht in Mode sind. Man liebt heute Speisen mit sehr kurzer Kochzeit. Schuld an der Vorliebe für Rohes und Halbgegartes haben, wir sagten es schon, die modernen Ernährungstheoretiker. Aber warten Sie nur ein wenig! Bald wird es eine neue Mode geben! Es werden andere Diätetiker kommen und genau das Gegenteil empfehlen: gut durchgekochte Speisen. Und abermals wird es an überzeugenden Be­weisen bestimmt nicht fehlen. Aus dem einfachen Grun­de, weil alle beide im Recht sind, die Rohköstler sowohl wie die Langkocher. Vorausgesetzt, daß ihre Lehre nicht absolut gesetzt und daß sie nur am rechten Ort, das heißt: bei passenden Gerichten, angewendet wird. Gulyas also kocht lang, wie ja die meisten alten Speisen alter Völker. Und bei dem Rösten und dem langen Ko­chen bildet sich, durch die Gewürze und das Wasser, der Saft, die Sauce, der Sugo. Ein solcher Saft ist wun­derbar geeignet, fade Gerichte aus mehliger Substanz im Wohlgeschmack zu steigern und so die Mahlzeit nahrhaft und zugleich sehr lockend abzurunden. Davon war in dem Buche wiederholt die Rede, als wir von Sau­cen sprachen und vom Gulyas.

Der Sinn der Suppe

Nun läßt sich dieser Saft noch weiter strecken, indem man noch mehr Flüssigkeit hinzufügt: Wein oder Was­ser, Rahm oder Milch - was eben paßt und was man hat. Dann steht man schließlich vor einer Speise, die -wenigstens nördlich der Alpen - heute in manchem Hause kaum mehr auf den Tisch gelangt: die nahrhafte Suppe nämlich.

Minestra

Im Süden hat die Suppe noch ihre Urbedeutung. Sie ist mit lockernder, streckender Flüssigkeit durchsetzte Synthese vieler Nährsubstanzen und zugleich Sympho­nie der herrlichsten Gerüche. Sie enthält meist wenig oder gar kein Fleisch - denn sie ist die Suppe eines zwar kochbegabten, aber armen Volkes. Immerhin, etwas Schweinespeck, angebraten und aromaspendend, ist meist in ihr und verströmt Duft und Fett in all die vieler­lei Gemüse, die Hülsenfrüchte und die Zerealien: Reis oder kleingebrockte Makkaroni.

Wichtig ist, daß die zerschnittenen Gemüse -welche, da­für gibt es keine Vorschrift; man nimmt halt, was man hat und was die Jahreszeit beschert — zusammen mit den grob zerhackten Zwiebeln und mit etwas Knoblauch und den erhitzten und ausgelassenen Würfelchen Speck sehr gründlich durchgedünstet werden, bevor man Was­ser zugibt. Es ist wie bei dem Gulyas: Röststoffe müs­sen sich entwickeln und ihre Düfte voll entfalten, bevor man <wässert>. Darum muß das Gemüse ohne Wasser zunächst solange schmoren, bis es sich schon ein wenig bräunt und die Gefahr besteht, daß es bald anbrennt.

Gleichzeitig mit dem Wasser kommen auch Bohnen­kerne hinein - bunte oder weiße. Die Nacht zuvor sind sie im kalten Wasser drin gelegen, sofern sie nicht ganz frisch gepflückt sind. Gartenfrische Bohnenkerne braucht man nicht einzuweichen. Und Nudeln oder Reis gibt man erst in der letzten hal­ben Stunde zu. Schwach salzen! Fertig gekaufte Sup­penwürzen werden keine beigefügt! Wer wirklich ko­chen kann, braucht solche Würzen überhaupt nie. Vor allem aber nicht bei der Minestra - so heißt die Suppe. Wenn man sie richtig zubereitet und lang und langsam kocht, entwickelt sie einen solch runden, vollen, starken Duft und Wohlgeschmack, daß vorfabrizierte Würze da nur stören würde.

Dagegen kann man, wenn man will, bei Tisch geriebe­nen Parmesan dazu servieren.

Die Minestra ist, genau wie die Bouillabaisse in Frank­reichs Süden und die Aalsuppe in Hainburg, eine ganze Mahlzeit. Und eine gute Mahlzeit obendrein!

Russische Suppen

In Rußland gibt es den Schtschi aus frischem oder Sauerkohl, mit saurer Sahne und - so man hat! - auch etwas Fleisch darin. Daneben den bereits einmal er­wähnten Borschtsch. Man kann ihn aus gegorenen oder frischen roten Rüben oder auch aus beiden zubereiten;

mit oder ohne Fleisch; mit oder ohne Sauerrahm; mit oder ohne Knoblauch; mit oder ohne Eigelb. Alle seine Varianten schmecken herrlich und sind ungemein be­kömmlich.

Saure rote Rüben

Am besten schmeckt der Borschtsch aus roten Rüben, die man eingesäuert hat. Und zwar ohne Essig oder Salz - ganz einfach mit Hilfe von kaltem Wasser! Im Osten kennt ein jeder die Prozedur. Sie ist so einfach, daß keiner es glaubt, der es nicht selber ausprobiert hat:

Rohe rote Rüben werden geschält, in Stücke geschnit­ten, in große Einmachgläser oder Steingutkrüge hinein­gelegt und mit reinem kaltem Wasser übergossen. Und das ist alles. Gut darauf achten, daß die Rote-Rüben-Stücke nicht aus dem Wasser ragen! Notfalls kann man sie mit einem kleinen Teller oder Brettchen unter die Flüssigkeit drücken.

Leicht überdecken, damit kein Staub und Schmutz hin­einfällt. Aber nicht luftdicht verschließen! Sonst sprengt die Gärung den Verschluß und überschwemmt den Boden mit blutfarbener Sauce!

Die Flüssigkeit wird rasch rot. Nach rund zwei Wochen schmeckt sie erfrischend säuerlich. In diesem Zustand wird sie für die berühmte Rote-Rüben-Suppe des Ostens verwendet: Borschtsch heißt sie bei den Russen, Barschtsch bei den Polen.

Den besten Borschtsch gab es in der Ukraine. Den aller­besten bei den dortigen Juden, obwohl sie die Speise nicht aus ihrer mediterranen Heimat mit in den Norden gebracht, sondern erst bei den slawischen Bauern ken­nengelernt hatten. Sie gaben dem an sich schon herrli­chen Bauerngericht noch den mediterranen Schliff. Diese herrlichen jüdischen Borschtsch Rezepte habe ich in meinen < Koscheren Kostproben > aufgeführt.

Hier sei nur einiges Grundsätzliches festgehalten: Au­ßer roten Rüben gehört in den Borschtsch kein zweites Gemüse. Höchstens - bei einer bestimmten Variante, zu der auch Fleischeinlagen dazugehören - zerstoßener Knoblauch, wenn man den als Gemüse und nicht als Gewürz bezeichnen will.

Und ferner: wer so vornehin ist, daß er nur den Saft und nicht auch die etwas ausgelaugten Rote-Rüben-Stücke nachher verwenden will, der braucht die roten Rüben nicht zu schälen, bevor er sie einlegt. Es genügt dann, wenn man sie sehr sauber schrubbt und wäscht.

Diese rote Grundsubstanz, die man ganz gut auch kalt, mit oder ohne eine Prise Zucker, aus Gläsern trinken kann wie Wein, ergibt die beste Suppe, die ich kenne.

Borschtsch-Karikaturen

Hütet euch aber vor den Borschtsch-Rezepten, die neuerdings in Deutschland herumgegeben werden! Ir­gendein Witzbold aus der Ukraine muß sich mit einem deutschen Frager einmal einen dummen Scherz gestat­tet haben: er hat ihm aufgebunden, daß sozusagen alles, was rot ist, in den Borschtsch hineingehört. Neben roten Rüben also auch Tomaten und Paprika zum Beispiel. Und außerdem noch Sellerie und Kapern und was weiß ich! Sagt man aber einem deutschen Kochbuchautor, der darauf hereinfiel, daß das Unsinn ist, dann ist er meist beleidigt und entgegnet: Volksspeisen werden in verschiedenen Gegenden verschieden zubereitet!

Varianten der Volksgerichte

Das stimmt an sich. Jede Volksspeise gibt es in verschie­denen Fassonen, so wie auch Rembrandt und van Gogh ein und dasselbe Motiv mehrfach gemalt und immer wieder anders abgewandelt haben. Jedoch: von diesen Bildern ist keines Kitsch und Unfug. Alle sind sie Kunst. Und ähnlich ist es auch bei Volksgerichten kochbegab­ter Völker: sie schmecken sehr verschieden, je nach Ge­gend, sind aber alle herrlich und richtig komponiert, leicht unterscheidbar von verfälschten Formen.

Und dann, vor allem: das Volk kocht nur, was es im ei­genen Lande hat. Außer für Festgebäck, wo ausnahms­weise importierte Mandeln, Rosinen und Gewürze doch einmal in Frage kommen, kauft oder nimmt es nichts, was in der Gegend nicht gedeiht. Wie sollte es auch anders sein ? Und nun auf einmal Kapern in der alten Bauernsuppe aus einem Landstrich mit sehr har­ten Wintern! Und gar Tomaten! Die Rote-Rüben-Suppe aß man gern den ganzen Winter durch, bis in den Frühling. Wo hätten da Tomaten in die Bauernchaten und in die Küchen der armen Juden herkommen sol­len ? Ganz davon abgesehen, daß bei sauren roten Rü­ben die ebenfalls ein wenig säuerlichen Tomaten nichts zu suchen haben. Und Paprika ? Die paßt zum Borsch­tsch wie etwa Butterbrot zu Nudeln! Der Borschtsch hat von der Gärung her eine gewisse leichte Schärfe, ähnlich wie nicht zu süßer Wein. Schütten Sie etwa Paprika ins Weinglas ?

Der Duft von Dill

Doch man muß gar nicht in die Ferne, in den Süden oder in die Ukraine schweifen, um gute alte Suppen zu entdecken. Wenigstens zwei gibt es auch im deutschen Osten. Ich gebe die Rezepte wieder, genau wie sie der Spender, ein ostpreußischer Jurist und in der Freizeit passionierter Koch und Zuckerbäcker, mir vorgeschrie­ben hat:

«Die Erinnerung an die Küche meiner Kindheit, do­miniert von der Kochkunst meiner Mutter, ist für mich untrennbar mit dem Duft von frischem Dill verbunden. Natürlich wurden nicht die ganzen Pflanzen samt den groben Stengeln verwendet, sondern nur die feinen Fliederchen. Besonders lieb ist mir das Kraut auch heu­te noch in der Kartoffelsuppe:

Die Kartoffelsuppe des ostpreußischen Juristen

Dazu kochen Sie zunächst feste, gelbfleischige Kartof­feln in Salzwasser, und Sie erhitzen gleichzeitig Milch, bis sie fast kocht. Dann zerdrücken Sie die Kartoffeln mit einer hölzernen Reibkeule.» [Anmerkung der Buch­autorin : Sie können auch ein Drehsieb hierfür nehmen, ein sogenanntes Passe -Vite.] «Jetzt rühren Sie nach und nach die heiße Milch in die Kartoffeln, bis eine zarte Creme von der gewünschten Konsistenz entsteht. Nun noch reichlich feingehacktes Dillkraut darüber -und das Gericht ist fertig. Wer mag, kann eine winzige Prise Muskat dazugeben - allein es muß nicht sein. Salzen nach Geschmack, jedoch mit Vorsicht. Es ist eine lieblich-milde Suppe!

Ich liebe es», so schreibt er weiter, «etwas angebräunte Butter dazuzugeben.»

Ich meinerseits - diesmal spricht die Autorin - ziehe es vor, auf altpolnische Art ein Stücklein sehr frische, feste Butter zuletzt in jeden Teller auf die Suppe aufzulegen.

Die Butter schmilzt und bindet sich ganz zart und lang­sam mit der Suppe.

Wassergrieß mit Butter
Auf diese Weise - nämlich mit einem Stücklein sehr fri­scher Butter darauf - ist, dies nur nebenbei, auch ein dünner, schwach gesalzener Brei aus grobem Weizen­grieß, gekocht mit Wasser anstatt, wie üblich, mit Milch, nicht nur eine bekömmliche Diät bei vielerlei Beschwerden, sondern zugleich sehr schmackhaft.

Ostpreußische Kartoffelsuppe und Palatschinken
Als Ergänzung der Mahlzeit, die mit der Kartoffelsuppe anfing, schlägt unser Ostpreuße Pfannkuchen - er meint natürlich Palatschinken oder Plinsen - mit Kon­fitürefüllung vor.

Ich möchte aber meinen: mit einer Füllung von nicht allzu feuchtem Magerquark, vermischt mit etwas Ei­gelb, saurem Rahm und eingeweichten oder noch bes­ser aufgekochten Sultaninen, passen die Palatschinken noch besser zu dem Mahl.

Daß aber eine Eierspeise mit der Kartoffelsuppe in je­dem Falle eine gute Ehe gibt, darin hat er recht. Und falls Sie, lieber Leser, katholisch sind: wie wäre es dann mit einein solchen Mahl am nächsten Freitag? Zuletzt noch etwas rohes Obst dazu!

Aber da ist noch eine zweite Suppe aus dem nordöst­lichen, sonst wenig kochbegabten Preußen, die nicht zu verachten ist. Das Rezept stammt aus derselben Quelle wie die Kartoffelsuppe.

Ostpreußische Suppe aus gelben Erbsen

Man braucht dazu getrocknete gelbe Erbsen. Es ist eine nahe Verwandte der Kartoffelsuppe, aber ohne Milch. Geschälte Erbsen sind leichter zu verarbeiten als un­geschälte. Durch ein Haarsieb oder ein feingelöchertes Drehsieb müssen Sie aber beide treiben. Zum Kochen sollten Sie weiches Wasser nehmen. Wenn Sie mit hartem Wasser kochen müssen, hilft ein wenig doppelkohlensaures Natron. Mit Salz müssen Sie, wie bei allen Hülsenfrüchten, vorsichtig sein! Und daß sich die Erbsen leichter weichkochen lassen, wenn sie die Nacht zuvor im Wasser lagen, das wissen Sie wohl schon.

Die Erbsen mit einigen Kartoffeln zusammen im nöti­gen Wasser weichkochen und passieren. Schwach sal­zen, das sagten wir bereits.

Und nun, zum Schluß, aber erst, wenn die Suppe völlig fertig ist, sehr reichlich Dillkraut darauf! Und das ist alles.

Varianten der Erbsensuppe

Was jetzt noch kommt, bleibt dem persönlichen Ermes­sen anheimgestellt: manche kochen ein Stück Sellerie­knolle und einen Lauchstengel in der Suppe mit. Beides wird aber entfernt, ehe man die Erbsen durchpassiert! Ich würde sagen: diese beiden würzenden Bestandteile sollten Sie akzeptieren.

Andere fügen reichlich in Butter angebräunte Zwiebeln hinzu.

Ich würde eher raten: lassen Sie die Zwiebeln weg! Der süßliche Geschmack der Zwiebel paßt nicht so recht zum Erbsgericht. Harmonischer mischt sich mit den Erbsen der Duft von Knoblauch. Vielleicht versuchen Sie einmal nach altostjüdischem Brauch der fertigen Erbsensuppe ein paar zerstoßene, rohe Knoblauch­zehen beizufügen? Wen der Geruch nicht stört, der wird die Suppe in dieser Form ganz herrlich finden. Andere wieder kochen ein Stück Rindfleisch mit - aber es darf nicht gar zu mager sein, sondern gründlich durchwachsen!

Üblich und ausgezeichnet ist in der Erbsensuppe auch ein Stück Schweinebauch oder Schweinespeck, und schließlich, bescheidener, eine Bockwurst. Fleisch und Wurst werden vor dem Servieren in mundgerechte Würfel geschnitten.

Wieder andere streuen in Butter geröstete Weißbrot­würfel in die Suppe - aber erst im Teller! Ja nicht vor­her! Die Würfel sollen noch knusprig sein, wenn man zu essen anfängt.

Persönlich finde ich: ohne solche Brotwürfel schmeckt die Suppe besser.

Klare Suppe mit Knödeln

Ja - und dann gibt es noch die sogenannte klare Suppe, den Saft vom lang und langsam durchgekochten Fleisch. Ihn trinkt man am besten, ohne Zutat, einfach aus der Tasse. Oder man legt in eine solche klare Suppe kleine Knödel ein - die man aus Grieß oder Semmelmehl mit Ei, aber ganz ohne Fett bereitet! Statt dessen wird die Brühe nicht entfettet. Die Knödel saugen sich in diesem Falle voll mit Suppenfett und schmecken herrlich. Und manche lieben in der klaren Brühe feine Nudeln und andere zarte Kleinigkeiten. Das alles ist, da sich die Brühe ja beim Kochen ganz von selbst ergibt, sehr sinnvoll. Und mit viel Fleisch, wo­möglich noch mit Huhn und mit richtig würzenden Ge­müsen zubereitet, ist solche Brühe wirklich delikat. Man glaubte früher auch, sie wäre äußerst nahrhaft, weil sie gewissermaßen - so dachte man - die Quintessenz vom Fleisch und vom Gemüse verflüssigt in sich trage. Soviel ich weiß, glaubt man es heute nicht mehr. Man genießt solche Brühe vielmehr, weil sie den Appetit anregt und sehr gut schmeckt.

Deswegen ist es nicht sehr sinnvoll, für die echte Brühe ein Konzentrat aus der Fabrik zu suchen, das niemals gleich gut schmeckt. Drum: habt ihr echte Brühe, dann genießt sie! Und habt ihr keine - nun, dann eßt ihr eure Mahlzeit eben ohne klare Brühe!

VON DEN HARMONISCHEN FETTEHEN

Wir sprachen eben von fettfreien Knödelmassen für die klare Brühe, und wir nannten auch den Grund, warum man die Knödel ohne Fett bereiten soll: sie sollen die Fettaugen auf der Suppe in sich saugen! Man kann zwar nicht gerade sagen: einzig dazu sind die Knödel da! Aber eines ist sicher: nur auf diese Weise werden sie vollkommen!

Bedenken Sie doch nur, was man da sonst für Unsinn treibt: erst entfernt man sorgsam alles Fett der Suppe -und dann fettet man die Speise wieder durch das Fett im Knödelteig!

Fettmesalliancen

Und obendrein: wer sagt uns, daß beide Fette immer gut zusammenpassen ? Nehmen wir an, daß in der Sup­pe fettes Rindfleisch mit einem Huhn zusammen kocht. Und nun kommt durch die Knödel Butter oder gar Margarine und vielleicht Kokosfett hinzu! Bestenfalls merkt man die Dissonanz zwischen den Fetten nicht so­fort heraus. Doch daß der Wohlgeschmack der Speise durch solchen Mischmasch gesteigert werde, wird nie­mand zu behaupten wagen. Bevor man in einer Suppe zwei Fette mischt oder einem Gericht ein bestimmtes Fett beifügt, soll man daher im­mer überlegen, ob es mit der Speise harmoniert.

Zu Palatschinken - Butter

Nehmen wir ein paar Beispiele. Teig für Eierkuchen, wir meinen hier die dünnen, die Palatschinken - mit Mehl und Milch darin: was wählen Sie für Fett, um solche dünnen, zarten, weichen Scheibchen darin aus­zubacken? Schweineschmalz etwa, oder Rindertalg? Sicher nicht! Hier muß es Butter sein, und zwar ganz frische, nicht eingekochte! Wozu auch ? Der Vorteil der eingekochten Butter besteht doch - außer in der Halt­barkeit - nur darin, daß sie beim Schmoren und beim Braten nicht bräunt und schwarzbrennt. Palatschinken aber sind in wenigen Sekunden gar! Da brennt die But­ter ohnehin nicht an.

Zu Bauernomelette - Schmalz

Oder nehmen wir eine andere Eierspeise, eine ganz derbe, deftige: den Bauerneierkuchen. Das sind Brat­kartoffeln mit Rühreimasse, zu einem dicken, braunen, saftigen Eierkuchen zusammengebacken. Werden Sie gleichfalls frische Butter hierfür nehmen ? Sicher nicht! Hierher paßt Schweine- oder Gänse­schmalz, am besten ganz frisch ausgelassen und zusam­men mit den Grieben.

Kohl - mit Schmalz

Nehmen wir nun verschiedene Gemüse. Was mischen Sie zum Kohl? Öl? Oder Butter? Wohl kaum! Zu ei­nein solch winterlich-schweren Gericht gehört das Schmalz von Gans und Schwein, genau wie zu den Bauerneierkuchen! Und zwar egal, auf welche Weise Sie Ihren Kohl bereiten, mit Essig und ein wenig Zucker oder mit Kümmel und mit Salz, mit oder ohne Äpfel oder Zwiebeln.

Tomaten - mit Öl

Weiter. Wie ist es mit Tomaten ? Manche nehmen Butter, um Tomatenhälften in der Eisenpfanne ein wenig an­zubraten. Man kann das tun. Es ist nicht schlecht. Noch besser aber schmecken sie mit Öl. Die Italiener, die sich hier für öl entschieden haben, treffen es sicher richtig!

Junge Erbschen - mit Butter

Und frische, junge Erbschen ? Die kochen Sie in wenig Wasser, vielleicht mit kleinen, jungen Zwiebelchen zu­sammen und mit einer Prise Salz und Zucker. Zuletzt, vor dem Servieren, soll noch etwas Fett hinein. Wel­ches ? Butter natürlich! Und zwar ungesalzene, frische!

Rübchen - mit Schmalz oder Butter

Und die Rübchen? Nun, wenn man sie mit den Erbs­chen zusammen kocht - bekanntlich gibt das eine wun­derbare Ehe -, dann müssen sie sich wohl die Butter mit gefallen lassen. Sonst aber, wenn man die Rübchen für sich allein bereitet, möchte ich meinen: am liebsten Gänse- oder Hühner schmalz, wenn möglich ganz frisch ausgelassen, jedoch ohne Grieben! Man kocht die Rüb­chen, in Scheiben oder Stengelchen zerschnitten, in wenig Wasser, mit etwas Salz und Zucker, und fügt das Schmalz von Anfang an gleich bei. Bis die Rübchen weich sind, ist das bißchen Wasser verdampft und das Schmalz vollkommen aufgesogen. Die Rübchen schmecken auf diese Weise wirklich delikat!

Grieben

Die Grieben sind deswegen noch lange nicht verloren! Mit etwas Salz zusammen schmecken sie vorzüglich zu einer Schnitte dunklem oder weißem Brot.

Spargel - mit Butter oder Öl

Und Spargel ? Mit frischer Butter, hell oder auch ge­bräunt, schmecken sie herrlich. Oder mit einer war­men, samtig-zarten Sauce Hollandaise, die neben But­ter auch Zitronensaft und Ei enthält. Oder mit einer Mayonnaise, also mit Ei und Öl und Essig. Im Süden liebt man Öl zu Spargeln auch in ändern For­men: als <Vinaigrette> zum Beispiel, also vermischt mit Essig, Kapern, kleingehackten harten Eiern, Gurken und Gewürzen. Das paßt gleich gut zu warmen wie zu kalten Spargeln.

Linsen, Bohnen, gelbe Erbsen -mit Fleischfett

Zu Linsen oder trockenen Erbsen und Bohnenkernen nimmt man im Norden im allgemeinen tierisches Schmalz. Das paßt vortrefflich. Die Griechen aber nehmen öl und fügen dem fertigen Gericht gehackte rohe Zwiebeln bei, und das ist auch nicht schlecht.

Gemüse mit Rahm

Manche Gemüse - etwa die rote Rübe, das weiße Rüb­chen und der Spinat - lieben auch Rahm. Sie wollen nicht im heißen Fett geröstet werden. Man muß sie sachte kochen oder dünsten, in wenig Wasser. Zuletzt kommt etwas Rahm hinzu, ob süßer oder saurer, dar­über kann man nach persönlichein Geschmack ent­scheiden.

Mehl aber als Ersatz für Rahm liebt nicht ein einziges Gemüse! Weiße Rübchen etwa serviert fast jeder im mittleren Europa in einem weißen dünnen Mehlbrei. Tuet es dennoch nicht! Nehmt Rahm! Und habt ihr keinen - dann eßt die weißen Rübchen doch einfach trocken, das heißt mit einem Minimum an Wasser sach­te weichgedämpft. Zuletzt kommt noch ein Stücklein frische Butter darüber. Das ist nicht ideal, aber es ist nicht übel.

KÜCHENMESALLIANCEN

Die Frage, welche Fette zu bestimmten Speisen passen, führt zu der allgemeinen Frage, was überhaupt im Kochbereich zusammenpaßt und was man besser für ewig voneinander scheidet. Die Frage ist sehr ernst zu nehmen, denn Küchenmesalliancen führen, anders als entsprechende <Fehltritte> bei den Menschen, unfehl­bar zu mißratenen < Kindern >.

Wir hätten im. neunzehnten Jahrhundert die Frage nicht einmal berühren brauchen. Denn damals wußten die Köche und die Frauen das alles ganz genau. Doch der moderne Küchen Surrealismus hat mit seinen wil­den, kulinarisch sinnlosen Mischungen auch dieses Wis­sen längst zerstört. Und zwar im ganzen Kochbereich und nicht nur in bezug auf Fette. Aber wir können ruhig als Beweis dafür zunächst ein Fettbeispiel zitieren, und zwar in Form von einer wahren Anekdote:

Eierzwiebel mit Kokosfett!

In meinen < Koscheren Kostproben > steht das uralte, einfache und doch ganz herrliche Rezept der sogenann­ten < Eierzwiebel >. Es ist dies eine dezente Mischung aus gehackten harten Eiern, Geflügelschmalz - ganz fri­sches muß es sein! - und fein zerhackter Zwiebel. Not­falls - so habe ich in meinem Buch geschrieben, das ja nicht nur für Juden bestimmt ist, denen bekanntlich nach ihrem Religionsgesetz das Schweinefleisch und -fett verboten ist -, notfalls also kann man versuchen, die Speise statt mit Geflügelschmalz mit frisch ausgelas­senem Schweinespeck zu bereiten. Zu einem Stückchen frischem Eierzopf und einem klaren Schnaps schmeckt solche Eierzwiebel herrlich.

Und in der Tat bekam ich kurz nach Erscheinen meines Buches viele Briefe von Junggesellen, die sich solche Eierzwiebel selber bereitet halten - es ist ja keine Kunst!

- und ganz begeistert waren. Dann aber kam ein Brief von einer Dame der gehobenen Gesellschaft: meine Rezepte seien ganz veraltet. Tieri­sche Fette - und schon gar Schweineschmer! - esse doch kein Mensch mehr heute! Es sei nicht Mode, und zu­dem verbiete es auch die neue Medizin. Auch Butter sei nicht zu empfehlen nach der modernsten Forschung. Sie schlage daher vor: Kokosfett zur Eierzwiebel! ...

Lieber Leser: man braucht kein kulinarisches Genie zu sein, um über einen solchen Vorschlag ein leichtes Grauen zu empfinden! Ich setzte mich sofort an meine Schreibmaschine, um die Dame mit einem netten, aber eindringlichen Brief vor solchem Küchensakrileg zu warnen. Ich überlegte lange, wie ich ihr erklären sollte, daß sie hier eine Küchensünde ersten Grades zu be­gehen plante.

Dann aber hielt ich inne. Denn ich erinnerte mich plötz­lich an einen Ausspruch — ich glaube, er ist von Werfel — über religiöse Wunder: «Dem Gläubigen braucht man nichts zu erklären; dem Ungläubigen kann man nichts erklären; so oder so — jede Erklärung ist sinnlos und unmöglich.»

Genau so sinnlos schien mir, die Dame von ihrem Ein­fall abzubringen: wenn ihr nicht übel wurde beim Gedanken an rohes Pflanzenkochfett mit gehackten Zwie­beln und harten Eiern - was konnte ich ihr dann noch sagen ?

Und also schrieb ich ihr: «Sie haben recht! Geflügelschmalz und Schweineschmer sind nicht mehr Mode, und beide enthalten obendrein das gefährliche Cholesterin, das die Arterienverkalkung fördert. Bereiten Sie die Eierzwiebel in Ihrem Hause ruhig mit Kokosfett. Aber vergessen Sie nicht, einem jeden zu erzählen, daß der geniale Kücheneinfall von Ihnen stammt und nicht von mir.»

Perfekte Ehen von Fleisch mit Obst

Mesalliancen gibt es aber nicht nur im Bereich der Fette. Es wimmelt von ihnen in der modernistischen Küche.

Da sind zum Beispiel die Kombinationen von Fleisch mit Früchten. An sich ist wenig gegen sie zu sagen. Et­liche kann man geradezu klassisch nennen:

Zu süßlichem fettem Schweinefleisch zum Beispiel paßt Apfelmus vortrefflich. Zum Fleisch von Enten oder Gänsen - aber nicht zu dem von Hühnern! - passen als Füllung Apfelschnitze und Marronen und als Beigabe gekochte Trockenfrüchte aller Art, vor allem Birnen oder Zwetschgen. Denn Gans und Ente haben beide ei­nen leichten süßen Einschlag, genau wie Schweine­fleisch.

Zu Wild und Siedfleisch paßt Preiselbeerkompott. Und Gelee und Konfitüre von Stachel- und Johannisbeeren kann man sehr gut bestimmten Saucen zum Wild bei­mischen.

Früher aß man auch gern Kompott von Stachelbeeren oder sauren hellroten Weichselkirschen zum Siedfleisch - es schmeckt wundervoll zusammen!

All das ist uralt, tausendfach erprobt, restlos bewährt. Und eben darum interessiert es heute keinen Menschen. So wie ein hochmoderner Maler sich meistens hüten wird, die Augen am Porträt in das Gesicht hineinzu­setzen. Das hat man doch schon viel zu oft gehabt! Es muß was Neues her! Augen am Bauch oder schwebend im freien Raum oder hingehängt an den Tannenast!

Modeehen von Fleisch mit Obst

Und ähnlich ist es in der Küche. Wer ißt denn heute noch die Gänse- oder Entenleber mit Apfelstücken, die in der gleichen Pfanne im frischen Fett des Vogels leicht angebraten wurden ? Und dennoch schmeckt es unver­gleichlich !

Heute aber ißt man zum Entenbraten Orangenscheiben oder Mandarinenviertel. Oder betäubend duftende Cognackirschen.

Das Huhn dagegen dekoriert man mit Erdbeeren und gelben oder grünen Pfirsichvierteln - das sieht doch lieblich aus, etwa nicht ? Und wie es schmeckt, ist Ne­bensache.

Oder man schiebt auf der Schüssel zwischen die scharf riechenden Hammelkoteletts runde, leuchtende, gold­farbene Ananasscheiben aus der Büchse... Das alles habe ich nicht frei erfunden, sondern in neuen Kochrezepten da und dort gelesen. Doch wenn ich es sogar erfunden hätte - glauben Sie mir: es reicht bei weitem nicht an die volle Kochbuchwirklichkeit der Gegenwart heran!

Früher gab es den Scherzspruch über böse Ehefrauen, sie kochten für den Ehemann nach der Devise: «Eine gute Sau frißt alles!» Das gilt auch heute in sehr vielen Häusern, aber mit dem Wirtschaftskonjunkturzusatz:

«Die Sau frißt alles - aber nur, sofern es teuer ist und völlig neu!»

Käse zum Fleisch ?

Und dann: der Käse! In Frankreich und Italien, wo die Mahlzeit immer, im Gegensatz zum Norden oder Osten von Europa, ein bißchen knapp gehalten wird, ißt man den Käse zum Nachtisch mit ein wenig Weißbrot. Mit oder ohne Butter - wie man will.

Das ist eine gute, altbewährte Sitte, besonders, wenn dann ganz zum Schluß noch rohes Obst gegeben wird. In Italien, wo der Armut wegen Eiweiß in Form von Fleisch für viele kaum in Frage kommt, streut man den Käse außerdem gerieben auch über Suppen, Nudeln, Reis, Polenta.

Was aber hätte es für einen Sinn, das schwere, eiweiß­reiche Fleisch noch mit dem gleichfalls schweren, ei­weißreichen Käse anzureichern? Und doch geschieht es jetzt bei uns sehr häufig!

Zwar weiß ich, daß es auch in Frankreich zwei Gerichte gibt, bei denen Fleisch mit Käse kombiniert wird: Cordon bleu und Medaillon de veau farci. Es sind Scheiben Kalbfleisch, gefüllt mit Scheiben Käse oder mit Schei­ben Speck und Käse. Ich habe diese käsgefüllten Schnitzel nie als Gipfelleistungen der Küche der Romanen empfinden können. Oft habe ich mich gefragt, wozu sie überhaupt erfunden wurden ? Vielleicht aus Übermut und Überfluß und aus dem Wunsch heraus, zu zeigen, daß man sich beides leisten kann, Fleisch wie auch Käse ?

Käse in Modespeisen

Aber das alles ist harmlos und harmonisch, gemessen an der Modernistenküche. Sie verwendet schweren Käse, als wäre er so etwas wie eine Prise leichtesten Gewürzes. Käse, und zwar in dicken festen Brocken, findet man heute in fast sämtlichen Salaten, woraus sie auch ge­mixt sind, ob aus Früchten, Fleisch und Fischen oder aus Gemüsen. Zum Beispiel eine Mischung aus fettem Thunfisch, dazu Fleisch und Käse - das wird uns allen Ernstes vorgeschlagen! Ja, und nicht vergessen: über das Ganze legt sich dann noch eine dicke Schicht von kalter, fetter Mayonnaise! Als ob nicht die Verbindung von Käse und Thunfisch aus dem öl schon allein ge­nügte, um auch den stärksten Mann für viele Stunden physisch und geistig zur Strecke zu bringen!

Obzwar - was schadet das ? Da das moderne Gesell­schaftsleben sich zunehmend darin erschöpft, gemein­sam Whisky in Cocktails oder unvermischt in sich hin­ein zu kippen und, versenkt in Sessel, die Riesenbade­wannen gleichen, nebeneinander auf den Fernseh­schirm zu starren, kann man sich ruhig bis zum Hals mit Käse und mit Mayonnaise füllen. Doch komme mir keiner mit der Behauptung, daß ihm die Mischung schmeckt und bekommt!

Noch mehr Küchenmodemesalliancen Sollen wir noch von weiteren Küchenmesalliancen er­zählen? Vom Grapefruitsaft im Fleischragout? Oder von Kapern - statt Wacholderbeeren - im Sauerkraut ? Oder von kaltem Rührei, zerschnitten in Würfel, ge­wälzt in Mayonnaise ? Das alles klingt nach Fasnachtsscherz, ist aber - wir sagten es bereits und wiederholen es - nicht erfunden. Aber die Beispiele dürften genügen. Das, was wir sagen wollen, wird aus ihnen deutlich: daß es nicht angeht, in der Küche <ohne Hitz zu phantasie­ren > - so sagt der Wiener, wenn er meint: bei voller Ge­sundheit unsinnig wie ein Fieberkranker zu reagieren.

KÜCHENKRITERIEN

Wer auf kulinarischem Felde nicht von Natur begnadet ist, der suche sich an alte, einheimische Rezepte zu er­innern, an ländliche oder auch an solche aus der bür­gerlichen Küche. Er schaue sich genau die damals üb­lichen Kombinationen an und frage sich jeweils: War­um hat man gerade dieses Fett oder Gemüse oder auch Gewürz gerade zu diesem Fleisch oder Fisch hinzuge­nommen und nicht ein anderes ? Ist da eine leichte Ver­wandtschaft im Grundton des Geschmackes zwischen den Substanzen? Oder wollte man umgekehrt durch Kontrast bestimmte Eigenschaften steigern oder min­dern ? Ist vielleicht das eine besonders leicht verdaulich und das andere besonders schwer ? Oder ging es einfach darum, in ein und demselben Kochtopf möglichst har­monisch alles zu vereinen, was nötig ist für eine sättigen­de Mahlzeit ?

Wenn man sich eine Anzahl solcher Fragen beharrlich stellt, dann wird man, auch bei schwacher kulinarischer Begabung, schließlich erkennen, was sinnvoll ist und was nicht.

Grießpudding mit Kompott oder nicht zu süßem Sirup - das leuchtet ein. Ein Reisauflauf mit Äpfeln und Ro­sinen - prächtig! Palatschinken mit sozusagen jeder Füllung, süß oder scharf- einfach herrlich! Das heißt:

Ausnahmen gibt es doch! Die Palatschinken mit öl-durchtränktem Thunfisch aus der Büchse anzufüllen, wie ein modernes Kochbuch rät - das läßt man lieber!

Desserts der bürgerlichen Küche:

Poires Helene

Aber gerade auf dem Gebiet der süßen Nachspeisen wird man schon in der alten, sonst recht guten Bürger­küche manches finden, das mehr verflaust und kompli­ziert als gut ist. Da sind zum Beispiel die berühmten Poires Helfene: große halbierte Kompottbirnen mit Schokoladecreme darüber. Ich gebe zu, es geht. Beides, die Schokolade und die gekochten Birnen, schmecken mild und süßlich und schlagen sich nicht im Geschmack. Nur: getrennt schmecken beide besser, sowohl die Bir­nen wie die Creme aus Schokolade.

Peches Melba

Und ähnlich ist es mit den nicht minder berühmten und beliebten Peches Melba. Es ist dies, wie Sie vermutlich wissen, eine hochkomplizierte Nachspeise, die sich aus vielen Schichten aufbaut, und zwar, von unten nach oben betrachtet, aus Vanilleeis, darüber einem gekoch­ten halben gelben Pfirsich, der mit Marmelade blutrot gestrichen und mit Schlagrahmklecksen apart verziert wird. Das Ganze wird mitunter auch noch mit Schoko­lade- oder Mandelraspeln überstreut. Sehr imposant, das alles, das kann man nicht bestreiten. Und es schmeckt nicht schlecht. Nur: das Eis für sich und das Kornpott für sich schmecken noch viel besser.

Küchenreverenzen

Aus all dem sieht man, was wir schon mehrfach sagten:

Genialität im Küchensektor ist so selten wie in jeg­lichem Kulturbereich. Nicht jeder, der mit Löffel oder Pinsel herumhantiert und mächtig angibt, kann auch wirklich kochen oder malen. Erweisen wir also den ech­ten Küchengenies der Vergangenheit unsere Reverenz, indem wir ihre großen, altbewährten Erfindungen stu­dieren, goutieren, appreziieren.

Miß an dem, was jene uns bescherten, die Küchen­ideen der heute Lebenden - sie werden dir plötzlich fragwürdig und schwächlich erscheinen! Denn unsere Zeit ist schöpferisch auf manchem Felde - nicht aber in der Kunst und in der Küche.

Halte demnach deine eigene Küchenphantasie im Zaum! Begnüge dich damit, an bereits Bekanntem viel­leicht ein paar Nuancen zu variieren. Mehr tun ja auch - wir sagten es bereits - die meisten guten Köche heute nicht. Mehr taten wirklich gute Köche auch früher nicht - die wenigen ausgenommen, die Epochales fan­den! Dann wirst du nicht mehr straucheln. Dann wird der Gang zur Küche dir vielleicht nicht mehr das gro­ße Abenteuer sein wie bisher. Doch was du kochst, das wird dann plötzlich allen schmecken.

VON KULINARISCHEN PASSIONEN UND AVERSIONEN:

EINGEMACHTE ROSEN UND CHALWA

Wir haben nun soviel von allgemeinen, für jeden oder doch für ganze Gruppen geltenden Gesetzen der Koch­kunst gesprochen! Gibt es denn - höre ich Sie voll Em­pörung fragen - nicht auch ein Recht auf persönliche Vorlieben oder Aversionen ?

Natürlich gibt es das! Ein paarmal - im Zusammen­hang mit penetrant duftenden und schmeckenden Kon­fitüren - war auch schon davon die Rede. Welch wildes Ausmaß aber sowohl die Liebe wie der Abscheu gegen ein und dieselbe Speise annehmen kön­nen, habe ich sehr hübsch an einer Balkanleckerei er­lebt. Ihr Name ist Chalwa, mit der Betonung auf der letzten Silbe und einem harten, die Kehle kratzenden ch-Laut. In Ägypten heißt die Speise Halaüe; wir kom­men noch darauf zurück.

Die Geschichte lief so:

Balkanleckereien

Einmal hatte ich einen jungen Kollegen, einen Gelehr­ten aus dem Balkan, mit melancholischen Glutaugen, Wangen so rosig wie die Morgenröte und nachtschwar­zen Locken. Er sah aus, als wäre seine Mutter eine ge­fährliche Haremsschönheit gewesen. Die Damen un­serer Stadt waren alle hinter ihm her. Doch leider machte er sich nichts aus Damen - er hatte sie vielleicht ein wenig über -, sehr viel dagegen aus Balkanlecke­reien. Zu seinem Geburtstag wollte ich ihm daher sol­che Süßigkeiten schenken. Ich sah voraus: es würde nicht so leicht sein, welche aufzutreiben.

Rosenkonfitüre

Kurz vorher wäre das nicht schwer gewesen. Ich hätte ihm ein Glas Rosenkonfitüre mitgebracht. Das gibt es nämlich wirklich, und es ist eine beliebte Balkanspezia­lität. Das Rezept hatte ich noch von meiner Großmutter her, die nicht weit von Bessarabien auf die Welt gekom­men war und die ausgefallensten Speisen des Ostens und Südostens Europas kannte und zubereiten konnte. Nur leider: aus unsern westlichen Rosen gelingt die Konfi­türe nicht! Denn sie sind - vielleicht mit Absicht, damit sie sich länger halten - auf harte Blütenblätter hin ge­züchtet, und sie verwandeln sich, sobald man sie mit Zucker einkocht, in eine Art von Leder oder Gummi. Nur eine einzige sehr zarte Strauchrose von penetran­tem Duft taugt für diesen Zweck. Doch diese Rose gibt es nicht in unserer Umgebung!

Die Rosen des Pfarrers

Oder vielmehr: es gibt sie doch! Aber nur an einem ein­zigen Orte, im Garten des katholischen Pfarrers von B., einein reizenden Dorfe am Waldrand. Dort wachsen solche Balkanrosen! Ich habe mich oft gefragt, wie sie dorthin kamen. Ob vielleicht ein Vorgänger des Pfar­rers sie noch im. Mittelalter von einem Kreuzzug aus dem Orient mitgebracht hatte ?

Wie dem auch sei - eines Tages entdeckten wir die Ro­sen und baten den Pfarrer, uns doch die Blüten, sobald sie ohnehin zerfielen, zu überlassen! Wir unserseits wollten dafür die Armen seines Dorfes jeweils zu Weih­nachten beschenken.

Der Pfarrer war einverstanden. Und das Ganze ging solange gut, bis er uns eines Tages fragte, wozu wir ei­gentlich die Rosen brauchten ? Er nehme an, für irgend­ein Parfüm ?

Wir sagten ihm die Wahrheit. Denn mit Geheimnissen der Küche soll man an sich zwar kargen. Einen Priester aber belügt man nicht so gern. Der Pfarrer lauschte auf­merksam - und seither war es aus für uns mit Rosenkonfitüre! Denn seither aß der Pfarrer seine eingekoch­ten Rosen selber.

Zwar: der alte Herr lebt längst nicht mehr. Aber was hilft das? Seine Köchin wußte das Rezept! Und der junge Nachfolger scheint den kulinarischen Geschmack des alten Herrn geerbt zu haben. Rosen aus B. bekamen wir nie wieder.

Damit also war es nichts. Und damals wußte ich noch nicht, daß es nicht nur Konfitüre aus Rosen gibt, son­dern einen nicht minder feinen Sirup, den man, im Ge­gensatz zur Konfitüre, aus schlechthin allen roten Ro­sen machen kann, sofern sie nur stark duften, und also nicht nur aus solchen mit besonders zarten Blütenblät­tern. Denn für den Sirup braucht man von den roten Rosenblüten nur den Extrakt: Farbe und Aroma. Die ausgelaugten Blüten blätter wirft man nachher fort...

Rosensirup

Verehrte Leserin: ich habe lange mit mir gekämpft, ob ich dir das Rezept für Rosensirup hier verraten soll. Offen gestanden: gern tue ich es nicht. Gern tut das niemand. Das ist ja auch der Grund, weshalb man, wenn ein Kochbuchautor uns verspricht, er wolle uns alle seine großen Küchengeheimnisse verraten, meist annehmen kann, daß die Geheimnisse nichts taugen oder aber daß sie zwar taugen, jedoch genausowenig geheim sind wie die Details aus dem Eheleben berühm­ter Filmstars.

Wie man jedoch den Rosensirup macht, weiß hierzu­lande keiner. Und doch ist dieser Sirup etwas Wunder­volles: er duftet exotisch und orientalisch, mild und süß, und ist zu allem hin ein gutes Mittel gegen Hals­weh und Erkältung! Er schmeckt erfrischend an heißen Sommertagen: man trinkt ihn dann in frischem kaltem Wasser, wie ändern Sirup auch. Wer will, kann ein paar Tropfen Zitronensaft dazutun.

Nicht minder gut schmeckt Rosensirup bei Frost und Schnee: da nimmt man ihn statt Zucker in den heißen Tee.

Tee mit Konfitüren

Überhaupt sollten wir die russische Sitte, Schwarztee anstatt mit Zucker lieber mit Sirup oder sehr süßen, ein­gekochten Früchten zu genießen, auch hier im Westen ausprobieren. Denn Tee mit Fruchtaroma schmeckt sehr verlockend.

Rosensirup in Desserts und Liqueurs Den Rosensirup kann man ferner über etwas fade Biskuitkuchen oder Puddings schütten. Das sieht sehr lieb­lich aus und schmeckt auch lieblich - vielleicht allzu lieblich! Ich persönlich ziehe für solche Zwecke den prägnanteren Himbeersirup bei weitem vor.

Und Rosensirup kann man schließlich auch mit ge­branntem Wasser mischen. Dann hat man den berühm­ten Rosenliqueur - wenn er auch vom Fachmann ver­mutlich etwas anders zubereitet wird. Solcher Liqueur ist betäubend süß, stark duftend und ein wenig kleb­rig. Eine Leckerei für Damen, deren Kehle noch nicht vom Whiskytrinken völlig ausgebrannt ist. Litauische Bauernmädchen gönnten sich früher auf der Kirchweih gerne so ein Gläschen. Dann leckten sie sich die klebri­gen Finger, bekamen Wangen, so rot wie Rosenblüten, kicherten fröhlich und hatten plötzlich einen Gang wie Mädchen vom Ballett...

Rezept für Rosensirup

Das Rezept dieser Kostbarkeit werde ich Ihnen also nun verraten. Nicht gern, das sagte ich bereits. Aber ich werde dann Ihnen gegenüber ein etwas besseres Gewis­sen haben. Denn in diesem Buche habe ich so viele miserable Rezepte numeriert, vor ihnen gewarnt, sie mit Spott kommentiert, daß ich mich doch verpflichtet fühle, Ihnen auch einmal etwas Ihnen völlig Neues und dennoch Gutes zu verraten.

Den Rosensirup also macht man so: Sie verschaffen sich frische, rote, duftende Rosenblütenblätter. Aber bei leibe nicht von den modernen Supersorten mit den rie­senlangen Stielen oder den buschigen Blüten, die man nur für das Auge züchtet und die so duften wie sterile Watte! Es müssen Sorten sein mit intensivem Duft.

Wie Sie sich eine größere Quantität von dieser kost­baren Grundsubstanz verschaffen, ist Ihre Sache. Wenn Sie selber keinen Rosengarten haben und wenn Sie weiblichen Geschlechtes und nett und lieblich anzu­sehen sind, dann gehen Sie am besten zur Rosenzeit in eine große öffentliche Parkanlage und machen dort dem Gärtner schöne Augen. Dann hat er sicher nichts dagegen, wenn Sie ihm beim Kontrollgang zwischen den Rosenbeeten folgen und alle roten Rosenblüten, die er abschneidet, weil sie bereits zerfallen, in ihr Körb­chen sammeln.

Zu Hause werden die Blütenblätter sauber von den Stie­len und Fruchtknoten abgezupft. Stammen die Rosen aus einer Umgebung mit verschmutzter Luft, dann gründlich waschen! Ja - und vorsichtshalber den Gärt­ner immer fragen, ob er nicht kurz zuvor die Rosen mit irgendwelchen Giften gespritzt hat! In diesem Falle nämlich verzichten Sie wohl lieber auf Ihren Sirup!

Nun wägen Sie die Blütenblätter. - Nebenbei: wir sag­ten, es müßten rote sein. Nicht der Farbe wegen, aber helle Blüten duften für diesen Zweck zu schwach. Und nun: auf 1 Pfund Rosenblätter brauchen Sie 2 Pfund Zucker, 2 Tassen Wasser und den Saft von 2 Zi­tronen. Das ist alles.

Das Procede ist so: Erhitzen Sie in einem großen Koch­topf die gesamte Wassermenge, die Sie für alle mitge­brachten Rosenblüten brauchen werden. Sobald das Wasser kocht, werfen Sie etliche Handvoll Rosenblüten

hinein. Lassen Sie alles rasch durchkochen. Sie werden sehen - und es wird Ihnen immer wieder wie ein kleines Wunder erscheinen! -, daß sich das Wasser auf der Stelle blaurot färbt und stark zu duften anfängt. Die Blütenblätter aber werden blaß und schlapp und rie­chen plötzlich fade. Sie sind nun überflüssig, und also fischt und entfernt man sie mit der durchlochten Kelle aus dem roten, parfümierten Wasser, das man neu er­hitzt. Sobald es wieder kocht, kommt eine zweite Rate Blüten an die Reihe. Das geht so weiter, bis alle Rosen aufgebraucht sind.

Jetzt kommt der Zucker in die Flüssigkeit. Gründlich durchkochen, bitte! Der Sirup, der jetzt paradiesisch duftet, ist dunkel weinrot, ja fast violett. Nun fügen Sie Zitronensaft hinzu - und von der Säure färbt sich der Sirup auf der Stelle strahlend hellrot! Zu­dem gewinnt er durch den Zitronensaft erheblich an Aroma. Denn nur mit Zucker und Rosen schmeckt er doch gar zu süß.

Das ist das Ganze. Der Sirup wird in nicht zu große Fla­schen abgefüllt und zugekorkt. Wollen Sie sicher sein, daß Ihr Rosensirup niemals schimmelt, dann machen Sie es wie die Orientalen: schütten Sie eine ölschicht obenauf! öl konserviert vortrefflich, weil es luftdicht abschließt. Doch hat es einen Nachteil: die ersten paar Glas aus der Flasche schmecken ein wenig ölig, wie gründlich man den Flaschenhals auch auswischt!

Nun muß ich Ihnen aber noch etwas verraten: nicht jeder liebt den Rosensirup! Gäste aus dem Südosten von Europa verdrehen, wenn Sie den Sirup nur von Ferne riechen, verzückt die Augen. Westler dagegen spucken ihn manchmal aus und sagen, er schmecke nach Par­füm ! Mir ist das unbegreiflich. Obwohl mir selber eine zweite Balkanleckerei bekannt ist, der gegenüber meine eigene Zunge restlos versagt. Und dabei ist doch diese zweite Spezialität noch weit berühmter und beliebter als Rosensirup: es ist die Chalwa, die wir schon erwähnten.

Chalwa, das Balkanwunder

Zum ersten Male sah und kostete ich von diesem <Balkanwunder> in Paris. Da kannte ich nämlich geflüch­tete Rumänen. Eines Tages sah ich, wie sie mit Tränen der Rührung in den Augen eine graugelbe, helle, fette Masse kauten. Sie heiße Chalwa, wurde mir erklärt. Ich kostete davon. Chalwa ist süß und mürb und fett und klebrig. Ich fand es scheußlich. Ein wenig erinnerten der Geschmack und die Konsistenz an den nicht minder berühmten Nougat Montelimar, den ich genauso gräß­lich finde. Nach meiner Meinung taugt er, genau wie die bereits erwähnten Gaudaer Waffeln mit der gummösen Melassefüllung, einzig als Brautgeschenk, und zwar für jene Zweifelsfälle, wo es zu konstatieren gilt, ob die Perlenzähnchen der Braut eine Gottesgabe oder ein Kunstwerk des Dentisten sind: der Nougat bringt es an den Tag, denn er klebt verläßlicher als Zementkitt! Chalwa jedoch ist mürber, zarter, fetter. Und wenn ich selber Chalwa auch nicht mochte - eines war sicher:

wer aus dem Balkan stammte, der liebte Chalwa. Und also beschloß ich, dem jungen Balkangelehrten ein Päcklein Chalwa zu schenken. Bloß: wo sollte ich sie suchen ? Denn damals lebte ich schon lange nicht mehr in Paris, wo man, wie in allen sehr großen Städten, buchstäblich alles findet. Und damit nahm sie ihren Anfang, meine:

Romanze von der Chalwa

Erst fragte ich in allen Delikateßgeschäften, den teuer­sten, den originellsten - man kannte Chalwa nicht ein­mal dem Namen nach. Es blieb offenbar nichts übrig, als Chalwa selber herzustellen. Also begann ich, Kochbücher zu durchforschen, aus­dauernd, systematisch - nichts! Ich schrieb an den allwissenden Rundfunk, der sonst die tollsten Dinge herauskriegt - er antwortete nicht. Vermutlich, weil er diesmal auch nichts wußte. Aber es gibt ja eine letzte Quelle der Wissenschaft: das Konversationslexikon! Im Brockhaus stand: «Haiva = Arabische Süßigkeit aus Sesamöl und Zucker.» - Was den Fettgehalt betraf, so hatte ich mich also nicht ge­täuscht: Öl war darin! Während der süße Zementkitt aus Montelimar vermutlich völlig fettfrei ist. Sonst aber war die Weisheit aus dem Lexikon nicht sehr praktika­bel. Jedoch: was kann man von Männern der Wissen­schaft schon mehr erwarten als Art und Namen ? Wie man Chalwa bereitet, ist aber eine Frage der Praxis! Zwar begann ich den Mut ein wenig zu verlieren. Wie, wenn zum Beispiel in ganz Europa kein Sesamöl zu fin­den war? Außer in <Ali Baba und die Vierzig Räuber> hatte ich von Sesam nie auch nur gehört! Was half mir dann das detaillierteste Rezept ? Anderseits: Sesamöl ließ sich vielleicht durch anderes ersetzen ? Ich faßte neuen Mut.

Chalwa an Universitätsbibliotheken

Eine Freundin riet, ich sollte mich doch an eine Uni­versitätsbücherei wenden. An eine uralte, die unter den Bombardierungen des Krieges nicht gelitten hatte und die vielleicht Kochbücher aus der Renaissance besaß. Wer weiß - vielleicht hatten heimkehrende Kreuzritter Chalwa mitgebracht und das Rezept dem Küchen­meister ihres Schlosses preisgegeben? Dann war es durchaus möglich, daß es sich die paar Jahrhunderte hindurch auch bei uns erhalten hatte, wenn auch nicht bei unsern Zuckerbäckern so doch auf den verstaubten Bücherborten einer alten Bibliothek.

«Schreiben Sie», riet die Freundin, «an irgendeinen Philologen, etwa in Zürich oder Basel, Sie seien eben an einer Arbeit über <Wesen und Herkunft der Süßigkeit in der orientalischen Jenseitsvorstellung >. Es wäre doch gelacht, wenn ein rechter Mann der Wissenschaft nicht darauf hereinfiele, zumal, wenn Sie gleichzeitig auch nach Manna und dergleichen fragen! Dann liefert er ihnen aus arabischen oder spätmittelalterlich-europä­ischen Quellen ganz sicher das Rezept!»

Der Rat schien gut. Und einen solchen Freund hatte ich damals wirklich. Ich schrieb an ihn. «Zum Dank für das Rezept», fügte ich bei, «schicke ich Ihnen einen riesen­großen, selbstgebackenen ganz altmodischen Honig­kuchen, nicht einen flachen, gummösen, wie man sie hierzulande kennt und ißt, sondern einen brotförmig dicken; den gleichen, den Sie einmal bei uns so gerne aßen.»

Die Antwort kam sehr schnell. Sie lautete:«Ihre Sorgen möchte ich haben! Wozu brauchen Sie Chalwa ? Ein einziges Mal habe ich es gegessen, in der Türkei, weil ich sah, daß jeder Türke, der es aß, verzückt die Augen schloß. Ich habe sogar eine ganze Menge davon ver­schlungen, weil es mir zunächst so fad und fettig vor­kam und ich mit dem besten Willen nicht begriff, war­um die Türken es so herrlich fanden. Ich dachte: viel­leicht hilft mir die Quantität, der Sache auf den Grund und den Geschmack zu kommen. -Ja, Kuchen! Zwei volle Tage war mir nachher sterbensübel! Und nun wollen Sie auch noch anfangen, Chalwa zu fabrizieren ? Und ausgerechnet von mir erwarten Sie, daß ich Ihnen dabei helfen soll durch Forschen nach Rezepten ?! Ich will nicht! Ihr Eduard.

PS: Einen Honigkuchen können Sie mir trotzdem schicken. Das hat mit der Chalwa nichts zu tun.»

Damit also war es nichts.

Chalwa und die Dame aus Israel

Ich hatte aber Glück: aus Israel kam eine Dame zu Be­such. Israel - dachte ich -, das ist doch Levante. Dort essen die Juden sicher gleichfalls Chalwa. Zumal sehr viele von ihnen aus Polen und aus Rußland stammen, wo man die Balkanleckerei gleichfalls kennt und liebt. Sie hatten vielleicht das Rezept aus der alten Heimat in die neue mitgebracht ?

Und also fragte ich die Dame. Und wirklich - sie wußte, wie man Chalwa macht! Das heißt: sie sagte, daß sie es wüßte. «Man nimmt», erklärte sie, «je eine Tasse voll von Wasser, Sesamöl und Zucker, mischt alles gut zusammen und kocht es auf. Dann hat man Chalwa.»

So einfach war das also ? Ich war ganz begeistert! Nun galt es also nur noch, auf der Stelle einen Kanister Se­samöl aus Israel zu bestellen... Aber am gleichen Tage war ich mit der Dame zusam­men im Walde. Wir suchten Pilze. Sie verwechselte alle Sorten - ohnehin kannte sie nur drei, vier Namen -, und was nach ihrer Meinung ungenießbar war, zertrat und zerrieb sie mit den Sohlen. Das sei gut für das Wachs­tum der Pilze, erklärte sie, als ich sie hindern wollte... Da kam mir plötzlich eine Anekdote von meinem Groß­vater in den Sinn - verzeihen Sie, daß ich schon wieder mit einer kleinen Familienreminiszenz komme!

Sprachprobleme im alten Ostgalizien

Das war noch vor dem Ersten Weltkrieg, in der gleichen damals österreichischen und heute ukrainischen Stadt, in welcher auch die ändern hier erzählten kleinen Ge­schichten spielten. Man stand kurz vor den Abgeord­netenwahlen, und ein jüdischer Wahlkandidat, der all­gemein als großer Esel galt, hielt seine Rede. In polni­scher Sprache natürlich, denn Polnisch sprach in jener Gegend die christliche intellektuelle Oberschicht. Die Bauern sprachen Ukrainisch.

Mein Großvater lauschte, offenkundig sehr erheitert. Da trat ein armer Jude an ihn heran, der neben Jiddisch zwar perfekt Hebräisch und Aramäisch konnte, jedoch nur mangelhaft Polnisch, Deutsch und Ukrainisch. Tal­mudisch hochgelehrte Juden dieser Art gab es im Osten häufig. Der arme Jude bat: «Pani Gottesmann, übersetzen Sie mir doch, was jener sagt!» Der Großvater aber meinte: «Wozu ? Ihr könnt ja nachher jiddisch mit ihm reden. Dann werdet Ihr selber sehen, was so ein Mann Euch auf polnisch sagen kann.»

So ähnlich dachte ich auch, als ich der Dame zusah, wie sie die Pilze verwechselte und zertrat: «Wenn das nach ihrer Meinung den Pilzen gut tut - was kann ihr Chalwa-Wissen dann schon taugen?» Ohnehin war mir das Rezept suspekt erschienen. Wozu das viele Was­ser ? Die fertige Chalwa enthielt doch sozusagen keines! - Ich bestellte gar nicht erst das Sesamöl.

Chalwa als große Passion des deutschen < Halbägypters >

Da kam ich auf eine glänzende Idee: ich richtete an eine große deutsche Tageszeitung die Bitte, mir ihre Spalten für mein Problem zu öffnen! Die Zeitung tat es. Das Ergebnis war erhebend! Es erwies sich nämlich, daß offenkundig auch heutige Menschen starker Leiden­schaften fähig sind. Ob in der Liebe - das weiß ich nicht. Rund um die Chalwa aber kristallisieren sich ganz of­fenkundig wilde Passionen! Aus Dutzenden von Leser­briefen ging das klar hervor. Hier folgt ein kleiner Auszug:

« Salamtak, ja seti!1

Ihr Notruf in der Zeitung wurde von einem Amateur­koch gelesen, der eine Küchenkoexistenz zwischen Ost und West für die einzig erstrebenswerte Spitze des ku-

1 Seien Sie gegrüßt, meine Dame!

linarischen Lebens erachtet. Zum Verständnis des Sach­lichen muß dieser Amateurkoch etwas über seine Per­son und Vergangenheit sagen: Die Umstände und die Turbulenz unserer Epoche waren die Ursache eines zwölfjährigen Aufenthalts des Schreibers im schönen Land der Pharaonen. Am Nil und auch am Mahmoudieh-Kanal gibt es eine Süßigkeit, die [transkribiert] <Halaüe> genannt wird und der arabischen Bevölke­rung nicht etwa als Leckerei dient, sondern als beliebtes und wohlfeiles Nahrungsmittel.

Sie möge hier zunächst in ihrer Konsistenz beschrieben sein: große Laibe, etwa in Masse und Form einein Formaggio parmesano vergleichbar, in der Farbe etwas heller als Roggenbrot, in der Konsistenz bröselig-zäh, beim Gekautwerden etwas klebrig und im Geschmack ein Nonplusultra, wenn im Verein mit einem arabischen Fladenbrot genossen.

Dies ist die ägyptische Halaüe. Und wie man sie her­stellt ? Dies zu erfahren war nicht einfach. Nur die In­diskretion eines Nachbarn, der eine kleine Manufaktur derartiger Produkte betrieb, verhalf dem Schreiber zu den folgenden Kenntnissen:

Halaüe wird hergestellt aus einer nur im Orient be­kannten Hülsenfrucht, dem sogenannten Fool, im Verein mit dem Halbfabrikat des Zuckers - in Europa als <Sirup>, in Schlesien als <Saft>, im Rheinland als <Kraut>, allgemein handelsüblich aber als <Melasse> benannt.

Bei besseren Qualitäten werden zerhackte Pistazien oder Mandeln zugesetzt.

Dies das Rezept, wie es dem. Schreiber bekanntwurde. Er muß aber gestehen, daß er noch niemals Versuche zur Selbstherstellung unternommen hat. Wenn aber die Feiertage freie Zeit und freie Küche in seinem Haremlik1 ermöglichen, will er - angespornt durch Ihren Ar­tikel in der Zeitung - solche Versuche unternehmen. Sollten sie gelingen, so wird er sich erlauben, der hoch­verehrten Dame eine Kostprobe zuzusenden. Kullu sanne ente tejeb!2 Otto el Nuse-Masri3.»

1 Frauenhaus.

2 Das ganze Jahr möge es Dir wohl ergehen!

3 Otto, der Halbägypter.

Chalwa als große Passion eines Balten

Ein zweiter schrieb:

«Auch ich kann es nicht - nämlich Ihnen das Rezept für Chalwa verraten. Niemand kann es, denn es ist ein wohlgehütetes Geheimnis.

Wie Sie ganz richtig schreiben, stammt Chalwaaus dem Vorderen Orient. Aber seine weiteste Verbreitung fand es wohl im alten Rußland.

Hergestellt wurde es ausnahmslos von griechischen und türkischen Meistern, die ihr Herstellungsgeheimnis ebenso hüteten wie die Liqueur- und Parfümfabrikan­ten. Der König der Chalwa-Fabrikanten Rußlands war ein Mann namens Bostanjoglu. Er galt als Grieche, war aber wahrscheinlich türkischer Herkunft. Er belieferte das ganze riesige Reich und wurde vielfacher Millionär. Mit Nougat Montelimar oder Türkischem. Honig hat Chalwa gar nichts zu tun. Es wird tatsächlich aus Sesamöl und Zucker hergestellt [fabrikmäßig jedoch nicht aus Zucker, sondern aus Caramelsirup, einem aus Kar­toffelstärke hergestellten Zuckerderivat]. Es ist zwar süß, darf aber niemals klebrig sein, sondern faserig­krümlig. Eier, Honig oder gar Fett sind nicht darin, wohl aber eine Prise Seifenwurzel. Ob diese aus der Pflanze Saponaria officinalis oder aus Quillaia saponaria stammt, vermag ich leider nicht mehr anzugeben. Mit diesem Zusatz Seifenwurzel wird die völlig eigen­artige Konsistenz der Chalwa erzielt.

Chalwa wird in Blöcken verkauft oder pfundweise in Scheiben geschnitten. Manche Fabrikanten rührten Walnußstückchen hinein, andere Kakao, so daß die Schnitten einem Kakaokuchen glichen. Doch waren das < neumodische > Spielereien.

Mit tiefer Entrüstung las ich, daß Sie und Eduard Chal­wa abscheulich finden. Der Herr vergebe Ihnen, denn Sie wissen nicht, was Sie reden! Im übrigen soll man ja auch nicht Perlen vor die... Nein, verzeihen Sie bitte, das geht zu weit!»

[Anmerkung der Buchautorin: Bis heute weiß ich nicht, was da nach Meinung des Briefschreibers zu weit geht:

ob die Tatsache, daß es überhaupt Menschen gibt, die Chalwa nicht mögen, oder die Tatsache, daß er, der Briefschreiber, solche Menschen mit Säuen vergleicht... Übrigens (wir sind immer noch bei der Zwischen­bemerkung der Buchautorin): Ist Ihnen nie aufgefallen, daß das mit den Säuen und den Perlen ein unsinniger Vergleich ist, weil doch auch Menschen keine Perlen konsumieren? Genauso steht es aber im griechischen Originaltext des Neuen Testamentes! Indes hat die mo­derne Forschung herausbekommen, daß hier eine un­genaue griechische Übersetzung eines alten aramäischen oder hebräischen Sprichwortes vorliegt, welches auch im Talmud zitiert ist und lautet: Man soll den Säuen kein Geschmeide anlegen. Das hat natürlich Sinn! - Doch zurück zum Briefe!] «An den Genuß von Chalwa», so heißt es weiter, «soll und muß man sich gewöhnen. Als ich sie, zehn Jahre alt, das erstemal aß, schmeckte sie mir auch nicht. Um so besser aber später und ein ganzes Leben lang. Übrigens - wohnen Sie hier in S. ? Wenn ja, dann be­geben Sie sich in den Balkangrill beim Hauptbahnhof, essen Sie dort zu Abend, und bestellen Sie sich zum Nachtisch ein Stück Chalwa, dazu eine Tasse starken, ungesüßten Tee. Wohl bekomm's! Und wenn Sie dann noch sagen sollten, die Chalwa tauge nichts, dann täten Sie mir leid!»

Chalwa aus Israel

Auch ein jüdischer Herr aus Israel meldete sich:

«... Vielleicht erwarteten Sie ein Rezept von einer Frau und nicht die Ausführungen eines Mannes ? Ich kann Ihnen aber nach eingezogenen Erkundigungen folgendes sagen:

Chalwabereitet man aus Sesamsamenkörnern. Die Chalwa Bereitung wird in Jugoslawien, im Vordem Orient und heute auch in Israel vorgenommen, aber nicht wie bei uns zum Beispiel die Kuchen im Haushalt, sondern nur handwerksmäßig. In großen Kesseln wird die Masse bereitet, deren Zu­sammensetzung ich allerdings noch nicht erfahren konnte. Es kommen Blocks heraus, ähnlich, wie man sie vom Türkischen Honig her kennt.

In Israel stellt man diese Süßspeise heute in Tafelform, ähnlich wie Schokoladetafeln, her. Ich bleibe bemüht, Versucherle für Sie und mich zu be­schaffen! Bemerkt sei aber noch, daß der Genuß von Chalwa für Männer und Frauen potenzerhöhend wirkt. Also Vorsicht!»

Die < Versucherle >

Bald kamen die versprochenen <Versucherle>. Einen der kleinen hübschen Blöcke packte ich gleich aus dem Staniol und aß ihn auf. Teils mit redlichein Bemühen, die Chalwa endlich gut zu finden - denn wer läßt sich schon gern durch einen Mann von Geist und Bildung unter die Säue registrieren? Und teils ein wenig zö­gernd - wegen der im Schlußsatz des Israelis angedroh­ten oder meinetwegen auch versprochenen physiologi­schen Wirkung der Chalwa.

Aber es war nichts zu wollen. Mir wurde prompt von neuem übel, genau wie damals vor Jahren.

Da packte ich den Rest der Chalwa Blöcke in zwei kleine Schachteln und schickte eine an den <Halbägypter>, die andere an den Balten, da doch die beiden so für Chalwa schwärmten. Ich konnte die so gut ge­meinte Spende ruhig weiterschenken, ohne dem Spen­der gegenüber eine Unart zu begehen, denn er selber schrieb, er habe von den <Versucherle> gekostet und finde Chalwa scheußlich. Und beiden Päckchen legte ich ein Brieflein bei mit der Mitteilung, wem die Chalwa zu danken sei, und ich zitierte in den Brieflein die Bemerkung des Israelis über die physiologische Wir­kung des Chalwa-Genusses.

Und hier die Antwortbriefe. Zuerst der des < Halbägyp­ters >:

Antwort des < Halbägypters >

«Der Inhalt Ihres Briefes hat mich zunächst verwirrt. Unter den Auspizien einer potenzsteigernden Chalwa hat sich einein hart arbeitenden Quasimanager die Frage nach den notwendigen Stunden zu einein mög­lichen Gaukelspiel als glühendes Eisen auf die Seele ge­legt. Denn im Vertrauen: es ist noch Platz - wenn auch nicht gerade räumlich - in meinem Haremlik.» [An­merkung der Buchautorin: Ein jahrelanger Aufenthalt inmitten der polygamen Moslems mit ihren Harems bleibt offenbar nicht ohne Wirkung auf die seelische Verfassung deutscher Christen!] «Doch nun ein Versuch, etwas ernster zu schreiben:

Die Halva aus Israel ist - abgesehen von dem mir un­bekannten Vanillearoma - durchaus das, was ich mein­te. Die von mir angekündigten eigenen Fabrikations­versuche führten zu einem nur annäherungsweisen Er­folg. Es schmeckte <so ähnlich >, wie der Berliner sagt. Aber es sei nun eingestanden: das Produkt war nicht ändern Menschen vorzuführen.

Übrigens ist es unwahr, daß Halva die Potenz erhöht. Im Orient liebt man das von vielen Speisen ähnlich zu sagen, wie man bei uns sagt, etwas sei <gesund>. Also auch den kostenden Herren keine Angst oder gar fal­sche Hoffnungen einflößen! ...»

Antwort des Balten

Der Balte schrieb: «... Die Qualität war gut. Also ha­ben nun auch die Israelis es heraus, Chalwa herzustel­len. In meiner Heimatstadt Riga gelang dies den bon­bonsfabrizierenden Juden nicht, und ich weiß noch, wie mein Freund Karavokyros, der lokale Chalwa-König, sich darüber freute. Der war ein Grieche und schon von Berufs wegen schlauer als drei Juden.

Von der von dem Herrn aus Israel erwähnten merk­würdigen Wirkung der Chalwa habe ich, ehrlich ge­sagt, nie etwas gehört und auch nicht gemerkt, trotz­dem ich Chalwa mein ganzes Leben lang gegessen habe. Ich erinnere mich noch, daß meine liebe erste, nun ver­storbene Frau mir zweimal monatlich nach Erhalt des Haushaltgeldes ein Pfund Chalwa mitzubringen pfleg­te...

Indem ich dieses schreibe, stutze ich und versinke in Nachdenken: sollten da etwa Absichten, Motive im Spiele gewesen sein... ? Verfügte sie über mir nicht zugängliche Geheiminformationen...? Nein, unmög­lich! Sie besaß durchaus keine wissenschaftlichen Kenntnisse. Zudem lag ihr jede Hinterhältigkeit fern. Außer­dem bin ich doch ein Mann und weiß als solcher alles. Dazu bin ich noch Dozent für Biologie, bitte sehr!

Nein, man hat Ihnen, verehrte gnädige Frau, einen Bären aufgebunden!

Gerade wie ich dieses schreibe, schellt es, und mein Bru­der kommt mich besuchen, ebenfalls alter Herr, Ruß­landkenner, Chalwa-Esser, sehr lebenserfahren. Ich konsultiere ihn. Die Antwort lautet: <Wer sagt das? Saudummes Geschwätz! [Die Ausdrucksweise bitte ich ergebenst, nicht übelzunehmen.] Du weißt doch genau, daß Chalwa nur eine mild pourgierende Wirkung hat!>

Abends kamen Nachbars herüber, und meine Frau -ich bin wieder verheiratet - saß mit ihnen im Wohn­zimmer beim Fernsehen. Ich aber schlich mich hinaus in die Küche, brühte mir einen Tee auf und machte mich über die israelische Chalwa her. Sie war, wie ge­sagt, gut.

Als meine Frau erschien, bot ich ihr, galant wie immer, den Rest an. Sie lehnte ab: <Wo du das doch von einer Dame, und sogar aus der Schweiz bekommen hast! > Wirklich ein gewichtiges Argument, fand ich und ver­zehrte den Rest...»

Brief des Chalwa-Meisters

Und auch eine solche Zuschrift kam:

«Ich bin Halva-Meister seit 1938. Habe Jahre hindurch Haiva hergestellt, und zwar in meiner Geburtsstadt Kronstadt in Rumänien. Wer Genaueres wissen will, kann sich an mich wenden...»

Blaue Blume Chalwa

Mir klopfte das Herz. Da war ich nun mit einem Male dem Geheimnis, wie man Chalwa zubereitet, ganz nahe auf der Spur! Ich brauchte nur dem Chalwa-Meister einen netten Brief zu schreiben und um das Rezept zu bitten!

Schon hatte ich das Briefpapier in die Maschine ein­gespannt - da stockte ich. Ich schaute mir die Zuschrift noch einmal genauer an. Es war eine Postkarte, ein wenig zittrig und unbeholfen von Hand geschrieben. Ein Exilierter offenbar, der an das Wirtschaftswunder den Anschluß noch nicht gefunden hatte. Vielleicht fand er ihn doch noch ? Vielleicht sogar mit Hilfe seiner Chal­wa ? Wie sollte ich da wagen, einem verwöhnten Bal­kanjungen zuliebe ihm sein Geschäftsgeheimnis zu ent­locken ?

Und also zog ich den Bogen wieder aus der Schreib­maschine ...

Dutzende hatten mir auf meine Chalwa-Fragen in der Zeitung hin geschrieben. Keiner von ihnen wußte, wie man Chalwa zubereitet — außer diesem einen. Mit allen ändern stand ich längst in freundlich-heiterem Brief­kontakt. Der einzige von ihnen, der mir helfen konnte und auch wollte, blieb auch der einzige, dem ich keine Antwort gab. Ich brachte es nicht über mich. So wird vermutlich die Chalwa-Zubereitung für mich ein ewiges Geheimnis bleiben, so etwas wie die blaue Blume der Romantik. Ein Traum, der niemals sich er­füllt.

Und der junge Balkangelehrte ? Dem schenkte ich zum Geburtstag eine Schachtel Schweizer Schokolade...

Das Rezept für die betäubendsüße Chalwa kann ich Ihnen also nicht verraten. Der Abschluß des Buches soll aber dennoch süß sein, genau wie der Nachtisch zu einein guten Mahle. Die leckersten Süßigkeiten, die ich kenne, serviere ich Ihnen darum ganz am Ende:

NACHTISCH UND ABSGHIEDSTRUNK

Weichsein mit Himbeeren

Ich werde Ihnen jetzt die allerfeinste aller Konfitüren präsentieren und servieren: Himbeeren mit hellroten Weichsein. Man macht sie so:

Sie nehmen rote -ja nicht schwarze! - Sauerkirschen. Süße dürfen es nicht sein, sonst wird die Konfitüre fade! - Sie entkernen die Weichsein und fügen auf jedes Kilo eine Handvoll Himbeeren bei.

Nun aber kommt der springende Punkt: Sie dürfen die Himbeeren nicht kaufen, ehe Sie eine davon gekostet haben! Neuerdings gibt es nämlich Sorten mit riesen­großen, zapfenförmigen Früchten von märchenhafter Schönheit und Ebenmäßigkeit -jedoch fast ohne Duft und Aroma. Solche Himbeeren kommen hier nicht in Frage. Sie müssen fast betäubend riechen!

Sie kochen die Konfitüre rationenweise, höchstens ein Kilo Früchte auf einmal, mit je dreiviertel oder einem ganzen Kilo Zucker auf das Kilo Früchte ein. Rasch, aber sorgfältig kochen und nicht zuviel und nicht zu heftig rühren! Die Himbeeren sollen nicht zu sehr zer­fallen.

Die Konfitüre ist fertig, wenn sie auch bei starkein Ko­chen nicht mehr wild in die Höhe sprudelt, sondern sich < gesetzt > hat und nur noch mühsam Blasen platzen läßt wie kochender Honig. Wenn Sie die Masse jetzt noch länger kochen lassen, mindern Sie ihr herrliches Aroma. Wie schade das wäre, werden Sie sofort verstehen, wenn Sie von der Konfitüre einmal kosten: eine bessere gibt es nicht!

Sie können solche Paradieseskonfitüre, wenn Sie wollen, ganz profan mit Butterbrot zusammen essen. Aber es gibt noch viele andere Formen, sie zu genießen.

Konfitüre zu kaltem Wasser

Vielleicht tun Sie der Konfitüre zum Beispiel die Ehre an, sie nach Art der Levantiner und Balkanesen zu ser­vieren und zu essen ? Sie eignet sich gut für dörrend-heiße Tage und besteht darin, daß man jedem Gast bei seinein Eintritt auf einem Tablett ein Glas eiskaltes, frisches Wasser reicht, daneben ein Untertäßchen mit einem Eßlöffel voll Konfitüre. Man löffelt langsam die Konfitüre und trinkt dazu das kalte Wasser.

Konfitüre nach Balkanart

Wollen Sie eine Konfitüre nicht zum Brot, sondern auf diese Balkanart genießen, dann können Sie sie auch auf Balkanart einmachen, die von der bei uns üblichen ein wenig abweicht: Zucker und Früchte werden nicht gleichzeitig und ohne Wasser in den Topf ge­schüttet, sondern man läutert den Zucker vorher, und zwar bis zum zweiten Grad. Sie wissen doch, wie man das macht? Auf 1 Kilo Zucker nehmen Sie 2 Tassen Wasser und kochen die Mischung, bis sie klar und durchsichtig ist. Falls sich Schaum bildet, von Zeit zu Zeit abnehmen.

Für Konfitüre nach Balkanart läutern Sie den Zucker bis zur Fadenprobe. Was das bedeutet, wissen Sie wohl ?

Ein Tropfen der Zuckermasse zwischen befeuchteten zwei Fingern muß, wenn man die Finger auseinander­spreizt, einen rasch abbrechenden Faden bilden. Jetzt erst schütten Sie die Früchte in den Zucker, und zwar nicht, wie bei der mitteleuropäischen Konfitüre, im Verhältnis von 1 zu 1 oder gar mehr Früchte als Zucker, sondern genau umgekehrt. Auf 1 Kilo Zucker kommen hier höchstens 1,5 Pfund Früchte. Nicht zu heftig kochen, sehr wenig und mit großer Vor­sicht umrühren! Die Früchte sollen nämlich ganz blei­ben.

Die Vor- und Nachteile einer Balkankonfitüre der unsern gegenüber liegen auf der Hand: die Früchte sehen schöner aus, fast so schön, als wären sie kandiert. Dafür ist die Konfitüre betäubend süß.

Weichsein mit Himbeeren zum Tee

Ob Sie die Konfitüre nun nach mitteleuropäischem oder balkanischem Rezept einkochen - in beiden Fällen können Sie sie anstatt zum Brot oder zu einem Glas mit kaltem Wasser auch nach der bereits erwähnten russischen Sitte genießen, indem Sie einen Teelöffel voll davon statt Zucker in ein Glas mit heißem Schwarztee legen. Auf < orthodoxe > Weise wird ein solcher Konfi­türetee so genossen: Man hüte sich davor, die Früchte mit dem kleinen Löffel zu heftig umzurühren! Der Saft der eingemachten Früchte darf sich mit dem Tee ver­mischen und ihn sachte etwas rosa färben; die Früchte selber aber müssen ganz und unzerquetscht im Glase liegenbleiben. Der Russe pflegt sie einzeln mit Sorgfalt aus dem Tee herauszuheben und auf der Zunge zu behalten, während er langsam den sehr heißen Tee schlürft. Die letzte eingemachte Frucht zerkaut er erst mit dem letzten Schluck Tee zusammen.

Aber wenn wir schon von russischen Eßsitten sprechen, so möge uns hier eine kleine - und letzte! - Abschwei­fung erlaubt sein, die durch eben diese Sitten angeregt ist:

Kleiner Sommerrat für kalten Kakao

Kinder trinken gern im Sommer kalte Schokolade. Die meisten Mütter denken, sie stünden dann nur vor der Wahl, entweder eines der modernen Schokoladeprä­parate beizumischen, die auch in kalter Milch leicht löslich sind, oder die ganze Milch mit dem gezuckerten Kakao zusammen aufzukochen und dann mühsam wie­der abzukühlen.

Und niemand kommt darauf, daß man es machen könnte wie die teetrinkenden Russen mit dem Samo­war. Samowar - das heißt wörtlich: einer, der selber auf sich aufpaßt. Und gemeint ist damit der kupferne oder silberne Wasserkessel mit dem Miniaturkamin in der Mitte, in weichein glühende Holzkohle schwelt und das Wasser ringsum erhitzt. Neben den Samowar oder auf die obere Öffnung des kleinen Kamins stellt man je­weils ein Kännchen mit ungemein starkein Tee-Extrakt. Ein jeder entnimmt dem Miniatur boiler - das ist ja der Samowar! - selber das heiße Wasser und mengt Essenz, Zitrone, Rahm und Zucker bei, soviel er mag.

So ähnlich kannst du es im Sommer auch mit Schoko­lade für die Kinder machen: neben stärkste, gezuckerte Kakaoessenz in einem Krüglein stellst du beliebig viele Krüge mit ganz kalter Milch.

Die Kakaoessenz kannst du nach Belieben mit Wasser oder Milch anrühren. Mit Wasser angerührt hat sie den Vorteil, daß sie sich sehr lange hält und sogar am näch­sten Tage noch weicher und samtiger schmeckt als un­mittelbar nach der Zubereitung. In Frankreich weiß man das und bereitet daher den Kakao gern am Abend vorher zu. Vor dem Genuß wird er dann nochmals auf­gekocht und, wenn man will, mit Milch oder Rahm vermischt. Doch nun zurück zu unsern Weichsein!

Weichsein mit Himbeeren zu Schlagrahm -<Der Ehemann fällt vor Entzücken in Ohnmacht >!

In der Türkei gibt es eine ganze Reihe betäubend süßer Nachspeisen, mit denen der Nichttürke meist wenig an­zufangen weiß: sie sind ihm einfach zu fad und zu süß. Eine von ihnen, eine besonders berühmte, heißt, ins Deutsche übersetzt, <Der Ehemann fällt vor Entzücken in Ohnmacht >. Ich habe die Leckerei einmal gekostet. Ohnmächtig wäre ich tatsächlich fast geworden - aber bestimmt nicht vor Entzücken!

Vielleicht aber liest ein Türke diese Zeilen. Wenn ja, dann schlage ich ihm vor, in Zukunft die Vorstellung des vor Entzücken ohnmächtigen Ehemannes mit einem ändern süßen Nachtisch zu verbinden, und zwar mit folgendem:

Jeder Tischgenosse erhält ein Schälchen mit frischem, leicht gesüßtem Schlagrahm, und in die Mitte des leich­ten weißen Schaumes kommt ein Eßlöffel voll der Kon­fitüre aus Weichseln und Himbeeren. Versuchen Sie nur einmal, ob das nicht hundertmal besser schmeckt als ähnliche Aufbauten von Schlagrahm mit Ananas aus der Büchse oder mit rohem Fruchtsalat! Besonders an Wintertagen, wenn es an frischen Früchten ein wenig fehlt, wird man einen solchen Nachtisch ungemein ge­nießen. Und zudem ist er im Handumdrehen zubereitet und sieht mit seinem frischen Weiß und Rot sehr appe­titlich aus.

Aber vergessen Sie ja nicht, nachher in kleinen Tassen sehr starken, süßen Mokka zu servieren und unbedingt auch einen guten Branntwein und für zarte Damen auch Liqueur! Der heute so beliebte Whisky paßt nicht als Nachtrunk zu einer Speise mit solch orientalisch­intensivem und zugleich delikatem Aroma. Lieber Cognac oder Armagnac. Und wenn Liqueur: vielleicht Benedictine ?

Oder, da wir schon bei den Weichsein stehen: wie wäre es mit einem selbstgemachten Weichselliqueur ? Und zwar mit einem, den wir nach osteuropäischem Rezept bereiten! Es unterscheidet sich stark von dem unsern.

Liqueurweichseln nach westlicher Manier

Auch die Liqueurkirschen - und nicht nur den Kirschenliqueur - bereitet man bei uns ja anders als im Osten von Europa. Wir nehmen hier im Westen Weich-

sein oder auch rote Süßkirschen und legen sie in eine Mischung aus gebranntem Wasser mit Zucker, wo sie sich im Laufe von Wochen oder sogar Monaten mit dem Duft des Alkohols und der Süße des Zuckers durch­tränken. Man kann auf diese Weise auch viele andere Sommerfrüchte einlegen. Es ist eine beliebte und wahr­haft < berauschende > Leckerei.

Sie hat nur einen Nachteil: nimmt man kommunen Schnaps, dann schmecken auch die Früchte nachher kommun; nimmt man aber einen teuren Cognac - dann hat man doch das Gefühl, es sei schade um ihn! Im Osten werden Liqueurkirschen anders bereitet.

Liqueurweichseln und Weichselliqueur aus dem Osten Europas

Man braucht überhaupt keinen Alkohol dazu. Der bil­det sich ganz von selber. Man schichtet in große Ein­machgläser entstielte, reife rote Weichselkirschen ab­wechselnd mit Streuzucker ein. Auf ein Kilo Sauer­kirschen nimmt man etwa ein Pfund Zucker. Dann bin­det man die Gläser mit einein leichten Tuche ab - auf keinen Fall dürfen sie fest verschlossen werden! Der In­halt beginnt nämlich schon bald zu gären. Am rasche­sten und schönsten geht die Gärung vor sich, wenn man die gefüllten Gläser zunächst in die Sonne stellt. Die Früchte fangen schon bald an, Flüssigkeit abzugeben. In kurzer Zeit sind sie von einem trüben rosa Saft ganz überdeckt. Wer will, kann den Vorgang noch beschleu­nigen, indem er etliche Löffel Wasser beifügt.

Man läßt die Weichsein solange an der Sonne stehen, als sie gären. Von Zeit zu Zeit schüttelt man die Gläser ein wenig. Ist der Gärprozeß beendet, füllt man den einstweilen noch trüben Liqueur in Flaschen, die man verkorkt und in den Keller stellt... Man hat mir gesagt, daß der Liqueur nach drei Jahren etwa am besten schmecke. Aus eigener Erfahrung weiß ich es nicht: bei uns wurde er immer sehr rasch, noch trüb, ganz ausgetrunken.

Die Sauerkirschen sind nach dieser Prozedur nicht so schön rund und leuchtend, wie wenn man sie in Gognac einlegt. Vielmehr werden sie weich, runzlig und klein. Man kann sie dennoch essen. In die Flaschen kommen sie auf keinen Fall mit hinein. Man kann sie aber auch gründlich auspressen und dann wegwerfen.

Nach der gleichen Methode bereiten die Bauern in Ost­europa, wie man mir erzählt hat, auch Liqueur aus Walderdbeeren und aus schwarzen Johannisbeeren. Aus Walderdbeeren muß er herrlich duften und schmecken; schwarze Johannisbeeren hingegen sind sehr Geschmacksache. Ich selber habe aber beides noch nie gekostet.

PROST

Liebe Leserin und lieber Leser, gern würde ich mich noch lange mit Ihnen unterhalten. Nach meinen Klageliedern über die surrealistisch-an­organische Küche der Gegenwart wollte ich noch viele Dutzende, wenn nicht Hunderte von Lobliedern singen auf die Küche der traditionsgebundenen Nachbarlän­der und der eigenen Ahnen aus allen Ständen: der Bauern, der Bürger, der Hirten, der Adelsherren auf ihren Schlössern. Noch viele altbewährte, fast verges­sene Rezepte würde ich Ihnen gerne neu in Erinnerung rufen. Ich wollte mich mit Ihnen auch detailliert dar­über auseinandersetzen, welche Neuerungen und Ab­wandlungen der alten Rezepte mir sinnvoll scheinen und welche nicht. Wir hätten uns vielleicht noch man­ches Mal gestritten - es schadet nichts! Nicht nur Kö­che, auch Kunsthistoriker vorn Fache sind nicht immer gleicher Meinung. In allem Wesentlichen aber würden wir uns letztlich schon verstehen.

Denn es ist in der Kochkunst - ich sagte es bereits und sage es zum Abschluß jetzt ein letztes Mal - wie in jeder Kunst: es gibt nicht nur eine einzige wahre Weise, einen Gegenstand zu apperzipieren und zu interpretieren. Man kann es auf viele Arten tun. Und alle sind sie wahre Kunst.

Daneben aber gibt es nicht minder viele Arten, etwas talentlos zu verpatzen, nicht Kunst zu schaffen, sondern Kitsch und Unfug.

Aber ich fürchte, für diesmal ist Ihre Geduld erschöpft. Und darum, liebe Leserin und lieber Leser, wollen wir jetzt mit einem Gläschen von selbstgebrautem Weichselliqueur ä la russe, sei er nun frisch und noch trübe oder bereits gesetzt, geklärt und abgelagert, mitein­ander anstoßen, ehe wir uns fürs Nächste - ich hoffe, für nicht allzu lange Zeit! - voneinander trennen.

Prost! Und auf gute Freundschaft!

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